Lagerfeuer

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Neujahr LF Jahrg. II. Nr. 1.
Sonntag den 7. Januar 1917.

1917

Glück auf Glück auf zum Neuen Jahr
Zum Teufel mit allen, die trüb sehn,
Spricht doch die Zukunft sonnenklar
Aus Eintausendneunhundertsiebzehn.

Die 1, das ist das Vaterland,
Dem wollen 9 Feinde nicht weichen,
Drum knüpft mit der 1 jetzt ein inniges Band
Die 7, das glückliche Zeichen.
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Chinesisch Neujahr am Westfluß.

I. Unterwegs.
Das ganze Jahr freut sich der Sportsmann und Jäger auf chinesisch Neujahr. Dann ruht mal für ein paar Tage alle Arbeit und mit Büchse und Hausboot gehts ins winterlich kalte Land. Fasane und Füchte, Enten und Wildtauben locken hinaus auf Flüsse und Berge, und wenn auch meist die Jagdbeute nur eine geringe ist – ein oder zwei Fasane gelten schon als was Besonderes, – so ists doch Lust ungebunden mit der Büchse unterm Arm durchs Land zu streifen und abends im Hausboot oder in einem

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chinesischen Kloster beim dampfenden Grog zu sitzen und von den Taten des Tages erzählend auszuruhen. Die schönsten Erinnerungen knüpfen sich für die meisten Chinaleute an diese Zeit, und manch einer kommt aus dem Erzählen nicht heraus, wenn die Rede auf chinesisch Neujahr kommt.
Die Neujahrstage des Jahres 1911 – die ersten des Februar – sind mir in ganz besonders lieber Erinnerung. Sie führten uns zum Westfluß (HsiKiang), der bei Macao ins südchinesische Meer mündet, – die Hauptverkehrsader der Provinzen Kwangtung und Kwangsi. Seine Berge und Klöster sind berühmt, und prächtig sind die Stromschnellen dort, wo der gewaltige Fluß die Bergketten durchschneidet.
Der Boy hatte alles zur Ausfahrt vorbereitet. Wäsche und Feldbetten, Essen und eine ansehnliche Batterie Flaschen, Geschirr und Gläser war in Kisten und Bündeln verpackt – nur das Notwendigste und doch machte es für uns drei 8 ansehnliche Kolli aus. Man muß ja all und jedes mitnehmen, wenn mans einigermaßen bequem haben will. „Chinesisch leben“ macht man wohl ein- oder zweimal und überläßts dann gern den jungen Enthusiasten.v „Master, alatinghavegoleady“ meldete der Boy “motorboat stop Bundside”. So konnte es denn losgehen! Wir nahmen nur einen erfahrenen Kuli mit, der Dolmetscher, Koch, Gepäckverwalter und Diener in einer Person vereinigte. – Rasch trug uns das Motorboot über den von Dschunken, Dampfern, Schlepper und Sampans wimmelnden Perlfluß zur Station der Fatschan–Samschui(Westfluß) – Bahn, die uns in drei Stunden zum Westfluß führte. Der Zug war gepackt voll von

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schwatzenden und lachenden Leuten aller Klassen, die zum Neujahrsfest „home-side“ gingen. Wers irgend kann, macht sich frei und geht in sein Dorf, um dort vor dem Altar des Hausgottes, den man das ganze Jahr über herzlich schlecht behandelt hat, die fettesten Bissen des Mahles und ein oder zwei Schälchen Reiswein aufzustellen, damit er bei seiner in der Neujahrsnacht zu machenden Fahrt zum Himmel nur Gutes von seinen Schutzbefohlenen berichte. – Das ganze Jahr über träumt der Chinese von diesem Fest, von seinen Schlemmergenüssen und Feuerwerksvergnügungen. Mancher Angestellte macht sich zur Vertragsbedingung, Neujahr Urlaub zu bekommen. Der Beamte „verschließt“ die Siegel um sie oft erst nach einigen Wochen wieder zu „öffnen“, die Kaufleute schließen ihre Läden und lassen sichs wohl sein. Alles atmet erleichtert auf, und freut sich, daß die letzten Tage des alten Jahres mit all ihrem Gehaste vorüber. Manch einer ist in ihnen Tag und Nacht nicht zur Ruhe gekommen. Für den Kaufmann ists die schwerste Zeit des ganzen Jahres, die Bücher werden geschlossen, Schulden werden eingetrieben und bezahlt, man zieht den Schlußstrich, freut sich über den Gewinn des Jahres oder man macht Bankrott, wenn die Glaubiger zu arg drängten und kein Silberschuh aufzutreiben war. Die europäischen „Importleute“ sitzen sorgenvoll bei ihren Kompradoren. Der eine oder andere faule Zahler geht sicher „um die Ecke“ und verschwindet auf Nimmerwiedersehen und mit ihm all das schöne Geld. Der Komprador hat dafür den schönen Ausdruck „He havegomorefar.“
Aber das ist nunfür uns überwunden; sowie der erste Festtag gekommen, wird nicht mehr gehandelt und geschachert; niemand ist so taktlos den

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anderen die Festfreude zu stören.
Wir sollten bei unserer Fahrt auch bald erfahren, daß chinesisch Neujahr ein Fest der Ruhe ist. Trotzdem das Fest eigentlich erst zwei Tage später beginnen sollte, weigerten die Kulis, die wir auf dem Samschui-Bahnhof mieten mußten, um unser Gepäck zum Fluß zu schaffen, den Dienst, indem sie ganz richtig argumentierten, daß die Fremden den Teufel nicht nötig hätten Festtags zu reisen. „Poor cooliemen must wancheeworkno man talkee, likeenolikee.“ Aber Geld heilt alle idealen Festtagsgedanken. Wir erklärten uns schließlich bereit die doppelte Tage? zu zahlen, immer noch zu wenig nach der Kuli Ansicht. Die Verhandlungen mit den Kerls nahmen eine gute Zeit in Anspruch und ging nicht ohne viel Geschrei, Erregung, Gestikulieren und spontane Zornesausbrüche ab. Endlich war die ganze Kulischar befriedigt und 5 aus ihrer Mitte bemächtigten sich der Gepäckstücke, die unter vielem „Aiya“ von der Kuli Seite und „kwaikwai di“ von der unseren befördert wurden. Denn schon wars über all der Handelei arg spät geworden. Der kleine chinesische Flußdampfer tutete hinterm Deich ungeduldig zur letzten Fahrt vorm Fest. Selbstverständlich war das Fahrzeug bis oben voll von kauernden und liegenden Leuten, von quiekenden Schweinen in engen Bambuskörben, von gackernden Hühnern u.s.f. Eine Woge von ostasiatischen Wohlgerüchen lag über all dieser Mensch- und Tierheit, durch die wir uns mühsam unsere Weg zur Kommandobrücke bahnten, wo auch erst Platz geschaffen werden mußte, bevor wir uns häuslich niederlassen konnten.
Schön war die Fahrt stromauf. In der Ferne sah man die Silhouetten der Berge, die unser Ziel waren; zu beiden Seiten breiteten sich hinter den Deichen, die

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nur wenig über den Wasserspiegel hinauswagten, in viele kleine Quadrate geteilte Felder, dann und wann von – hinter Bambushainen und alten Kampferbäumen versteckten – Dörfern und Gehöften unterbrochen.
Der Steuermann unseres kleinen Dampfers war ein netter Kerl, fein gebaut, mit großen klugen Augen, die wenig Mongolisches an sich hatten, ein Typ, den man in Südchina häufig trifft. Ein paar Zigaretten brachten uns bald in ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Sein wie aller Hauptinteresse nahmen unsere Flinten und Photographenapparate in Anspruch. Man mußte höllisch aufpassen, daß die Kerls nicht von Anschauen und scheuem Betasten zu genaueren Untersuchungen des „Inside“ übergingen, was uns auf einer Fahrt mal um eine Rolle Films und einige schöne Aufnahmen brachte.
Vor uns wareine Kette Enten auf dem Fluß eingefallen; wir ließen unseren braven Steuermann auf sie zuhalten. Das ganze Boot kam in Aufregung, alles gestikulierte und schnatterte durcheinander. Aber die Enten taten uns nicht den Gefallen zu halten, – mit einem Wirr strichen sie ab gerade bevor wir in Schußweite kamen.
Bei jedem Dorfe verlangsamte sich unsere Fahrt. Ein großer offener Kahn kam mit erstaunlicher Geschicklichkeit längseit, wurde mit großen Haken festgehalten und bei halber Fahrt entlud sich die ganze Menschheit in das Boot, halb hineingeworfen, halb beherzt selbst hineinspringend, - eine lebensgefährlich aussehende Prozedur. – Auf unserer Fahrt bekam jeder Bootführer vom Schiffe ein Neujahrs-„Kumschau“, das ihm in rotes Glückspapier eingewickelt zugeworfen wurde. Ein so beschenkter Bootsmann brachte uns am Eingang zu den Stromschnellen an Land.

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Es war inzwischen Abend geworden und wir mußten uns sputen noch in Zeiten das Kloster zu erreichen, in dem wir die Nacht zubringen wollten. Es war schon ganz dunkel, als wir vor den heiligen Mauern standen, aber kein gastliches Tor war uns mehr offen. Auf unser Pochen und Rufen antwortete nichts als liebloses Hundegebell.
Was sollten wir machen? In der Nähe waren nur ein paar erbärmliche Katen, in denen unmöglich unterzukommen war. Uns bleib nichts übrig als mit orientalischer Geduld das Pochen fortzusetzen. Aber die Mönche taten, als ob sie nichts hörten. Sie öffnen in der Nacht ungern die Tore, die pünktlich bei Sonnenuntergang geschlossen werden. Wir wollten schon unverrichteter Sache abziehen, als ein Mönch aus Schiebefenster kam und mürrisch nach unserem Begehr fragte. Unser Kuli mußte dem mißtrauischen Kerl erst hundert Erklärungen geben, ehe er sich herbeiließ uns einzulassen. Von kläffenden Hunden umgeifert wurden wir in eine kahlen Schlafraum geführt. Die wenigen Mönche, die sich blicken ließen, schauten uns unfreundlich, fast feindlich an. Keiner kam nach uns zu sehen, und, wie es Brauch, nach dem Woher und Wohin zu fragen. Wir wurden ein beklemmendes Gefühl nicht los und ließen deshalb für alle Fälle die Gewehre nicht von unserer Seite. Wir waren herzlich froh, als die Nacht vorüber war, und machten uns eiligst auf den Weg in die Berge, nach dem wegen seiner Gastlichkeit berühmten Waldkloster, in dem wir die folgenden Tage verbringen wollten. Die Gepäcksorgen überließen wir unserem Kuli, der alles in die Reihe brachte und kurz nach uns aufbrach, um gegen Mittag im Kloster einzutreffen. Wir nahmen das Gewehr über die Schulter und zogen unbeschwert den 6-800m hohen Bergketten zu. Eine Zeit lang gings durch die Felder, auf denen die Bauern, trotzdem es der letzte Tag des alten Jahres war, mit den für Südchina charakteristischen Wasserbüffeln pflügten. Hier und da sah man schon hellgrüne Farbfleckchen

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zwischen den tristen Stoppelfeldern, den jungen Reis, der gerade die ersten zarten Spitzen herausstreckte. Von Zeit zu Zeit hörte man den Schrei einer Schnepfe, die aus ihrem sicheren Versteck in den sumpfigen Feldern aufgeschreckt war. Aus dem Bambus, der die Gehöfe dicht umstand, lösten sich mit starkem Flügelschlag die scheuen Wildtauben, von denen ein paar glücklich zur Strecke gebracht wurden. Zu unserer Erleichterung kamen wir bald auf einen, gut gepflasterten Pfand. Wir waren also auf dem rechten Wege! Weithinaus bauen die Mönche gute Wege; sie sind offenbar die einzigen, die für bequemes Reisen Sinn haben. Die Dorfgemeinden denken nicht daran sich die Mühe zu machen ihre Wege zu pflastern, und in Ordnung zu halten. Sie schieben ihre einrädrigen Karren lieber mit viel Gestöhn und Kraftaufwand über die nach jedem Regen grundlosen Pfade, wie sie auch das Tröpfchen Öl sparen, ihre Schiebkarren zu schmieren. Das Quietschen und „Singen“ dieser Vehikel tönt dem Wanderer überall wenig melodisch entgegen.
Am Fuße der Berge nehmen uns dichte Kieferwaldungen auf, die von Generationen von Mönchen gepflanzt und gepflegt waren. Uralte Kampferbäume verbreiteten angenehmen Schatten und schier undurchdringlich war das Unterholz. Ein breiter Weg führte bergan. Wo die Steigung stärker war, waren Steintreppen gebaut, auf denen sichs bequem bergan steigen ließ. Die guten Mönche hatten zwei oder drei überdachte Hallen an besonders schönen Punkten gebaut: denn wer wird gleich in einem Zuge die Höhe erklettern? Warum nicht gemütlich rasten, wenn man so viel Zeit hat wie diese Jünger Buddhas? Ein paar Mönche kamen uns von oben entgegen; sie gingen wohl in eines der benachbarten Dörfer, um nach Kranken zu sehen oder das Vieh zu beschwören; vielleicht waren sie auch auf dem Wege zum Besuch eines benachbarten Klosters.

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Nach einer letzten starken Steigung schimmerte uns das Kloster einladend aus dem Grün entgegen.
Vissering.

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Nachrichten aus dem Lager

Faustballwettspiel Kokaido.
2. September – 2. Oktober 1916

Seit Mitte 1915 wurde von einzelnen Gruppen Faustball gespielt. Zur allgemeinen Betätigung jedoch kam das Spiel erst, als die Anregung zu einem Faustballwettkampf gegeben wurde. Die Beteiligung war außerordentlich groß und das Spiel stand monatelang im Mittelpunkt des Interesses.
Nach manchen erregten Diskussionen einigte man sich auf die Spielregeln, die von einem zu diesem Zwecke und zur Leitung des Wettkampfes aufgestellten Spielausschuß festgelegt wurden. Die spielenden Parteien bestanden aus je 3 Mann. Spieldauer eine halbe Stunde. Nach einer Viertelstunde Seitenwechsel. Gewonnenes Spiel 2, unentschiedenes 1, verlorenes 0 Punkte. Die Spiele wurden von einem Schiedsrichter und einem Anschreiber geleitet, ihnen zur Seite waren zwei Linienrichter. Proteste gegen Entscheidungen der Schiedsrichter wurden vom Spielausschuß entschieden. Im Ganzen wurden 237 Wettspiele ausgefochten, die durchweg eine flotten angenehmen Verlauf nahmen. Pro Tag wurden durchschnittlich 5 Spiele erledigt.
Die Spiele hatten sich bis zum Ende des ungeteilten Interesses der Kompagnie zu erfreuen, besonders die „Premieren“ und späterhin die „Kanonen“ zogen viel Publikum an. Verschiedene Außenseitersiege erregten allgemeine Heiterkeit

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und Schadenfreude.
Resultate wie nachstehend:
Ergebnis des Faustballwettspiels.

PlatzMannschaftPunkte Erzielte
für
Bälle
gegen
Diff.
1.Feuerbach – Götte – Ottens 40 25422056+486
2.Benshausen – Euchler – Hake
Walter
36 24112086+325
3.Steffens – Schultz – Eggebrecht35 23572088+269
4.Wegener – Haink – Segelken 32 2370 2065 +305
5.Rossow – Mai – Ostermann 32 2229 1974 +255
6. Arps I – Leonhardt – Zug 30 2022 1862 +160
7.Freese – Boeving – Fabianek 26 2232 2019 +213
8.Vissering – Pietzker – Oelsner 25 2230 2108 +122
9.Carstens – Jasse – Baist 25 2104 2040 +64
10. Hecklau – Hirsch – Zierke 22 2122 1979 +143
11. Geschke – Mallon – Ily 18 1671 1789 –118
12. Dahm – Steinfeld – Schäfer17 2015 2048 –33
13. Hildebrandt – Riedel – Tolle 17 1843 1925 –82
14. Both – Gröninger – Lambrecht 14 1787 1805 –118
15. Weber – Schloegel – Dose 13 1717 1855 –138
16. Preissel – Lindenberg – Nitze 12 2003 2020 –17
17. Koll – Hauger –Seidel 111799 2038 –239
18. Hoyer – Barghoorn – Arps II 7 1589 1908 –319
19. Mau – Bantos – Mucks 5 1629 1943 –314
20. Lauenstein – Hagemeyer – Lampe
(Wölk)
3 1319 1750 –431
21. Möller – Bartsch – Danielsen 0 1404 1931 –533
  22.  Blomberg – Freisewinkel – Wladeck nach 14 Spielen ausgeschieden.
  23.  Steinlausen – Edler – nach 14 Spielen ausgeschieden.
F.
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Weihnachten im Kokaido 1916.

Pakete über Pakete hattein den letzten Tagen die neugegründete Paketfahrt-gesellschaft G.m.b.H. in unser Lager gefahren: es waren Feldpostsachen, Büchsen, Körbchen, Körbe Kisten und Kasten, und beim Auspacken derselben erschien es manchem von uns, als habe der Geber dieses Jahr besonders reichlich gegeben, besonders sorgfältig ausgewählt. Mit vollen Händen haben die Deutschen des „Fernen Ostens“ in einer Zeit, da sie selbst zum Teil knapp daran sind, ihren Landsleuten zu Weihnachten bescheert. Was es Praktisches gibt: Handtücher, Tatschentücher, Strümpfe, Seifen, Zahn- und andere Bürsten und dergl. schenkten sie in solcher Menge, daß kein Kriegsgefangener leer ausging, 40 Paare erstklassige Pantoffel erhielt allein das Kokaido; überdies 4 Fässer Bier, dazu Würste, Kuchen, Käse in großen Quantitäten. Den Weihnachtsbaum hatte Pastor Schröder geschenkt. Reichlich bescherte uns auch die Heimat. Hannoveraner Herren sandten, eine Menge Zigarren, und zwar wirklich gute; von mehreren Stellen war eine hohe Geldsumme aufgebracht worden, die es ermöglichte, jedem Soldaten einen außergewöhnlich hohen Geldbetrag auf den Weihnachtstisch zu legen. So mangelte nichts; nur die Briefe aus der Heimat fehlten seit langem. Und fast bedrückend ist es, daß man, aus bekannten Gründen, auf all die Gaben kaum erwidern kann.
Eine kurze würdige Feier leitete in Kokaido den Christabend ein. Nach einem Musikstück weihnachtlicher Art, das die besonders gut besetzte Kapelle ausführte, verlas Herr Vzfw.d.R. Barghoorn das Weihnachtsevangelium. Der schön abgestimmte Chor trug „Stille Nacht“ vor und Sees. Bohner hielt eine Weihnachtsansprache: Er wies auf das Weihnachten hin, das für uns und unser Volk in der unmittelbaren geschichtlichen Gegenwart bereitet sei, auf Gottes Wirken in der Geschichte und seiner Erscheinung in Jesus. Heilende und von seelischer hast befreiende Kräfte sind es, deren wir

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heute und in der Folgezeit mehr als je bedürfen; es muß Weihnachten werden den Trauernden und Verlassenen, den Siechen und Zerrütteten, den Lahmen und Blinden wie es durch Jesus wurde. – Nach dem Chorgesang „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ ergriff Herr Uzfw.d.R. Jensen das Wort, um zunächst auszusprechen, was jeden erfüllte, den Dank den vielen freundlichen Gebern. Dann fuhr er fort. Auch in der Kompagnie haben sich solche zusammengetan, um unsere Gemeinschaft mit einem sehr praktischen Geschenke zu bedenken, nämlich einer Pumpe. ... Ich wünsche überigens, daß wir sie möglichst wenig mehr gebrauchen. Möge es bald heißen: Friede auf Erden und dann aus aller Herzen: „Ehre sei Gott in der Höhe.“ – In das gemeinsam gesungene alte, mächtige „O du fröhliche“ klang die Feier aus.
Die japanische Behörde hatte erlaubt bis 11 Uhr aufzubleiben; und so schlossen sich nun überall Nachfeiern an. Bald hörte man aus den verschiedenen Stuben Weihnachtsgesänge. Hier und dort wurden Reden gehalten, deren Stenogramm leider nicht vorliegt. Vor allem „August mit den langen Stiebeln“ wurde gefeiert, TschantschanErinnerungen wurden ausgetauscht, Späße erzählt, kleine Aufführungen improvisiert, Gesangsvirtuosen mit ihren Impresarios auf Kunstreisen engagiert, zur Fiedel ein Schleifer gewagt und mit aller zivilisatorischen Feierlichkeit ausgeführt. Überall nahm das Fest seinen harmonischen und ungestörten Fortgang. „So ging es, und geht es noch heute.“
Resum Scriptor.

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Weihnachten im Yamagoe.

Zaghaft sah man dies Jahr den Weihnachtstagen entgegen. Sollten wir das Weih-nachtsfest, das Fest der Hoffnung und der

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Zuversicht, auch dieses Jahr wieder in hoffnungslosen Dunkel ohne Ausblick auf glückliche Heimkehr und frohes Wiedersehen feiern? Da blitzte wenige Tage vor dem Fest das erste Friedenslicht auf. So ist es dem Seefahrer zu Mute der nach langer langer Fahrt durch das ewige gewaltige Einerlei von Himmel, und Wasser endlich fern am Horizonte ein Licht aufflammen sieht. Noch weiß er nicht, ist dort, von wo ihm die Strahlen entgegenblicken, schon das ersehnte Ziel; vielleicht ists nur ein Leuchtschiff, viele Meilen weit vor der Küste gelegen, – aber eins weiß er gewiß: die schwerste, die längste Zeit der Fahrt liegt hinter ihm! – So kam es, daß der heilige Abend uns in froher, fast zufriedener Stimmung überraschte, und es war bald wieder wie vor zwei Jahren beim ersten Weihnachtsfest, damals, als wir arglos dem kommenden Frieden mit Händen greifen zu können glaubten, damals, als wir noch nicht wußten, was ein Weltkrieg ist, was Kriegsgefangenschaft bedeutet.
Zu unserer Weihnachtstimmung paßte so recht unsere kurze schlichte Feier. Ein großer Weihnachtsbaum im Kerzenschein und unsere Flagge schmückte den Tempelraum Shokenji. Schöne Weihnachtslieder, von der Kapelle Yamagoe zur Symphonie verbunden, leiteten die Feier ein „Was könnte den Menschen auch wohl besser aus den Nichtigkeiten des Alltags herausreißen, als die Musik. Spricht nicht das alte, bei aller Einfachheit ergreifende „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ und das an lang zurückliegende, glücklichere Weihnachtstage erinnernde „O du fröhliche“ eindringlicher zu uns, als Worte es vermögen! Die weihnachtlichen Klänge, der Tannen-baum und das Schwarz-Weiß-Rot der Flagge zauberten im Tempel Buddhas ein Stück Heimat hervor. Den Mittelpunkt der Feier bildete die Weihnachtspredigt von Missionar Sees. Habersang aus Kokaido, der in seinen Worten den Geistlichen und den Soldaten aufs glücklichste verband. Nach dem Gesang von „Stille Nacht, heilige Nacht“ und einem kurzen Weihnachtsgruß von Herrn Major Kleemann, konnten die Untffz.

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und Mannschaften andie mit Gaben beladenen Tische treten; dank des unerschöpflichen Füllhorns unserer lieben Landsleute in Japan und China, dank der vielen Spenden von bekannten und unbekannten Freunden zu Hause hatte ein jeder, als um 6 Uhr der Befehl des Lagerkommandanten das weihnachtliche Zusammensein beschloß(,) mit beiden Armen vollauf zu tun, das ihm Zugedachte zu bergen. So war es auch nicht zu verwundern, daß in den einzelnen Tempeln noch frisch und froh gefeiert wurde, bis um 11 Uhr die japanischen Trompeten zur Ruhe riefen. Möge es der letzte Weihnachtsabend in Feindesland gewesen sein!
-dt.

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Jahresbericht von Dairinji

Während im Jahre 1915 das Sportleben in Dairinji sich auf das Zusehen bei derartigen Festen in anderen Lagern beschränkte, zeigte es sich in dem verflossenen Jahre bereits auf ganz ansehnlicher Höhe, wodurch allein schon die schnöden Verleumdungen derer widerlegt werden, die auf den gemeinsamen Spaziergängen heraus gefunden haben wollen, daß die alten Leute von Dairinji über ein Trauermarschtempo aus eigenen Kräften nicht hinauskämen. Dem gegenüber würde es schon genügen, darauf hinzuweisen, daß wir uns nicht scheuten die Hälfte der sportlichen Veanstaltungen mitten in den heißesten Sommer zu verlegen.
1) Am 27. Juni fand ein Mannschaftssportfest statt. Nahezu 60 Yen waren, zumeist durch Sammlungen, dazu zusammengebracht worden, sodaß nur die Hälfte des Geldes für dieses Fest verwendet wurde, die andere Hälfte dagegen für eine spätere Wiederholung aufgehoben werden konnte. Und die Preise waren wirklich verdient, sowohl durch die Anstrengungen der Wettkämpfer bei 30 Grad im Schatten, als auch durch die blutigen Verluste an Hautfetzen

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beim Kriechen über den sandigen Boden. Nackentauziehen, kriegsmäßiges Schutzschildkriechen, Reitergefecht mit Kissen als Hiebwaffen für die beiden, die auf einem Balken als gemeinsamem Reittier sitzend gegen einander zu kämpfen hatten, Schiebkarrenrennen mit lebenden Schiebkarren, ein Hindernisrennen, bei dem das Durchkriechen durch einen Schlauch das größte Vergnügen bot, wenigstens für die Zuschauer, und noch manche andere Wettspiele füllten den ganzen Nachmittag aus.
2) Angeregt durch dieses ersteSportfest ließ man im August ein zweites folgen. Diesmal ein Faustballwettspiel, bei dem 8 Gruppen zu je 4 Spielern, so gegen einander spielten, daß jede Gruppe einmal gegen jede andere je eine halbe Stunde lang spielte. So ergaben sich 28 Spiele, für die infolge des andauernd schönen Wetters gerade eine Woche ausreichte. Die anstrengendste Arbeit hatten dabei unstreitig die Schiedsrichter und Schreiber zu leisten, von denen einzelne innerlich so ergriffen waren, von ihrer Tätigkeit, daß sie selbst nachts im Traume noch die Bälle ausriefen, und das Amüsanteste, so behaupten einige, wäre das 29. Spiel gewesen: der Wettkampf zwischen Schiedsrichter und Schreiber.
3) Das zweite Mannschaftsfest am 20. November brachte dem ersten gegenüber wesentliche Verbesserungen einmal in der ganzen Aufmachung, insofern als die inzwischen herangebildete Hauskapelle von Dairinji die Pausen durch ihre Weisen ausfüllte, dann aber hatte man auch nach den Erfahrungen des ersten Wettspieles dafür Sorge getragen, daß die Wettkämpler ohne Einbuße an ihrer Oberhaut davon kamen. Die ernstlichen Wettkämpfe beschränkten sich auf Tauziehen, während eine reiche Mannigfaltigkeit von lustigen Wettspielen die Lachmuskeln der Zuschauer in Bewegung hielten. Da waren ein Nähnadelwettlauf, bei dem ein Faden in eine Nähnadel einzufädeln war, ein Lichterlauf mit einem brennenden Licht, das sich jeder vorher selbst anzünden

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und dann brennend abliefern mußte; beim Kartoffellauf waren von jedem Teilnehmer etwa 15 auf eine Strecke von 30 m verteilte Kartoffeln einzeln aufzuheben und auch einzeln abzuliefern. Zu einem weniger schwierigen als schmierigen Wettkampfe gestaltete sich das Kuchenessen. Aus schön dick mit Mus bestrichenen Kuchen war es Aufgabe der Kämpfer, die eingebäckenen 50 Senstücke ohne Gebrauch der Hände herauszuessen. Ähnliche Erfolge wurden durch Schnappen nach senfbestrichenen Würsten, durch Herausholen eines Apfels aus einem vollen Wasserbecken nur mit den Zähnen, und eines 50 Senstückes aus einem Napf mit Mehl erzielt.
4) Recht eigenartig gestaltete sich die diesjährige Weihnahtsfeier durch das Vorspiel, das ihr vorausging: Befehl der Japaner: Es sind verboten: Theateraufführungen, Besuch der Offiziere, Ansprache anderer als religiöser Art, Ausschmückung des Weihnachtsbaumes mit Papier und Watte; Aufforderung das Programm der Feier einzureichen. Antwort: Unter diesen Umständen verzichten wir auf jede gemeinsame Feier. Darauf bedauerndes Kopfschütteln des Herrn Yamada und einige Stunden später die dienstliche Mitteilung, daß das Fest gefeiert werden dürfe wie sonst mit Ausnahme des Besuchs der Offiziere. So wurden denn auch noch in letzter Stunde mit überraschender Schnelligkeit Raum und Zimmer geschmückt und eine kleine nette Feier ließ alsbald die bis dahin nur recht schwächlich vegetierende Weihnachtsstimmung lustig emporblühen. Eingeleitet wurde das Fest durch eine kurze Ansprache des Lagerältesten, dann wechselten Vorträge der Kapelle mit einer einleitenden Dichtung „Des Kriegers Weihnachtstraum“ von Sergt. Ketscher und drei Gedichten aus der Kriegszeit, vorgetragen von Vzfw.d.L. Wunderlich, und zum Schluß wurden die Liebesgaben verlost. Sehr verschönt wurde das Fest dadurch, daß unser guter „Maikäfer“, der zusammen mit seinem Dolmetscher das Fest überwachte, diesmal darauf verzichtete uns seines Wohlwollens in

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einer Rede zu versichern.
5) Die vielen Feste des Jahres fanden ihren würdigen Abschluß in dem Wetturnen der 1. und 2. Riege am 30. und 31. Dezember. Dem sportlichen Teil, über den an anderer Stelle berichtet werden wird, folgte ein Kommers und gerade dieses Kammerses wegen, für den eine besondere Erlaubnis von der japanischen Verwaltung sicher nicht zu erreichen gewesen wäre, wurde das Turnen auf die letzten beiden Tage des Jahres verlegt. So konnte die Sylvesterfeuer mit dem Turnerkommers verbunden werden. Und – um das gleich vorweg zu nehmen – es ist in Dairinji noch kein Fest in so glücklicher Stimmung und so ohne jeden Mißton verlaufen, wie gerade dieser Kommers und das, obgleich die neue Leitung Ersatz Shiraishi, so ungeahnte Mengen der verschiedensten Alkoholika einzuführen erlaubt hatte, daß die schwerwiegendsten Bedenken laut wurden, ob es wohl gut enden würde. Aber gerade wegen dieses Entgegenkommens des Oberlt. Yamada bemühte sich jeder Unordnungen zu vermeiden. Dazu kam noch, daß einerseits auf Bitten des Lagerältesten der Wache die Weisung erteilt worden war, bis um 12 1/2 Uhr die Veranda nicht zu betereten, und daß andererseits, die weise Maßnahme getroffen worden war, daß männiglich sein Bier vorher abzuliefern hatte, sodaß aus diesem Schatz guter Werke jedem glasweise das schöne, aber gefährliche Naß verzapft werden konnte. Die Leitung des Kommerses, der auf der Feldwebelstube, Stube 6, gefeiert wurde, während die Musik auf Stube 5 Platz fand, lag in den bewährten Händen eines alten Couleurstudenten des Vzfw. Wunderlich, der seines anstrengenden Amtes mit unübertrefflichem Humor und einem kräftigen Holzhammer waltete, ohne daß es selbst diesem klangvollen Instrumente gelungen wäre, der Kehle des Präsiden die Eierkur am nächsten Tage zu ersparen. Der offizielle Teil mit Preisverteilung und den zugehörigen Reden dauerte von 6.30 Uhr bis 8 Uhr. Dann schuf der von den Japanern

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so sinnig eingeführte Appell, fortgesetzt durch ein kleines allgemeines Essen, das unsere vorzügliche Kuche geliefert hatte, die so unerwunschte Pause. Nachher ging es mit frischen Kräften in den fidelen Teil, der seinen Namen wirklich mit Recht trug. Und wenn schon die allgemeinen Lieder die Geister angeregt hatten, so erreichte die Stimmug ihren Höhepunkt durch die modernsten Schlager vom Eisernen Hindenburg, den ein wohlgeschultes Quartett vortrug und namentlich durch die Klapphornverse, in denen der wunderbar echte „Reservemann“ Wunderlich das Leben in Dairinji besang. Dröhnende Lachsalven unterbrachen immer wieder den Vortragenden, und die Stimmung wurde so ausgelassen, daß selbst der Hammer des Präsiden das Getümmnel nicht mehr zu durchdringen vermochte.
Als es 12 Uhr schlug, traf sich alles auf der vorderen Veranda und weithin über die Wache und über das schlafende Dairinji erschallte „Deutschland, Deutschland über alles“.
Möchte die frohe Stimmung, mit der das Neue Jahr für uns begann, ein gutes Omen sein für uns alle.
Küntzel.

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