Lagerfeuer
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II. Jg. Lf. No. 10. Matsuyama, Sonntag den 11. Februar 1917
Unser Heer
(Gesammelte Notizen über seinen Ausbau und
seine Zusammensetzungim dritten Kriegsjahr.)
Was kann für uns, die wir nur von ferne dem großen Ringen zusehen dürfen, von höherem Intreresse sein, als ein Einblick in die Riesenorganisation unseres Heeres, als eine Vorstellung seines Ausbaues und seiner Entwicklung auf Grund der Erfahrungen eines zweieinhalbjährigen Kampfes bis aufs Messer?Aber freilich, dies Ziel auch nur annähernd zu erreichen und das Dunkel des Geheimnisses, das über dem Ganzen liegt und liegen muß, zu durchdringen, scheint für uns Außen¬stehende unmöglich zu sein. Jedoch bis zu einem gewissen Grade, mit dem wir indessen in unseren Verhältnissen ganz zufrieden sein können, trügt dieser Schein. Denn wir brauchen uns bloß einmal die Mühe zu nehmen, die in jeder heimischen Zeitung zu findenden kurzen Inhaltsangaben der Verlustlisten durchzulesen, wir brauchen bloß einmal auch diejenigen Spalten der Zeitungen durchzusehen, die „Versetzungen, Beförderungen, Ordensverleihungen“ überschrieben sind, und an denen – nach meiner Erfahrung wenigstens – die Meisten achtlos vorübergehen, um mit einem Male das Dunkel sich lichten zu sehen: Vor unserm geistigen Auge er¬steht, wenn auch nicht bis ins Einzelne genau, so doch in klaren, scharf umrisse¬nen Hauptlinien, kaum faßbar in seiner Riesengröße, das deutsche Heer, so wie es jetzt im dritten Kriegsjahr aussieht. Bei der beinahe endlosen Reihe von
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feldgrauen Bataillonen, Schwadronen und Batterien, die da an uns vorüberziehen, bei der Fülle der neuentstandenen Waffengattungen und Truppenteile, von denen wir Berufssoldaten sogar uns kaum etwas träumen ließen, bei den schwindeld hohen Zahlen der Divisions- und Regimentsnummern, da wird uns der Begriff des Millionenheeres erst so recht klar. Nicht minder deutlich wird uns aber auch die Entwicklung, die unser Heer zwischen den Augusttagen 1914 und heute durch-gemacht hat, seine Anpassung an die modernsten Mittel der Kriegführung, insbesondere an die durch den Stellungskrieg bedingten, deine Fähigkeit, die Technik bis zur Grenze ihrer Leistungsfähigkeit in den Dienst der Landesvertei-digung zu stellen. All das und noch viel mehr können wir auf und zwischen den Zeilen der scheinbar so trockenen und nichtssagenden Angaben lesen; allerdings oft genug und in immer steigendem Maße müssen wir uns daneben ehrlicherweise gestehen, daß unsere Friedenskenntnisse mancher Neuerscheinung gegenüber versagen, daß wir gar mancher Neuschöpfung ratlos gegenüberstehen. Das kann uns nicht überraschen; es zeigt uns nur, was wir später alles nachzuholen haben werden.
Auch der feindlichen Pressen können wir mitunter recht beachenswerte Mittei-lungen entnehmen. So bringt z.B. die Wochenausgabe der Times vom 19. 1. 17. eine recht wahrscheinlich klingende und von der Wirklichkeit kaum sehr entfernte Antwort auf die so häufig gestellte Frage „wie groß ist eigentlich das deutsche Heer?“ Der interessante Bericht sei hier wiedergegeben.
Im britischen Hauptquartier in Frankreich wurde dem
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Berichterstatter eine Tabelle gezeigt, auf der in Kurven das Anwachsen der deut¬schen Wehrmacht seit Kriegsausbruch dargestellt war. Die Grundlage des Ver¬gleichs bildeten die letzten Veröffentlichungen über die Stärke des stehenden deutschen Heeres und aller bei dur Mobilmachung verfügbaren Formationen. Nach der Tabelle ist die Infanterie bei ihrem heutigen Stand gegenüber ihrer früheren Stärke um das 3¼ fache vermehrt worden, die Feldartillerie um das 3½ fache, die schwere Artillerie um das 5 fache, die Pioniere um das 4 fache. Diese Zahlen geben zwar das Verhältnis der Vermehrung nicht ganz genau, aber doch annähernd richtig wieder.
Bei der Infanterie ging das Anwachsen sehr langsam und gleichmäßig vor sich bis zum Frühjahr 1915, in welchem durch die Verringerung der Infanteriedivisionen von 4 auf 3 Regimenter und durch große Aushebungen zur Schaffung neuer For¬ma¬tionen eine ausgedehnte Neuorganisation bewerkstelligt wurde. Der Mehr¬bedarf der Infanterie an Menschenmaterial ist gleichmäßiger wie der der anderen Waffen. Das bei weitem größte Maß der Vermehrung weist die schwere Artillerie auf. Zwi¬schen der Schlacht von Loos und der Beendigung des serbischen Feldzuges war zwar ein ziemlicher Stillstand hierin eingetreten. Dann aber erfolgt bis zur Sonne-Offensive ein plötzliches Ansteigen der Kurve, die seitdem wieder langsam fällt. Auch die Entwicklung der Feldartillerie war sehr sprunghaft. Ihre stärkste Vermeh¬rung trat im März, April und Mai 1916 ein, während der schärfsten Phasen des Kampfes um Verdun. Neuerdings ist seit Beginn des rumänischen Feldzuges eine wieder eine Aufwärtsbewegung der Kurve bemerkbar.
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Durch die letzte Friedensstatistik wird die Gesamtstärke des bei der Mobil-machung vefügbaren deutschen Heeres auf 2.250.000 Mann angegeben. Nimmt man nun im Durchschnitt bei den oben angeführten Waffengattungen 4 fache Vermehrung an, so gibt dies eine Gesamtstärke des deutschen Heeres auf 10 Millionen Mann. –
So weit der Engländer. Alles das nun, was wir im Laufe der Lektüre unserer heimischen Zeitungen an wissenswerten Einzelheiten begegnet ist, will ich im Folgenden zu einem Gesamtbild zu vereinigen suchen. Es empfiehlt sich hierbei, die Kriegsgliederung eines Armeekorps sich kurz ins Gedächtnis zurückzurufen, um so das Gerüst, um das herum wir bauen wollen, stets gegenwärtig zu haben. (Siehe Tafel).
Der Ordnung halber wollen wir uns bei unserer Rundschau derjenigen Reihen-folge der Waffengattungen anschließen, welche die preußischen Verlustlisten einhalten, der im übrigen auch die meisten der folgenden Angaben entnommen sind. Die jedem Truppenteil beigefügte Nummer bedeutet, daß es die jeweils höchste ist, die mir bisher begegnet ist. Es kann und wird auch wohl vielfach noch höhere geben, wenn auch freilich die eine Einschränkung gemacht werden muß, daß wir nie mit Sicherheit angeben können, ob die Nummerierung in allen Fällen durchlaufend erfolgt oder nicht.
Wenn auch relativ nicht die größte Vermehrung bei der „Infanterie“ eingetreten ist, - man vergleiche den englischen Bericht – so zeigt sie doch die höchsten Regimentsnummern. Denn während die gesamte deutsche Armee im Frieden nur 206 Inf. Regtr. (ohne Garde) hatte, lesen
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wir jetzt vom aktiven Inf. Rgt. 434, zu denen noch die Reserve Inf. Rgtr. (273)“ und die „Landwehr Inf. Rgtr. (436)“ kommen. Nimmt man das Armeekorps wie im Frieden zu 8 Inf. Rgtr. an, so entsprechen diese 1143 Inf. Regtr. allein schon der stattlichen Zahl von 143 Armeekorps. Da kann es uns also nicht wurden, wenn wir z.B. von der 216 Inf. Div. hören. Damit sind aber die Inf. Truppenteile noch lange nicht erschöpft: „Ersatz Inf. Regtr. (29)“ und „Res. Ers. Inf. Rgtr. (4), Brig. Ers. Btl., Landsturm Inf. Rgtr. (115), Landsturm Inf. Btl. und Landsturm Inf. Ers. Btl.“, sowei für die Festungen bestimmte „Besatzungsregimenter“ folgen in bunter Reihe. Neu geschaffen sind die vielleicht aus den Jägerbataillonen zusammengesetzten „Jäger Rgtr. (8)“ die wohl beim Alpenkorps (Krafft) und beim Karpathenkorps (Conta) zu finden sein werden. Nimmt man nun alle Regimenter der obigen Aufzählung zusammen und rechnet noch 24 preußische Garderegimenter und 77 bayrische Inf. Rgtr. hinzu, dann erhält man die runde Summe von 1400 Inf. Rgtrn., die bei einer Sollstärke von 3000 Mann die achtungsgebietende Zahl von 4,2 Millionen Infan¬te-risten ergeben, eine Zahl, die sicher eher unter als über der Wirklichkeit liegt. Auf den laufenden Meter der 1700 klm langen, von uns besetzten Front im Westen und Osten würden nämlich mithin nur 2a Mann kommen.
Für den Nachschub frischer Kräfte sorgen Formationen wie das „Front Ers. Btl. der 77. Reservedivision“ oder die „Inf. Ers. Truppe Warschau“ und „Beverloo“, während die Ausbildung in der Heimat neben den planmäßigen Ersatzbataillonen und Rekrutendepots noch besonderen „Inf. AusbildungsBtln.“ übertragen ist. Für den umfangreichen Dienst in den
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Etappen stehen „Etappen Hilfskompagnien“ (41) zur Verfügung. Als Durchgangstelle für Leichtverwundete, Kranke, Versprengte, Beurlaubte dienen „Etappen Sammelkompagnien“ (25).
Entsprechendder allbekannten, aufs höchste gesteigerten Bedeutung der Maschinengewehre, nehmen die hiermit bewaffneten Formationen einen sehr breiten Raum in den amtlichen Veröffentlichungen ein. Aus den erstaunlich hohen Zahlen geht deutlich hervor, daß die Ausrüstung des Heeres mit Maschinengeweh-ren um ein Vielfaches vermehrt worden ist. Den M.G. Abteilungen und Kompagnien (601), die im Frieden schon bestanden, stehen nun„Feldmaschinengewehrzüge“
(862) und „Feldmaschinengewehr Ergänzungszüge“ (806) zur Seite. Zum Unter-schied hierzu führen die „Leichten M.G. Trupps“ (78) ihren Namen wohl deshalb, weil sie mit einem neuen und leichteren Gewehr ausgerüstet sind, das sich auch auf dem zerrissensten Gelände von einem Manne bewegen und bedienen läßt. Keiner Erklärung bedürfen die „M.G. Scharfschützen Trupps“ (91)
〃 〃 Komp. (27)
〃 〃 Abltgn. (51)
bei denen nur von Interesse ist, daß es noch besondere dem „Oberbefehlshaber Ost“ unmittelbar unterstellte „M.G. Scharfschützen-Abteilungen“ (56) gibt, die ihm als Reserve zum Einsatz an bedrohten Punkten zur Verfügung stehen. Von den erst in diesem Kriege geschaffenen und uns noch öfter begegnenden Gebirgstruppen treten uns hier die „Gebirgs M.G. Abteilungen“ (242) entgegen.
Das Fahrrad scheint sich da, wo die Straßen auch nur in einigermaßen brauchbarem Zustande sich befinden, recht gut zu bewähren. Denn während durch die letzte
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Wehrvorlage nur jedes Jägerbataillon eine Radfahrerkomp. erhielt, lesen wir jetzt von 5 „Radfahrer-Btln.“ 201 Radfahrerkomp. und 80 Reserven Radfahrerkomp. die „Kraftradfarer-Abteilung 12“ beweist, daß auch das Kraftfahrrad in erhöhtem Maße Verwendung gefunden hat.
Als etwas ganz besonderes, wie sie es nach Güte des Materials, der Ausbildung und Bewaffnung auch wirklich sind, werden die „Sturmtruppen“ angeführt: „Sturmabteilung des 14. Res. Korps“, „Sturmkomp. der 45. Res.Div.“. In der Tat verdienen sie, in deren Reihen sich die Besen und Tüchtigsten finden, besondere Erwähnung. Es ist leider nicht möglich, sich über ihre Aufgaben im Gegensatz zu denen der übrigen Infanterie ein vollkommen klares Bild zu machen.
Unter der Gesamtüberschrift „Infanterie“ finden wir merkwürdigerweise auch „Bergmannskompagnien“, deren Tätigkeit sich auszumalen der freien Phantasie jedes Einzelnen überlassen sei.
Am wenigsten Neues finden wir bei Kavallerie. Bei den neuentstandenen Truppenteilen scheint man zwischen gewöhnlichen „Kav. Rgtr..“ (89) und „Kav.(Schützen) Rgtrn.“ (94) zu unterscheiden. Kleinere Formationen von der Stärke etwa 2er bis 3er Eskadrons sind die „Res.Kav.Abteilungen“ (82).
Bei derFeldartillerie zählen wir außer der Garde 405 Aktive, 239 Reserve und 256 Landwehr Rgtr.; zusammen 900 Regimenter mit 32000 Feldkanonen und Feldhaubitzen, das Regiment wie im Frieden zu 36 Geschützen gerechnet. Bei derselben Annahme würden diese 900 Regimenter die unwahrscheinlich hoch klingende Zahl von 225 Armeekorps ergeben. Richtiger als dieser Schluß ist wohl die Vermutung, daß alle
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Fronten, insbesondere so gefährdete Stellen wie der Somme-Abschnitt, in einem Maße mit Artillerie ausgestattet sind, von dem wir uns kaum eine richtige Vorstellung machen können. Daß es bei der jetzigen Kampfesweise notwendig ist, jeden Fußbreit beinahe zur Aufstellung von Geschützen auszunutzen, haben uns die anfänglichen Erfolge der Verbündeten an der Somme bewiesen. Sowohl unserer eigenen, wie auch der feindlichen Pressen war zu entnehmen, daß die Gegner diese Erfolge in erster Linie der im Verhältnis zu schwachen deutschen Artillerie verdanken. Von dem Moment an, wo dies geändert wurde, kam ihr Angriff kaum mehr vorwärt. Und für eine diesjährige Frühjahrsoffensive ist, wie Hindenburg in einem Gespräch mit dem amerikanischen Journalisten Wiegand mit grimmigem Humor bemerkte, in dieser Beziehung besser Vorsorge getroffen. So erklärt es sich auch, daß außer den genannten Regimentern noch 913 einzelne, selbständige Batterien erscheinen, die je nach Bedarf auf die Fronten verteilt sind. Im Gegensatz zu den einheitlich ausgerüsteten Regimentern werden diese Batterien vielfach ältere Kaliber oder erbeutete Geschütze führen.
Eine recht bedeutsame Rolle spielen bei der Feldartillerie diejenigen Geschütze, die sich von tief unten aus in unliebsamer Weise für den hoch in den Wolken schwebenden Flieger oder Ballon bemerkbar machen sollen. Da gibt es 516 „Flug-Abwehr-Kanonen-Batterien“ – man versuche diese Bezeichnung einmal kurz militärisch in einer Silbe auszusprechen – daneben aber auch noch 165 „Flug-Abwehr Kanonenzüge“. Da man aber leider nicht überall da, wo Flieger hinkommen können, Abwehrbatterien aufstellen
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kann, da man die allzu scharfsichtigen Störenfriede auch gerne einmal von Stellen aus überraschen will, von denen sie es nicht vermutet hätten, und da schließlich den Luftfahrzeugen mit feststehenden Geschützen oft schlecht beizukommen ist, sind die „Flug-Abwehr-Kanonen auf Kraftwagen“ (96) gewiß von unschätzbarem Werte. Man darf nun aber nicht glauben, daß diese dem flinken Flieger auflauernden Geschütze sich auch mit dem scheinbar harmlos träge am Himmel hängenden und doch so gefährlichen Fesselballon abgeben. Dafür gibt es besondere „Ballon- Abwehr-Kanonenzüge“ (115).
Zur Feldartillerie, der, wie man sieht, die mannigfachsten Aufgaben zugeteilt werden, gehört auch die Gebirgsartillerie. Man unterscheidet „Gebirgskanonen Züge“ (44) „Gebirgskanonen Batterien“ (11) „Gebirgskanonen Abteilungen“ (4) außerdem noch „Gebirgshaubitzzüge“.
Bis hierher konnte ein Zweifel über Art und Verwendung der erwähnten Formationen kaum entstehen. Doch nun – „wer hilft mir weiter fort?“Obwohl selbst Feldartillerist, steht man doch beinahe ratlos vor Bezeichnungen wie „Infanterie Geschützbatterie“ und „Schützengraben Kanonen Abteilung“ (14). Dem kürzlich in allen illustrierten Blättern zu sehenden Bild eines Infanteriegeschützes, das geschickt alle Einzelheiten verhüllte, war nichts zu entnehmen. Klar umrissen ist jedenfalls die Aufgabe dieses allerjüngsten Zweiges der Feldartillerie- Unterstützung der Infanterie vom vordersten Graben aus, im Angriff wie in der Verteidigung. Als feststehend wird man auch annehmen können, daß es sich um kleinere Kaliber als beim Feldgeschütz handelt, überhaupt um ein gedrungeneres und niedrigeres, kurz für die Eigenart des Schützengrabenkrieges
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geeigneteres Geschütz. Sicher ist auch, daß diese Kanonen nicht mit den Minen¬werfern zusammengeworfen werden dürfen. Aber trotz und bei allem Sicheren bleibt doch so unendlich viel Unsicheres, was von hier aus keine Lösung finden kann. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist vielleicht die Vermutung, daß aus diesen Geschützen kleinkalibrige Sprenggranaten zur Zerstörung von Maschinengewehren, Schutzschilden und ähnlichen aufrechtstehenden kleinen und daher schwer treff¬baren Zielen, denen mit dem roheren Schießverfahren des Minenwerfers schlecht beizukommen ist, verfeuert werden.
Anzuführen wären hier noch die neuerrichteten „Feldartillerie- Schießschulen“
in Warschau und Beverloo, welche die Schießschule in Jüterbog entlasten sollen, sowie die „Flug Abwehrkanonen Schule Ostende“.
Schon in einem früheren Aufsatze wurde auf die ungeheure Steigerung der Beweglichkeit hingewiesen, welche die Fußartillerie in den beiden letzten Jahr-zehnten erfahren hat. Ihren Namen, der ja auch einer anderen Zeit entstammt, trägt sie heute sicherlich zu Unrecht; aber daß sie mit ihren schweren Haubitzen und Mörsern auch vor unwegsamem Gebirgsgelände nicht mehr zurückschreckt, übertrifft doch alles bisher Dagewesene. Den Beweis hierfür liefern uns die in den Verlustlisten unter der Bezeichnung „Gebirgsstaffeln“ angeführten Formationen der Fußartillerie. Wer hätte auch sonst unsern Truppen die engen, stark befestigten und zäh verteidigten rumänischen Grenzpässe so rasch geöffnet, wenn es nicht gelungen wäre, die unentbehrlichen dicken Brummer heranzubringen?Selbstän¬dige Batterien erscheinen auch hier wie bei der Feldartillerie (über 900). Die sorg¬fältige Bestimmung der Grundlagen, die beim Schießen mit
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schweren Geschützen besonders notwendig ist, um ja keinen Schuß der wertvollen Munition unnütz zu verschwenden, geschieht durch die „Artillerie Meßtrupps“ (98) und durch die „Schallmeßtrupps“ (53).
Besonders deutlich kommt die Eigenart des Stellungskrieges bei den Pionier-truppen zum Ausdruck, bei denen vor allem der Minenwerfer eine große Rolle spielt. Außer „Minenwerfer Btln.“ (5) und „Minenwerfer Komp.“ (422) gibt es noch „Leichte (297), Mittlere (160) und Schwere (21) Minenwerferabteilungen“. Die Unterschiede scheinen hauptsächlich im Kaliber dieser Verderben speienden Ungeheuer zu bestehen, daneben wohl auch in der Art der Gliederung. Von Interesse sind noch folgende Formationen: „Scheinwerferzüge“ (342), die schon durch die letzte Wehrvorlage geschaffen wurden, „Pionierlandungskompagnien“, „Pionier Heerespark Cöln“, „Befehlsmäßige Minenwerfer Abteilung der 82. Landwehr Inf. Brig.“.
Gesondert, als eine Klasse für sich, erscheint wie bei der Infanterie ein „Sturmbataillon“.
Den Pionieren eng verschwägert sind die Verkehrstruppen, deren Bedeutung in demselben Maße, in dem die Heere gewachsen sind, gestiegen ist. Je größer und damit schwerfälliger die Massen geworden sind, die der Feldherr in Bewegung zu setzen hat, desto besser müssen die Mittel für ihre Fortbewegung und ihre Ver-bindung unter einander ausgebildet sein. Der Mehrbedarf an Zeit, der durch die Verlängerung der Kolonnen und durch die notwendige Trennung der Heeresteile für die Befehlsübermittlung eingetreten war, mußte durch rascheste Verbindungs-möglichkeiten ausgeglichen werden, wenn nicht die Kriegführung unendlich schleppend, ja die Verwendung von Millionenheeren überhaupt
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in Frage gestellt werden sollte. Dieser Forderung helfen, um nur einige Formationen zu nennen, die „Schweren und Leichten Funkerstationen“ die „Fernsprech Abtei¬lungen“, die „Fernsprech Doppelzüge“ (211), die „Armee Signal- Trupps“ (310), die „Lichtsignal Abteilung der 34. Inf. Div.“ ab. Sie haben dafür zu sorgen, daß die Erkundungsergebnisse der bis zu 100 km weit der Armee vorausgeeilten Heeres¬kavallerie rechtzeitig an das A.O.K. (Armeeoberkommando) gelangen, sie blitzen die Befehle des Armeeführers nach allen Seiten, zu den vordersten Vorposten bis zu den hintersten weit, weit entfernten Kolonnen und Trains. Alle warten sehnsüchtig des Befehls, der sie zur richtigen Zeit an die richtige Stelle weist, und dessen Nichteintreffen das wohlgeordnete Heer zu einem wirren Haufen macht.
In aller Gedächtnis und kaum eines Hinweises nötig ist das, war die Eisen-bahnen in diesem Kriege geleistet haben. Wir wissen, daß die „Eisenbahnen heute zu einem Kriegsmittel geworden sind, ohne welches die großen Armee der Gegen¬wart weder aufgehalten noch Zusammengebracht, noch vorwärtsgeführt, noch erhalten werden könnten“ (Schlieffen, Rede bei der Feier des 25 jähr. Bestehens des I. Btl. / Eis. Regt. 1)
Welch bedeutender Anteil an diesen Leistungen den Eisenbahn-truppen zu-kommt, davon geben die zahlreichen „Eisenbahnbau- und Eisenbahnbetriebs-kompagnien“, wie auch die Militär Eisenbahnbetriebsämter (Brest-Litowsk, St. Quentin, Verviers und viele andere) beredtes Zeugnis.
Besondere Erwähnung mögen noch die „Seilbahn Abteilung 1 des 11. Armee-korps“ und der „Personenkraftwagen
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Park Metz’ finden.
Von den zahllosen Kolonnen und Trains seien nur noch einige besonders interessante Formationen angeführt: „Pferde Quarantäne Siedlce der Armee-abteilung Woyrsch“, „Tragtier Kommando der 13. Res.Div.“, „Tragtierkolonne 7“. Es mag in diesem Zusammenhange erwähnt werden, daß die türkischen Truppen überall, auch in Galizien, für ihren Nachschub ausschließlich Tragetiere verwen¬den, die sie in so ausgezeichneter Weise zu belasten verstehen, daß nur 5 Tragtiere dieselbe Last fortzuschleppen vermögen, wie ein zweispänniger Wagen.
Bei den Fliegertruppen fällt die Bezeichnung „Kampfstaffel 10 der O.H.L. „besonders auf. Sie zeigt, daß Herrn Ohl, wie wohl auch scherzhaft die oberste Heeresleitung genannt wird, eigene Kampfgeschwader zur Verfügung stehen.
Von den übrigen Truppen und Formationen mag hier der Kürze halber nur noch eine kleine Auslese Platz finden. Da gibt es eine „Gebirgs Sanitätskompagnie 203“, und ein „Sanitätshund Staffel Ost“, eine „Inselwache Sylt“, einen „Waffensammeloffizier der Armeeabteilung Woyrsch“, und einen „Aufsichtsoffizier für Karlsbad und Marienbad“. Die fleißigen Schipper gliedern sich nicht nur in zahlreiche Armierungsbataillone, sondern auch in „Schanzkompagnien, Straßen¬baukompagnien (21), Feldbefestigungs-Arbeiterkompagnien“ (4). Die von den Truppen im Okkupationgebiet vielfach angelagten großen landwirtschaftlichen Betriebe werden von den „Wirtschaftskompagnien“ (98) verwaltet. Für den jungen Offiziersnachwuchs sorgen eine „Armee-Feldkriegsschule“ und die „Feldkriegs¬schule II der 8. Armee“.
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Unser Rundgangist beendet. Riesengroß, in seinen Einzelheiten von verwirren-der Fülle, steht die siegreiche Armee, steht unser Volksheer von uns. Und noch immer scheint es zu wachsen und sich zu strecken. Noch immer größere Anstren-gungen sind notwendig, um unsere zähen und erbitterten Gegner auf die Knie zu zwingen. Aber wenn nur die Hälfte der 2 Millionen, die die Russen als durch den „Vaterländischen Hilfsdienst“ für die Front frei geworden errechnet haben, unter die Waffen tritt, dann lassen sich damit nicht nur alle Lücken füllen, sondern auch eine Reihe neuer, frischer Armeekorps aufstellen.„Nur mit großen Mitteln und großen Anstrengungen werden große Dinge vollbracht und große Ideen verwirklicht und auch das deutsche Reich ist nur mit Hilfe von Heeren zusammengebracht worden, die durch ihre Größe die Kräfte des Volkes zu verzehren schienen“. Aber nur schienen dürfen wir den Worten Schlieffens hinzusetzen. In Wirklichkeit haben gerade die Anstrengungen und Opfer, je größer sie waren, umsomehr die Kräfte des Volkes gestärkt und zu immer höheren Leistungen befähigt.
Was für den Krieg gilt, wird nicht minder auf den kommenden Frieden Anwen¬dung finden müssen. Denn dieser Friede wird und kann nichts anderes sein als ein latenter Kriegszustand. Es darf nicht wieder vorkommen, daß wir mit Hunderttau¬sen¬den unausgebildeter, wehrfähiger Männer in den nächsten Krieg eintreten. Es ist keine ganz verlorene Mühe, einmal darüber nachzudenken, welche Wendung der Krieg genommen hätte, wenn uns alle Waffenfähigen in den kritischen September¬tagen an der Marne zur Verfügung gestanden hätten,
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und ob auch dann noch Joffre seinen sogen. „Sieg“ hätte erfechten können. Auf welche Weise es ohne allzu große Steigerung der Kosten möglich sein wird, dies Ziel zu erreichen, steht dahin; ein gangbarer Weg hiezu ist zweifellos die militärische Jugenderziehung; ob man auch den anderen, der sich bietet, die Verkürzung der aktiven Dienstzeit, einschlagen wird, muß die Erfahrung lehren.
M.
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Aus Gottfreid Keller’s Tagebuch.
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Dem Wochenblatt derFrankfurter Zeitung vom 7. XII. 16 entnehmen wir die folgende, am 2. Mai 1848 geschriebene Eintragung aus Gottfried Kellers Tagebuch. Wir teilen sie unseren Lesern mit, weil die Forderungen unserer Zeit darin in so eindringlicher und klarer Weise zum Ausdruck kommen, wie es besser nichtgeschehen könnte.
Den 2. Mai.
Der Wind hat sich gelegt, die Wolken sind verschwunden. Rein und tief wölbt sich der kristallene Himmel, die Sonne flammt still, groß und sicher an ihm. Und ebenso still, groß und sicher leuchtet das Gestirn unseres Schicksals und unserer Tage über der tosenden Verwirrung des Frühjahrs. Ja, es ist ein gewaltiges Gestirn, und deutlich lesen wir in ihm, daß unsere äußere Lebensruhe dahin ist, und daß wir (nur) durch rastloses Ringen und riesenmäßige Arbeit die Ruhe unserer Seele erkämpfen können. Die goldenen Locken unserer Jugend werden in diesem Kampfe ergrauen, mit dem Schwerte in der Hand werden sie ihre Erfahrungen sammeln, und unter den Waffen ihre Studien vollenden,
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und sie wird gedrängte Tage an das verwenden können, wozu die Väter lange Jahre brauchten. Das ganze zarte Geschlecht der Jungfrauen von heute wird unter Sturm und Gewitter verblühen und in kurzen fliegenden Augenblicken die heitere Freude haschen, welche es sonst in langen Lenzmonden schlürfte, aber diese Minuten werden schwerer, feuriger, seliger sein als jene langen ruhigen Jahreszeiten der müßigen Lust. Der Reiz seiner Unschuld wird die glühende Tugend der Jünglinge zieren, welche sich dem Vaterlande weihen. Die Mütter werden unter schweren Sorgen ihre Söhne aufziehen, aber jede hat dafür die stolze Hoffnung, dem Vaterlande einen Retter zu schenken, denn es wird keinen überflüssigen und unnützen Bürger mehr geben. Die Greise aber werden noch am Rande ihres Grabes die Summe ihres langen Lebens verdoppeln können und die Erfahrungen und Früchte eines Jahrhunderts mit hinübernehmen. Mein Herz zittert vor Freude, wenn ich daran denke, daß ich ein Genosse dieser Zeit bin. Wird dieses Bewußtsein nicht alle mitlebenden Gutgesinnten als das schönste Band einer allgemein gefühlten heiligen Pflicht umschlingen und am Ende die Versöhnung herbeiführen?
Aber wehe einem jeden, der nicht sein Schicksal an dasjenige der öffentlichen Gemeinschaft bindet, denn er wird nicht nur keine Ruhe finden, sondern dazu noch allen inneren Halt verlieren und der Mißachtung des Volkes preisgegeben sein, wie ein Unkraut das am Wege steht!Der große Haufe der Gleichgültigen und Tonlosen muß aufgehoben und moralisch vernichtet werden, denn auf ihm ruht der Fluch der Störungen und Verwirrungen, welche durch kühne Minderheiten entstehen. Wer nicht für uns ist, der sein wider uns, nur nehme er teil an der Arbeit, auf daß die Entscheidung beschleunigt werde.
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