Lagerfeuer
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II. Jg. Lf. No. 6.
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Rade vorm Wald, wo ick 2 Jahre blieb. Auf einmal schrieb meine Mutter, dat mein Stiefvater abgestürzt und tot wäre. Weil ick nun auch schon ‘n paar mal gefallen war, aber nicht von hoch, Da hatte sie Angst, dat mir dat auch so gehen könnte und ick sollte nicht mehr Dachdecker bleiben. Ick ging also als Pferdejunge auf Zeche Viktoria Matthias, wo mein Vater Bergmann gewesen war. Da gabsplenty Kohlenstaub zu schlucken in den finstern Gängen. Wie ick 1 Jahr da war, schrieb meine verheiratete Schwester aus Hamburg, daß meine Mutter zu ihr kommen sollte. Dat tat sie auch und nahm uns alle mit. Einen Monat arbeitete ick da als Hilfselektriker bei Blohm & Voss auf der Werft. Ick verbrannte mir aber die Klauen und kam als Hausbursche in ein Damenputzgeschäft. Dat gefiel mir da auch sehr. Nu fuhr aber mein Schwager als Steward bei der Hapag und mein Bruder als Trimmer auf dem Imperator. Die beiden hatten mir denn immer von Asien und Amerika erzählt, und ick war auch manchmal an Bord gewesen, wie sie „Muß‘ i denn zum Städtele hinaus spielten“ und denn rausfuhren. Da verspürte ick denn Lust, auch mal ne Seereise zu machen. Ick bat meinen Chef um Urlaub für 6 Monate und er sagte auch ja. – Na – und so kam dat also mit meiner Reise.
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richtige Arbeit fängt erst an, wenn dat Schippen aus den Ecken losgeht.
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erst wieder auf der Fahrt nach Moji. Die See ging manchmal mächtig hoch, dat haute immer rübber über die Reeling – zack! Da war auch der Heizraum wieder mal ’n bischen ausgelüftet und dat tat auch not. In Moji blieben wir draußen liegen; Urlaub gabs leider keinen.
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mir so einfällt: „du sollst nu schuften, während die andern sich an Land amüsieren und – da oben in Nikolajewsk, da kommt erst die richtige Kälte, da wirds noch viel fauler“, da denk ick: „Hier puhlst du aus!“ Und wenn schon, denn man gleich! Dann habe ick mir noch ein paar Schleppsäbel (langes Schiffsbrot) geklaut und bin so um 1/2 6 Uhr morgens, wie der wachthabende Matrose gerade auf der anderen Seite war, leise von Bord runtergeklettert. Beinahe hätte er mich noch gekitscht – aber et ging nochmal gut. Viel mitnehmen war da natürlich nicht. Bloß ne dicke Jacke und feste Stiebel hatte ick an und meinen Heuerschein in der Tasche. Da waren zum Glück noch verschiedene Stempel drauf und mit denen hab ick später immer die Kerls, die wat von mir wollten, geblufft. Wie ick nun am Quai bin, kommt gerade unser Arzt in einer Troika angefahren und fragt mich, wo ick hin will? Der hatte wohl schon Lunte gerochen, datick auspicken wollte, und schimpfte wie ’n Rohrspatz. Ick sagte ihm aber, ick wollte nur Käse holen und hab mich denn in son schmalen Seitenweg gedrückt. – Alles war noch so glitschig und lehmig, wie ick so hintenrum aus der Stadt rauskam. Da war dat Bahngeleise, aber ick war nun im Druck, ob links oder rechts lang? Zum Glück kitschteick gleich den richtigen Weg und zog links ab, immer am Ufer. Dat machte direkt Spaß, ick konnte noch baden und so – und dann immer die Bahn längs. Später wurde es mir denn zu heiß mit der dicken Jacke und von da ab bin ick denn „ganz leicht bekleidet“ weitergetippelt. –
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Über den Weg hatte ick mich vorher nicht erkundigt, und dachte bloß: Längs der Bahn mußt du irgendwo nach Deutschland kommen. (Wenn ick geahnt hätte, datdat bis nach Hause über’n Jahr dauert, wäre ick wohl gar nicht erst ausgepickt.)
Mittags war ick schon weit weg, immer im Marschtempo, damit sie mich nicht wieder kitschten. Nur ne halbe Stunde ruhte ick mich aus und aß von meinem Schleppsäbel. Da fiel mir plötzlich ein – von den Räubergeschichten zu Hand – dat es hier auch Wölfe geben sollte, und davor hatte ick denn die größte Angst. Aber glücklicherweise hatte ick mein großes Brotmesser mit, wie die Matrosen immer haben. Eigentlich hatt’ick es nur mitgenommen, von wegen Brotschneiden, wenn ick unterwegs wat fechten tat, aber jetzt war ick doch froh, datick meine Waffe mit hatte. Bis jetzt war das Land eben gewesen. Nachmittags kam ich denn an solchen kleinen Hügeln vorbei und nachher kamen die Berge. Da war ick jedesmal in Schmadder, wie ick da rübber kommen sollte. – Schon dat Laufen war ungewohnt, heiß war es auch und die neuen Stiebeln drückten überall. Da habe ick denn mit’m Messer all die Stellen rausgeschnitten, dat wurden aber so viel Löcher, datick später die reinsten Sandalen anhatte. Von Wäsche hatte ick nur die eine Garnitur mit, die mußte ick denn morgens immer waschen, wenn gerade ein Fluß da war und so lange warten, bis sie wieder trocken war zum Anziehen. Menschen waren meistens keine zu sehen, höchstens mal paar Chinesen auf Arbeit an der Bahn. Gewöhnlich bin ick immer das Geleise an der Bahn längs getippelt und den ersten Tag bis zum Abend glatt durch, weil ick da noch Angst hatte. Manchmal kamen Güterzüge vorbei
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und manchmal auch Soldaten, die auf den Weiden exerzierten. So ungefähr alle Stunde sah ick auch mal ein kleines Dorf, oder wenigstens einzelne Gehöfte; oft war auch ein besseres Landhaus dabei. Die ganze Gegend fing überhaupt allmählich an, mir besser zu gefallen. Öfter kam da auch mal so ’n kleiner Fluß oder Bach, wo sich links oder rechts ein kleines Wäldchen längszog. Dat war oft sehr schön.
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plenty Kohldampf. Ne Uhr hatt’ick nicht und wieick aufwachte, da schien schon die Sonne feste weg. Von dat Schlafen da hattick auch wieder Kohldampf gekriegt, aber ick hatte später immer noch Schwein dabei. - - Meine Bude, die baute ick immer auf freiem Felde, so 300 m von der Bahn ab, zur Vorsicht; sonst – wie die Russen sind, dat hab ick ja nicht gewußt. Morgens schmiß ick die Balken auch immer wieder zusammen, auch zur Vorsicht. Dat mußte schon so sein, die ersten Tage.
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ein Güterzug mit flachen Sandwagen, wo Chinesen draufsaßen. Mit dem wollte ick nun gern ’n Ende mitfahren, aber so dicht beim Bahnhof traute ick mich bei hellem Tage nicht aufzuspringen. Da bin ick also wieder losgetippelt und hab mich ein Stück entfernt vom Geleise hingesetzt und gewartet. Richtig, wie icksone halbe Stunde gewartet hatte, kam der Zug auch an. Ick fragte schnell den einen Russen mit Zeichen, ob ick mitkönnte und wie der „ja“ nickte, da bin ick im Fahren draufgesprungen und wäre beinahe noch mitgeschleift worden. Der Russe war einen Wagen vor mir und machte mir Zeichen, dat er Geld haben wollte. Wie ick ihm aber nu zu verstehen gab, datick nix hätte, da fing er an zu schimpfen und wollte mich wieder runterschmeißen. Er konnte aber nicht rübber, weil da ne lange Kette zwischen den Wagen war. Ick sagte denn immer „per russkinisnait“ (d.h. nämlich soviel wie „ick kann nicht Russisch.“) – und schimpfte denn auch wieder und zeigte auf den Kopp, von wegen verrückt und so -; davon wurde er denn immer wütender, aber rübber konnte er nicht. Dat dauerte nu so ungefähr ne Stunde. Wir fuhren durch eine fruchtbare Gegend, die auch oft recht schön war. Viel Wald war da, rechts und links die Berge und überall rum kleine Ansiedlungen. - - Wie denn aber wieder ein Bahnhof in Sicht kam, da dachte ick doch: Nu wird dicke Luft, nu mußt du abspringen – und der Russe, der wollte mir auch schon auf die Pelle. Ick hatte bloß Angst, datick gegen einen von die Pöhle (Pfähle) springen würde, die da längs der Bahn standen. Weil dann aber ein Sandhaufen kam, und der Zug auch schon ein bischen langsamer fuhr, sprang ick denn doch ab, und richtig gerade noch
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an sonem dicken Pohl vorbei. Dat war aber verkehrt rum gewesen; ick machte direkt nen Salto und bin denn noch son kleinen Abhang runtergeglitscht, ehe ick zum Sitzen kam.
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und Bretter darüber zu schlafen. Oben unter dem Dach hingen getrocknete Fische an Bindfäden. Dat war da ’n Gestank in der Bude! Ick dachte gleich so bei mir: da bleibst du nicht lange. - - Um 6 Uhr wurde ick am Morgen geweckt und mußte Sand durchsieben. Bis so um Mittag habe ick auch gearbeitete. Dann zog ick am Pol, denn ick hatte keine Lust mehr zu arbeiten.
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Kluft suchen gehen und dat war ne ziemliche Ecke. Noch gerade vor Dunkelwerden fand ick die Kluft und war sehr froh. Wenn mir die einer geklaut hätte, denn war ick ganz in Schmadder. Ick nahm mich denn vor, nicht wieder so tief reinzugehen. – – Die Nacht konnte ick in meiner Schwellenbude kaum schlafen, son Kohldampf hattick. Ein Haus war nicht zu sehen, wo ick hätte rein gehen können wegen was zu essen. Noch weiter zu tippeln war ick aber zu müde. –
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gewollt. - ZumGlück kriegte ick abends von Soldaten noch wat zu stauchen. –
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wie 'n Stück Chinesenbrot, datick von der ollen Tante noch mitgekriegt hatte. Abends gabsplenty Regen, datick froh war, wie ’n Dorf mit ner Station in Sicht kam. Und wie ick den Stationsvorsteher anhaute wegen wat zu stauchen, da antwortete der mir gleich Deutsch, und nahm mich mit in seine Wohnung. Dat war mal 'n feines Haus. Er machte mich auch gleich mit der Ollschen und seiner Kindern bekannt und gab mir ordentlich wat zu essen. Zum Schlafen konntick auch dableiben und da war ick ordentlich froh darüber, weil ick doch schon so lange in keinem Bett mehr geschlafen hatte. Vier Tage blieb ick bei den netten Leuten. Dat war ne feine Zeit, immer gut zu essen und abends im richtiggehenden Bett schlafen. Zum Abendbrot gab dat immer noch son großen Topp dicke Milch und dat schmeckt auch ja sehr schön, aber mein Magen der streikte. Mal saßen wir wieder im „gemütlichen Familienkreis“ auch mit der Ollschen und den Kindern, er spielte gerade auf soner Art Laute. Da sprang ick mit einmal hoch und raste raus, dat die gar nicht wußten, wat los war. Hernach, wie ick erzählte, datick von der Milch immer von Durchfall kriegte, da fingen die alle furchtbar an zu lachen. - Wie ich also schon 4 Tage da war, fragte mich der Alte, ob ick mit der Maschine mit¬fahren wollte, nach Harbin (Ick hatte ihm nämlich erzählt, datickda hin wollte). Den Abend fuhr gerade ein leerer Personenzug ab und mit dem Führer davon hatte er gesprochen. Und der Führer, der kam auch noch selber. Dat war so’n ganz Dicker. Na, ick war also froh, datick nicht mehr tippeln brauchte, und sagte ja. Ick bedankte mich noch schön bei der Familie und dann fuhren wir abends ab. Die Nacht über pennte ick im Zug und wie ick morgens
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aufwachte, dawar dat schon auf dem Bahnhof in Harbin. Der Dicke hatte mich wohl vergessen. Dat war nu aber faul, weil ick kein Billet hatte. Da standen aber ne Menge Züge, und ick konnte mich so leiseweinend hintenrum rausdrücken. Da mußte ick das deutsche Konsulat suchen. Dat war auch ganz nah bei, aber ick war in falscher Richtung losgegangen. Ick tippelte denn immer die Straße längs und zuletzt da kam ich an den Fluß Sungari. Beinah hätte mich der Soldat da gekitscht, wie ick über die Brücke rübber wollte; aber ick bin ihm denn noch „wacker ent-schüpft“. Da konntick also nicht rübber und bin denn wieder retourgetigert, bis ick vor dem einen Haus ne deutsche Fahne sah. Da dacht ick gleich: Dat muß dat Konsulat sein. Vorne vor dem Haus stand ein Chinesenposten mit ner alten Knarre aus dem 16. Jahrhundert und der ließ mich denn rein. Da war son Art Sekretär oder so wat ähnliches und fragte gleich: „Sie wünschen?“ Dabei kiekte er mich so an ... dem kamen die Augen beinah aus dem Hals raus. Er muß sich wohl was schönes von mir gedacht haben. „Zeigen Sie Ihre Papiere her,“ kommandierte er denn na, ick erzähle ihm denn den ganzen Laden, datick bloß meinen Heuerschein von der Markomannia hätte... „das genügt nicht!“ meinte er da „Sie können ja ebenso gut ein Engländer oder Russe sein. Wo sind Sie denn eigentlich geboren?“
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Der Chef von dem Konzörn, dat war neOllsche, die hupste (hinkte), Arbeit hatte sie aber keine. – Wie ick denn wieder zurückkam zum Konsul, da gab er mir noch 1 Rubel, und sagte, ick sollte morgen wiederkommen. Ick zog also am Draht nach einer Wirtschaft dicht bei, wo ickwat zum Stauchen im Fenster gesehen hatte. Da bestellte ick mir Brot und Wurst und Tee und machte Fettleben. Dat der Aus¬schank sehr fein war, kann ick nicht behaupten; Soldaten und alle möglichen anderen Individijums die saßen da und soffen die großen Schnapsgläser immer auf einen Zug weg. Und der Wirt, dat war ein ganz gerissener Gauner. Wie ick nu auch mal versuchte, den Schnaps so auf einen Zug runterzuhiefen, da brannte mir das Zeug die ganze Kehle aus. - Ich bummelte denn noch die Straßen längs und kaufte mir einen Kamm und Spiegel. Dat tat auch not, ick sah schlimm aus. Dat Zeug, dat wusch ick im Fluß und machte überhaupt „Toilette“; bloß die Löcher in den Stie¬beln, die waren nicht wegzukriegen.
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Schön war die Bude nicht, aber schön dreckig. Der Boden war einfach Erde und in einer Ecke waren ein paar Bretter, wo die Brüder drauf schliefen. Da packte ick mich denn auch hin und wunderte mich bloß, wie die Kerls so ne Art Spritzen herausholten. Die hatten nämlich so wat ähnliches wie Pickels oder Pocken und spritzen sich abends immer erst weißes Pulver, was sie erst flüssig machten, in die Pickels rein. Dat war mir nun auch ecklig, aber ick wußte nicht, wo ick sonst hin sollte. In der Stadt kannte ick keinen und der Konsul wollte mich nicht auf seinem Heuboden schlafen lassen, wo ick ihn doch drum gebeten hatte. Ick hätte mir in der Bude wohl wat wegholen können, aber datis ja nun so: Unkraut vergeht nicht. - Dat ging“ dann so 8 Tage weiter. Der Konsul schickte mich überall rum wegen Arbeit, aber die gabs nicht. Den einen Vormittag, wo ick wieder mal im Sungari gebadet hatte, da haben mir die verdammten Chinees denn noch meine kaputigen Stiebel geklaut, datick barfuß zum Konsul mußte. Der wollte mir aber keine neuen geben. Ick ging denn zu seinem Chinesenkoch, der konnte ne paar Worte deutsch. Dem sagte ick denn, er könnte ein gutes Werk tun, wenn er nen paar alte Schuhe hätte, und von dem kriegte ick auch welche. Dat waren man blos Chinesenschuhe, aber ick war also froh, datick die hatte.
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Scharnhorst einen Schwager hatte, da sagte ick ja. DerKonsul gab mir noch 5 Rubel. Der hatte wohl Angst, datick wieder auspicken könnte. Mein Billet, dat gab er nämlich dem Boy und der mußte mit auf die Bahn und aufpassen, datick auch wirklich abfuhr. – Dat ging doch so verdammt viel besser wie dat Tippeln.
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Tellern und Suppe und Braten und alles so was. Da konnte ick mich mal wieder richtiggehend vollstauchen. Und nachmittags kam der Boy wieder mit feinem Kuchen und Butter und Kaffee mit Milch, watick doch alles schon gar nicht mehr kannte. Wie ick dem Kaptain so nachher meinen ganzen Laden erzählt habe, dat die alten Knochen, die Heizer, auf der Markomannnia immer Krakehl mit mir angefangen hätten und da es doch auch meine erste Reise war und so ..., da meinte er denn; dat könnte ja gewiß alles mal vorkommen und im jugendlichen Leichtsinn da täte man wohl mal so was, jetzt müßte dat aber anders werden und wat er sonst noch so alles sagte. Dat war wirklich nen feiner Kerl der Kapitain, an den denke ick immer noch gerne. Ick fragte ihn denn, ob ick die Fahrt nicht abarbeiten könnte, da brüllte er aber gleich: „Mensch, Sie sind wohl verrückt geworden, dazu sind meine Chinesen da. Daraus wird nichts!“ Na, und dat war mir ja auch ganz recht so. Ick glaube, ick hab ihm denn weiter auch keinen Kummer gemacht.
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schade, weil ick wieder runter mußte. Auf derPolizei kriegte ick denn eine Schlaf¬stelle. Da hattick bis zum 28. Juli für über ne Woche ein feines Leben. Ick konnte in ner Wirtschaft nebenan jeden Tag essen und brauchte mich um nichts zu kümmern.
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die uns alle in dieserZeit des Harrens bewegen, unmittelbaren Ausdruck. Die festlichfrohe, zuversichtliche Musik des „Meistersinger“-Vorspiels, von Sees. Katzenstein (Klavier) und Bärwald (Geige) gespielt, leitete den Prolog ein. Unmittel-bar nach demselben ergriff der Lagerälteste Herr Vzfw.d.R. Kleemann, das Wort zum Kaiserhoch. Wir zur Marine Gehörenden, so führte er aus, feiern mit doppel¬tem Stolze des Kaisers Fest. Die Flotte gehört zum Kaiser, und der Kaiser zur Flotte. Er hat sie gewollt; sie ist sein eigenstes Werk. Ihre Leistungen, ihre heldenhaften Taten haben gezeigt, was sie kann. Die Flotte ist noch jung; auch ihre Grenzen traten im Krieg zutage: sie bedarf zahlreicherer und stärkerer Stützpunkte in allen Erdteilen, und dies wiederum erfordert, daß sie selbst stärker sei. Nur ein einiges, zielbewußtes Volk kann, im Bunde mit dem Herrscher, solche Flotte schaffen. Wunsch und Gelöbnis liege in unserem Rufe. – Das Kaiserhoch erklang, gefolgt von der Kaiserhymne. Zwei ausgezeichnete musikalische Darbietungen schlossen sich an: das Preislied aus den „Meistersingern“, von Sees. Wegener gesungen und von Untffz.d.R. Weber begleitet, und Listz’s 2. Ungarische Rhapsodie, gespielt von den Sees. Eggebrecht und Katzenstein. Von Untffz.d.R. E. Arps kraftvoll vorgetragen folgte Schenkendorfs „Wie mir deine Freuden winken“, ein Gedicht, das nach einem Jahrhundert bis in Einzelheiten dem Heute entsprach. In „Deutschland, Deutsch¬land über alles“ klang die würdige Feier – deren Veranstaltung im einzelnen Herr Vzfw.d.R. Barghoorn übernommen hatte – aus.
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Aufführung von etwa einer Stunde Dauer. Schon das Plakat, das Herr Vzfw.d.R. Möller launig entwarf, war ein kleines Meisterstück. War auch das Stück „Kleptomanie“, das übrigens sein Thema frischweg und mit aller Komik naiver Überraschung aufbaut und durchführt, nicht viel wert, so erfreuten um so mehr die Personen und ihr Spiel. Sees. H. Schäfer gab naturgetreu den reizenden Backfisch Lily, und Sees. Kahle den gewandten Verliebten- Verlobten, Dr. med. Frisch. Sees. Engel war einfach vortrefflich als Lilys bejahrte, besorgt-argwöhnische Mutter mit der reichen Erfahrung und Sees. Steinhausen als konsequenter Eheherr und schwer gelehrter Prof. Dr. Leberecht Büchner, der ganz in seinen Büchern lebt und unvergeßlicher Weise als Lesezeichen alle möglichen Dinge in seine Bücher legt, wodurch die nichts ahnende Gattin auf die Idee kommt, ihr künftiger Schwieger¬sohn leide an der schrecklichen und so schwer aussprechbaren Krankheit, der Kleptomanie. Wie denn ein Diebstahl auf den andern folgt, wie Assessor Hastig (wie üblich famos Sees. Wagner) von außenher den Verdacht in die Familie trägt, wie die Stütze der Hausfrau, die 24 Jahre bei Büchners dienst, schweren Herzens unter Tränen kündigt (einzigartig von Untffz.d.R. Freese gespielt,) wie sie selbst eine große Vase zum Sturz bringt, so daß sie – man denke: im Kokaido – in Trümmer geht, wie dieselbe verschwinden gemacht wird, neuen Verdacht erregt, bis Frau Prof. Felsen¬fest in ihrer Idee steht und Herr Prof. beipflichtet und der Bräutigam geschaßt wird; und wie dann die schreckliche Klarheit Schritt vor Schritt vordringt, Assessor Hastig die Gerichtsszene ankündigt, und aus allem eine
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komischfurchtbare Familienkatastrophe wird, und „Eveline!“ sich mit zerschmet¬tern¬der Tragik aus Leberechts Lippen loßt – das alles mit seinen vielen Einzel¬heiten, die besonders gut gelangen, und dem natürlichen Schluß – sie kriegen sich – ließ das Publikum überhaupt nicht aus dem Lachen kommen. Dank den Schau¬spielern und allen Beteiligten! Dank auch der Schrammelkapelle, die als ständige und eben durchaus (nichts) selbstverständliche, jedesmal neu zu begrü¬ßen¬de Festerscheinung das Schauspiel einleitete und mit dem Tsingtaupotpourri ab¬schloß, bei dem alles herzheft mitsang.
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Sinne des Wortes mit offenem Munde stehen blieb, um dann unter dem allgemei¬nen Gelächter stillschweigend zu verschwinden. Und so heiter wie die Kaisers-geburtstagsfeier begonnen hatte, so fröhlich entwickelte es sich auch weiter. Nach frühzeitig eingenommenem Festessen versammelte sich das Lager fast vollzählig um 4.30 Uhr in der zum Festsaal mit Bühne und 3 Reihen weißgedeckter Tische her¬gerichteten Stube 6, während die Musik auf der benachbarten Stube 5 unterge-bracht war. Das Präsidium, das wiederum wie schon Neujahr in den bewährten Händen des Vzfw. Wunderlich lag, eröffnete die Festfeier mit einer Ansprache, die wegen der Nähe der Zensur freilich nicht in ein Hurra ausklingen durfte. Dafür sangen wir aber wenigstens die Nationalhymne. Und dann folgte eine solche Fülle von Vorführungen, daß die Zeit bis 8 Uhr gerade hinreichte, und kaum eine kurze Pause eingelegt werden konnte, in der belegte Brötchen herumgereicht wurden. Unsere Küche kann sich solche Extravaganzen erlauben! Ein patriotisches Lied, von dem eigens zu diesem Zweck begründeten Chor vorgetragen, leitete die Reihe der Vorführungen ein. Ihm reihten sich humoristische Aufführungen und Vorträge in bunter Folge an. Ein Trio besang die Vorzüge der Marmelade, Kuplets wechselten mit Vorträgen aus Busch und Rideamus. Ales war schon in bester Stimmung, als plötzlich jemand hereinstürzte mit dem Rufe: „der Maikäfer kommt.“ Allgemeiner Tumult, Rufe: „Nun ist doch nichts mehr zu ändern; sitzen bleiben!“ und „Lampen auf der Bühne aus!“ Es stürzte auch jemend auf die Bühne, dreht eine Lampe aus, wendet sich um, um auch die zweite auszudrehen, sieht dabei hinter den
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Vorhang, stutzt und geht dann mit einem unausgesprochenen „Aha“ in den Mienen stillschweigend, ohne sein Werk zu vollenden, wieder auf seinen Platz. Und dann kam der Maikäfer, aber auf der Bühne! und nach längerem Hinsehen erkannte man in ihm trotz dem mangelnden Volbartes und trotz der tadellosen japanischen Uniform unseren Vizefeldwebel Blunk. Nun war die Stimmung auf dem Höhepunkt, und der dem Maikäfer folgende Sänger, der in Schnadahüpferln die Tugenden und Untugenden der Lagergenossen besang, seinen Gesang selbst begleitend auf einer
Reiseerlebnisse des Seesoldaten I.,
wie er sie selbst erzählt.
Kaisergeburtstagfeier in Kokaido.
Kaisersgeburtsfeier in Dairinji.