Lagerfeuer

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II. Jg. Lf. No. 6. Matsuyama, Sonntag, den 11. Februar 1917.

Reiseerlebnisse des Seesoldaten I.,
wie er sie selbst erzählt.

Zuerst will ick mal erzählen, wie ick überhaupt zu dem Gedanken kam, auf See zu gehen.
Mein Heimatsort ist Kupferdreh (Kreis Essen), wo ick 1895 geboren war. Mein Vater war Bergmann und wir waren vier Geschwister. Wie ick so 4 Jahre alt war, zogen wir nach Essen. Da kamen denn nach 2 Geschwister dazu, dat machte zusammen sechs. Während der nächsten Jahre wurde mein Vater auf der Zeche schwer lungenkrank von einem Unglücksfall mit Gasen und bald danach starb er. – Weil wir doch zu 6 waren und unsere Mutter uns nicht ernähren konnte, schickte uns der Vormund ins Waisenhaus, wo die Katholischen und Evangelischen getrennt waren. – Dat war ne schlimme Zeit. Wie hat da manchmal zuging, dat können Sie z.B. hierdran sehen: Mal hatten die katholischen Jungs Aprikosen geklaut. Der Ollsche der wußte dat aber nicht, datdat die Katholischen waren. Wie er denn zu mir kommt, da frage ick ihn, ob dat die guten vom Schweinestall sind, wo ick wußte, dat da die besten hingen. Der Ollsche dachte nun aber gleich ick war‘s, und eh ick noch wat sagen konnte, da hatt‘ick schon meine Ladung weg und wat für eine. – Später hat er dann von meinem Stiefvater ne Abreibung gekriegt! – Mein Stiefvater, der war also Dachdecker. – Wie ick mit 13 Jahren aus der Schule kam, da war ick erst Hausbursche, auch bei Siemens Schückert. Wegen ner Klopperei kam ick da wieder weg. Denn lernte ich Dachdecker. Weil da aber blos Pfannenarbeit war, kam ick nach 1 Jahr zu nem anderen Meister auf Schieferarbeit nach

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Rade vorm Wald, wo ick 2 Jahre blieb. Auf einmal schrieb meine Mutter, dat mein Stiefvater abgestürzt und tot wäre. Weil ick nun auch schon ‘n paar mal gefallen war, aber nicht von hoch, Da hatte sie Angst, dat mir dat auch so gehen könnte und ick sollte nicht mehr Dachdecker bleiben. Ick ging also als Pferdejunge auf Zeche Viktoria Matthias, wo mein Vater Bergmann gewesen war. Da gabsplenty Kohlenstaub zu schlucken in den finstern Gängen. Wie ick 1 Jahr da war, schrieb meine verheiratete Schwester aus Hamburg, daß meine Mutter zu ihr kommen sollte. Dat tat sie auch und nahm uns alle mit. Einen Monat arbeitete ick da als Hilfselektriker bei Blohm & Voss auf der Werft. Ick verbrannte mir aber die Klauen und kam als Hausbursche in ein Damenputzgeschäft. Dat gefiel mir da auch sehr. Nu fuhr aber mein Schwager als Steward bei der Hapag und mein Bruder als Trimmer auf dem Imperator. Die beiden hatten mir denn immer von Asien und Amerika erzählt, und ick war auch manchmal an Bord gewesen, wie sie „Muß‘ i denn zum Städtele hinaus spielten“ und denn rausfuhren. Da verspürte ick denn Lust, auch mal ne Seereise zu machen. Ick bat meinen Chef um Urlaub für 6 Monate und er sagte auch ja. – Na – und so kam dat also mit meiner Reise.
Am 22. April mustert‘ick auf dem Hapag – Dampfer „Markomannia“ mit Ladung nach Wladiwostock, als Trimmer an. ‘N paar Tage blieb der Dampfer noch in Hamburg liegen und erst am 27. nachts liefen wir aus und damit fing mein Leben an Bord erst richtig an. – Zuerst war ick ganz platt, wie wenig da zu tun war. Dat kam aber daher, daß die Bunker noch bis obern ran voll mit Kohlen waren; da rutscht nämlich die Kohle von selber in dat Loch zum Heizraum und die

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richtige Arbeit fängt erst an, wenn dat Schippen aus den Ecken losgeht.
Der erste Hafen, den wir anliefen, war Antwerpen. Da mußte nämlich noch ne Ladung Eisen mitgenommen werden und deswegen blieben wir da 2 Tage liegen. Von da ab wars dann für ne ganze Weile Essig mit dem Anlandgehen; bloß zum Kohlen liefen wir dann noch Malta, Port Said und dann erst wieder Sabang in Holländisch-Indien an.
Bis PortSaid war das Leben an Bord ganz gemütlich, auch die Hitze gar nicht so schlimm, wie ick gedacht hatte. Nachher aber, wie wir ins Rote Meer kamen, da wurde et ganz schlimm und besonders für uns Trimmer. Die Heizer kriegen wenig-stens noch Luft durch die Windhutzen, zu uns in die Bunker kommt aber keine, da brütet direkt ’ne Affenhitze. Schon im Heizraum waren manchmal 60 Grad und bei uns in den Bunkern natürlich noch viel mehr, und weil dat doch meine erste Reise war, mocht’ick manchmal gar nicht wieder runter, so müde und schlapp war ick. Ganz nackend arbeiteten wir schließlich, nur in Holzpantinen, immer 4 Stunden und dann 8 Stunden Ruhe hinterher.’’
Sonst hattenwirs an Bord gar nicht schlecht. Dat Essen war gut und jeden Sonnabend gab es plentyRotspon, 1 Liter pro Mann. Da war man denn meistens duhn. – Abends, wenn die Arbeit zu Ende war, wurde Musik gemacht, Ziehharmo-nika und wat da sonst noch so war und tanzen taten wir auch; natürlich ohne Mädchens! - - Wenn ick so denke, war die Reise sonst man ziemlich eintönig. Bloß die Häfen; wenn man das ganze Leben da zum ersten Mal sieht, da staunt man einfach. Schade, daß wir immer nur so kurze Zeit anlegten. - - Kühler war es

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erst wieder auf der Fahrt nach Moji. Die See ging manchmal mächtig hoch, dat haute immer rübber über die Reeling – zack! Da war auch der Heizraum wieder mal ’n bischen ausgelüftet und dat tat auch not. In Moji blieben wir draußen liegen; Urlaub gabs leider keinen.
Als wir schon wieder längst nach Wladiwostock unterwegs waren, da peilte der Ausguck plötzlich ein kleines Boot aus. Wie wir näher kamen, wars ein Fischer, der vom Sturm verschlagen war, und als Segel hatte er ’n ollen Rock am Mast baumeln. Der war natürlich froh, als wir ihn mit seinem Boot an Bord hißten und nach Wladiwostock mitnahmen.
Am 22. Juni liefen wir in den Hafen von Wladiwostock ein. Die meisten von uns hatten vom Kapitän 25 Rubel Vorschuß bewilligt bekommen und freuten sich mächtig auf die paar vergnügten Tage an Land. Bloß ick hatte Pech, und dat kam so: Wir hatten da einen Backschafter, der krank geworden war. Schon von Anfang an konnte der nicht ordentlich kieken und im Heizraum konnten sie ihn auch nicht brauchen. Dat war überhaupt ne Marke! Einmal, wie ick ihn suchen ging, war er in die Bunkern gefallen und die ganze Kohle rutschte über ihn rübber, datick ihn ordentlich wieder ausbuddeln mußte. – Den mußte ick nun ablösen, weil er krank war. Dat war Pech und ick habe vielleicht geflucht. So ‘n Backschafter nämlich, dem wird alles aufgebrummt: Tische, Bänke, Kaffeekannen scheuern, Kartoffel schälen, Essen holen und die alten Knochen, die Heizer, die lassen sich immer noch gern extra bedienen; unsereiner ist bloß Trimmer und muß dat eben machen.
Wie ick den Morgen in Wladiwostock aufwache und

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mir so einfällt: „du sollst nu schuften, während die andern sich an Land amüsieren und – da oben in Nikolajewsk, da kommt erst die richtige Kälte, da wirds noch viel fauler“, da denk ick: „Hier puhlst du aus!“ Und wenn schon, denn man gleich! Dann habe ick mir noch ein paar Schleppsäbel (langes Schiffsbrot) geklaut und bin so um 1/2 6 Uhr morgens, wie der wachthabende Matrose gerade auf der anderen Seite war, leise von Bord runtergeklettert. Beinahe hätte er mich noch gekitscht – aber et ging nochmal gut. Viel mitnehmen war da natürlich nicht. Bloß ne dicke Jacke und feste Stiebel hatte ick an und meinen Heuerschein in der Tasche. Da waren zum Glück noch verschiedene Stempel drauf und mit denen hab ick später immer die Kerls, die wat von mir wollten, geblufft. Wie ick nun am Quai bin, kommt gerade unser Arzt in einer Troika angefahren und fragt mich, wo ick hin will? Der hatte wohl schon Lunte gerochen, datick auspicken wollte, und schimpfte wie ’n Rohrspatz. Ick sagte ihm aber, ick wollte nur Käse holen und hab mich denn in son schmalen Seitenweg gedrückt. – Alles war noch so glitschig und lehmig, wie ick so hintenrum aus der Stadt rauskam. Da war dat Bahngeleise, aber ick war nun im Druck, ob links oder rechts lang? Zum Glück kitschteick gleich den richtigen Weg und zog links ab, immer am Ufer. Dat machte direkt Spaß, ick konnte noch baden und so – und dann immer die Bahn längs. Später wurde es mir denn zu heiß mit der dicken Jacke und von da ab bin ick denn „ganz leicht bekleidet“ weitergetippelt. –
Erst in Tsingtau habe ick gehört, dat der Kapitän Polizisten hinter mir her-geschickt hatte. Die haben mich schwer gesucht! –

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Über den Weg hatte ick mich vorher nicht erkundigt, und dachte bloß: Längs der Bahn mußt du irgendwo nach Deutschland kommen. (Wenn ick geahnt hätte, datdat bis nach Hause über’n Jahr dauert, wäre ick wohl gar nicht erst ausgepickt.) Mittags war ick schon weit weg, immer im Marschtempo, damit sie mich nicht wieder kitschten. Nur ne halbe Stunde ruhte ick mich aus und aß von meinem Schleppsäbel. Da fiel mir plötzlich ein – von den Räubergeschichten zu Hand – dat es hier auch Wölfe geben sollte, und davor hatte ick denn die größte Angst. Aber glücklicherweise hatte ick mein großes Brotmesser mit, wie die Matrosen immer haben. Eigentlich hatt’ick es nur mitgenommen, von wegen Brotschneiden, wenn ick unterwegs wat fechten tat, aber jetzt war ick doch froh, datick meine Waffe mit hatte. Bis jetzt war das Land eben gewesen. Nachmittags kam ich denn an solchen kleinen Hügeln vorbei und nachher kamen die Berge. Da war ick jedesmal in Schmadder, wie ick da rübber kommen sollte. – Schon dat Laufen war ungewohnt, heiß war es auch und die neuen Stiebeln drückten überall. Da habe ick denn mit’m Messer all die Stellen rausgeschnitten, dat wurden aber so viel Löcher, datick später die reinsten Sandalen anhatte. Von Wäsche hatte ick nur die eine Garnitur mit, die mußte ick denn morgens immer waschen, wenn gerade ein Fluß da war und so lange warten, bis sie wieder trocken war zum Anziehen. Menschen waren meistens keine zu sehen, höchstens mal paar Chinesen auf Arbeit an der Bahn. Gewöhnlich bin ick immer das Geleise an der Bahn längs getippelt und den ersten Tag bis zum Abend glatt durch, weil ick da noch Angst hatte. Manchmal kamen Güterzüge vorbei

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und manchmal auch Soldaten, die auf den Weiden exerzierten. So ungefähr alle Stunde sah ick auch mal ein kleines Dorf, oder wenigstens einzelne Gehöfte; oft war auch ein besseres Landhaus dabei. Die ganze Gegend fing überhaupt allmählich an, mir besser zu gefallen. Öfter kam da auch mal so ’n kleiner Fluß oder Bach, wo sich links oder rechts ein kleines Wäldchen längszog. Dat war oft sehr schön.
So gegen 11 Uhr abends kam ick an ne kleine Ortschaft. Erst wollte ick bei Bauern übernachten. Aber da hatte ick doch Angst, dat mich die Polizei kitschen könnte und hab mich lieber bei Mutter Grün einlogiert. Längs der Bahn lagen dicke, schwere Holzschwellen, wo die Eisenbahnschienen drauf gelegt werden und aus denen baute ick mir sone Art Unterstand. Links und rechts 4 übernander, dat gab ne ganz schöne Höhe. Vorn und hintern den Eingang hab ick auch dicht gemacht und oben auch noch welche von den Schwellen als Dach draufgelegt, weil ick Angst hatte, dat die Wölfe sonst da rein kommen könnten. Innen wurde meine Parterrewohnung denn noch mit Gras oder Heu, wat gerade da war, ausgepolstert und durch ne schmale Luke bin ick denn zuletzt ringeklettert von oben. Da hab ick meist tadellos drin geschlafen; bloß wenn Regen kam, dat war faul, da kam dat Wasser durch die Ritzen durch. In der Nacht wars manchmal auch saumäßig kalt, aber da gab ick nix drum, dat war man ja von früher schon gewohnt. Wat bloß dumm war, datis, den Tag über wars so heiß und nachts denn mit einmal so kalt.
Mittags hatt’ick schon den einen Schleppsäbel aufgegessen und abends den andern. Wenn man so aus den Bunkern in die gute Luft kommt, dat stärkt kolossal und gibt

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plenty Kohldampf. Ne Uhr hatt’ick nicht und wieick aufwachte, da schien schon die Sonne feste weg. Von dat Schlafen da hattick auch wieder Kohldampf gekriegt, aber ick hatte später immer noch Schwein dabei. - - Meine Bude, die baute ick immer auf freiem Felde, so 300 m von der Bahn ab, zur Vorsicht; sonst – wie die Russen sind, dat hab ick ja nicht gewußt. Morgens schmiß ick die Balken auch immer wieder zusammen, auch zur Vorsicht. Dat mußte schon so sein, die ersten Tage.
Wie ick den zweiten Morgen sone Stunde getippelt war, kam wieder ne kleine Ortschaft, und da bin ick denn fechten gegangen, bei dem Bahnhofsvorsteher. Den hab ick auf dem Bahnsteig angequasselt, auch so auf Englisch, aber von dem Englisch, da konnte ick auch bloß yes und no und nicht viel mehr und der ant-wortete immer auf Russisch und lachte bis ick ihm denn direkt auf meinen Mund zeigte, so von wegen Tschau – Tschau. Und dat verstand er den ja, packte in seine Tasche und gab mir 50 Kopeken. Davon hab ick mir denn son Ende Wurst gekauft. Die schmeckte verdammt nach Knoblauch und all son Kram; aber – wat wollte ick machen bei meinem Kohldampf! Und weil dat noch mächtig Durst gibt, hab ick denn plenty von det Flußwasser getrunken, weil Bier doch zu teuer war. Tabak hatte ick noch nen kleinen Rest von Antwerpen her und von dem hattick den ganzen ersten Tag kräftig geschmökt. Abends hattick aber das Mundstück verloren und behielt bloß noch den Kopp und son kleinen Stummel übrig. Den mußte ick denn, so wie dat eben ging, zurechtschnitzen.
Wie ick so 2 Stunden in dem Dorf war, da kam

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ein Güterzug mit flachen Sandwagen, wo Chinesen draufsaßen. Mit dem wollte ick nun gern ’n Ende mitfahren, aber so dicht beim Bahnhof traute ick mich bei hellem Tage nicht aufzuspringen. Da bin ick also wieder losgetippelt und hab mich ein Stück entfernt vom Geleise hingesetzt und gewartet. Richtig, wie icksone halbe Stunde gewartet hatte, kam der Zug auch an. Ick fragte schnell den einen Russen mit Zeichen, ob ick mitkönnte und wie der „ja“ nickte, da bin ick im Fahren draufgesprungen und wäre beinahe noch mitgeschleift worden. Der Russe war einen Wagen vor mir und machte mir Zeichen, dat er Geld haben wollte. Wie ick ihm aber nu zu verstehen gab, datick nix hätte, da fing er an zu schimpfen und wollte mich wieder runterschmeißen. Er konnte aber nicht rübber, weil da ne lange Kette zwischen den Wagen war. Ick sagte denn immer „per russkinisnait“ (d.h. nämlich soviel wie „ick kann nicht Russisch.“) – und schimpfte denn auch wieder und zeigte auf den Kopp, von wegen verrückt und so -; davon wurde er denn immer wütender, aber rübber konnte er nicht. Dat dauerte nu so ungefähr ne Stunde. Wir fuhren durch eine fruchtbare Gegend, die auch oft recht schön war. Viel Wald war da, rechts und links die Berge und überall rum kleine Ansiedlungen. - - Wie denn aber wieder ein Bahnhof in Sicht kam, da dachte ick doch: Nu wird dicke Luft, nu mußt du abspringen – und der Russe, der wollte mir auch schon auf die Pelle. Ick hatte bloß Angst, datick gegen einen von die Pöhle (Pfähle) springen würde, die da längs der Bahn standen. Weil dann aber ein Sandhaufen kam, und der Zug auch schon ein bischen langsamer fuhr, sprang ick denn doch ab, und richtig gerade noch

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an sonem dicken Pohl vorbei. Dat war aber verkehrt rum gewesen; ick machte direkt nen Salto und bin denn noch son kleinen Abhang runtergeglitscht, ehe ick zum Sitzen kam.
So ging dat nu 3 Tage weiter. Am Tage fechteteick mich durch und abends baute ick mir meine Schwellenbude. Die Russen, bei denen ick fechten ging, waren immer sehr gastfreundlich, und wenn die Leute noch so arm waren, die gaben immer wat. Wie ick am 4. Tage aufwachte, war mein Gesicht ganz geschwollen, so hatten mich die Moskiten die Nacht über zerstochen. – Gegen Mittag kam ick denn an einer Baubude vorbei und wurde angehauen von wegen zu arbeiten. Ick sagte dem Baumeister auch zu und er setzte 3,20 Rubel Arbeitslohn den Tag fest. Weil ick erst andern Tags anfangen sollte, hatte ick noch Zeit mir den Laden gehörig anzusehen. Dicht bei der Baustelle standen ein paar kleine Bauernhäuser, und weil ick Kohldampf verspürte, ging ick in eins rein. Eine dicke Frau nahm mich in Empfang und führte mich zum Wohnzimmer. Ick setzte mich am Tisch und meine „freundliche Wirtin“ brachte mir ne Pfanne Bratkartoffel und Radieschen mit Salz. Dat schmeckte mir ordentlich, da ick doch zum ersten Mal wieder wat Warmes zu essen bekam. Meine Wirtin quasselte mich auch an, dat ließ sie denn aber wieder, weil ick nicht Russisch konnte. Ick bedanke mich bei ihr und wollte mir wieder ne Bude nach meinem System bauen. Da sagte mir der Bauführer, datick bei den Arbeitern schlafen könnte. Die meisten davon waren Russen und sahen alle sehr wild aus. Die Bude wo die Brüder drin quinten (schliefen) war eine einfache Holzbaracke. Auf der Erde lagen Zementfässer und 1 1/2m hoch an der Wand waren Leisten

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und Bretter darüber zu schlafen. Oben unter dem Dach hingen getrocknete Fische an Bindfäden. Dat war da ’n Gestank in der Bude! Ick dachte gleich so bei mir: da bleibst du nicht lange. - - Um 6 Uhr wurde ick am Morgen geweckt und mußte Sand durchsieben. Bis so um Mittag habe ick auch gearbeitete. Dann zog ick am Pol, denn ick hatte keine Lust mehr zu arbeiten.
Der Weg, derwar jetzt schlimm, weil die Berge größer wurden und ickne Menge Tunnels passieren mußte. Auf den Stationen war jetzt immer Militär. Durch 3 kleine Tunnels war ick schon durch, ohne dat mich ein Posten kitschte. Beim vierten war vorne auch keiner. Wie ick aber nach ner halben Stunde hinten raus-kam, war da ’n Soldat, der mich mit zur nächsten Bahnwache nahm. Da wurde ick zu Rede gestellt und nach dem Paß gefragt. Ick hatte keinen und mußte 2 Tage dableiben. In der nächsten Nacht bin ick denn ausgepickt. Dat war nicht schwer, denn die Kerls paßten nicht auf.
Am 5. Juli war ick aus dem Gebirge raus und hatte während der Zeit bei der Soldaten gefechtet und bekam auch immer wat zu stauchen. Längs der Bahn floß ein Fluß, der ziemlich breit war. Weil es am Tage heiß war, „benutzte ick die Gelegenheit“, und badete drin. Seife hatte ick zwar nicht, aber es ging auch so.
Mal wollte ick wieder baden, weil dat Wasser so schön klar aussah. Wie ick aber so in die Mitte kam, da kriegte mich die Strömung zu fassen und trieb mich ’n ganzes Ende weiter runter. Da war dicke Luft. Bei datRanpaddeln ans Ufer wär mir beinah die Puste ausgegangen. – Wie ick nun wieder an Land kam, da mußte ick erst meine

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Kluft suchen gehen und dat war ne ziemliche Ecke. Noch gerade vor Dunkelwerden fand ick die Kluft und war sehr froh. Wenn mir die einer geklaut hätte, denn war ick ganz in Schmadder. Ick nahm mich denn vor, nicht wieder so tief reinzugehen. – – Die Nacht konnte ick in meiner Schwellenbude kaum schlafen, son Kohldampf hattick. Ein Haus war nicht zu sehen, wo ick hätte rein gehen können wegen was zu essen. Noch weiter zu tippeln war ick aber zu müde. –
Den nächstenMorgen wurde ick wach von lautem Speeknahbei. Ick peilte durch ein Loch; da standen 6 Soldaten und ein Haufen Chinesen, auf Befehl von den Soldaten mußt ick aus meiner Villa raus. Ick war noch ganz verpennt, wie die mich festnahmen und an mir rumsuchten. Einer von den Brüdern wollte mein schönes Brotmesser klauen, wie ick aber zeigte, datick es zum Brotschneiden brauchte, da rückte ers wieder raus. Wat Verdächtiges konnten die Kerls nicht bei mir finden, und sie ließen mich denn auch bald wieder los. Dat war jetzt ne schauderhafte Gegend. Kein Haus zu sehen und ein Kohldampf zum Verrecken. Einen Chinesen sah ick an der Bahn sitzen und fragte gleich von wegen „Tschifala“ (wohl Essen?). Der hatte aber auch nix. Komisch war, dat der Kerl dachte, ick wäre ein Landsmann. Wegen meiner Kluft war dat schon möglich. Die Jacke war ramponiert, die Haare waren wild durcheinander, weil ick keinen Kamm mithatte, und die Stiebl waren fast bloß noch Löcher. Ick ließ ihn ruhig denken, wat er wollte, und machte so, als wenn ick alles verstand, wat er da quasselte. Verstanden hab ick aber bloß wie er „Tabakko“ sagte. Ick hielt ihm meine Pfeife hin; aber dat war auch Essig. Er hatte wohl welchen von mir

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gewollt. - ZumGlück kriegte ick abends von Soldaten noch wat zu stauchen. –
Den nächsten Tag bin ick immer weiter die Bahn längs getippelt. So um Mittag sah ick rechts, wie Rauch aus der Erde kam. Erst dacht’ick, dat sind Köhler. Ick ging dicht heran und peilte die Lage aus. Da war ein Erdhügel und hinten sone Strohwand, als Eingang. Von innen war die Bude ganz schwarz und bloß ne alte Tante drin. In der Mitte stand ein großer Wasserkessel. Weil ick nu Durst hatte, hab ick die Ollsche angehauen wegen Wasser. Die machte aber erst langen Speek und wollte nichts rausrücken, und wie ick mir mit der Mütze selbst wat nehmen wollte, da schrie sie mit einmal laut los. Dat hatten die Kerls draußen gehört und 4 oder 5 kamen durch den Eingang. Nun war wieder dicke Luft. Raus konnte ick nicht. Die Chinees – fingen jetzt alle an zu schimpfen und zu drohen. Aber Bange-machenis nicht. Wie der eine auf mich los kam und den Arm hoch hob, da kriegte ick in der Tasche meinen Zacharias (Messer) zu packen, und hielt ihn dem unter die Nase. Dat half. Die Kerls zogen sich zurück und wurden mit einmal ganz freundlich. Der eine sagte zu der Ollschenwat auf chinesisch, die ließ mich trinken und auch zu essen kriegte ick etwas. Da schlafen, wie die Brüder dat wollten, tat ick aber doch nicht. Wer weiß, wat die mit mir gemacht hätten. – Ick paßte schon immer so auf und hatte mich an die Wand gestellt, weil die Kerls so tücksch um mich herumkrochen. - - Ick zog denn auch bald wieder am Draht und baute meine Bude bei Mutter Grün. Den ganzen nächsten Tag hattick nichts zu stauchen,

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wie 'n Stück Chinesenbrot, datick von der ollen Tante noch mitgekriegt hatte. Abends gabsplenty Regen, datick froh war, wie ’n Dorf mit ner Station in Sicht kam. Und wie ick den Stationsvorsteher anhaute wegen wat zu stauchen, da antwortete der mir gleich Deutsch, und nahm mich mit in seine Wohnung. Dat war mal 'n feines Haus. Er machte mich auch gleich mit der Ollschen und seiner Kindern bekannt und gab mir ordentlich wat zu essen. Zum Schlafen konntick auch dableiben und da war ick ordentlich froh darüber, weil ick doch schon so lange in keinem Bett mehr geschlafen hatte. Vier Tage blieb ick bei den netten Leuten. Dat war ne feine Zeit, immer gut zu essen und abends im richtiggehenden Bett schlafen. Zum Abendbrot gab dat immer noch son großen Topp dicke Milch und dat schmeckt auch ja sehr schön, aber mein Magen der streikte. Mal saßen wir wieder im „gemütlichen Familienkreis“ auch mit der Ollschen und den Kindern, er spielte gerade auf soner Art Laute. Da sprang ick mit einmal hoch und raste raus, dat die gar nicht wußten, wat los war. Hernach, wie ick erzählte, datick von der Milch immer von Durchfall kriegte, da fingen die alle furchtbar an zu lachen. - Wie ich also schon 4 Tage da war, fragte mich der Alte, ob ick mit der Maschine mit¬fahren wollte, nach Harbin (Ick hatte ihm nämlich erzählt, datickda hin wollte). Den Abend fuhr gerade ein leerer Personenzug ab und mit dem Führer davon hatte er gesprochen. Und der Führer, der kam auch noch selber. Dat war so’n ganz Dicker. Na, ick war also froh, datick nicht mehr tippeln brauchte, und sagte ja. Ick bedankte mich noch schön bei der Familie und dann fuhren wir abends ab. Die Nacht über pennte ick im Zug und wie ick morgens

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aufwachte, dawar dat schon auf dem Bahnhof in Harbin. Der Dicke hatte mich wohl vergessen. Dat war nu aber faul, weil ick kein Billet hatte. Da standen aber ne Menge Züge, und ick konnte mich so leiseweinend hintenrum rausdrücken. Da mußte ick das deutsche Konsulat suchen. Dat war auch ganz nah bei, aber ick war in falscher Richtung losgegangen. Ick tippelte denn immer die Straße längs und zuletzt da kam ich an den Fluß Sungari. Beinah hätte mich der Soldat da gekitscht, wie ick über die Brücke rübber wollte; aber ick bin ihm denn noch „wacker ent-schüpft“. Da konntick also nicht rübber und bin denn wieder retourgetigert, bis ick vor dem einen Haus ne deutsche Fahne sah. Da dacht ick gleich: Dat muß dat Konsulat sein. Vorne vor dem Haus stand ein Chinesenposten mit ner alten Knarre aus dem 16. Jahrhundert und der ließ mich denn rein. Da war son Art Sekretär oder so wat ähnliches und fragte gleich: „Sie wünschen?“ Dabei kiekte er mich so an ... dem kamen die Augen beinah aus dem Hals raus. Er muß sich wohl was schönes von mir gedacht haben. „Zeigen Sie Ihre Papiere her,“ kommandierte er denn na, ick erzähle ihm denn den ganzen Laden, datick bloß meinen Heuerschein von der Markomannia hätte... „das genügt nicht!“ meinte er da „Sie können ja ebenso gut ein Engländer oder Russe sein. Wo sind Sie denn eigentlich geboren?“
Da erzählte ick ihm nu von Essen, von meiner Heimatstadt und da mußte er ja denn schon anbeißen. Er war denn ne ganze Weile beim Konsul drin und hat dem dat wohl alles erzählt. Wie er wieder rauskam, drückte er mir 1 Rubel in die Hand und schickte mich mit dem Boy zu ner deutscher Firma wegen Arbeit.

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Der Chef von dem Konzörn, dat war neOllsche, die hupste (hinkte), Arbeit hatte sie aber keine. – Wie ick denn wieder zurückkam zum Konsul, da gab er mir noch 1 Rubel, und sagte, ick sollte morgen wiederkommen. Ick zog also am Draht nach einer Wirtschaft dicht bei, wo ickwat zum Stauchen im Fenster gesehen hatte. Da bestellte ick mir Brot und Wurst und Tee und machte Fettleben. Dat der Aus¬schank sehr fein war, kann ick nicht behaupten; Soldaten und alle möglichen anderen Individijums die saßen da und soffen die großen Schnapsgläser immer auf einen Zug weg. Und der Wirt, dat war ein ganz gerissener Gauner. Wie ick nu auch mal versuchte, den Schnaps so auf einen Zug runterzuhiefen, da brannte mir das Zeug die ganze Kehle aus. - Ich bummelte denn noch die Straßen längs und kaufte mir einen Kamm und Spiegel. Dat tat auch not, ick sah schlimm aus. Dat Zeug, dat wusch ick im Fluß und machte überhaupt „Toilette“; bloß die Löcher in den Stie¬beln, die waren nicht wegzukriegen.
Abends ging ick ne Schlafstelle suchen. Ick wollte schon ins Metropol-Hotel, aber dat war mir doch zu teuer und meine Kluft auch zu schlecht. Wie ick denn so durch die Stadt geströmt bin, da war da son freier Platz mit allerhand Balken und Fässer drauf und dazwischen ne kleine Holzbude, so ungefähr wie ’ne Hundehütte. Da wohnten Chinesen drin und wie ick dem einen 40 Kopeken zeigte, da wollten sie mich also mitschlafen lassen. Zwanzig Kopeken waren auch genug, aber ick hatte nun mal 40 gesagt und ick hab denn jeden Abend dasselbe Geld bezahlt.

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Schön war die Bude nicht, aber schön dreckig. Der Boden war einfach Erde und in einer Ecke waren ein paar Bretter, wo die Brüder drauf schliefen. Da packte ick mich denn auch hin und wunderte mich bloß, wie die Kerls so ne Art Spritzen herausholten. Die hatten nämlich so wat ähnliches wie Pickels oder Pocken und spritzen sich abends immer erst weißes Pulver, was sie erst flüssig machten, in die Pickels rein. Dat war mir nun auch ecklig, aber ick wußte nicht, wo ick sonst hin sollte. In der Stadt kannte ick keinen und der Konsul wollte mich nicht auf seinem Heuboden schlafen lassen, wo ick ihn doch drum gebeten hatte. Ick hätte mir in der Bude wohl wat wegholen können, aber datis ja nun so: Unkraut vergeht nicht. - Dat ging“ dann so 8 Tage weiter. Der Konsul schickte mich überall rum wegen Arbeit, aber die gabs nicht. Den einen Vormittag, wo ick wieder mal im Sungari gebadet hatte, da haben mir die verdammten Chinees denn noch meine kaputigen Stiebel geklaut, datick barfuß zum Konsul mußte. Der wollte mir aber keine neuen geben. Ick ging denn zu seinem Chinesenkoch, der konnte ne paar Worte deutsch. Dem sagte ick denn, er könnte ein gutes Werk tun, wenn er nen paar alte Schuhe hätte, und von dem kriegte ick auch welche. Dat waren man blos Chinesenschuhe, aber ick war also froh, datick die hatte.
Der Konsul, der wollte aber nicht so recht anbeißen. Bloß wie ick ihm denn sagte, wenn er mir nicht weiterhelfen wollte, denn werdick einfach nach Deutsch¬land weitertippeln, da sagte er mit einmal, ick sollte nach Tsingtau abfahren. - Na – und weil ick doch auf

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Scharnhorst einen Schwager hatte, da sagte ick ja. DerKonsul gab mir noch 5 Rubel. Der hatte wohl Angst, datick wieder auspicken könnte. Mein Billet, dat gab er nämlich dem Boy und der mußte mit auf die Bahn und aufpassen, datick auch wirklich abfuhr. – Dat ging doch so verdammt viel besser wie dat Tippeln.
Einen Tag blieb ick noch in Changchung liegen, weil ick den Zug verpaßt hatte und nach 3 Tagen waren wir denn in Dalny. Da gab ick denn noch die beiden Briefe ab, die mir der Konsul mitgegeben hatte, einen an die Agentur von der Hapag und einen an den Kaptain von der Longmoon. Den Tag über strömte ick denn noch so am Hafen rum und abends ging ick an Bord. Abfahren taten wir aber erst nach 5 Tagen.
Der Kaptain von der Longmoon, dat war ein alter Knurrpeter. Der hielt mir ne lange Standpauke von wegen auspicken und so - - - aber ein guter Kerl war er doch und ick hab mich nachher schön bedankt bei ihm Wo ick an Bord kam, da meinte er: „Mensch, wie sehen Sie bloß aus, datis ja schlimm!“ und denn schnauzte er noch sonbischen. Wie ick denn aber nach der Pauke runterkam, da hatte er mir schon Zeug rausgesucht: einen blauen Anzug und einen weißen und zwei Hemden und ein Paar weiße Schuhe, alles feine Sachen. Die zog ick mir denn an, und wie ick wieder an Deck kam, da sah ick direkt wie ’n Schentelmen aus mit dem feinen Hemd und dem Kragen und dem blauen Anzug. Und Zigaretten und Geld drückte mir der Kaptain auch noch in die Hand, datickwat hätte zum Anlandgehen. - - Mittags war ick direkt platt. Da kommt mit einmal ein Boy durch die Tür mit zwei

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Tellern und Suppe und Braten und alles so was. Da konnte ick mich mal wieder richtiggehend vollstauchen. Und nachmittags kam der Boy wieder mit feinem Kuchen und Butter und Kaffee mit Milch, watick doch alles schon gar nicht mehr kannte. Wie ick dem Kaptain so nachher meinen ganzen Laden erzählt habe, dat die alten Knochen, die Heizer, auf der Markomannnia immer Krakehl mit mir angefangen hätten und da es doch auch meine erste Reise war und so ..., da meinte er denn; dat könnte ja gewiß alles mal vorkommen und im jugendlichen Leichtsinn da täte man wohl mal so was, jetzt müßte dat aber anders werden und wat er sonst noch so alles sagte. Dat war wirklich nen feiner Kerl der Kapitain, an den denke ick immer noch gerne. Ick fragte ihn denn, ob ick die Fahrt nicht abarbeiten könnte, da brüllte er aber gleich: „Mensch, Sie sind wohl verrückt geworden, dazu sind meine Chinesen da. Daraus wird nichts!“ Na, und dat war mir ja auch ganz recht so. Ick glaube, ick hab ihm denn weiter auch keinen Kummer gemacht.
Wie wir denn in Tsingtau einliefen, lag da gerade die „Emden“. Ick dachte mir gleich: da gehst du rauf. Ick bedankte mich nochmals bei dem Kaptain von der Longmoon und ging denn auch gleich rübber. Auf der „Emden“ war ick 5 Tage und während dessen telegraphierten die nach Hause, ob dat stimmte, watick dem Leutnant da erzählt hatte. Papiere hatte ick doch nicht; bloß den ollen Heuerschein von der Markomannia. – Na, mit der Antwort dat stimmte denn auch, aber wo der Arzt mich untersucht hatte, da sagte er: „Ich kann Sie nicht einstellen. Sie sind zur Zeit untauglich.“ – – Dat war ja nun sehr

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schade, weil ick wieder runter mußte. Auf derPolizei kriegte ick denn eine Schlaf¬stelle. Da hattick bis zum 28. Juli für über ne Woche ein feines Leben. Ick konnte in ner Wirtschaft nebenan jeden Tag essen und brauchte mich um nichts zu kümmern.
Mal, wie ick wieder so beim Hafen rumbummelte, da kommt gerade die Albenga an. Wie ick mich da meldete, dat klappte, die brauchten nämlich gerade einen. Auf der Albenga fuhr ick denn den Yangtse herauf bis Hankau. Wie wir da einliefen, da wars Krieg und wir mußten alle aufs Konsulat zur Untersuchung. Zu mir sagte der Arzt, dat er mich nicht brauchen könnte. Bloß wie ick ihm sagte, ick möchte doch gerne als Freiwilliger mit, da meinte er: „Na – dann gehen Sie man mit.“
Auf der Fahrt nach Tsingtau da war noch wat gefällig. Also und wat da denn los war, dat wissen Sie ja wohl alleine.
H. E.

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Kaisergeburtstagfeier in Kokaido.

Die Kaisergeburtstagsfeier begann nachmittags 4 Uhr. Die Kompagnie ver-sammelte sich auf dem unteren Gangflur. Die Japaner hatten verhindert, daß die Heren Offiziere der Kompagnie, wie bisher, gemeinsam mit derselben die Feier beginnen; daß sie doch zu ihr redeten, das konnten sie freilich nicht verhindern. Der in Nr. 4 wiedergegebe Prolog von Sees. Wegener vorzüglich gesprochen, gab der Feier das Gepräge und verlieh den Gedanken,

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die uns alle in dieserZeit des Harrens bewegen, unmittelbaren Ausdruck. Die festlichfrohe, zuversichtliche Musik des „Meistersinger“-Vorspiels, von Sees. Katzenstein (Klavier) und Bärwald (Geige) gespielt, leitete den Prolog ein. Unmittel-bar nach demselben ergriff der Lagerälteste Herr Vzfw.d.R. Kleemann, das Wort zum Kaiserhoch. Wir zur Marine Gehörenden, so führte er aus, feiern mit doppel¬tem Stolze des Kaisers Fest. Die Flotte gehört zum Kaiser, und der Kaiser zur Flotte. Er hat sie gewollt; sie ist sein eigenstes Werk. Ihre Leistungen, ihre heldenhaften Taten haben gezeigt, was sie kann. Die Flotte ist noch jung; auch ihre Grenzen traten im Krieg zutage: sie bedarf zahlreicherer und stärkerer Stützpunkte in allen Erdteilen, und dies wiederum erfordert, daß sie selbst stärker sei. Nur ein einiges, zielbewußtes Volk kann, im Bunde mit dem Herrscher, solche Flotte schaffen. Wunsch und Gelöbnis liege in unserem Rufe. – Das Kaiserhoch erklang, gefolgt von der Kaiserhymne. Zwei ausgezeichnete musikalische Darbietungen schlossen sich an: das Preislied aus den „Meistersingern“, von Sees. Wegener gesungen und von Untffz.d.R. Weber begleitet, und Listz’s 2. Ungarische Rhapsodie, gespielt von den Sees. Eggebrecht und Katzenstein. Von Untffz.d.R. E. Arps kraftvoll vorgetragen folgte Schenkendorfs „Wie mir deine Freuden winken“, ein Gedicht, das nach einem Jahrhundert bis in Einzelheiten dem Heute entsprach. In „Deutschland, Deutsch¬land über alles“ klang die würdige Feier – deren Veranstaltung im einzelnen Herr Vzfw.d.R. Barghoorn übernommen hatte – aus.
Nach dem Abendessen überraschte uns, die wir um das Theaterverbot der Lagerbehörde wußten, eine reizende

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Aufführung von etwa einer Stunde Dauer. Schon das Plakat, das Herr Vzfw.d.R. Möller launig entwarf, war ein kleines Meisterstück. War auch das Stück „Kleptomanie“, das übrigens sein Thema frischweg und mit aller Komik naiver Überraschung aufbaut und durchführt, nicht viel wert, so erfreuten um so mehr die Personen und ihr Spiel. Sees. H. Schäfer gab naturgetreu den reizenden Backfisch Lily, und Sees. Kahle den gewandten Verliebten- Verlobten, Dr. med. Frisch. Sees. Engel war einfach vortrefflich als Lilys bejahrte, besorgt-argwöhnische Mutter mit der reichen Erfahrung und Sees. Steinhausen als konsequenter Eheherr und schwer gelehrter Prof. Dr. Leberecht Büchner, der ganz in seinen Büchern lebt und unvergeßlicher Weise als Lesezeichen alle möglichen Dinge in seine Bücher legt, wodurch die nichts ahnende Gattin auf die Idee kommt, ihr künftiger Schwieger¬sohn leide an der schrecklichen und so schwer aussprechbaren Krankheit, der Kleptomanie. Wie denn ein Diebstahl auf den andern folgt, wie Assessor Hastig (wie üblich famos Sees. Wagner) von außenher den Verdacht in die Familie trägt, wie die Stütze der Hausfrau, die 24 Jahre bei Büchners dienst, schweren Herzens unter Tränen kündigt (einzigartig von Untffz.d.R. Freese gespielt,) wie sie selbst eine große Vase zum Sturz bringt, so daß sie – man denke: im Kokaido – in Trümmer geht, wie dieselbe verschwinden gemacht wird, neuen Verdacht erregt, bis Frau Prof. Felsen¬fest in ihrer Idee steht und Herr Prof. beipflichtet und der Bräutigam geschaßt wird; und wie dann die schreckliche Klarheit Schritt vor Schritt vordringt, Assessor Hastig die Gerichtsszene ankündigt, und aus allem eine

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komischfurchtbare Familienkatastrophe wird, und „Eveline!“ sich mit zerschmet¬tern¬der Tragik aus Leberechts Lippen loßt – das alles mit seinen vielen Einzel¬heiten, die besonders gut gelangen, und dem natürlichen Schluß – sie kriegen sich – ließ das Publikum überhaupt nicht aus dem Lachen kommen. Dank den Schau¬spielern und allen Beteiligten! Dank auch der Schrammelkapelle, die als ständige und eben durchaus (nichts) selbstverständliche, jedesmal neu zu begrü¬ßen¬de Festerscheinung das Schauspiel einleitete und mit dem Tsingtaupotpourri ab¬schloß, bei dem alles herzheft mitsang.
R. Scriptor.

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Kaisersgeburtsfeier in Dairinji.

Was der diesjährigen Kaisergeburtstagsfeiern ihren eigenen Reiz verlieh, das waren die hemmenden Verbote unseres M.K. Sie ermöglichten uns eine Feier ungestört durch japanische Kontrolle. Im Anfang allerdings sollte sie nicht ganz fehlen. Als wir früh morgens kurz vor dem Appell aus eigenem Antriebe und darum mit sonst ungewohnter Pünktlichkeit auf dem Hofe antraten und der Lagerälteste in kurzen Worten ein dreimaliges Hurra auf S.M. den Kaiser ausbrachte, da stürzte ein Mann von der Wache, im Glauben, daß wir zu dem gewöhnlichen Morgenappell antreten wollten, vor die Front und fing, während der Lagerälteste sprach, eifrig an die Rotten abzuzählen. Gerade, als er vor der Mitte angekommen war, war die Ansprache zu Ende und das donnernde Hurra erschütterte den Wackeren so, daß er angedonnert im wahren

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Sinne des Wortes mit offenem Munde stehen blieb, um dann unter dem allgemei¬nen Gelächter stillschweigend zu verschwinden. Und so heiter wie die Kaisers-geburtstagsfeier begonnen hatte, so fröhlich entwickelte es sich auch weiter. Nach frühzeitig eingenommenem Festessen versammelte sich das Lager fast vollzählig um 4.30 Uhr in der zum Festsaal mit Bühne und 3 Reihen weißgedeckter Tische her¬gerichteten Stube 6, während die Musik auf der benachbarten Stube 5 unterge-bracht war. Das Präsidium, das wiederum wie schon Neujahr in den bewährten Händen des Vzfw. Wunderlich lag, eröffnete die Festfeier mit einer Ansprache, die wegen der Nähe der Zensur freilich nicht in ein Hurra ausklingen durfte. Dafür sangen wir aber wenigstens die Nationalhymne. Und dann folgte eine solche Fülle von Vorführungen, daß die Zeit bis 8 Uhr gerade hinreichte, und kaum eine kurze Pause eingelegt werden konnte, in der belegte Brötchen herumgereicht wurden. Unsere Küche kann sich solche Extravaganzen erlauben! Ein patriotisches Lied, von dem eigens zu diesem Zweck begründeten Chor vorgetragen, leitete die Reihe der Vorführungen ein. Ihm reihten sich humoristische Aufführungen und Vorträge in bunter Folge an. Ein Trio besang die Vorzüge der Marmelade, Kuplets wechselten mit Vorträgen aus Busch und Rideamus. Ales war schon in bester Stimmung, als plötzlich jemand hereinstürzte mit dem Rufe: „der Maikäfer kommt.“ Allgemeiner Tumult, Rufe: „Nun ist doch nichts mehr zu ändern; sitzen bleiben!“ und „Lampen auf der Bühne aus!“ Es stürzte auch jemend auf die Bühne, dreht eine Lampe aus, wendet sich um, um auch die zweite auszudrehen, sieht dabei hinter den

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Vorhang, stutzt und geht dann mit einem unausgesprochenen „Aha“ in den Mienen stillschweigend, ohne sein Werk zu vollenden, wieder auf seinen Platz. Und dann kam der Maikäfer, aber auf der Bühne! und nach längerem Hinsehen erkannte man in ihm trotz dem mangelnden Volbartes und trotz der tadellosen japanischen Uniform unseren Vizefeldwebel Blunk. Nun war die Stimmung auf dem Höhepunkt, und der dem Maikäfer folgende Sänger, der in Schnadahüpferln die Tugenden und Untugenden der Lagergenossen besang, seinen Gesang selbst begleitend auf einer
1 1/2m langen Bambusflöte, wurde immer wieder durch Lachsalven unterbrochen. Nicht weniger wirkte ein kleiner Einakter: „Die Einquartierung“ und das Auftreten einer Sängerin in wirklich tadellosem Kostüm, bei dem die riesige Größe des straußenfedergeschmückten Hutes für das entschädigen mußte, was dem Röck-chen an Länge abging. Jederfalls wirkte sie fast wie eine echte Sängerin. Als es 9 Uhr blies und die Wogen der Festeslust nur langsam und widersterebend abebbten, da wurden Betten und die sonstigen Möbel wieder in den Festsaal hineingeschleppt und zwar unter Aufsicht unsers guten Oberleutnant Y., der dem Dolmetscher versicherte, er könne es sehr wohl verstehen, daß wir Kaisers Geburtstag feiern und nicht schon um 9 Uhr ins Bett gehen wollten, jedoch der M.K.!! So fand denn auch mit Hilfe dieser freundlichen Ermahnung die Mehrzahl gegen 10 Uhr ins Bett. Alle aber waren wir sehr befriedigt von der Kaisergeburtstagsfeier, die wieder einmal eine Auffrischung in unser eintöniges Leben gebracht hatte.
K.

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