Lagerfeuer

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Lf. Nr. 45 Matsuyama, Sonntag, den 3. Dezember 1916

EDie Tsingtauer Polizei und die Chinesen.

Man hat oft die kulturelle Bedeutung hervorgehoben, die Tsingtau dadurch hatte, daß es die Chinesen mit vorbildlichen europäischen und insbesondere deutschen Einrichtungen bekannt machte. Wenn das richtig ist, dann darf auch die Tsingtauer Polizei eine wichtige Rolle in dieser Beziehung für sich in Anspruch nehmen. Vereins-, Unfalls-, Bau-, Feuer-, Fremden-, Press-, Wege-, Eisenbahn-, Schiffahrts-, Gewerbe-, Jagd-, Fischerei-, Wasser-, Feld-, Forst-, Münz-, Fuhr- und politische Polizei kamen mit den Chinesen in Berührung und gaben ihm einen Begriff davon, wie wir es auffassen, wenn das Preußische Landrecht der Polizei das Amt zuweist, „die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahren zu treffen“. Erziehend auf der einen, schützend auf der anderen Seite trat die Polizei den Chinesen gegenüber, wie die folgenden Zeilen zeigen mögen, und daß es der Tsingtauer Polizei gelang, in treuer Pflichterfüllung das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, das zeigte das gute Einvernehmen, das zwischen ihr und den Bewohnern bestand.
Das Tsingtauer Polizeiamt war der Landesverwaltung unterstellt, an deren Spitze der Zivilkommissar stand. Die Leitung des Polizeiamts lag in den Händen des Polizeichefs. Ihm stand ein Beamtenkorps zur Verfügung, das sich aus einem Oberwachtmeister, Wachtmeistern und Wachtmännern zusammensetzte. Außerdem war noch ein Gefängnisoberaufseher und ein Gefangenenaufseher vorhanden.
Außer diesem Beamtenkörper unterstand dem Leiter des Polizeiamts auch noch die Chinesentruppe. Dieses waren Chinesen,

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die vertraglich zum Polizeidienst verpflichtet wurden. Mußten in früheren Jahren Leute angeworben werden, die ihren Wohnsitz außerhalb des Schutzgebietes hatten, so änderten sich diese Verhältnisse im Laufe der Jahre derart, daß nur noch Angehörige des Pachtgebietes eingestellt wurden. Der gute Ruf, den die Chinesentruppe genoß, steigerte den Zulauf derartig, daß nicht alle Bewerber, die den nicht leichten Aufnahmebedingungen entsprachen, berücksichtigt werden konnten. Diese Tatsache war nicht nur vom polizeiliche Standpunkte aus zu begrüßen, sondern auch hinsichtlich der Erziehung der Schutzgebietsbevölkerung von großen Wert. Die jungen Leute wurden nach ihrer Einstellung in erster Linie militärische ausgebildet und erhielten eingehende Unterweisung auf dem Gebiete der Rechtskunde. Daneben bestand ein Unterricht in deutscher Sprache. Wurde in der sechsmonatigen Ausbildung bereits gesiebt, so erfolgte die endgültige Übernahme in den Verband der Chinesentruppe nach bestandener Prüfung, die den Schluß der Ausbildungszeit bildete. Die so eingereihten Leute wurden älteren Chinesenpolizisten beigegeben und machten mit diesem, soweit es er Unterricht erlaubte, gemeinschaftlich Außendienst. Erwiesen sie sich im Laufe der Zeit sattelfest, so erfolgte ihre Verteilung auf die einzelnen Dienststellen. Die der berittenen Abteilung zugewiesenen Leute machten noch einmal einen Kursus im Reiten durch. Während ihrer ganzen Dienstzeit ruhte der Unterricht nicht, und durch Gewährung von Prämien wurde der Eifer im Erlernen der deutschen Sprache wachgehalten und gefördert. Die mit Beendigung ihrer Ausbildung als Polizisten eingestellten Leute konnten Oberpolizisten, Polizeiunteroffizier oder Postenführer werden Letzteres waren altgediente Chinesenpolizisten, die bei Besetzung der Polizeiposten verwendet wurden.

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Die Chinesenpolizisten lernten in der Schule der Chinesentruppe nicht nur deutsch, sondern sie fanden im Dienst auch reichlich Gelegenheit, dieses Erlernte auch praktisch anzuwenden. Im Verkehr mit Europäern lernten sie deren Sitten verstehen und schätzen und brachten den Anordnungen des Gouvernements auf Grund ihrer Kenntnisse über Verordnungen und deren Zweck ein ganz anderes Verständnis entgegen. Von den ihnen anerzogenen militärischen Eigenschaften blieb doch ein Teil haften. Während ein Prozentsatz nach Ablauf des Vertrages bei der Truppe verblieb und befördert wurde, fanden die andern bei den übrigen Behörden oder den Handelsfirmen gut bezahlte Beschäftigung. So war in der Chinesentruppe ein steter Kreislauf, und die Zahl, die auf diese Weise zu brauchbaren Hilfen ausgebildet wurden, war nicht klein.
Den Mittelpunkt des gesamten Polizeiwesens bildete das Polizeiamt mit seinen Büros und sonstigen Dienststellen, sowie den sich fächerartig über das ganze Schutzgebiet verteilenden Polizeistationen. Ein eigenes Telephonnetz verband diese Dienststellen mit dem Polizeiamt. Welchen Wert es hatte, zeigt ein Blick auf die Karte.
Wenn wir dasinmitten der Stadt gelegenen Polizeiamt besuchten, das mit seinem weithin sichtbaren Turm, der zur Feuerbeobachtung diente, und seinen grünen Anlagen einen schönen Eindruck machte, so konnten wir ein geschäftiges Leben und Treiben bemerken. Dort geht ein Trupp Chinesen, die nach eben beendeter Verhandlung leise, aber sehr erregt sprechend, das Gebäude verlassen; hier kommt eine andere Gruppe, um Gewerbescheine zu lösen; dort abseits steht ein Chinese, der ein eindringlich auf seinen Nachbar einspricht. wie eine sprudelnde Quelle fließen ihm die Worte über die Lippen,

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und je mehr er spricht, desto dümmer wird das Gesicht seines Nachbars. Anscheinend ist eine Sache nicht ganz stubenrein; denn er wird immer eifriger und erregter. Endlich scheint er sein Ziel erreicht zu haben, und siegesgewiß steuert er mit seinem Begleiter auf eine der vielen Türe zu. Aber nicht lange brachen wir zu warten und unser Bekannter kommt zurück. In Begleitung eines Polizisten gehen sie zum Bezirksamt. Er, ganz trübselig gestimmt, wirft seinem Begleiter, der sich vorsichtshalber in gemessener Entfernung hält, nicht gerade die liebevollsten Blicke zu. Auch er mußte erfahren, daß nichts zu fein gesponnen ist, es kommt doch an das Licht der Sonnen. Ja, er hat die angebrannt gewesene Suppe noch versalzen und muß nun den Kram auslöffeln.
In unmittelbarer Nähe des Haupteinganges befand sich die Gewerbeabteilung. Immer neuer Zuzug drängt sich vor den Eingang. Der vorne stehende Zopfträger, der eine chinesische Apotheke eröffnet hat und seine Landsleute durch Kräuterverkauf gesund machen will, ist herzlich froh, daß er seinen Erlaubnisschein hat und dem Gedränge entrinnen kann. Ein anderer löst einen Schein zum Schnapsverkauf, und sein Hintermann, seines Wertes wohl bewußt, zählt die nicht unbeträchtlichen Abgaben für sein Theater auf das Zahlbrett und ist erstaunt, daß der neben ihm stehende Pfandhausbesitzer noch um ein bedeutendes mehr in den Beutel greifen muß. So können wir hier ein stetig wechselndes Bild beobachten und auch der größte Zweifler mußte zu der Überzeugung kommen, daß Tsingtau einen blühenden Handel besaß. Außer der Kontrolle über die abgabepflichtigen Gewerbebetriebe und der Ausgabe von Erlaubnisschienen sowie der Einziehung der Gebühren waren dieser Abteilung auch die Funktionen der

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Marktpolizei übertragen worden. Eng verbunden mit dieser war die Lebensmittelkontrolle. Wurden Produkte oder Nahrungsmittel gefunden, die nicht einwandfrei erschienen, so wanderten diese zur bakteriologischen Abteilung oder zum Laboratorium des Gouvernementslazaretts. Außer diesen vorgenannten Tätigkeiten fiel ihr auch die Maß- und Gewichtskontrolle zu. Mit Einführung der Maß- und Gewichtsverordnung war ein längst erkannter Mißstand beseitigt worden. Es ist ja hinreichend bekannt, daß jede Provinz und fast jede Art von Waren ein anderes Gewichtsmaß hat. Kaufte einer eine Sache bei einem Kaufmann, der aus dem Süden stammte, so erhielt er eine Gewichtsberechnung, wie sie in dessen Heimat üblich ist; sein Konkurrent dagegen, der aus dem Norden stammte, verwendete eine Wage, die er aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Beide waren natürlich nicht gleich, und so wendete der Chinese immer das Gewicht an, das ihm am meisten Vorteil brachte. Aus diesem Grunde konnte man auf dem Markte viele Chinesen antreffen, die ihre eigenen Waagen zum Einkauf mitbrachten, da sie so vor Übervorteilung geschützt waren. Dieser Wirrwarr wurde durch Einführung der Maß- und Gewichtsverordnung beseitigt. Den breitesten Raum jedoch nahm die Regelung des öffentlichen Fuhrwesens ein. Besonders der Rikschabetrieb hatte einen sehr guten Aufschwung genommen. Die alten Kolonisten werden sich noch der hohen, klapprigen Rikschas erinnern. Diese leicht und eng gebauten Fahrzeuge waren wohl für die zierlichen Chinesendamen passend, aber den Wünschen eines Europäers entsprachen sie weniger. Die schwachen Räder gaben nur zu oft nach, und der Passagier fand sich, unsanft aus seiner luftigen Höhe geschleudert, auf dem harten Boden unserer Mutter Erde wieder. Glücklich konnte er sch schätzen, wenn dieser Luftrutsch ohne ernstliche Folgen abging. Welche Mühen auf diesem Gebiete erforderlich

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waren, um brauchbare Rikschas zu schaffen, ist kaum zu schildern. Jede Ver-besserung scheiterte an den Kosten, und zu einer Erhöhung des Fahrpreises durfte man nicht schreiten, um ihnen nicht den Charakter der Allgemeinheit zu nehmen. Man schlug einen anderen Weg ein, und durch Zusammenschluß sämtlicher zerstreut wohnenden Rikschabesitzer gründete man das Rikschadepot. Wer Chinesen kennt, wird ermessen können, daß dies nicht im Handumdrehen erreicht wurde. Endlose Verhandlungen führten endlich zu der Vereinigung. Werfen wir einen Blick in das Depot.
Es lag in der Nähe des Polizeiamtes und ermöglichte eine stetige polizeiliche Kontrolle. Der geräumige Hof war von Schuppen umgeben, und wir bemerken überall einen regen Verkehr. Am Eingang lag die Kontrollstube mit Telephonanschluß, von welcher aus sämtliche ein- und ausgehenden Rikschen kontrolliert wurden. Auf dem Hofe standen die sauberen, leicht, aber fest gebauten Fahrzeuge mit ihren weißen Bezügen zu Ausfahrt bereit.
Neben der Schmiede war die Sattlerei, daran anschließend die Lackiererei und Stellmacherei sowie die Wäscherei.
Durch Gründung des Rikschadepots wurde nicht nur eine Verbesserung der Fahrzeuge erzielt, ohne daß der Tarif erhöht werden mußte, auch die langjährigen Bestrebungen des Polizeiamtes, die soziale Lage der Rikschakulis zu heben, fanden Verwirklichung. Müde und abgespannt lieferte früher der Kuli seine Rikscha nebst der Miete an den Besitzer ab, und in der lärmenden Herberge fand er keine Ruhe, kein Bleiben; so ging er meist in die Opiumschenken, um dort die Zeit totzuschlagen. Der Weg, auf den sie gedrängt, war schlüpfrig; viele gingen bergab, zerstörten ihre Gesundheit und mußten ausscheiden. Auch hier bestanden viele Schwierigkeiten, denn die Interessen der Besitzer mußten gewahrt bleiben und andererseits der Kuli vor Ausbeutung geschützt werden. Im Depot war

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dieses Ziel erreicht. Wenngleich die Schlafräume nicht den Komfort aufwiesen, den man in einem deutschen Hotel gewohnt ist, so boten sie doch dem von der Fahrt ermüdet und matt heimkehrenden Kuli eine nach chinesischen Begriffen gute Unterkunft. Er konnte zu jeder Tageszeit ein warmes Bad nehmen; denn der große Dampfkessen spendete ständig Wasser; die Kantine bot ihre Schätze zu genau festgesetzten Preisen an, und in der angegliederten Küche konnte er für wenig Geld essen. Trotzdem besonders in dieser Richtung kein Zwang ausgeübt wurde, wohnten die Leute doch gern im Depot. Dadurch war die Kontrolle erleichtert, und das Leben wurde den Kulis erträglicher gemacht.
Ein besonders schwieriger Dienst war der der Kriminal-Abteilung. Erfordert er schon in Europa besondere körperliche und geistige Fähigkeiten, so treten in China noch die Schwierigkeiten hinzu, die dem Erkennungsdienst hier entgegenstehen. Eine Meldepflicht wie in Deutschland bestand in Tsingtau nicht, und die Nachforschungen waren oft sehr schwer. Aber meist half dem Einbrecher die größte Vorsicht nichts, denn der fast unsichtbare Fingerabdruck, den er bei Entfernung der Glassplitter hinterließ, genügte oft, den Unbekannten festzustellen. Die übersehenen Fußstapfen, mit Gips ausgegossen, führten zur Feststellung des Täters. Besonders hier gilt das bereits Gesagte. Die nahe Grenze, die zahlreich verkehrenden Dschunken waren einer Entweichung förderlich. Gerade den Chinesen gegenüber, deren Geburtsort oft überhaupt nicht festzustellen war, leistete das Meßverfahren, die Photographie und die Daktyloskopie wertvolle Dienste.
Weiter unterstand der Kriminalpolizei auch die Gesindepolizei. Auf diesem Gebiete erfolgte eine einheitliche Regelung durch Erlaß der Gesindeverordnung. Diese schrieb Gesindebücher vor und wurden die Zeugnisse beim Stellungswechsel von der Polizei

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abgestempelt. Die Nationale wurden genau festgestellt und damit solide Unterlagen geschaffen. Bewundern mußte man immer wieder, wie weit den Chinesen, die als Boys, Köche, Wärter oder Kulis im Haushalt verwendet wurden, Vertrauen geschenkt wurde. Viele mußten ihre Vertrauensseligkeit mit Verlust bezahlen, ja sie wußten noch nicht einmal den Namen des betreffenden Täters und der verdeutschte Rufname, der ihm beigelegt wurde in seiner früheren Stellung und den er beibehielt, erleichtert die polizeilichen

Polizei-Stationen

Nachforschungen in keiner Weise. Es war sogar vorgekommen, daß seitens der Polizei in den Pfandhäusern Sachen aufgefunden wurden, die augenscheinlich von einem Diebstahl herrühren mußten und demzufolge beschlagnahmt wurden. Wenn dann der Eigentümer nach einiger Zeit den Verlust bemerkte, da der Boy plötzlich fehlte, so war er erstaunt auf der Kriminalabteilung, bei der er seinen Verlust melden wollte, die vermißten Sachen vorzufinden. Diese Verhältnisse wurden ganz erheblich gebessert durch Erlaß der

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Verordnung und auf diesen so geschaffenen Grundlagen konnte ein Stamm tüchtiger Chinesen, für die europäischen Haushaltungen verwendbar geschaffen werden.
Ich übergehe die übrigen Dienstzweige der Zentrale, zu denen neben der Gewerbe – und der Kriminalabteilung noch die Nachrichtenabteilung gehörte, und gehe zu den Außenstationen über. Ihre Obliegenheiten fielen innerhalb des Stadtgebietes der Polizeistation Tsingtau zu.
Auf dem Gebiete des Gesundheitswesens arbeitete sie mit dem Polizeiarzte und den vorhandenen Krankenhäusern zusammen, auf dem Gebiete der Viehseuchen und der Fleischkontrolle mit dem Gouvernementstierarzt. Als Feuerpolizei stand ihr der vom Gouvernement zugelassene Schornsteinfeger zur Verfügung, und die rege Bautätigkeit, die in Tsingtau herrschte, führte zu einer engen Verbindung mit der Baupolizei, für die Straßenpolizei und in Fragen der Be- und Entwässerung auch mit der Tiefbauabteilung der Gouvernements-Bauverwaltung. Welche Schwierigkeiten auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege zu überwinden waren, kann der ermessen, der den Chinesen kennt, d.h. den aus dem Hinterlande kommenden, der noch nicht die leiseste Ahnung von Abortanlagen und dergleichen hat. Bekanntlich sind dem Chinesen überfüllte Herbergen unbekannte Begriffe, und wenn nicht von seiten der Polizei eingeschritten wäre, so hätten wir hier die schönsten Bakterienherde gehabt. Verständnislos schüttelten die Einwohner anfangs den Kopf, und doch ist es gelungen, auf Grund der durchgeführten sanitären Maßnahmen nicht nur die Chinesenstadt seuchenfrei zu halten, sondern die Chinesenanwesen hatten zum Teil bereits Anschluß an die Kanalisation, und auch das empfindlichste Gemüt konnte sie ohne Scheu betreten. Dabei darf man die lange Grenze mit ihren steten unkon-trollierbaren Zuzug nicht vergessen. Erwähnen möchte ich schließlich

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noch die Tätigkeit der Forstpolizei, die Bearbeitung der Fundsachen und den Sicherheitsdienst während der Nacht.
Der Polizeistation Tsingtau war angegliedert die Polizeiwache, die Tag und Nacht besetzt war. Werfen wir einen Blick in diese! In dem weiten Gebäude, wo am Tage ein reger Betrieb herrschte, ist Stille eingezogen: die Schreibstuben sind geschlossen und nur die Töne der schrillen Telephonklingel hallen durch das Gebäude. Dazwischen hören wir den Schritt der aufziehenden Straßenposten und die Stimme des Wachthabenden, der die Leute mit den neuester Ereignissen vertraut macht, ihren Anzug nachsieht und ihnen ihre Instruktion abfragt. Da klingt kurz aber laut der Wecker des Telephons, und der wachhabende Telephonist ruft aus der Telephonzentrale: „Feuer im Bezirk 1“. Der wachthabende Beamte erteilt schnell die erforderlichen Befehle an die Chinesenpolizisten, und schon verkündet der klagende Ton der Feuerhörner den Straßenposten, daß Feuer im Bezirk 1 ist. Diese nehmen sofort den Ruf auf, und nach kurzer Zeit hört man aus allen Ecken das Feuersignal. Schon kommt das Feuerpiket aus dem Chinesenkasernement, teils auf Rädern, teils zu Fuß eilen sie dem bereits mit dem Rade abgefahrenen wachthabenden Beamten nach. Zuerst gilt es, Menschenleben zu retten, soweit solche in Gefahr sind, und wenn noch möglich, das Feuer zu ersticken. So war es schon oft möglich, das Feuer zu löschen, ehe die Wehr eintraf. Inzwischen sind auch die Chinesenpolizisten eingetroffen und unter Leitung der anderen herbeigeeilten Beamten sperren sie den Brandplatz ab, und sichern so der eingetroffenen Feuerwehr eine ungestörte Tätigkeit.
Das Feuer ist gelöscht, und die Kriminalpolizeit hat die Übeltäter ermittelt.
Auf der Wache findet sie der zurückkehrende Beamte, und nach Erledigung der Eintragungen wird ihnen ein Platz in den hinten

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gelegenen Zellen angewiesen. Posten ziehen auf, Einlieferungen erfolgen und Anzeigen werden erstattet; so geht es die ganze Nacht durch und beim Lesen des Wortes ist es ratsam die Hauptbetonung auf die 4. Silbe zu legen. Im hinteren Teile des Gebäudes befindet sich auch noch die Obdachlosenstube. Dieser helle, luftige Raum, der mit seiner einfachen, aber sauber gehaltenen Einrichtung einen netten Eindruck machten, hat schon manchem, der unverschuldet im Kampf ums Dasein unterlag, als Obdach gedient, und ihn am Betreten der abschüssigen Bahn gehindert.
Eine eigenartige Stelle nimmt die Hafen- und Wasserpolizei ein. Die geräumige Station lag auf einem Hügel in der Nähe des Bauhafens. In den unteren Räumen befanden sich die Büros; im hintern Teil waren die Chinesenpolizisten untergebracht. Am Bauhafen, dem Liegeplatz des Polizeibootes, standen die einfachen aber schmucken Häuser für die Steuerleute, Maschinisten, Matrosen und Heizer. Ausgedehnte Kontrollfahrten in der Bucht, Streifen längs der Küste, Kreuzfahrten während der Fischzeit und Fahrten zu den Außenstationen hielten das Boot dauernd in Tätigkeit, und mancher Chinese, dessen Sampan im Sturm gekentert war, verdankt seine Errettung der Wasserpolizei. Viel ließen sich von der Arbeit der Polizei im Rahmen des Hafenlebens erzählen, doch übergehe ich sie, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Außenstationen zu lenken.
In diesen finden wir alles vereinigt. Neben den sonstigen polizeilichen Tätigkeiten, zu denen noch die Jagd-, Feld- und Forstpolizei trat, hatten sie auch noch eine Fülle anderer Arbeiten zu erledigen, die sonst nicht in das Bereich der Polizei gehören. Unter diesen nahm der Wegebau eine hervorragende Stelle ein. Ob auf Kap Jäschke, Yintau oder dem Festlande, überall wurden unter der Leitung der Polizeistationen Wege gebaut.

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Welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, ahnen nur ganz Wenige. Wer kennt nicht die alten chinesischen Wege und hat ihnen bei seinen Reisen nicht schon alles Gute gewünscht, wenn ihm der Wagen umkippte oder er Gefahr lief, im Morast stecken zu bleiben? Sollten die erbauten Wege ihren Zweck erfüllen, so mußten solide Unterlagen geschaffen werden. Der rege Kraftwagenbetrieb und auch die steigende Warenzufuhr, die teilweise auf den bekannten schmalspurigen Chinesenkarren erfolgte, nahm die Wege stark mit. Dazu kamen die Flußläufe, die im Sommer ohne Wasser recht friedlich und harmlos aussahen, doch in der Regenzeit stark angeschwollen, eine furchtbare Gewalt entwickelten. Trotz der besten Berechnungen traten sie aus ihren Ufern, rissen Brücken fort und unterspülten lange Wegestrecken. Oft war in wenigen Stunden das Werk vieler Hände und langer Zeit vernichtet. Die meisten von uns haben ja während der Belagerung Gelegenheit gehabt, die verheerenden Wirkungen der Wasserläufe zu beobachten.
Mit gleichem Eifer wurde auch die Aufforstung betrieben. Seit Jahren wurden im Landgebiet große Flächen mit Waldbäumen bepflanzt. Die Vorteile sind so groß, daß gerade darin eine rührige Tätigkeit entwickelt wurde. Durch Zusammenschluß mehrerer Gemeinden und gemeinschaftlichen Saatankauf wurden große öde daliegende Bergflächen angeforstet. Stellte die Gemeinde in diesem Jahre Leute für die Nachbargemeinde, so wechselte dieses im nächsten Jahr. Nur auf solche Weise konnten die ausgedehnten Flächen bewaldet werden. Aber auch der Zucht von Edelbäumen wurde erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Soweit diese nicht aus den Beständen des Forstamtes entnommen wurden, legte man Saatkämpen an. Jedes Dorf richtete auf dem Gemeindeland eine Saatkämpe

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ein und verpflanzte die aus ihr gezogenen Bäume innerhalb ihrer Grenzen. Recht befriedigende Resultate wurden mit der Zucht von Maulbeerbäumen und der damit verbundenen Wiederbelebung der Seidenraupenzucht erzielt. All diese Arbeiten steigen im Wert, wenn man bedenkt, daß das Gouvernement wenig oder keine Auslagen dabei hatte. Die Bewohner, den Wert der Arbeiten einsehend, arbeiteten während der Wintermonate, wo sie doch nichts zu tun hatten.
Oft hörte man den Ausspruch, es müsse auf einer solchen Außenstation fern vom Getriebe der Stadt, inmitten reich tragender Fruchtbäume mit der Aussicht auf das brausende Meer zu reizend sein. Der vielseitige Dienst läßt derartige Genüsse freilich nur selten aufkommen; aber wenn wir zurückblicken, so sind wir stolz, daß es uns vergönnt war, im Dienste der Polizei am Aufbau der Kolonie beigetragen zu haben. Denen, welche den schaffensreichsten Teil ihres Lebens in der Kolonie verbrachten, ist sie ans Herz gewachsen; fest mit ihr verknüpft haben viele in ihr eine zweite Heimat gefunden, und daher geben wir die Hoffnungen nicht auf.
Gustav Maaß.

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Sterne im Dezember.

Der Anblick des Sternenhimmels in den Abendstunden zeigt uns jetzt schon wieder im Osten einige Sternbilder, die wir nicht mehr gesehen haben, seitdem sie an den Frühlingsabenden am Westhimmel verschwanden. So geht gegen 8 Uhr der Orion am Horizont auf, und über ihm stehen die beiden eigenartigen Sterngruppen der Plejaden und der Hyaden im Stier mit dem hellrötlich leuchtenden Aldebaran. Der Stier ist das ansehnlichste

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unter den jetzt sichtbaren Tierkreisbildern. Westlich von ihm folgen Widder, Fische, Wassermann, Steinbock, und kaum noch zu Beginn des Abends am westlichen Himmelsrande sichtbar der Schütze, der wir vor drei Monaten mitten im Süden vor uns hatten. Das Zurechtfinden innerhalb dieser Sternbilder wird augenblicklich sehr dadurch erleichtert, daß der Jupiter, der König der Planeten, zur Zeit im Bilde der Fische steht. Südlich von ihm dehnt sich mit einer Reihe größerer Sterne

Sternhimmel, Anfang Dezember

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der Walfisch aus. Im nordöstlichen Teile dieses Bildes hat der als „Mira Ceti“ be-zeichnete Stern die Aufmerksamkeit der Astronomen vor allem auf sich gezogen, weil er seine Helligkeit in einer etwa 11 Monate dauernden Periode so stark ändert, daß er zeitweise als Stern zweiter Größe erscheint, zeitweise für das bloße Auge unsichtbar wird. Durch die Länge der Periode steht Mira Ceti unter den veränderlichen Sternen im Gegensatz zu einem andern gleichfalls augenblicklich sichtbaren Sterne, dem Algol im Perseus, dessen Helligkeit innerhalb eines Zeitraumes von weniger als 5 Tagen wechselt. Die ganz südliche Hälfte des Himmels ist zur Zeit nicht reich an hellen Sternen. Um so mehr tritt ein vereinzelter Stern erster Größe hervor, der Fomalhaut in den sonst unbedeutenden Sternbilde des südlichen Fisches. Reicher mit Sternen bedeckt ist die nördliche Hälfte des jetzt sichtbaren Sternenhimmels, der von Westen nach Osten von der Milchstraße durchzogen wird. In der Milchstraße steht nahe dem Zenith die eigenartige W-Form der Cassiopeia, östlich neben ihr der Perseus, westlich folgt das kreuzförmige Bild des Schwans. Südlich der Cassiopeia fällt ein großes Quadrat heller Sterne auf, von denen der nordöstliche der Andromeda, die übrigen drei dem Pegasus angehören. Die Andromeda ist durch eine Anzahl heller Sterne ausgezeichnet, die, wie aus der Karte ersichtlich, ein mit der Zeichnung eines Schiffes vergleichbares Bild geben. Der Bug ist der Stern, der dem eben erwähnten Quadrat angehört; der Schiffskörper wird durch drei Sterne angedeutet, deren letzter unweit vom Algol steht. Zwei weitere Sterne ergeben eine Linie, die dem Maste des gedachten Schiffes entsprechen würde. Westlich von der Spitze dieses Mastes liegt ein schon mit geringer Vergrößerung sichtbarer Nebelfleck, der größeres Interesse beansprucht. Er hat die Gestalt einer langgestreckten Linse. Eine ähnliche Gestalt ergibt sich auch, wenn wir die Gesamtheit der um uns sichtbaren Sterne

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uns von außen gesehen vorzustellen versuchen. Sie bilden eine flache Linse, deren Hautausdehnung in der Richtung der Milchstraße liegt. Blicken wir nach dem Andromeda-Nebel, so sehen wir also durch eine Lücke der uns näheren Sternenwelt hindurch eine zweite dieser gleichwertigen Welt vor uns, und wir müssen annehmen, daß wir umgekehrt, wenn wir uns auf einem Stern jenes „Nebels“ befänden, unsere ganze Sternenwelt von dort aus als einen „Milchstraßennebel“ erblicken würden von ähnlicher Gestalt und Größe, wie die, in der uns der Andromeda-Nebel erscheint.
S.

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Betr. Ausstellung.

Der Tag der Ausstellung ist nunmehr auf
Freitag, den 15. Dezember 1916
festgelegt worden. Falls es an dem Tage regnet, wird der nächste gute Tag genommen.
Die Bilder müssen bis einschließlich 5. Dezember bei Seesoldat v.Holstein eingereicht werden. Nachträgliche Anmeldungen bezw. Einreichungen werden nach Möglichkeit berücksichtigt werden. Bei Handfertigkeitsarbeiten hat die Einreichung Zeit bis zum 13. Dezember einschließlich.
Am Ausstellungstage kommt Dairinji am Vormittag, Kokaido am Nachmittag zu Besuch. Die Tageszeit wird noch bekanntgegeben.
Zu jeder weiteren Auskunft ist der Ausschuß bereit.
Yamagoe, 24. Novbr. 1916.
Der Ausschuß.
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