Matsuyama, Sonntag, den 10. Dezember 1916
Wehrpflicht als Weltanschauung.
Solange die Kriegsfackel loht, ist die Aufgabe des einzelnen einfach, selbst wenn die Ausführung schwer fallen mag. Er hat sich nur den Führern unterzuordnen, die ihm Platz und Arbeit anweisen. Auch der Führer hat vor sich, wenn auch eine schwierige und verwickelte Aufgabe, so doch ein unbedingt eindeutiges Ziel: zu siegen, den klar erkannten Feind niederzuwerfen. Die Notwendigkeit engt die Handlungsfreiheit von Millionen ein, wie eine Felsenenge den Bergstrom zwingt, im schmalen Bett sich zusammenzudrängen, und eben deshalb um so reißender dahinzuschießen. Ist aber die Enge überwunden, dann breitet sich der Strom wieder aus, was er an ungelösten Stoffen durch die Enge mitgeschleppt hat, das läßt er nun in der Ebene ermattet fallen und versperrt sich dadurch den eigenen Weg. Das selbstgeschaffenen Hindernis zwingt ihn, sich in zahlreiche Arme zu teilen, die ihren Lauf getrennt fortsetzen und oft erst wieder zusammengefaßt werden, wenn der Strom durch eine neue Felsenenge hindurchgeht.
Auch in der nationalen Entwicklung hat der Strom der Friedensjahre nicht mehr die gleiche Tragkraft für ungelöste Fragen wie im Kriege. Mancher, der mit seinen Sonderwünschen verstummt war unter dem Eindruck der gewaltigen Zeit und ruhig seine Bürde in diesen Jahren auf sich genommen hat, wird sie niederwerfen und fragen, ob nicht andere Kräfte mehr verpflichtet wären, sie zu tragen. Wie die Sandbänke den Fluß teilen, so werden diese Streitigkeiten unsere Nation zersplittern in Parteiungen und Gruppen, die sich ausgiebig bekämpfen werden. Darin wird uns der Krieg nicht gänzlich umgeändert haben. So waren wir immer und werden
1-46-02 (2-406)
immer so sein, und wenn wir nur die guten Eigenschaften, die uns bisher groß gemacht haben, für die Zukunft bewahren, dann werden wir auch diesen Erbfehler durch unsere Geschichte solange hindurchtragen können, bis wir ihn überwinden lernen. Wenn wir ihn verurteilen, dürfen wir auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Es ist nicht dagegen einzuwenden, daß jeder den Weg zu gehen sucht, den er für richtig hält, auch nicht dagegen, daß die Meinungen über diese Wege auseinandergehen.
Wollten wir jeden ächten, der eine abweichende Meinung im Leben des Staates und Volkes vertritt, dann würden wir nicht einen Burgfrieden schaffen, sondern die Ruhe eines Kirchhofes. Aber andererseits darf der Strom unseres geschichtlichen Daseins auch in Friedenszeiten nicht uferlos werden, wenn er befähigt bleiben soll, die Zukunft unseres Volkes zu tragen. Der Techniker engt den Strom, der allzu viel Sandbänke aufbaut, künstlich durch Buhnen ein, und die „heilige Not“, der jedes Volk seine besondere Erziehung verdankt, hat auch uns durch diesen Krieg aufs neu die Buhnen zum Bewußtsein gebracht, die die Eigenbrödelei des Friedens einschränken müssen, nämlich die Rücksicht auf die Angriffe, des nur noch rachgieriger gewordenen Feindes, kurz gesagt: die Wehrpflicht, das Wort im tiefsten und weitesten Sinne gebraucht.
Wir hören eben jetzt, daß den Reichstag daheim ein Gesetz beschäftigt, nach dem die Wehrpflicht nicht nur auf die körperlich Tüchtigen, sondern auch jeden Deutschen vom 17. bis zum 60. Jahre ausgedehnt werden soll. Wer die Flinte nicht tragen kann, soll zum „Vaterländischen Hilfsdienst“ herangezogen werden. Es ist eine oft angeregte Ergänzung zu dem Gedanken der allgemeinen Wehrpflicht, die
1-46-03 (2-407)
in dieser Form aber nur während des Krieges zur Ausführung wird kommen können. Der Grundsatz, den das Gesetz hier im außerordentlichen Falle in feste Form bringen konnte, muß gleichsam die Lebensluft des Deutschen im Frieden bleiben, die Wehrpflicht muß sich erweitern zur Weltanschauung, eine Sonderform von Kants kategorischem Imperativ.
Der Krieg hat den einzelnen nicht nur die Wahl des Berufes genommen, sondern auch die Haupttriebfeder für jene die Sorge für den eigenen Unterhalt. Darin liegt vielleicht der schärfste Gegensatz des kommenden Friedens gegenüber den jetzigen Verhältnissen, daß die Sorge für das persönliche Fortkommen wieder mehr in den Vordergrund gerückt wird und darum auch leicht in ihrer Wichtigkeit überschätzt wird. Wo die wirtschaftlichen Bedürfnisse des einzelnen betont werden, ist es natürlich, daß diejenigen, die in gleicher Lage sind, sich zusammentun, um ihre gemeinsamen Wünsche zur Geltung zu bringen. Wo die Bedeutung dieser wirtschaftlichen Bedürfnisse überschätzt wird, werden solche wirtschaftlichen Interessengruppen zu politischen Parteien erhoben, die nun aus dem beschränkten Gesichtkreise des Sonderinteresses heraus über Wohl und Wehe des ganzen Reiches urteilen. Die unglückliche Verwechslung liegt sicher nicht im Interesse unserer Wehrkraft, der „Kuhhandel“ unseligen Angedenkens hat unser Wehrgesetz ja bekanntermaßen um unersetzliche Jahre verzögert. Wir werden die bösen Folgen dieser Parteigruppierung nur vermeiden können, wenn wir uns bewußt bleiben, daß von der Weltanschauung der Wehrpflicht aus das Gedeihen des einzelnen nur insofern einen Wert hat, als es dem Vaterlande einen leistungsfähigen Träger von Wehrkraft zuführt. Sinnlos ist der Gefühlsstandpunkt, daß für
1-46-04 (2-408)
jeden Stand gleichviel geschehen müsse, wo doch jeder seinen Stand wechseln kann. Dafür muß es heißen, daß derjenige Gleichgewichtszustand zwischen den einzelnen Interessengruppen zu erstreben ist, bei dem das Reich am kräftigsten wird.
Ehe aber überhaupt eine Gesundung unseres Parteiwesens möglich ist, muß der Typus des Nichtwählers verschwinden, der sich „um das Gezänk der Parteien nicht kümmert“. Gerade die, die „über den Parteien“ stehen, gehören nicht nur an die Wahlurne, sondern sogar in den Wahlkampf, am besten in den Reichstag. Wer über den Parteien steht, braucht darum noch nicht außerhalb der Parteien zu stehen. Gerade er gehört in die Parteien hinein, um die Stimme des Gesamtinteresses neben den engen Sonderzielen zu Geltung zu bringen. Andere schließen sich der großen Partei der Nichtwähler an, weil sie „von Politik nichts verstehen“ oder weil diese „den Charakter verdirbt“. Wenn im Kriege jemand fern bleiben wollte, weil er sich nicht für eine Strategen hält oder weil er fürchtet, im Schützengraben schmutzig zu werden, dann würden wir von Feigheit sprechen. Im Frieden dürfen wir es jedenfalls Faulheit nennen. Wer von seinen Pflichten als wahlberechtigter Bürger wirklich nicht versteht, der hat das Notwendigste eben zu lernen. Das gehört zum Begriffe des Verfassungsstaates ebenso unbedingt wie Lesen und Schreiben zum Begriffe des Kulturstaates. So weit hier die Bildungsanstalten gesündigt haben, indem sie diese Kenntnisse nicht vorbereiteten, wird hoffentlich die Zukunft eine nicht übereilte, aber stetige Besserung bringen. In der Welt von heute gibt es keinen einzelnen mehr, sondern nur Glieder von Ständen, Staaten, Völkern. Es ist nicht mehr erlaubt, das Auge zu schließen gegenüber den Bindungen, die uns an unsern Blutsbrüder knüpfen, und „friedlich für sich“ zu leben. Wem schiert das persönliche Wohlergehen eines Menschen, der nicht die Wehrkraft des Volkes steigert?
1-46-05 (2-409)
Eine so strenge Auffassung ist aber allerdings nur erträglich, wenn sie Wehrkraft und Wehrpflicht in jedem Sinne gleich bewertet. Wie im Kriege nicht jeder mit der Waffe dienen kann, so wird auch die Mitwirkung eines jeden an der Entwicklung der Volkskraft im Frieden eine sehr verschieden sein. Auch hier würde der Buchstabe töten, und eben darum lassen sich diese Dinge nicht durch Gesetz regeln, sondern nur durch das in gefestigter Weltanschauung wurzelnde Pflichtgefühl. Ist diese Weltanschauung nun wirklich vorhanden oder muß sie erst neu geschaffen werden? Im ersten Falle wäre das Reden darüber unnötig, im zweiten aussichtslos. Aber es handelt sich in Wahrheit nur um eine Neubelebung altgermanischen Denkens wie beim ganzen Verfassungsstaat. Es handelt sich nur darum, gewisse Wahnbilder abzuschütteln, die die Übergangszeit des Mittelalters in uns erweckt hat.
Die ständische Entwicklung und ihr Ausmünden in den Absolutismus des 18. Jahr-hunderts hat immer noch Reste der Anschauung in uns zurückgelassen, daß der Staat gleichsam der Privatbesitz des Fürsten oder bevorzugter Kreise sei und daß Freiheit darum Loslösung von seinen Bedingungen bedeute. Es ist etwa der Standpunkt von Schiller „Räuber“, und wir müssen uns zum Standpunkt seines „Tell“ durcharbeiten und selbst über diesen noch hinausgehen. Und das dürfte dieser Krieg bewirkt haben. Denn unbeschadet aller Kaisertreue kämpft niemand mehr für den Besitz oder die Rechte irgend eines Fürsten, sondern für den Bestand seines Volkes. Wer überhaupt ernstlich über Freiheit nachgedacht hat, der wird heute wissen, daß Freiheit von äußeren Banden überhaupt nicht der einzelne für sich erringen kann, sondern nur ein Volk als Ganzes. Und wenn dieser Gedanke durchgedrungen ist, dann haben auch die Beweungen vom Charakter der Sozialdemokratie ihre Schrecken verloren. Wenn auf der einen Seite anerkannt
1-46-06 (2-410)
wird, daß die Freiheit nur im Rahmen des Nationalstaates möglich ist, auf der andern Seite, daß dieser Nationalstaat nur dann zur vollen Blüte gelangen kann, wenn er allen seinen Söhnen die möglichste Entfaltung ihrer Kräfte gewährleistet, dann sind dem Klassenkampf die Giftzähne ausgebrochen. An Stelle der alten Schlagwörter werden alle wahrhaft schaffenden Kräfte unseres Volkes sich einigen in dem Ideal der Gesundheit, d.h. der Wehrhaftigkeit.
Dieser Begriff der Gesundheit gibt mancherlei zu denken. Man hat die Menschenrechte oder das, was der einzelne unter allen Umständen von dem Staat fordern darf, je nach Zeit und Standpunkt verschieden aufgefaßt. Das Recht der Freiheit erwies sich als Schlachtruf, der inhaltslos wurde, sobald er im wesentlichen durchgedrungen war. Er sagte eigentlich nur, was der Staat nicht tun dürfe, als was man positiv von ihm erwartete. Man sprach dann von einem Recht auf Glück, auf zufriedenes Leben. Ernster und kraftbewußter erscheint mir die Forderung eines Rechtes auf Arbeit. Was an beiden im Sinne des Wehrgedankens richtig ist, läßt sich vielleicht am besten zusammenfassen als ein Recht auf Gesundheit. Der Staat als die Vertretung des Volksganzen soll dem einzelnen nach Möglichkeit die Vorbedingung zu einem gesunden Leben verschaffen; denn nur so kann sich die höchste Lebens- und Wehrkraft entfalten. Zu diesen Vorbedingungen gehört auch die Möglichkeit, arbeitend, schaffend, seine Kräfte zu betätigen, und aus jener Gesundheit wird andererseits von selbst das einzig mögliche dauernde Glück folgen, das eben im Gefühl der gesunden Kraft liegt. Vom Streben nach Gesundheit war schon Albert Schäffle geleitet, als er sein Buch „vom Bau und Leben des sozialen Körpers“ schrieb. Ihm war die Nationalökonomie die Lehre davon, wie die Organe des Staates und der Gesellschaft gesund zusammenarbeiten
1-46-07 (2-411)
können und sollen. Aber wir wissen heute, daß wir noch eine Stufe tiefer hinabsteigen müssen. Gesunde Organe verlangen gesunde Zellen; ein gesunder Staat verlangt gesunde Menschen. Wir sind uns ferner darüber klar geworden, daß die meisten Unzu-länglichkeiten des einzelnen in sozialer Beziehung auf erblicher Belastung berufen, und daß sie sich nur überwinden lassen durch eine stetige erbliche Entlastung, durch eine Sorge für die Gestaltung der kommenden Geschlechter, die man als Rassenhygiene oder in England und Amerika als „eugeny“ bezeichnet hat. Wie in der Unterseebootfrage, so ist die deutsche Regierung auch in der Unterstützung der rassenhygienischen Forschung sehr zögernd vorgegangen. Möge in dem Vergleiche die gute Vorbedeutung liegen, daß wir auch hier vielleicht etwas später auf dem Plan erscheinen, aber dann um so erfolgreicher. Möge der Krieg, der uns so mache wohltätige Organisation geschenkt hat, neben Anstalten für Luftstickstoff und Festhefe auch endlich ein Institut schenken, in dem ernste Forscher sich der Erforschung der Gesetze der Rassenhygiene widmen können.
Es wird sich dabei hauptsächlich um Forderungen an die Lebensweise und vor allem an die Heiraten handeln, bei denen noch allzuoft mit frevelhafter Gedankenlosigkeit, besonders in der Unterschätzung geschlechtlicher und sonsitger Erkrankungen, vor-gegangen wird. Die Art, wie kranke und gesunde Familien und Familienmitglieder durch Heirat miteinander verkettet werden, ist von geradezu ausschlaggebender Bedeutung für die Gesundheit der Volkstums. Trotzdem lassen wir noch heute Schwindsüchtige, Geisteskranke und Syphilitische heiraten, und die „Gesellschaft“ findet das ehrenwerter, als wenn ein Mann zur Heirat schreitet, der „seine Frau nicht ernähren kann“. Solange diese Finsternis nicht erleuchtet ist, wird man vergeblich an die zweite große Frage der Rassenhygiene gehen, die Abwehr gegen das Sinken des Geburtsüberschusses. Es ist
1-46-08 (2-412)
vielleicht die wichtigste von allen Fragen. Das oft betonte Aussterben so vieler begüterter Familien, besonders von Stadtfamilien, meist schon im Laufe weniger Geschlechterfolgen, ist meiner Meinung nach der einzige wirklich gefährliche Feind, der uns in der Zukunft droht. Solange es genug Deutsche und gesunde Deutsche gibt, werden wir trotz gelegentlicher Uneinigkeiten schon unserer Feinde Herr werden. Ein besonders bedenklicher Umstand ist es, daß die Gefahr des Aussterbens gerade die wohlhabenderen Kreise am meisten trifft; denn er zeigt, daß weniger Ungunst der Verhältnisse, als vielmehr Unverstand des einzelnen oder der gesellschaftlichen Anschauungen zu Grunde liegt. Wenn man zuweilen mit halben Spott gesagt hat, daß Preußen sich hoch gehungert habe, so scheint es allerdings noch heute eine Voraussetzung für unser Gedeihen zu sein, daß wir genügend Hunger leiden, da wir nun einmal den Genuß so, wie wir ihn heute pflegen, nicht zu vertragen scheinen. Es kann nicht die Aufgabe dieser Zeilen sein, hierin nach Schuld und Abhilfe zu suchen. Aber es mag darauf hingewiesen werden, daß auch das Recht des einzelnen auf Genuß nach Art und Form bestimmt werden muß von dem Gedanken, wie wir uns am besten geeignet machen, wehrhafte Söhne unseres Volkes zu sein.
A. E.
----------------------
Von Zikaden und anderem Gewürm
Ein Sommer-Idyll.
„Hast Du’s schon gehört? Die Zikaden singen wieder !“
„Ach was Du sagst! Du merkst auch alles!“
„Da! – Wieder gerade über uns! Und da noch eine, – zwei, drei – ein ganzes Dutzend! Bei dem Spektakel soll
1-46-09 (2-413)
man nun arbeiten können! Nicht allein, daß die Japsen uns stündlich zweimal mit dem Fauchen und Pfeifen der Lokomotive ihrer sogenannten Eisenbahn stören; da lassen sie auch noch diese vermaledeiten Singzirpen in ihren Gärten groß werden! Und das nennt sich nun Sommerfrische! – – – Ich zieh’ aus!“
„Sag’ doch „Hannes“ Bescheid! Der fängt Dir die Viecher weg!“
Ja, es ist wirklich unerträglich mit den Zikaden. Kaum hat man sich mit einem Buch in irgend eine Gartenecke gesetzt, so fängt gewiß auch schon so ein Tier an zu schnarren. So laut, daß man seine eigene Stimme nicht mehr versteht. „Singen“ nannten es meine Nachbarn eben, die sich gleichfalls über die mißtönenden Laute entrüsteten. Wenn es noch bei einem Solo bliebe. Aber nein! Einen richtigen Chorgesang stimmen sie an. Hüben, drüben – überall.
Aber da kommt ja schon der „Ruhestifter“!
Unser altverdienter Freund „Hannes“ suchte mit einem Schmetterlingsnetz an langer Stange die Bäume nach diesen Schreihälsen, den Zikaden, ab. Mit der Sachkenntnis und Geschicklichkeit eines geübten, erfahrenen Insektensammlers rückte er den Dingern zu Leibe. Ein vorsichtiges Hinauffühlen mit der Stange, ein kurzer Ruck, ein letztes protestierendes Kreischen von seiten des beleidigten Gliedertieres, dann herrscht an der betreffenden Stelle Ruhe, bis – ja, bis in der Nachbarschaft ein anderes Tierchen das Häutchen seines Zirpapparates in Tätigkeit setzt.
„Was macht unser „Hannes“ bloß mit all den Zirpen, die er im Laufe des Tages fängt?“
„Damit füttert er seine Haustiere!“
„Wieso Haustiere?“
„Na, seine Kröten!“
„Ach nee! Diese Kornmasse soll irgend ein Magen vertragen
1-46-10 (2-414)
können? Das kannst Du andern weismachen!“
„Wenn Du’s nicht glaubst, komm mit! Wir wollen uns die Fütterung mal ansehen!“
Das lockte mich auch. Ich folgte meinen beiden Nachbarn. Und richtig! Unser Oberjäger lockte gerade aus einem dunklen, feuchten Wurzelwerk eine dicke, graubraune Kröte hervor. Er kitzelte sie mit einem Stock auf der rauhen warzigen Haut ihrer Weichteile. Darob lachte denn, – – – nicht die Kröte, versteht sich, – – sondern die umstehende Korona von Kriegsgefangenen. Mit langsamen, täppischen Bewegungen humpelte die Kröte ein wenig hervor ins Licht.
Unser Tierfreund hielt nun der Kröte in der hohlen Hand den dicken Bissen hin. Der Zikade waren die Flügel beschnitten. Sie konnte wohl nervös zappeln, nicht aber fortfliegen. „Hannes“ reizte sie noch ein wenig durch liebevolles Drücken der Brustringe, so daß sie, wie am Spieße steckend, ohrenbetäubend lärmte. Die großen Netzaugen starrten wie hilfeflehend aus dem dicken Kopf heraus. Unaufhörlich arbeiteten die hornigen Flügelstümpfe und die drei Paar Krallenbeinchen, um den plumpen Körper in Sicherheit zu bringen.
Die fette Kröte schien aber vorläufig wenig Eßlust zu haben. Sie machte auch einen durchaus überfütterten Eindruck. Stumpfsinnig, dumm wie ein japanischer Götze glotzte sie mit ihren hervorstehenden Augen ins Licht und rührte sich nicht.
Dann schien sie aber doch plötzlich Appetit auf Bauchmark zu bekommen. Ihre Augen belebten sich. Sie richtete sich auf ihren dicken Hinterbeinen ein wenig auf und humpelte zwei Krötenschritte vor, noch ein halben, dann kauerte sie sich zusammen, so gut es ihr in ihrem Fett möglich war. Mit den Augen schien sie zu zielen auf das schokoladenfarbene Insekt in
1-46-11 (2-415)
der Hand ihres Pflegers.
Plötzlich ein Aufklappen der unnatürlich weit gespaltenen Mundöffnung, ein Heraus-schnellen des Fangorgans, der langen Zunge, und im Bauchinnern verschwunden war das lärmende Insekt.
Und nun kam erst der Hauptspaß!
Die verwunschene Zikade sang im Bauche der Kröte noch ein Weilchen weiter. „Lustig weiter“, wollte ich schon schreiben, aber das stimmt sicher nicht.
Wie ein ersterbender Ton tief aus dem Innern eines Schachtes, wie der schwache Widerhall eines in der Ferne polternden Wagens, klang der Schwanengesang der totgeweihten, unsichtbaren Zikade aus der stattlich gewölbten Bauchhöhle der Kröte.
Die Kröte benahm sich jetzt ganz zahm und zutraulich. Sie fuhr sich zwei- dreimal, klappte ein paar Mal mit den Augenliedern und setzte sich dann mit Behäbigkeit zu Verdauen zurecht. Ganz so, wie es sich nach einer guten Mahlzeit ziemt. Ihren Pfleger schien sie sehr gut zu kennen; denn dessen manchmal nicht ganz sanfte Liebkosungen nahm sie ruhig hin.
Wohl ein Dutzend Kriegsgefangener hatte bisher schweigend zugesehen. Jetzt machten sich aber die verschiedenen eben aufgenommenen Eindrücke und Empfindun-gen in lauter Unterhaltung Luft:
„Wat dat nu woll affgiwwt?_ De sch–t naher ja woll Zelluloid?“
„Du meinst woll Glasspitter?“
„Ach wat, Korl, wat weißt Du davon! Hest Du all so’n Tüg freten?“
1-46-12 (2-416)
Unser Freund „Hannes“ hatte aber schon wieder ein anderes zappelndes und lärmendes Opfer in der Hand. Sechs bis acht Stück könnte die Kröte ganz gut auf einmal vertragen, berichtete er aus seiner Erfahrung.
„Die Zikaden sind sehr schädlich, darum müssen sie vernichtet werden“, sagt unser Freund und Oberjäger. „So?“ fragt jemand, „frißt deine Kröte nicht auch Maikäfer? Das müßte doch spaßig sein, wenn sein „ho ho“ in ihrem Bauche langsam verhallt.“ „Maikäfer kann sie schon fressen,“ meint Hannes darauf, „aber ohne Notizbücher“.
Ltm.
-----------------------
Wett-Turnen im Yamagoe
Am 3. und 4. Dezember fand in Yamagoe ein Wetturnen statt. Der erste Tag war für einen Siebenkampf bestimmt, an dem elf Wettbewerber teilnahmen. Den ersten Preis errang der Gefr. Wichelhaus, K. 5, den zweiten Sees. Büch, Pion. Komp. Im Steinstoßen (20 Pfund mindestens 5 m weit) war der bester Wurf 7,60 m (Gefr. Wichelhaus). Im Weithochsprung (Pflicht: 1 m hoch bei 1,50 m Abstand des Sprungbrettes) erreichten Sees. Bück und Robst (Pio. Komp.) 1,45 m bei 2,40 m Sprungbrettabstand; der beste Weitsprung (Pflicht 4 m) war 5,35 m (Sees. Beckers, K. 5), dem nächst 5,24 m (Sees. Ameter, Pion. Komp.). Im Stabhochsprung erreichten Gefr. Wichelhaus, Sees. Büch und Ameter die gleiche Höhe = 2,70 m (Pflicht 1,70 m).
Der Siebenkampf begann morgens um 9½ Uhr mit dem Steinstoßen, dann folgten an Reck, Barren und Pferd die nachstehenden Übungen:
Reck. | a) | Kippe mit Kammgriff, Überschlag mit Schwungstemmen, Umgreifen zum Ristgriff, Felge, Unterschwung ab. |
1-46-13 (2-417)
- | b) | Sprung in den Langhang, Aufzug, Rückwärtssenken, Anristen der Beine, Durchschub zur Waage rücklings, Senken der Beine, Hangkehre, Beine heben zur Vorhebehalte, Spreizen und Schließen der Beine, Niedersprung. |
| c) | Kür-Übung |
Barren | a) | Schwebekippe, Schwingen im Knickstütz mit einmaligem Vorhüpfen, rolle vorwärts, Rolle rückwärts, Schwungstemme, Außenquersitz von der rechten Hand, Vierteldrehung links, Hocke. |
| b) | Sprung im Knickstütz, Strecken der Arme, Heben der Beine in Vorhebehalte, Vierteldrehung rechts zum Knickstütz rücklings außerhalb des Holmes, Drehen des Körpers um den rechten Arm zum Knickstütz auf beiden Holmen, Strecken der Arme, Rolle, Herunterlassen zum Langhang mit Vorhebehalte der Beine, Vierteldrehung links, ab |
| c) | Kürübung. |
Pferd. | a) | Anlauf, Sprung in den Seitstütz mit Anschweben der Beine, Durchhocken zum Streckstütz rücklings, Zurückspreizen rechts, Kreisspreizen links, Anschweben des rechten Beines, Kehre zum Stand an der rechten Seite des Pferdes. |
| b) | Sprung in Seitstütz, Grätsche, Zurückflanken links, Kreisen rechts und links, Kreisen rechts unter links und links unter rechts, Aufflanken zum Liegestütz vorlings, Abflanken zum Stand an der rechten Seite des Pferdes. |
| c) | Kürübung. |
1-46-14 (2-418)
Am Nachmittag fanden die Sprungübungen statt.
Der zweite Tag bot am Vormittag Geräteturnen. Da die Zeit für sämtliche Geräte nicht gereicht haben würde, wurde durch Los bestimmt, daß Reck und Barren geturnt werden und darauf ein Hochsprung ohne Sprungbrett gezeigt werden sollte. Den 1. Preis an Reck und Barren gewann Gefr. Knaab (M.F.B.), den 2. Sees. Steinemann (Pion. Komp.); im Freihochsprung erreichten Sees. Bergmann und Busse (K. 5) beide 1,55 m jedoch unter Berühren der Schnur.
Eine sehr glückliche Abwechslung und zugleich einen frischen soldatischen Zug brachte der zweite Nachmittag in die Wettspiele. Er begann mit einem „Schützengraben-sprung“. Den Sinn für Geländeausnutzung, den dieser Sprung u.a. zeigen sollte, hatte zunächst die Turnleitung selbst (Hptm. Maurer u. Sgt. Janssen) zu beweisen gehabt, um unter den hiesigen Verhältnissen einen derartigen Sprung zu ermöglichen. Es war in ausgezeichneter Weise gelungen.
Der zum Turnen zur Verfügung stehende Platz war die etwa 20 m lange und 6 m breite Fläche neben dem Tennisplatz. Hier war ein Schützengraben von 1,20 m breite angelegt, vor dessen 1 m breiter Brustwehr war mit Bindfäden ein Drahthindernis angedeutet, das 2,50 m breit und an der Brustwehr 0,50 m, am untern Rande 0,40 m hoch war. Der rund 10 m davorstehende Barren war durch Umstürzen des Pferdes und durch einige durcheinander geworfene Bretter in eine Sperre verwandelt worden, und die gestellte Aufgabe war nun folgende: Der Mann sollte in Sturmausrüstung (Litewka, gerollter Mantel mit Kochgeschirr, Gewehr, Marschstiefel und 100 Patronen-Gewicht) durch einen etwa 25 m langen gedeckten Gang (wozu der leere Wassergraben am Rande unseres „Parkes“ diente) vorgehen, dann gedeckt einen Hügel ersteigen, dort einen gezielten Schuß abgeben, dann durch das Gestrüpp des Hügelabhanges, durch die oben genannte Sperre gegen den Schützengraben anlaufen, das Drahthindernis und danach
1-46-15 (2-419)
den Schützengraben überspringen, in Stellung gehen und einen zweiten gezielten Schuß abgeben. Bei der Beurteilung der Gesamtleistung wurde die Kürze der gebrauchten Zeit und der Grad der Anpassung an das Gelände mit in Rechnung gezogen. Die beste Leistung war die des Sees. Steinemann (Pion. Komp.).
Es folgte ein „feldmarschmäßiger“ Weitsprung ohne Sprungbrett. Die Springer trugen außer dem Gewehr und dem Gewichte von 100 Patronen einen feldmarschmäßig gepackten Tornister, alles zusammen rund 50 Pfd. Am weitesten sprangen Sees. Misslin (Pion. Komp.) mit 3,79 m und Ameter (desgl.) mit 3,74 m.
Eine Meisterleistung unserer Pioniere waren die für diese Übungen angefertigten beiden Gewehre, die zwar nicht schossen, aber in der äußeren Form und dem Gewicht durchaus unserem Modell 98 entsprachen.
Den Schluß des Turnens bildeten Ringkämpfe. Unter den elf Ringern gewann Sees. Probst den ersten, Sees. Bergmann den zweiten Preis.
Im Ganzen war das Wetturnen eine sehr gelungene Veranstaltung, und die Mühe, die Sgt. Janssen auf das Turnen in der vorgehenden Zeit verwendet hatte, hat sich in vollem Maße gelohnt. Es wäre nur zu wünschen, daß die Beteiligung van diesen Turnübungen noch eine allgemeinere würde, als es bis jetzt er Fall ist.
Als eine besondere Verschönerung der Turntage müssen wir die rühmliche Tätigkeit unseres Orchesters hervorheben, das an beiden Vormittagen und Nachmittagen seine munteren Weisen ertönen ließ. Mit beruhigtem Stolz kann unser Musikdirektor, Uoffz. Schulz, auf seine Erfolge blicken. Wenn man die wenigen schüchteren Geiger, die sich im Mai hervorzuwagen begannen, mit der stattlichen Schar von 15 Köpfen vergleicht, die jetzt die Geige, das Cello, den Baß, die Klarinette und die Flöte spielen und z.T. sogar meistern; wenn man bedenkt, daß sowohl Cello wie Baßgeige ihre Entstehung der
1-46-16 (2-420)
Handfertigkeit unseres Yamagoe-Lagers verdanken, dann wird mit seiner aufrichtigen Anerkennung selbst der bedingte Kunstfreund nicht zurückhalten können, der anstelle der Musikübungen hin und wieder eine geräuschlosere Kunst mit Freuden begrüßen würde. Wir jedenfalls wünschen der Turnerei sowie der Musik ein fröhliches Gedeihen im Lager auch in Zukunft.
---------------
Bukarest genommen!
„Hurrah!“ Aus brausendem Siegeslauf
Schallt’s hin zu den Brüdern in West:
„Wir pflanzen die dreifachen Adler auf
Auf den Zinnen von Bukarest.“
Und drüben die Helden am Ancre und Somme –
Wie leuchtet ihr ehern Gesicht!
Und die Sehnen, sie straffen sich:
„Komme, was komm!
Uns hier durchbrechen sie nicht.“
„Eh’ uns der Franke und Brite bezwingt
Und nagt zum Rheine sich durch,
Eh’ fügt sich’s, daß man die Rheinwacht singt
Auf den Plätzen von Petersburg.
Und von den Wällen von Bukarest
Grüßt stolz das Siegespanier:
„Die Wacht am rhein steht treu und fest,
Fest steht und treu sie auch hier.“
1-46-17 (2-421)
Doch dort im britischen Hauptquartier
Sitz einer in stummer Qual:
Mit den Rumänen verbünden wir
Uns sicher kein zweites Mal.“
Und an der Front in den russischen Reiche,
Da flucht man dem englischen Gold:
„Der Mackensen kommt und der Falkenhayn,
Jetzt werden wir aufgerollt.
S.