Lagerfeuer

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Lf. Nr. 42 Matsuyama, Sonntag, den 12. November 1916

Die Einkleidung der Reserven in Tsingtau bei
Ausbruch des Krieges, August 1914.

In einem unserer bekannten Soldatenlieder heißt es: „Wir haben schöneKleider, aber nicht zu Bummeln – – gehen, sie hängen auf der Kammer und bleiben ewig schön, trulla, trulla usw.“ Aber wohl die wenigsten der lustigen Sänger haben einmal darüber nachgedacht, welche Arbeit und welche Sparsamkeit dazu gehört, eine Kammer zu schaffen, von der man sagen kann, daß sie schöne Kleider besitzt; unsere Kameraden in Tsingtau aber besaßen sie. Einige der lieben Leser werden sagen, daß sie nichts davon gemerkt haben, denn sie werden sich bei meiner Behauptung unwillkürlich im Geiste die Strümpfe vorstellen, die ich ihnen in die Hand drückte und die nun manchesmal nicht ganz einwandfrei waren, was ich heute schließlich zugebe, seinerzeit aber auf das entschiedenste zurückwies.
Bei Ausbruch des Krieges besaß jede Kompagnie in Tsingtau je nach ihrer Etatsstärke eine völlig unangerührte Kriegsgarnitur; ferner lagerten auf der Bataillonskammer für rund 1000 Mann nagelneue Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke. Diese etwa 2300 ganz neuen Bekleidungsstücke sind die Ersparnisse, die die einzelnen Truppenkörper im Laufe der Jahre durch gutes Wirtschaften gemacht hatten; sie hatten zusammen mit den vielen Ausrüstungsstücken, die auf der Bataillonskammer lagerten, einen Wert von rund 100 000 M. Wenn man nun bedenkt, daß unser Bataillon in Tsingtau ungefähr einem heimatliche Regiment entsprach, und man daher annehmen muß, daß in dem Regiment dieselben Ersparnisse gemacht worden sind, so ergibt dieses eine hübsche Summe, die der Kompagniechef, der Bekleidungszahlmeister und

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Kammerunteroffizier dem Staate bei Ausbruch des Krieges auf den Tisch gelegt haben. Ein Uneingeweihter wird sich nun fragen, wie ist es möglich, daß solche Ersparnisse gemacht werden können; das muß doch bei einem geordneten Staatswesen unmöglich sein, und doch geht alles seinen richtigen und geordneten Gang, etwa wie folgt: Die Bekleidung- und Ausrüstungsgelder eines Mannes betragen jährlich etwa 100 M. Diese Summe wird nach den Tragezeiten der einzelnen Stücke berechnet; so hat Z.B. eine Hose und eine Litewka ein Jahr Tragezeit; also jeder Mann der Kompagnie erhält jährlich eine neue Hose. Es ist nun selbstverständlich, daß bei der entsprechenden Anzahl von Garnituren und bei guter Behandlung der Sachen die Tragezeit eine längere sein kann, sagen wir mal 1½ Jahre, so hat doch die Kompagnie für jeden Mann ½ Hose übergespart, was sich im Laufe der Zeit erheblich bemerkbar macht. Dazu kommt nun noch, daß sich der tüchtige Kammerunteroffizier bei der Ausrangierung sein Schäfchen ins Trockene bringt, was ihm zwar nicht immer leicht gemacht wird, aber doch im Bereiche der Möglichkeit liegt. So reicht Z.B. sein Kompagniechef dem Bataillon eine Meldung ein, in der er bittet, einen Teil der ausrangierten Bekleidungsstücke als Arbeitsanzüge noch weiter verwenden zu dürfen. Das hat den Vorteil, daß die Anzüge nicht zerschnitten werden, wie es bei der Rückgabe von Sachen sonst der Fall ist, sondern nur den Stempel „Ausrangiert“ erhalten; nun aber sitzen so kunstgerechte Schneider auf der Handwerkerstube, die den Stempel „Ausrangiert“ durch einen ordentlichen Flicken ersetzen, und sofort erlangt das Bekleidungsstück wieder seine etatsmäßige Daseinsberechtigung. Der Kammerunteroffizier aber reicht nach einem halben Jahre die Meldung ein, daß die Arbeitsanzüge aufgebraucht und als Flickmaterial verwendet worden sind. Damit ich mir nun aber nicht sämtliche Kammerunteroffiziere zum Feind mache, will ich mit dem

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Verrat militärischer Geheimnisse aufhören und erzählen, wie das Bataillon sich seine Regale füllt. Es geschieht dies einfach, wenn auch für die Kompagnie nicht immer schmerzlos, indem das Bataillon 10% von der zustehenden Jahresabfindung der Kompagnien für sich behält, was von den Kompagnien nicht immer ohne Vorstellungen beim Kommandeur anerkannt wird.
Diese Ausführungen gehören nun eigentlich nicht zur Sache; aber sie zeigen, was sich durch Sparsamkeit erreichen läßt. Nun aber hat der Krieg alle Sparsamkeit über den Haufen gerannt, und die schönen Kammern in Tsingtau, in denen mit so viel Ordnungsliebe die Schätze des III. Seebataillons aufgestapelt waren, sollten bald geleert werden, denn von allen Gegenden Ostasiens eilten in den ersten Augusttagen die wehrfähigen Deutschen nach Tsingtau und stellten sich dem Vaterlande zur Verfügung. Schon am ersten Mobilmachungstage begann für mich, wie selbstverständlich auch für jeden anderen Soldaten in Tsingtau, eine harte Arbeit. Vor dem Batl. Kammergebäude hatte sich bereits eine große Anzahl Reservisten eingefunden, die sehnsüchtig meiner harrten. Ich wollte mich nun mit aller Kraft an die Arbeit machen, erlebte aber sofort eine Enttäuschung; denn meine eingearbeiteten Kammerarbeiter, die bereits ein halbes Jahr bei mir kommandiert waren und jede Ecke und jeden Winkel, ja jedes Bekleidungsstück auf der Kammer kannten, wurden zur Kompagnie zurückbeordert, und mir wurden einige Kreuzlahme aus dem Revier überwiesen, die am nächsten Tage wieder wechselten, da sie die Kammerluft nicht vertragen konnten; den Versuch, meine alten Kammerarbeiter wiederzuerhalten, war vergebens. So raffte ich denn meine ganz Energie zusammen und ging an die Arbeit, wobei ich anfangs von Feldwebel S. tatkräftig unterstützt wurde. Für 10 bis 15 Mann wurde je eine Zeltbahn ausgebreitet, auf die jeder seine Sachen zu legen

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hattte; dann ging es von einem Raum in den andern; hier gab es Hosen und Röcke, dort Mützen und Stiefel usw. Nun darf man aber nicht glauben, daß die Einkleidung sich immer glatt abwickelte, wie es wohl sonst bei gedienten Soldaten der Fall ist; nein, es kamen die unglaublichsten Dinge zum Vorschein, und ich werde unsere brave und unermüdliche 6 Kompagnie stets in ehrendem Andenken behalten. Sie aber wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich meiner Feder freien Lauf lasse und hier einige Szenen zu besten gebe.
Ein Hauptübel war das Verpassen von Stiefeln; hatte ich hierbei anzusagen vergessen, den rechten Stiefel ausziehen, so konnte ich sicher sein, daß es Leute gab, die versuchten, mit angezogenem Schuh in die Stiefel zu steigen; andereaber maßen die Länge der Stiefel mit der des Schuhes, und es genügte ihnen, wenn die Länge nur ungefähr stimmte. Aber wie erpicht waren sie darauf, die Stiefel, die paarweise zusammengebunden waren, sofort auseinanderzuschneiden; Dieses ließ sich trotz meiner eingehendsten Ermahnung nicht vermeiden, so kam es denn, daß einige Krieger totsicher zwei recht Stiefel erwischten, und mir dann meldeten, sie hätten ein Paar gut passende Stiefel gefunden. Wieder andere kamen und sagten: „Verzeihen Sie Herr Feldwebel, für mich sind keine passenden Stiefel dazwischen.“ Ich nahm dann ein Paar heraus und sagte: „Ziehen Sie diese einmal an“, und das Erstaunen war kein geringes, wenn diese sofort paßten. Von derselben Größe aber lagen sie noch zu Dutzenden dazwischen. Hatte dann die eine Abteilung glücklich ihre sämtlichen Sachen beisammen, so verlas ich, was jeder haben sollte, und jeder hatte den vorgelesenen Gegenstand in die Hand zu nehmen und hoch zu halten. Rief ich dann: „Eine Fettbüchse“, so zeigten einige aus der Abteilung ihr Kochgeschirr vor. Von der Verwechslung

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von Mantelriemen und Kochgeschirriemen will ich ganz schweigen, denn diese auseinander zu halten, ist nicht immer ganz einfach; aber zwischen Magenstrumpf und einen gewöhnlichen Strumpf sollte eigentlich ein Unterschied zu finden sein; aber sie wurden vielfach miteinander verwechselt. Hatten wir nun alles beisammen, so ließ ich die Sachen aufnehmen und abrücken; aber dann zeigte sich mir ein buntes Bild. Der eine hatte seinen Zivilrock und Strohhut liegen lassen, ein anderer war mit einem Komisstiefel und einem Schuh davongelaufen und hatte einen Schuh und einen Stiefel stehen lassen; ein anderer wieder hatte beide Stiefel zurückgelassen, und so wechselte es ab. Ich hatte am Schlusse der Haupteinkleidung mehrere Kleiderregale voll Zivilzeug gesammelt. Endlich war es mir gelungen, unsere brave 6. Komp. „militärisch“ auszurüsten, und ich weiß nicht, wie oft ich ein „Gott sei Dank“ ausgesprochen habe, aber das dicke Ende sollte noch kommen. Einige Stunden nach dem Empfang der Sachen kamen sie truppweise angelaufen und brachten ihre Anliegen vor. Dem einen war der Mantel abhanden gekommen, dem zweiten fehlten die Kakimütze und die Stiefel, der dritte behauptete, er habe seine Sachen in der Stube hingelegt, weil er den Flur zu fegen hatte, und als er zurückgekommen sei, seien seine sämtlichen Sachen fort gewesen, und er habe die ganz Kaserne abgesucht und könne sie nicht wiederfinden; der vierte brachte seine zwei rechte Stiefel wieder zurück und sagte, die seien ihm auf der Stube vertauscht worden, und so ging es in einem fort. Draußen aber stauten sich die Leute, die noch eingekleidet werden wollten; es ging drunter und drüber; dazwischen kamen mir dann immer diese Bummelanten. Ich verzagte fast und beneidete meine Kameraden, die draußen beim Schützengrabenbau oder im Vorgelände waren. Meine Arbeit wurde noch

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dadurch erschwert, weil alle ausgegebenen Gegenstände gebucht werden mußten, damit man eine Kontrolle über die Bestände behielt, und weil es für die evtl. Abgabe der Sachen notwendig war. Nun trat dann aber für K. 6 der Umstand als Milderungsgrund für die vielen abhanden gekommenen Sachen ein, daß sie fortwährend umziehen mußte, bald zur Iltiskaserne, dann wieder zur Bismarckkaserne, dann nach Schanschan usw. Daß dabei Sachen verloren gehen, ist selbstverständlich. Ich mußte dann auch ein Verzeichnis über die abhanden gekommenen Gegenstände mit Wertangabe einreichen, und es zeigte sich, daß in den ersten 20 Tagen bei unserer braven 6. Komp. nur für 3000 M verloren gegangen war. „Aber Kameraden von der 6ten, Ihr wart meine größten Schmerzenskinder noch lange nicht; die 7. Komp. und die Landstürmer mit ihren dicken Bäuchen haben mir die Hölle noch viel heißer gemacht.“
Es ist nun einmal im Leben so, wenn man glaubt, so macht man’s richtig, greift man meistens daneben, so ging es auch uns im Bataillon mit der Umänderung von Bekleidungsstücken. Auf der Batl. Kammer lagen eine große Anzahl von Litewken, die noch aus den Jahres 1903 bis 1906 stammten; die Kompagnien konnten sie nicht gebrauchen, weil sie für Soldaten in der Körpergröße von 1,84 - 2,00 m berechnet waren; es ließ sich also ein normaler Soldat von heute zweimal in eine Litewka einwickeln. Da nun aber im Herbst ökonomische Musterung sein sollte, mußten wir versuchen, diese alten Ladenhüter wegzubringen, oder wir hätten eine besondere Anerkennung von der Intendantur bekommen. Wir kamen also zwei Monaten vor Ausbruch des Krieges auf die glänzend dumme Idee, die großen Bekleidungsstücke alle umarbeiten zu lassen für die Körpergröße von 1,67 m. Dieses kostete der Kleiderkasse viel Geld; aber es wurde gemacht.

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Die Umarbeitung war gerade beendet, als der Krieg ausbrach und die Reservisten und Landstürmer sich mit wohl gepflegten Bäuchen bei mir auf der Kammer zum Einkleiden meldeten. Ich hätte bersten können vor Ärger über die umgearbeiteten Sachen; nun saß ich da und wußte nicht, woher ich die Bekleidungsstücke nehmen sollte für diese schlanken Herrn.

In meiner Not griff ich zu den alten blauen Zuglitewken, die noch auf der Depotkammer lagen; aber die schlanken Krieger mit einem Bauchumfang von 1,50 m bestürmten mich, ich möchte sie doch mit diesen blauen Litewken verschonen und ihnen eine graue heraussuchen; so möchten sich als Soldat noch einmal schneidig machen; es würde sich wohl noch in irgend einer Ecke eine passende herumtreiben; ich solle nur nicht so hartherzig sein. Mit Vergnügen wies ich diesen Herrn dann einen großen Stapel an und sagte, sie möchten ihr Glück versuchen; ich werde mich freuen, wenn sie etwas Passendes dazwischen fänden. Im Schweiße ihres Angesichts zogen sie dann ein Stück nach dem andern an; aber in den meisten Fällen kehrten sie enttäuscht zurück. Wir aber halfen uns dann damit, daß ich ihnen Stoff mitgab zum Einsetzen von Keilen; ferner rückten wir die Knöpfe so weit wie möglich nach vorne; so gelang es schließlich, für jeden etwas herauszufinden. Bemerken aber möchte ich noch, daß nicht weniger als 52 m Stoff, der 1,30 breit lag, alleine für Hosen- und Litewkenkeile verbraucht habe. Mit den Leibriemen hatte ich weniger Arbeit; ich gab den dicken Herrn zwei mit, die sie sich zusammennähen ließen, und die dann gerade so paßten. Ich aber habe an unsere Herrgott eine große Bitte, er möge nicht davor zum zweiten Male bewahren, Landstürmer und Reservisten

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mit solchen Bäuchen einzukleiden. Es gab aber Herren unter ihnen, die ein gewisses Mitleid mit mir hatten; denn ich komme eines Abends in die Unteroffziermesse, da sagt die Ordonnanz zu mir, es habe hier ein dicker Herr für mich einen Dollar hinterlegt, den ich vertrinken möchte. Wer der gütige und mitleidsvolle Spender war, weiß ich bis heute noch nicht. Aber es gab mehrere Herren, die ein gewisses Mitleid mit mir nicht unterdrücken konnten; so hatte ich auch die Ehre, einen Herrn Brauereidirektor in die schlichte Uniform eines Seesoldaten zu stecken; nachdem mir dieses mit einiger Mühe gelungen war, bot er mir 15 cts. Trinkgeld an mit dem Bemerken, ich möchte ein Glas Bier dafür trinken. Ich aber überlegte, ob ich ihn nicht ein paarmal die Treppe rauf und unter jagen sollte; er schien aber meine Gedanken zu merken, legte das Geld auf ein Stiefelregal und sagte dann schnell, vielleicht dürften meine Kammerarbeiter dafür ein Glas Bier trinken. Ich aber habe mit Rücksicht darauf, daß er ein Soldat war, von meinem Plane Abstand genommen.
Eines Tages wurde mir eine ganz besondere Überraschung zuteil. Ich war gerade im Begriff, meine Kammer zu verschließen, als ich nicht zwei Damen gegenüber sah, die den Bekleidungsfeldwebel suchten, wie sie sich ausdrückten. Als ich mich nun als solcher zu erkennen gab, brachten sie ihr Anliegen vor. Eine meinte, ihr Mann habe eine so schlechte Litewka erhalten, daß er sie unmöglich tragen könne, und da er selber keine Zeit habe, sei sie von ihm beauftragt worden, bei mir den Versuch zu machen, eine andere zu erbitten. Da ich einer Dame gegenüber nun einmal nicht so hartherzig sein kann, entsprach ich ihrem Wunsche, und sie versicherte mir, daß sich ihr Mann sehr freuen werde. Die andere Dame erbat sich einen halben Meter Stoff für einen Hosenkeil, auch diesem Wunsche kam ich nach, und ich bin überzeugt,

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daß mich beide in vollster Zufriedenheit verließen.
Wie ich schon erwähnte, ging die Einkleidung in mehreren Räumen vor sich; ich war in dem oberen Raume beschäftigt, während unten meine Arbeiter dabei waren, Landstürmer oder die 7. Komp. einzukleiden; dieses weiß ich nicht mehr genau. Plötzlich höre ich einen Mordsspektakel im untern Raum; ich gehe dorthin und sehe, daß unsere biederen Familienväter meinen Arbeiter einfach beiseite gedrückt hatten und dabei waren, sich selber Kleider rauszusuchen. Ich fuhr mit einem kräftigen, militärischen Ausdruck dazwischen, ließ sie in Reih und Glied antreten, stillstehen und versicherte ihnen, sowie einer den Mund auftun, bezw. sich unmilitärisch benehme, mit dem würde ich sofort zum Batl. Adjutanten gehen und um Bestrafung bitten. Dieses hatte den gewünschten Erfolg. Die alten Soldaten und Familienväter standen wie angemauert, und keiner verzog eine Miene; für mich aber war es eine Freude zu sehen, wie sich die altgedienten Soldaten sofort wieder ihrer Pflicht zu gehorchen bewußt waren.
Die Bekleidungsstücke fingen nun, obgleich doch so viel mehr vorhanden waren, als im Etat vorgesehen war, an, knapp zu werden, denn das Ostasiatische-Marine-Detachement war nur mit dem Notdürftigsten versehen von Tientsin nach Tsingtau gekommen und mußte aus unseren Beständen eingekleidet werden; dazu kamen unsere tapferen Bundsbrüder, die Österreicher, von S.M.S. „Kaiserin Elisabeth“, das Lazarettpersonal, die Matrosenartillerie brauchte Sachen, das Hafenamt benötigte Ausrüstungsstücke und noch viele andere Abteilungen, die dem III. Seebataillon nicht angehörten. So war es denn kein Wunder, daß sich bald überall großer Mangel fühlbar machte, ganz besonders in Stiefeln, Unterwäsche und Strümpfen. Im Verpflegungsamte waren zwar noch Bestände, die dem Kreuzergeschwader gehörten, aber

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unsere Intendantur war, wie man zu sagen pflegt, sehr hartleibig; den Grund hierfür habe ich bis heute noch nicht verstanden; er wird aber wohl dagewesen sein.
Unsere Mobilmachungsbestimmungen sahen nur eine Einkleidung von 1000 Mann vor; aber wohin wären wir gekommen, wenn nur für diese Anzahl Bekleidung- und Ausrüstungstücke da gewesen wären! Dank der sparsamen Kleiderwirtschaft eines jeden Truppenkörpers war es möglich, die doppelte Anzahl an Mannschaften einzukleiden.
Ein großes Über in Tsingtau während der Belagerung war der Mangel an Handwerkern,Schumachern und Schneidern. Die Handwerker in Tapatau waren sofort bei Ausbruch des Krieges davongelaufen; die Kompagnien benötigten ihre Handwerker selber; ich aber hatte für die Instandsetzung der reparaturbedürftig gewordenen Bedkleidungstücke der Reserveformation zu sorgen. Täglich kamen Wagenladungen von Stiefeln, die besohlt werden mußten, dazu kam das Umändern von Sachen für die dicken Herren; ich wußte oft nicht, wie ich es machen sollte. Mit Hilfe der Polizei und der Mission war es mir gelungen, noch drei Schuhmacher und zwei Schneider aufzutreiben; diese Kerle verdienten pro Tag je drei Dollar, und wir boten demjenigen von ihnen, der uns noch Schuster besorgen konnte, fünf Dollar extra; aber es waren keine mehr aufzufinden. Manchesmal stellten sich einige Rikschakulis ein, die sich als Schuhmacher ausgaben, aber kaum imstande waren, den Hammer richtig anzufassen, viel weniger noch eine Sohle aufzulegen.
Als die Beschießung von Land aus eingesetzt hatte, erhielt ich den Befehl, von sämtlichen Kammern die noch guten Sachen auf Lastautos nach Tsingtau zu fahren und sie dort im alten Seezollamte unterzubringen, weil zu befürchten stand, daß die Kasernen

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sehr unter der Beschießung leiden würden. Es sollte den Zweck haben, daß nach der Einnahme von Tsingtau jeder Soldat noch einen guten Anzug erhielt, den er mit in die Gefangenschaft nehmen sollte; aber leider wurden die meisten unserer tapferen Soldaten sofort aus den Schützengräben in die Gefangenschaft abgeführt und unsere Fürsorge für sie war vergebens. Es gelang uns aber noch, zwei Wagen voll Bekleidungsstücke nach Tapatung zu senden. Die Soldaten, die Tsingtau nach der Einname noch einmal sahen, konnten sich noch reichlich mit Kleidern versehen, mit Ausnahme der ganz Dicken; sie hätten vergebens gesucht.
Jeder von uns Tsingtau-Kämpfer hat seine Pflicht und Schuldigkeit getan, jeder an dem Platze, wohin er gestellt war, und ich werde mich gern der Tage erinnern, die mich die Bekanntschaft machen ließen mit unsern aus allen Gegenden des Ostens herbeigeeilten Reservisten und Freiwilligen. Auch werde ich die dicken Bäuche der Tsingtau-Master nicht vergessen; denn sie haben mir zu viel Kummer bereitet, besonders die Landstürmer.
Zimmermann.
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Einiges über die finanz. Lage der Kriegführenden

Die auf der beigefügten Tafel zu einem Vortrag im hiesigen Lager verwendeten Zahlen sind folgenden Quellen entnommen:
Frankfurter Zeitung
Deutsche Zeitung für China
New Yorker Staatzeitung
R. Kjellen: Die Großmächte der Gegenwart.
Perthes Taschenatlas 1914.
Mit Ausnahme der Kriegskosten sind die in einer vertikalen Rubrik genannten Ziffern gleichen Ursprungs, so daß

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sie beim Vergleichen ein verhältnismäßig richtiges Bild geben dürften. – Bei England ist allerdings zu berücksichtigen, daß sie für Aufbringung und Tilgung der Staatsschuld doch sehr ins Gewicht fallenden Kolonien nicht eingeschlossen sind, da Zahlen nicht erhältlich waren.
Auf unbedingte Richtigkeit können alle die Zahlen natürlich keinen Anspruch machen, wie ja denn überhaupt statistische Zahlen stets mit Vorbehalt und Vorsicht zu lesen sind.
Um ein Beispiel zu geben, mache ich mit Bezug auf die letzte Spalte (% vom Einkommen für Schulden erforderlich) darauf aufmerksam, daß in den verschiedenen Ländern eine mehr oder weniger großer Teil der Einnahmen zur Besteuerung überhaupt nicht herangezogen werden kann, weil die Leute „von Hand in Mund“ leben.
In Ländern wie Rußland, Türkei und Italien ist die Zahl solcher kleinen Einkommen verhältnismäßig viel bedeutender als in Deutschland, England und Frankreich. Die steuerfähigen Einkommen werden demnach allgemein schwerer belastet sein als die Zahl angibt und in ersteren Ländern prozentuell viel schwerer als in letzteren.
Jedenfalls zeigt die Tafel, daß wir in finanzieller Hinsicht die Kriegslasten zum mindesten ebenso lange werden tragen können wie unsere Feinde. –
Auch für die Zeit nach Friedensschluß ergibt sich ein für Deutschland verhältnismäßig sehr erfreuliches Bild.
Schwere Aufgaben werden freilich zu lösen sein, aber für uns, die wir nur so kurze Zeit mit der Waffe in der Hand unsere Pflicht haben tun können, ist es ein tröstlicher Gedanke, daß ein jeder nach Freidensschluß in einen neuen Kampfe um Größe und Weiterentwicklung des Vaterlandes seinen Mann zu stehen haben wird.
Jaspersen

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Erinnerungen an Siebenbürgen.

Infolge der gegenwärtigen Kriegsereignisse nimmt Siebenbürgen unser besonderes Interesse in Anspruch. Überdies wohnen dort Stammesbrüder, die als äußerste Vorposten des Deutschtums im Südosten der Donaumonarchie arbeiten. Da ich längere Zeit in Siebenbürgen zugebracht habe, wird es für die Kameraden von Interesse sein, wenn ich einiges aus persönlicher Anschauung erzähle.
Von Klausenburg brachte mich die Bahn nach Maros-Vasarhely. Schon der erste Eindruck war merkwürdig genug. Es war im März; Rauhreif lag auf den Feldern, und es war bitter kalt. Die nahen, mit Laubwald bestandenen Berge waren winterlich kahl. Er war gerade Jahrmarkt: die Masse der schwarzhaarigen Zigeuner in ihren zerlumpten, schmutzigen, blauen Gewändern, die in großer Zahl zum Markt strömenden Rumänen mit ihren hohen, dunklen Filzhüten und enganliegenden, schafwollenen Hosen, neben den im Joch gehenden Wasserbüffeln einherschreitend, die ihre Wagen mit den Markterzeugnissen heranführten, die schmucken Bauerweiber und Mädchen, der ungeheure Lärm auf den schlechten Straßen, das alles machte einen seltsamen, im Grunde wenig anheimelnden Eindruck. Ich glaubte damals nicht, daß es mir dort noch recht gut gefallen sollte. M.-Vasarhely ist ein Städtchen mit ungefähr 50 000 Einwohnern. Imposant ist das Rathaus im echten Szeklerstil und ausgedehnten Frescomalereien. Die ca. 50 m breite und lange Marktstraße, von meist einstöckigen Häusern flankiert, hat in ihrer Mitte einen bemerkenswerten, altertümlichen Brunnen.
Flußaufwärts kommen wir nach „Sächsisch Reen“, einen kleinen etwa 5000 Einwohner zählenden deutschen Städtchen. Nicht weit entfernt von Sächsisch Reen ist das Quellgebiet der Maros und

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des Alt, die „Gyergya“, ein hochromantisches, unwegsames Gebirge, es steigt bis zu 1800m an. Manche Teile des Gebirges sind derart unzugänglich, daß ihr Holzreichtum nicht verwertet werden kann und deshalb verfault. Daher werden die Flüsse in weitgehendem Maße zum Flößen benutzt. Die Gyergya ist ein an Bodenschätzen und Mineralquellenreiches Gebiet. Das Hunyadi Bitterwasser ist bekannt. Ein berühmtes Bad mit 12 kohlensauren Brunnen ist Borszek. Unweit der rumänischen Westgrenze gelegen, vereinigt es Höhenluft mit Naturschönheit. Die Straße führt von Toplicza an der Maros über einen 1300 m hohen Bergsattel, von dessen Höhe man das Bad inmitten des Tannenwaldes erblickt.
Die Bahn überschreitet von Toplicza aus die Wasserscheide der Maros und des Alt und läuft in dem breiten Tal des Alt nach Kronstadt, der Hauptstadt des Burzenlandes. Kronstadt ist am Fuße der Transylvanische Alpen gelegen; in unmittelbarer Nähe der Stadt erhebt sich die 900 m hohe „Zinne“, von der man einen prächtigen Ausblick über das ca. 12 deutsche Dörfer umfassende Burzenland hat. Die Stadt hat einen ganz deutschen Charakter; die Bevölkerung besteht allerdings aus einem Drittel Sachsen, einem Drittel Szeklern und einem Drittel Rumänen. Bemerkenswert ist das alte Rathaus in zum Teil gotischen Stil. Die Stadt macht einen sauberen Eindruck; die Geschäfte sind fast durchweg deutsch.
Eine neue Bahn führt bis Fogaras und dann das Alttal entlang nach Hermannstadt, der Hauptstadt Siebenbürgens. Auf einem Hügelrücken gelegen, bietet Hermannstadt wenig Bemerkenswertes. Die Bevölkerung ist gemischt, die Mehrzahl deutsch. Bemerkenswert ist das in nächster Nähe gelegenen Bad Salzburg, von einem ungarischen Magnaten auf einem verlassenen Salzbergwerk errichtet. Ein Badeteich enthält vollkommen gesättigtes Salzwasser. Zu den Bodenschätzen S.’s gehört hauch das Erdgas. Die Quelle an

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der Bestritzer Bahn strömt mit einem Druck von 46 Atm. ins Freie. Sie wurde wohl bei der Auffindung gefaßt, da jedoch in der Umgebung keine Fabriken sind und die Quelle wegen der ungewissen Dauer des Gasstromes keine Industrie anlockte, entströmt das Gas unbenutzt. Laut „Tägl. Rundschau“ hat nun die deutsche Bank ein Unternehmen zur Gasverwertung finanziert.
Die Bevölkerung S.’s beträgt ungefähr 56% Rumänen, 33% Szekler und 9% Deutsche. Die Rumänen wohnen meist für sich in Dörfern beisammen. In Dörfern mit gemischter Bevölkerung pachten die meist ärmeren Rumänen von dem in jedem Dorfe ansässigen Magnaten Land, das sie dann unter gegenseitiger Aushilfe bebauen. Der Rumäne lebt äußerst einfach. Das gelbe Maisbrot mit grünen Zwiebelrohren, Paprikaschoten und Paprikaspeck bildet sein Hauptnahungsmittel; Fleisch ißt er nur an Festtagen. – Die Hauptbelustigungen bilden die leidenschaftlichen Volkstänze. Die Kleidung der Rumänen besteht aus schafwollener weißer Hose mit weißem Leinenhemd, das sauber gefaltet und gebügelt hinten etwa 15 cm breit heraushängt. Als Fußbekleidung haben sie Zugschuhe aus Leder, von derselben Form wie die Schuhüberzüge, die der Europäer beim Betreten eines japanischen Hauses benutzt. Eine dunkle Jacke und ein hoher Filzhut vervollständigen die Kleidung. Ihr Glaubensbekenntnis ist das griechisch-katholische. Überall findet man ihre oft reichen Kirchen, deren Bauweise der bei den russischen Kirchen bekannten ähnlich ist. Die Popen haben eine verhältnismäßig große Macht über ihre Gemeindeglieder, die sie trefflich auszunutzen wissen.
Die Szekler gehören dem Stamm der Magyren an, unterscheiden sich jedoch von den Magyaren, die die Pussta bewohnen, in Sitten und Kleidung. Sie bewirtschaften das Land als Bauern. Ihre einstöckigen Häuser sind mit gefugten Schindeln bedeckt; unter dem vorspringenden Dache hängen die Kukuruz- (Mais) Kolben

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zum Trocknen. Mais bildet auch ein wichtiges Nahrungsmittel. Das Hauptgetränk ist selbstgekelteter Wein. Tanz ist wie bei den Rumänen die Hauptbelustigung; zu diesem Zweck findet man in jedem Dorfe einen überdachten Bretterboden, wo bei Zigeuermusik ein Tsardas nach dem andern getanzt wird. Die Szekler tragen ebenso wie die Rumänen schafwollene Hosen und Leinenhemd; jedoch tragen Männer wie Frauen Schafstiefel. Hosen und Jacke sind mit Husarenschnüren versehen. Die Mehrzahl der Szekler gehört der reformierten Kirche an. Eine charakteristische Erscheinung sind die Zigeuner. Sie stellen die Musikanten des Landes. Überall, wo gefeiert wird, erscheinen sie, um aufzuspielen. Durch Gesetz sind sie jetzt an ihre aus Erdhütten bestehende Wohnorte gebunden. Landwirtschaft treiben sie nur, um ihren Bedarf zu decken. Die Schweinezucht steht jedoch bei ihnen in hoher Blüte. Ställe kennen sie nicht; darum wohnt alles unter einem Dach. Tagsüber werden Schweine gehütet; abends im Frack aufgespielt.
Die Einwanderung der Siebenbürger Sachsen begann schon um das Jahr 943. Unter König Geisa II. kamen dann 1150 noch mehr Siedler aus dem Mosellande, Luxemburg und den angrenzenden Teilen der Rheinprovinz in ihre jetzige Heimat, in die Täler der Maros, Szamos und Bistriz. 1211 besiedelte dann Andreas II. durch den deutschen Orden das Burzenland mit Kronstadt. Die Rechte der deutschen Siedler wurden in königlichen Freibriefen niedergelegt. Auch außerhalb des Königsbodens siedelten sich die Sachsen in den Szeklerstädten an und brachten Handel und Gewerbe zu hoher Blüte. Ihr Dialket{=Dialekt} klingt an die niederdeutsche Sprache an.
H.

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Nachruf.

Am 8. November fand die Beisetzung des Seesoldaten
Arthur Lauenstein,
Ersatzreservist der 6. K. des III. S. B.

auf dem Russenfriedhof oberhalb des Tempels Raikoji statt. Eine kurze schwere Krankheit hat uns den lieben Kameraden, der im 29. Lebensjahre stand, plötzlich entrissen. Wir verloren in ihm einen treuen Freund, einen guten Kameraden und einen tüchtigen Soldaten, der sich unserer Achtung und Zuneigung in weitgehendstem Maße erfreute.
Gerade am Tage vor der zweijährigen Wiederkehr des Falles von Tsingtau wurde unser Kamerad zur großen Armee abberufen. Mit Begeisterung war er seinerzeit von Tschemulpo nach Tsingtau geeilt; mit echtem soldatischen Sinn hat er seinen Beruf als Soldat ausgefüllt, bis ihn das traurige Los der Gefangenschaft ereilte.
Anfangs Oktober zwang ihn eine tückische Krankheit auf das Krankenlager, an dem ihn liebe Kameraden in seinem letzten Tagen beigestanden haben.
Der Heimgegangene hinterläßt einen Vater in Hamburg und zwei ältere Brüder, von denen der eine auf Malta als Zivilgefangener interniert ist, während der andere an den ruhmreichen Kämpfen unserer Ostafrikaner teilnimmt.
Trotz großer Schwierigkeiten haben wir dem Verstorbenen nach deutschem Bruch das letzte Geleit geben können, und wir sind dankbar, daß wir unserem dahingegangenen Kameraden wenigstens diesen kleinen Liebesdienst haben erweisen können.
Die Asche des Heimgegangenen ruht an einem schönen und ruhigen Platze und wird bei Friedensschluß der Heimat zugeführt

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werden.
Für die in allen Lagern herrschende Teilnahme sowie die reichen Kranzspenden sei an dieser Stelle Dank gesagt.
Ehre seinem Andenken!
Buttersack,
Hauptmann und Komp. Führer.

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