Lagerfeuer
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LFD.NR.39
Matsuyama, Sonntag, den 22.X.16.
Matsuyama
V.Teil.
1.GEWERBE u. Handel.
2.STAATLICHE u. STÄDISCHE EINRICHTUNGEN.
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Gewerbe und Handel
(Verkehr)
Landwirtschaft.
Nachdem wir die sittlichen und religiösen Zustände unter der Bevölkerung beobachtet haben, wollen wir uns jetzt ihre Arbeit etwas näher ansehen.
Im allgemeinen ist Japan heute noch ein Agrarstaat. Von seinen 52 Millionen Einwohnern treiben zurzeit 40 Millionen, oder fast 77% der Gesamtbevölkerung Ackerbau. Es muß allerdings bei dieser Zahl hervorgehoben werden, daß ein großer Teil der Landbevölkerung sich nebenher auch noch mit industriellen Erzeugungen wie: Seide, Tee, Sake usw. befaßt.
Wie wir täglich beobachten können, ist die Landwirtschaft im Vergleich zu unserer Heimat durchaus verschieden. Die große Regenmenge in Verbindung mit einer intensiven Feuchtigkeit bewirkt eine außerordentlich üppige Vegetation, dank deren 2/5 der Bauern Altjapans mit 2 Ernten, im Süden, - wie hier auf Shikoku - sogar teilweise mit 3 Ernten rechnen können. Dieser Umstand ist sehr wesentlich, denn sonst würde das Land nicht annähernd den Bedarf decken, den es für seinen Unterhalt braucht. Der Grund hierfür ist in dem außerordentlich gebirgigen Charakter des Landes zu suchen, der nur eine Bebauung von 61000 qkm = 15% des Gesamt-Areals gestattet. (Deutschland und Österreich 57,75%).
Japanische Fachleute haben berechnet, daß bei Urbarmachung alles Landes bis zu 15 Grad Neigung noch weitere 40 000 qkm = 11% der Kultur nutzbar gemacht werden können. Die Frage, ob dieses Gebiet für die Hauptnahrungsquellen: den Reisbau erschlossen werden kann, lassen die Statistiker in den japanischen Jahresbüchern allerdings offen. Wahrscheinlich wird man sie aber verneinen müssen, denn sonst würden die Japaner wohl schon längst mit der Kultivierung dieses Gebietes begonnen haben, statt Jahr für Jahr große Mengen Reis aus dem Auslande zu beziehen.
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So z.B. Importierte Japan im Jahre 1913 für rund 100 Millionen M 544 000t Reis- 8,7% der Eigenproduktion (50 255 000 Koku = 6 285 000 t). Der Gesamtverbrauch der Nation ergibt daher bei prozentualer Berechnung 130 kg Reis auf den Kopf der Bevölkerung. Diese Menge erweist sich als äußerst gering im Vergleich mit Deutschland, das für Brotgetreide: Weizen und Roggen 233 kg bei entsprechender Berechnung benötigt.
Ob die japanischen Angaben auf absolute Richtigkeit Anspruch machen können, muß erfahrungsgemäß bezweifelt werden. Die Fehler in den japanischen Statistiken sind oft zu augenfällig, als daß man ihnen stets Glauben schenken könnte! Auch geht aus den japanischen Angaben nicht hervor, ob die Reisausfuhr Koreas und Formosas (Summe: 7 Millionen Koku) nach Japan zur Einfuhr oder zur Eigenproduktion gerechnet sind. Im letzteren Falle würde der Fehlbetrag im eigentlichen Japan auf etwa 19% steigen.
Für die Zukunft wird sich jedenfalls die Frage der Volksnährung, be sonders für den Fall eines Krieges mit einem zur See überlegenen Gegner noch mehr zuspitzen, denn einerseits vermehrt sich die Bevölkerung des Landes recht erheblich (etwa 1,20%) und andererseits scheint es ausgeschlossen, daß für den Reis als Volksnahrungsmittel ein Ersatz geschaffen wird.
Da ferner für die Hälfte des gesamten anbaufähigen Landes nur der Reis in Frage kommt, so erweist sich ohne weiteres, in welch großen Gefahr das Land im Fall einer Mißernte geraten kann, und wie es hinsichtlich seiner Ernährung gleich seinem englischen Verbündeten schon heute vom Auslande abhängig ist.
Den Anbau des Reises haben wir in unserer unmittelbaren Umgebung oft beobachten können. Da die Bauern Jahr für Jahr die Felder in derselben Weise bestellen, so müssen sie einen sehr ausgiebigen Gebrauch von der Düngung machen. Als solche verwenden sie neben menschlichen Fäkalien: Ölkuchen, Knochenasche, Phosphate und Fischguano.
Bekanntlich ist der Fischreichtum des Insellandes so erheblich, daß ihn seine
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Bewohner nicht vertilgen können. Daher wird ein großer Teil der Fänge zu dem für uns ungenießbaren Fischöl verarbeitet, während die getrockneten Überreste gemahlen werden und als Kunstdünger Verwendung finden. Trotzdem erscheint die Düngung unzureichend, denn die Intensität des japanischen Ackerlandes bleibt weit hinter der deutschen zurück. So z.B. trägt
ein Hektar in Deutschland: 24 Doppelzentner Weizen - - in Japan 14
oder 22 Doppelzentner Gerste - - - in Japan 19
159 Doppelzentner Kartoffel - - in Japan 100
Nach den japanischen Jahrbüchern verwendet Japan jährlich 49,6 Millionen Yen für Kunstdünger, während Deutschland nach Naumann (Mitteleuropa) für den gleichen Zweck 600 Millionen M ausgibt.
Die Reispflanzungen in der Umgebung Matsuyamas sind ausnahmslos Sumpffelder, die aus meist uralten Anlagen bewässert werden. Vor dem Tempel Raikoji befindet sich eine typische Stauvorrichtung für diesen Zweck. Unter den 4000 Reisarten, die in Japan angebaut werden, gibt es aber auch zahlreiche, welche gleich unserem Getreide in der Heimat nur auf trockenen Feldern fortkommen. Der Ertrag des Anbaues beträgt das 30-100 fache der Aussaat. Von einem Hektar werden in der Regel 56,4 Zentner Reis geerntet. Der japanische Reis ist der beste, den es überhaupt gibt, und steht ziemlich hoch im Kreise. Daher wurden in den letzten Jahren für etwa 10 Millionen M = 0,47 der Gesamtproduktion jährlich ausgeführt, während die Landbevölkerung häufig mit dem weit billigeren und schlechteren indischen, indochinesischen oder siamesischen Reis vorlieb nimmt.
Nächst diesem kommen "Gerste" und "Weizen" als die Hauptnahrungsprodukte in Frage. Ihr Gesamtertrag beträgt etwa 2/5 der Masse, welche der Reisbau hervorbringt (22 Millionen Koku), deckt aber bei weitem nicht den Gesamtverbrauch der Nation, die auch hier bedeutende Quantitäten importieren muß. Anbau und Ernte haben wir beobachten können, bevor die Reisstöcklinge gepflanzt und die Reisfelder unter Wasser gesetzt werden. Endlich bleibt noch eine ganze Reihe anderer weniger wichtiger Nahrungsmittel
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zu verwähnen, wie Hirse, Mais, Buchweizen, Soyabohne, Batate und Kartoffel, welche gelegentlich der Besprechung der Pflanzenwelt Erwähnung getan wurden.
Im allgemeinen haben wir auf allen unseren Spaziergängen feststellen können, daß die Japaner ihr Land sehr sorgfältig und zweckmäßig anbauen. Große Güter sind in Japan selten. Alles Land ist parzelliert und gleicht hinsichtlich seiner Anpflanzungen unseren heimischen Gemüsegärten. Die landwirtschaftlichen Maschinen sind noch sehr wenig eingebürgert. Es dürfte im Interesse der japanischen Landwirtschaft liegen, die Produktionskraft ihres Bodens zu heben und die Arbeitskräfte ökonomischer zu verwenden. Wie notwendig ein Wandel auf diesem Gebiet ist, erhellt auch daraus, daß bei einer Verteilung des gesamten Kulturlandes auf die Einwohner Japans auf den einzelnen nur 41,5 qm kommen, während z.B. in Deutschland und Österreich-Ungarn 72 qm bei gleicher Berechnung erzielt werden. Ein großer Teil der Bauern würde auch nicht annähernd sein Auskommen erwerben können, wenn ihm nicht die Seide- und Teeproduktion zur Hilfe käme.
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Seide
Seide, welche etwa im 4. Jahrhundert n. Chr. von Korea nach Japan eingeführt wurde, ist seit der Restauration eine der Hauptquellen des nationalen Wohlstandes geworden. Von 633 Millionen Yen 1913 für den Gesamtexport entfallen 239 Millionen oder 37,8 % auf die Seidenausfuhr, welche etwa 28 % des Weltverbrauchs deckt. Damit steht Japan unter den Seidenproduzenten am erster Stelle. Der größere Teil des Erzeugnisse (70-80%) ist von grober Qualität, da Amerika, das 3/5 der japanischen Produktion beansprucht, diese Sorte vorzieht, während die besseren Artikel nach Frankreich und Italien verschifft und dort in einer für den Europäer geeigneten Weise verarbeitet werden. Die Art des Versandes ist verschieden. Man unterscheidet zwischen Rohseide und Seide gespult in Fäden,
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Strängen, als Kokons oder als Abfallseide. Auch verarbeitete Fabrikante gewinnen eine zunehmende Bedeutung. Die Haupt-Maulbeerpflanzungen (5371 qkm), deren Blätterertrag die Nahrung für die Seidenraupe bildet, befindet sich im mittleren Japan etwa rings um Tokio.
Immerhin sind die Kulturen auf Shikoku nicht so unbedeutend. Erzeugt doch unser Ehime-Ken allein für 2 Millionen Yen Seidenfabrikate. Leider haben wir in der Umgebung Matsuyamas keine Zuchten kennen gelernt. Vielleicht bietet sich aber dem einen oder anderen Gelegenheit, bei einem Besuche des hiesigen Ken-Museums oder der landwirtschaftlichen Schule einmal seine Aufmerksamkeit auf Japans wichtigsten Exportartikel zu richten.
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Tee.
Im Gegensatz zur Seidenkultur, welche eine so ungeheure Ausbreitung auf dem Inselgebiete erfahren hat, blieb der an zweiter Stelle stehende Ausfuhrartikel der Landwirtschaft: "der Tee" auf seiner alten Entwicklungsstufe.
Die Teepflanze, ein unserer Kamelie ähnelndes Gewächs, soll um 800 n. Chr. durch die Buddhisten nach Japan gelangt sein, wo sie sich bis auf den heutigen Tag der größten Beliebtheit im Volke erfreut. Wir Europäer ziehen jedoch den indischen oder chinesischen Tee dem grünen, eigenartig schmeckenden, japani-schen vor, dessen Produktion überdies mit 50 % mehr Kosten verbunden ist als sämtliche andere Marken.
In Summa exportierte Japan 1913 für 12,7 Millionen Yen seines grünen Tees, der zu etwa 90% noch den Vereinigten Staaten verschifft wird. Die Hauptanbau-gebiete befinden sich zwischen Tokio und Kioto. Die Art der Anpflanzungen, Ernten und Verarbeitungen haben wir seiner Zeit auf der landwirtschaftlichen Ausstellung in Dogo kennen gelernt. Leider haben wir dieses wichtige Erzeugnis nicht in freier Natur entstehen sehen. Lediglich neben dem Tennisplatze im Yamagoelager befindet sich
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eine kleine Anpflanzung. Auf Shikoku wird der Tee nur vereinzelt in unbedeutenderen Kulturen angebaut. In der Umgebung unsere Stadt befinden sich Teekulturen lediglich in der landwirtschaftlichen Schule, welche wir wohl später einmal besichtigen können. -
Hinsichtlich der übrigen landwirtschaftlichen Erzeugnisse verweise ich auf den beiliegenden Plan (Tafel 1). Der Leser ersieht aus den eingezeichneten Signaturen diejenigen Stätten, an denen neben obigen Produkten: Baumwolle, Kartoffel, Obst usw. angebaut werden.
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Viehzucht.
In den letzten Jahren hat sich unter der Landbevölkerung auch die Viehzucht ganz außerordentlich gehoben. Naturgemäß ist diese in erster Linie an die nörd-lichen Distrikte gebunden, da dort ausgedehnte Weideplätze vorhanden sind. Im mittleren und südlichen Japan sind Reis- und Getreideäcker vorherrschend, und Pferd und Rind kommen meist nur als Arbeitstier zur Verwendung. Immerhin hat uns die landwirtschaftliche Ausstellung des Ehime-Ken, welche alle paar Jahre stattfindet, gezeigt, daß die Bauern den Anregungen der Regierung Rechnung tragen und in der Zucht guter Pferde und Rinder in gegenseitigen Wettbewerb treten.
Besonders die
Pferdezucht
wird noch für lange Zeit die ernsteste Sorge der japanischen Regierung hervorrufen. Japan ist kein Pferdeland und hat von jeher eine verständige Pferdezucht nur an ganz vereinzelten Stellen getrieben. Infolgedessen hat es auch im Japanisch-Chinesischen wie Russisch-Japanischen Kriege die denkbar schlechtesten Erfahrungen mit seinem Pferdematerial gemacht, und es wird noch sehr lange dauern, bis die Japaner diesem Übelstande abgeholfen haben werden.
Die einheimische Zucht gehört im allgemeinen der mongolischen Rasse
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an. Vor etwa 300 Jahren wurde persisches Pferdematerial zwecks Kreuzung mit dem einheimischen Typ in recht umfangreichem Maße importiert. Während der langen Abgeschlossenheit des Landes unter den Tokugawas war die persisch-mongolische Mischrasse die vorherrschende.
Nach der Restauration ging man neben der allgemeinen Reorganisation des Landstreitkräfte auch an die Erwerbung eines kriegsbrauchbaren Armeepferdes. Einerseits kaufte man viel fremdes Material auf, andererseits aber suchte man den einheimischen Schlag durch Kreuzungen mit ostpreußischen, englischen, australischen und russischen Typen zu verbessern. Das aus diesen Zuchten hervorgegangene Material beträgt heute bereits 1/3 des gesamten Pferdebestandes (1,6 Millionen). Das ersehnte Ziel ist jedoch noch nicht erreicht worden. Die besten Pferde, welche in der Hauptsache durchweg der Armee angehören, sind zu schwerfällig, zu schwach und zu wenig ausdauernd, als daß sie als Patrouillen- oder Attackenpferdbezw. als Artilleriepferd den Anforderungen genügen könnten. Damit ist aber die Leitungsfähigkeit der berittenen Waffen wie überhaupt der Erfolg eines Bewegungskrieges in Frage gestellt.
Seit dem Jahre 1906 suchte die japanische Regierung die weite Öffentlichkeit für die Pferdefrage zu interessieren. Sie veranlaßte Rennen und übte hinsichtlich der Hauptanziehungskraft derselben, den Wetten die weitgehenste Nachsicht. Als aber noch zwei Jahren die Regierung dem etwas ausartenden Totalisatorwesen durch schroffes Verbot ein Ende machte, erlahmte wieder alles Interesse, und der Pferdesport hörte bald gänzlich auf zu existieren.
Zurzeit ist die Regierung dabei, anglo- arabische Hengste einzuführen und durch Mischung dieses Types mit dem einheimischen Schlage ein brauchbares Material zu züchten. Trotzdem vermißt man aber auch heute noch - von einigen Ausnahmen abgesehen - eine zielbewußte Zucht. Man versucht bald dieses bald jenes, ohne sich die Erfahrungen des Westens zu Nutze zu machen. Die japanischen Züchter importieren zu viel Pferdeschläge, anstatt wenige,
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aber geeignete Typen einzuführen. Hätte man die Züchter etwas mehr durch entsprechende praktische Belehrung und scharfe polizeiliche Maßregeln in die richtigen Bahnen gelenkt, so wäre mit dem aufgewandten Gelde sicher vielmehr in der Pferdezucht erreicht worden als bisher (Dr. M. Müller).
Ob es der Armee allerdings gelingt, die angeborene Verständnis- und Talent-losigkeit des Volkes für das Reiterliche zu beseitigen, muß zum mindesten als sehr fraglich erscheint. -
Die auf der Ausstellung zu Dogo (15.X.1915) zur Schau gestellten Pferde gewährten uns für die eben gemachten Ausführungen kein typisches Bild. Neben einzelnen, ganz guten Exemplaren sahen wir meist schwache und wenig schön gebaute Tiere, bei denen insbesondere die schmale, wenig bemuskelte Hinterhand auffiel. Ein abschließendes Urteil konnten wir auf Grund des Gesehenen nicht aufstellen. Dazu war der ohne alle Unterlagen unternommene Besuch zu flüchtig. Leider ist es mir auch bis heute nicht gelungen, Material zu beschaffen, auf Grund dessen man die tatsächlichen Pläne der japanischen Regierung hinsichtlich der Pferdezucht studieren könnte.
Dr. Müller sieht in einem Huntertypus das Ideal der japanischen Pferdezucht und empfiehlt als die beste Blutmischung für ein Gebrauchspferd 50-70% englisches Vollblut und 50-30% Hokkaido- oder Nambu-Ponyblut. -
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Zucht des japanischen Hornviehs
Die Zucht des japanischen Hornviehs steht auf einer ähnlichen Stufe. Auch hier sucht die Regierung den alten, einheimischen Typus durch Einführung fremder Rassen und durch Kreuzungen dieser mit den vorhandenen Beständen zu verbessern. Bei letzteren unterscheidet man drei Arten: eine „schwarze mit weißen Flecken“, eine „braune“ und eine „scheckige mit schwarzen und weißen Flecken“. Letztere soll von Holländern eingeführt worden sein, mit denen die Japaner bekanntlich seit 1600 in enge Handelsbeziehungen getreten waren. In den letzten Jahren machten die Japaner zahlreiche Versuche mit Kreuzungen zwischen dem eingeborenen Typus und den
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englischen Zuchten: Shorthorn, Devon und Ayrshire.
Nach zahlreichen Versuchen ging man aber in jüngster Zeit dazu über, neben diesen Typen auch holsteinische, ost- und westpreußische Holländer, braun-schweizerische und Simmentaler Zuchten einzuführen.
Trotzdem bemerken wir wie bei der Pferdezucht, auch hier ein unsicheres herumtasten ohne ein klares Ziel. Zudem ist die Zahl des vorhandenen Hornviehs äußerst gering und entspricht nicht den zur Verfügung stehenden Futterweiden. Die Folge ist ein relativ hoher Preis des Fleisches, welches somit für die weniger begüterten Volkskreise als Nahrungsmittel überhaupt nicht in Frage kommt. Zur-zeit kostet 1 Pfund gewöhnliches Rindfleisch 19 Sen = 0,42 M. während bessere Fleischsorten wie Lende, Rücken usw. für 27 Sen = 0,60 M zum Verkauf gelangen.
Noch auffallender ist der außerordentlich hohe Milchpreis, der den geringen Milchkonsum in Japan erklärt.
Die Milch ist hier wie Medizin und wird in kleinen Go-Flaschen (180,39ccm.) à 3 Sen oder 16,6 Sen = 33 Pfennig pro Liter verkauft. Das ist natürlich ein Preis, der den Milchgenuß für die große Masse des Volkes ausschließt. Dieser Umstand ist um so unverständlicher, als es tatsächlich eine große Anzahl Bauern (besonders im Hokkaido) gibt, die einen großen Teil Milch zu liefern imstande wären, wenn sie die Möglichkeit besäßen, auf Grund geeigneter Verbindungen ihre Produktion an den Markt gelangen zu lassen. Statt dessen ist das Land genötigt, jährlich für ca. 5 Millionen M Milch, Butter und Käse vom Auslande zu importieren. Die wenigen geeigneten Zuchten, die geringen Absatzmöglichkeiten und die unfachmännischen Anlagen haben naturgemäß die Rentabilität der meisten ins Leben gerufenen Güter u. Molkereien in Frage gestellt. -
An unserem Platze ist die "Matsuyam-Kommandit-Gesellschaft" (Matsuyama GyunikuGoshiKaisha) der bedeutendste landwirtschaftliche Betrieb. Ihre Molkerei verfügt über etwa 120-130 Kühe und liefert unseren Lagern den Bedarf an Milch und Yoghurt. Die nächstfolgende Firma
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ist "Narimatu" mit etwa 40 Kühen. Außerdem gibt es noch zahlreiche ganz kleine Unternehmungen.
Die Ausstellung in Dogo gewährte uns einen Einblick in de Hornviehzucht des hiesigen Ken, in dem die Zucht von Körbullen eben an zu stehen scheint.
Trotz aller Anstrengungen, welche die Regierung durch die Anlage von staatlichen Ankörungen, durch Veranstalten von Ausstellungen, durch Verteilen von Preisen und durch landwirtschaftliche Schulen gemacht hat, ist der gesamte Viehbestand Japans heute immer noch sehr gering. Esel, Maulesel, Schweine, Zigen und Schafe gab es früher überhaupt nicht, während heute der Besitz des Landes an solchen Tieren allenfalls als sehr bescheiden bezeichnet werden kann.
Die Fleischnahrung ist eben in Japan immer noch zum großen Teile ungebräuchlich und nimmt sehr langsam zu. Schmerzlich ist es den Japanern vor allem, daß die Schafzucht so gänzlich fehlgeschlagen ist. Die in die Wege geleiteten Zuchten redeten größtenteils mit einem Mißerfolge, verursacht durch einen Parasiten, der Erscheinungen hervorrief, die mit Darmtuberkulose Ähnlichkeit zeigten. Die Wollerzeugung ist daher gleich Null. Da auch die Baumwolle nur sehr geringe Resultate gezeitigt hat (1913=774 000 kw.), so ist Japan gezwungen, recht umfangreiche Massen dieses Bedarfsartikels einzuführen, um seine recht weit verbreitete Textilindustrie zu befriedigen. Im Jahre 1913 importierte es für 233 599 000 Yen Rohbaumwolle und für 15 997 000 Yen Rohwolle, welche beide zum größeren Teile in der Heimat selbst verbraucht wurden (Gesamtimport Japans: 730 Millionen Y).
Unser Ehime-Ken, welches wohl für ganz Japan ein gutes Durchschnittsbild repräsentiert, betreibt in der Hauptsache Ackerbau (siehe Tafel 2). Seine Produktion beläuft sich auf 24 230 000 Yen. Das Stadtgebiet hingegen beschäftigt sich hauptsächlich mit der Verarbeitung der auf dem Lande gewonnenen und importierten Produkte (Siehe Tafel 3). Von den sämtlichen Einwohnern widmen sich nur 324 der Landwirtschaft, und auch diese
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betreiben zum großen Teil noch etwas anderes nebenher. Wenn der bekannte Nationalökonom Karl Rathgen in seinem Werke über Japan sagt: „Japan ist das Land der Handwerker und Krämer“, so sehen wir diese Charakteristik in unserer Stadt besonders typisch in Erscheinung treten.
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Immerhin können wir auch hier feststellen, daß neben dem Ackerbau auch
Handel und Industrie
einen achtungsgebietenden Platz einnehmen. Bevor wir diese beiden Gebiete betrachten, müssen wir uns vergegenwärtigen, daß nach einem regen Handel des 16. Jahrhunderts der dritte Tokugawa:Iemitsu das Land nach außen abschloß und jeden Handel mit dem Auslande verbot (1624). Er fürchtete, daß das Land durch eine Ausdehnung seiner Wirtschaftspolitik in den Interessenkreis fremder Länder hineingezogen und dadurch seiner Selbständigkeit beraubt werden könnte. Nur den Holländern wurde die kleine, der Stadt Nagasaki vorgelagerte Insel Deshima einge-räumt, von wo aus sie mit dem Inselvolke ihre Handelsbeziehungen fortsetzen konnten. Die Dschunken der Schiffer durften eine festgesetzte Größe nicht über-schreiten und kein Japaner erhielt die Erlaubnis, das Land zu verlassen. Zudem taten die Zentralregierung und die Daimyos alles, um den Handel zu unterbinden. Es herrschte eben ein aristokratischer Militarismus, der den Kaufmann auf eine unter dem Bauern stehende Stufe verwies. Noch heute teilt de Matsuyama-Chronik die hiesige Einwohnerschaft in 12 000 Samurais und 33 000 Bürger ein. Unter jenen Umständen war es natürlich, daß der Handel jede Bedeutung verlor. Die Industrie war ausschließlich Hausindustrie und stand in Verbindung mit der Landwirtschaft. Seit der Öffnung des Landes (1867) hat sich nun der Handel wieder außerordentlich entwickelt.
Von 26 246 000 Yen im Jahre 1868 stieg die Ausfuhr
auf 632 460 000 Yen im Jahre 1913.
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Trotzdem zeigt Japan heute noch eine auffällige ökonomische Schwäche. Der Handelsumsatz ist weitaus der geringste, den eine Großmacht überhaupt aufzu-weisen hat. Seinem Charakter nach europäisch, mit Unterbilanz, dominieren auf der Importseite Rohprodukte, während auf der Exportseite Fabrikwaren stark hervortreten. Auch den Kopf berechnet beträgt der Umsatz nur 1/3 von dem Italiens, welchen man bereits als recht geringfügig im Vergleich zu anderen Groß-staaten ansehen muß (Kjellèn: Die Großmächte der Gegenwart").
An der Spitze der Landeserzeugnisse steht die Textilindustrie, deren Hauptzweig von den bereits erwähnter Seidenspinnereien gebildet wird. Neben ihnen hat die Baumwollindustrie trotz der geringen Produktion an Rohstoffen eine große Verbreitung erfahren. Im Jahre 1913 exportierte Japan für über 107 Millionen Yen Baumwollfabrikate, während 54% dieser Produktion im eigenen Lande auf den Markt gelangten.
Alle übrigen Industrien haben bis heute keine große Bedeutung erlangt, wenn-gleich sich nicht leugnen läßt, daß sie in stetigem Wachsen begriffen sind. Es fehlt eben dem Japaner das "Schöpferische" in seinen Fabrikaten. Er kann wohl sehr gut imitieren, aber er wird wohl niemals in technischen und chemischen Waren den Europäer oder Amerikaner verdrängen können. Außerdem mangeln dem Japaner Geduld und Ausdauer bei der Arbeit. Die Unternehmer zeigen zu starke Spekulationssucht und unentwickelte Handelsmoral.
Japans bester Kunde nach den Vereinigten Staaten ist China. Seine Ausfuhr nach diesem Lande besteht aber außer Baumwollfabrikaten lediglich aus Streich-hölzern, Regenschirmen, Hüten, Knöpfen und anderem Tand. Die Japaner werden also dem deutschen Handel in China schwerlich sehr gefährlich werden können (Kähler). Von Deutschland bezog Japan im Jahre 1913 für 68.4 Millionen Yen Waren, die hauptsächlich aus Eisen, Maschinen, Farben, Wollgarnen, Schienen und Papierfabrikaten bestanden.
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Umgekehrt verkaufte Japan an uns für 13 Millionen Yen Kupfer, Holz, Hutgeflechte, Kampfer, Menthol-Kristalle, Knöpfe und einige weniger bedeutende Artikel.
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„Die Verbreitung von Handel und Industrie im Ehime-Ken“
zeigt uns am besten die graphische Darstellung auf Tafel II. Das vorherrschende Gewerbe ist - wie oben erwähnt - der Ackerbau, welcher 62,5% der Bevölkerung ernährt. Mit einer Produktion im Werte von 24,23 Millionen Yen überragt er die Erträgnisse sämtlicher anderer Gewerbe, ausgenommen den Handel. Dicht auf dem Fuße folgt ihm die Industrie, deren Produktionskraft die der Ackerbaus fast erreicht, während Fischfang und verschiedene andere Gewerbe recht erhebliche Summen abwerfen.
Tafel II zeigt auch die Einzelproduktion im Bilde. An der Spitze aller Erzeugnisse stehen Reis und Sake. Dann folgt die Textilindustrie, welche, wie bereits angedeutet, fast durchweg eingeführtes Rohmaterial verarbeitet. Unter den übrigen Produktionen hat die Steingutindustrie (Toki) viele Freunde unter uns gefunden. Sie wird ausnahmslos in Tobe hergestellt. Tafel I.
„Die Erzeugnisse Matsuyamas“ sind auf Tafel III zusammengestellt. Handel und Industrie sind von nur mäßiger Bedeutung. In der ganzen Stadt soll es nur einen Yen-Millionär, den Bankier Nakada, geben. Auch im Stadtgebiet bildet der Reis das Haupthandelsprodukt, während die Textilerzeugnisse den zweiten Platz einnehmen. Die übrigen Spalten derselben Liste lassen Matsuyama als eine typisch japanische Stadt erscheinen, in der zahllosen Händler und Krämer ihren Lebensunterhalt erwerben. Der Export nach dem Auslande ist minimal. Der größte Teil der Handelsartikel verbleibt im Kenbezw. im japanischen Lande.
Tafel IV zeigt uns die Verteilung der Industrie auf die hauptsächlichsten Firmen. Die meisten derselben gehören der Textilbranche
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an und repräsentieren mit wenig Ausnahmen recht unbedeutende Produktions-quellen. Das größte Unternehmen ist die „Matsuyama-Baumwollfaden-Spinnerei A.G.“, welche mit einem Arbeiterpersonal von 86 Männern und 406 Frauen einen Warenwert von 523 273 Yen im Jahre umsetzt.
Jeder von uns hat diese Fabrik mit ihrem hohen Schornstein und ihrer zu allen Tageszeiten und Nachtzeiten ertönenden Dampfpfeife im N.W. der Stadt liegen sehen. Die übrigen Firmen beschäftigen sich größtenteils mit der Anfertigung einer Spezialität der hiesigen Gegen, des sogen. Kasuri-Stoffes. Derselbe ist ein Fabrikat, das sich mit modernen Maschinen nicht herstellen läßt. Der Stoff wird nämlich aus dem Strang - namentlich mit deutschem Indigo - gefärbten Garnen gewebt, und die Weberin muß, um das gewünschte Muster zu erzielen, nach jeder Schützenbewegung den Schußfaden mit der Hand zurechtrücken. Jede Japanerin erkennt auf den ersten Blick Stoffe, bei denen man etwa versucht hat, den gleichen Effekt auf maschinellem Wege zu erreichen. Für ein derartiges Produkt ist die Hausindustrie noch sehr geeignet, und so hat namentlich in der ländlichen Umgebung von Matsuyama fast jedes Haus seinen Webstuhl. Die Sammelstelle für die ganze Produktion ist naturgemäß Matsuyama (Meißner).
Im übrigen ist Spalte 2 insofern interessant, als sie ein typisches Licht auf die Arbeitsverhältnisse Japans wirft. Die überwiegend große Zahl der Arbeitskräfte wird von Frauen und Mädchen gestellt. Nach den japanischen Jahrbüchern stellt das weibliche Geschlecht bei der Seidenindustrie 90, bei der Weberei, Zigarettenfabrikation, Seilerei 80%, bei der Matten- und Strohflechterei 70% und bei der Baumwollspinnerei, Papierfabrikation usw. 60% der gesamten Arbeitskräfte. Da nun andere Industrien für Japan kaum in Betracht kommen, so kann man in diesem Lande tatsächlich von einer
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„Weiberindustrie“ sprechen, die sich in sozialer Hinsicht unbedingt mit der Zeit als sehr nachteilig für das Land erweisen muß.
Zudem sind die Löhne zum großen Teil recht kläglich (siehe Tafel IV.) und die Arbeitszeit ist mit 10-12 Stunden am Tage sehr reichlich bemessen. -
Endlich sei noch der Gasfabrik Erwähnung getan, welche Karl Franke in Brennen geliefert hat. -
Nach Schilderung all dieser Industrien und Handelsartikel verdienen Bergbau und Forstwirtschaft noch einige Beachtung, wenn wir mit beiden auch nicht in nähere Berührung gekommen sind.
Japan ist im allgemeinen nicht reich an Mineralien. Seine Kohlen sind zwar von geringer Qualität, genügen aber, um die sich immer weiter ausbreitende Industrie zu versorgen. Im Jahre 1915 förderte das Inselgebiet 21 315 000t Kohlen, von denen auf Shikoku nur geringe Mengen vorkommen (Export: 24 Millionen Yen). Der nächst größte Bodenschatz Japans sind seine Kupferlager, welche zusammen 66 500t im Werte von 42 Millionen Yen jährlich erzeugen (Export 28 Millionen Yen). Ehime besitzt in Besshi mit einem Jahresertrag von 7560t Japans drittgrößte Kupfermine (Tafel II).
Die übrigen Erzeugnisse des japanischen Bergbaus sind nicht bedeutend. Die Eisenerzeugung ist sogar mit 71 300t erschreckend gering und verweist Japan hinsichtlich seines Verbrauches fast vollkommen auf den ausländischen Markt (Eisenimport 1913 ca. 75 Millionen Yen).
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Forstwirtschaft.
Die Fortwirtschaft hat seit den vor etwa 2 Jahrzehnten in Japan geschaffenen Forstgesetzen recht bedeutende Fortschritte gemacht. Vom gesamten Areal Alt-Japans sind etwa 54% aufgeforstet, womit
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selbst Schweden, das waldreichster Land Europas, übertroffen wird. Nichtsdestoweniger sind die meisten Bestände noch sehr jung und hinsichtlich ihrer Pflege gar nicht mit den Forsten unserer Heimat zu vergleichen, in denen der Forstmann jeden einzelnen Mann kennt und pflegt.
Alles erreichbare und verwertbare Holz wird abgeschlagen, die alten kranken Bäume hingegen läßt man stehen und bemüht sich nicht genügend, die großen abgeholzten Flächen, wenigstens diejenigen, welche landwirtschaftlich nicht benutzt werden können, wieder anzupflanzen (Dr. Müller).
An großen und hohen Wäldern fehlt es im südlichen und mittleren Japan fast ganz. Der Norden hingegen besitzt ausgedehnte Waldungen. Besonders Hokkaido verfügt über ertragsreiche Forsten, deren Eichenholz hauptsächlich einen bedeutenden Ausfuhrartikel Japans bildet. - (Gesamt-Holzexport: 8,6 Millionen Yen).
Vizefeldwebel d.R. Barghorn äußert sich zu diesem Gebiete folgendermaßen: „Die Geschichte des Handels der japanischen Eichen nach Europa ist jung. Früher wußten die Japander aus ihrer Eiche nichts anderes herzustellen als Eisenbahnschwellen, die in Japan selbst und auf dem benachbarten Festlande benützt wurden. Nach dem Russisch-Japanischen Kriege hatte man im Hokkaido mehr Bestände an solchen Schwellen als man verbrauchen konnte und versuchte daher, sie in Europa an den Mann zu bringen. Der deutsche Holzgroßhändler, welchem die ersten derartigen Schwellen als Muster gezeigt wurden, erkannte sofort, daß das Holz zu weit besseren Zwecken geeignet war. Es entwickelte sich schnell ein erheblicher Handel, der in den ersten Jahren eine Hemmung dadurch erlitt, daß Leute, welche die nötige Unterscheidung nicht zu machen wußten, minderwertige Eichenarten, ja sogar verschiedene Eschen- und Ulmenarten als japanische Eiche auf den europäischen Holzmarkt warfen. Die Folge war ein allgemeines Mißtrauen gegen alles, was diesen Namen trug. Trotzdem hat aber später das echte japanische Eichenholz in
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allen europäischen Ländern Eingang gefunden. Selbst in dem Eichenlande Österreich-Ungarn gibt es heute manche eichene Schreibzimmereinrichtung, ja manches blanke Parkett, dessen Rohstoff im Reiche des Mikado gewachsen ist! Auch für die eben erwähnten Eschen- und Ulmenarten hat man es verstanden, zu Hause Verwendung in allerlei Großgewerben zu finden. Die Seefracht belastet den Handel in Holz nach Europa natürlicherweise sehr. Nur wer den Absatz in großem Stile betreiben und durch die Befrachtung ganzer Ozeandampfer eine verhältnismäßig billige Frachtrate erzielen kann, wird in diesem Handel einen Nutzen finden können, der den Gefahren, welche dieses Geschäft in sich birgt, einigermaßen angepaßt ist.“ ---
Shikoku besitzt umfangreiche Waldungen, in denen zahlreiche Baumarten wie Eiche, Ulme, Tanne, Kiefer, Lärche, Zeder, Lebensbaum, Kirsche und Bambus vertreten sind. (Näheres siehe unter Pflanzenwelt). Immerhin sind die Bestände nicht so ertragsreich, daß sie den eigenen Bedarf der Insel decken könnten. Daher muß ein erheblicher Teil des zur Verarbeitung gelangenden Materials von Hondo oder Kiushu eingeführt werden.
Unser Ehime-Ken produziert jährlich für 1,5 Millionen geschnittenes Holz. (Tafel II). Die Umgebung Matsuyamas besitzt keine größeren Waldungen, doch können wir erkennen, im welchem Maße die Aufforstungen betrieben worden sind.
Außerordentlich wichtig für Handel und Industrie eines Landes sind seine Verkehrsmittel. Seit der ersten Streckenlegung auf dem Inselgebiete (1870) hat sich das Eisenbahnwesen Japans gewaltig entwickelt. Verfügt es doch heute schon über 10 320 km Bahnnetz, von denen sich 15% in privaten Besitze befinden.
Wie Skizze 2 in Nr. 32 zeigt, ist Shikoku noch verhältnismäßig wenig von Schienenwegen durchquert. Die uns bekannte Linie
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Takahama über Matsuyama nach Gunchu, Morimatsu und Yokogawara ist eine Schmalspurbahn und befindet sich in privatem Besitz.
Gelegentlich meiner Ausgänge bin ich mehrfach von dem mich begleitenden Posten vor die typische Frage gestellt worden, ob wir in Deutschland auch solche Bahnen besitzen. Beim Passierten der Elektrischen wiederholte er dann mit einem stolzen Blick auf dieses Wunder der Kultur dieselbe Frage. Der junge Mann wußte freilich nicht, daß ein bedeutender Teil allen japanischen Eisenbahnmaterials aus Deutschland stammt, daß die Wasserturbinen der Elektrizitätsgesellschaften von T. M. Voith in Heidenheim (Würtemberg), und ihre elektrischen Maschinen von Siemens-Schuckert geliefert wurden.
Es gibt in Matsuyama zwei Elektrizitätsgesellschaften, nämlich:
1. die Iyo Wasserkraft-Aktien-Gesellschaft (IyoSuiryoku)
2. die Matsuyama Elektr. Bahn-Ges. (MatsuyamaKido)
Die erste ist erheblich größer und älter. Sie verkauft Elektrizität bis nach ca. 12 Ri entfernten Orten (z.B. Nagahamaeinerseits und Kikuma andererseits). Kapital 3 Millionen Yen.
Die kleinere Bahngesellschaft liefert außer für die Bahn nur noch Elektrizität an beschränkte der Bahn benachbarte Distrikte. Die Kraftstationen beider Gesellschaften sind mit Wasserkraft betrieben und liegen in den Bergen. Die Bahngesellschaft hat nur eine Station und zwar am Yunoyama-ara-sue (liegt ca 2 Ri hinter Dogo). In der gleichen Gegend hat auch die Iyo Wasserkraft-Gesellschaft eine Station, die aber nur als Reserve dient, gewöhnlich also still steht. Die im täglichen Betrieb befindliche Station liegt in Kamiuki-nan-gun, Yanagi-tanimura, owasa-ochide (noch 6 Ri hinter Kuma also ca. 12 Ri Luftlinie von Matsuyama). Eine vereinigung beider Gesellschaften ist in Aussicht genommen.
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Nachdem wir nun die wirtschaftliche Bedeutung Matsuyamas und unseres Ken in großen Umrissen kennen gelernt haben, wollen wir zum Schluß noch einen kurzen Blick werfen auf die
Staatlichen und städtischen Einrichtungen.
Am meisten sind wir naturgemäß mit der hiesigen Garnison in Berührung gekommen. Wie wir bereits aus der städtischen Chronik ersehen haben, ist Matsuyama bereits seit mehreren Jahrhunderten der Sitz einer militärischen Macht.
Nach dem Erscheinen der ersten fremden Kriegsschiffe vor Nagasaki (1853) ging man im ganzen Lande dazu über, die mittelalterliche Verfassung der Wehrmacht zu reorganisieren. Schnitt und Abzeichen der japanischen Galauniform erinnern noch heute an die französischen Lehrmeister, welche damals die erste Modernisierung der Streitkräfte in die Wege leiteten. Unter dem hiesigen Daimyo MatsudairaSahikai (1860) wurden seitens der Shogunats-Regierung die ersten Gewehre zur Verfügung gestellt und eine Truppe von 500 Ashigaru (niedrige Samurais) mit Feuerwaffen ausgerüstet. Gleichzeitig wurde am Fuße des Kachiyama, hinter dem Wassergraben, wo heute die Infanteriekasernen stehen, ein Artillerieübungsplatz eingerichtet und die Ausbildung aller Soldaten einem einheitlichen System unter-worfen. Meiji 2 (1869) bestand die hiesige Garnison aus der Schloßtruppe, einer Gewehrabteilung, einer Artillerietruppe und außerdem aus 2428 Offizieren und Mannschaften. Der größere Teil derselben wurde bereits im folgenden Jahre mit französischen Waffen ausgerüstet. Damals galt Napoleon III. noch als der mächtigste Monarch Europas u. sein Heer als das beste der Welt. Daher nahm sich die neue Regierung verständigerweise die französische Armee zum Vorbilde. Um alle Unterschiede zwischen den einzelnen Ständen auszulöschen, wurde Meiji 5 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und in den folgenden Jahren
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die Grundlage zu der modernen Armee geschaffen, über die Japan heute verfügt.
Einer der hervorragendsten Organisatoren und Lehrer der japanischen Wehr-macht war der preußische General Meckel, der im Jahre 1885 nebst anderen deutschen Instruktoren nach Japan kam.
Um diese Zeit wurde das heute noch hier garnisonierte Infanterie-Regiment Nr. 22 gegründet. Es gehört der 9. Infanterie-Brigade an, deren Stab in Hiroshima stationiert ist. Diese bildet mit der 21. Infanterie-Brigade zusammen die 5. Division mit ihrem Stabe ebenfalls in Hiroshima. Außerdem befindet sich hier ein Bezirkskommando.
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Schulwesen.
Hand in Hand mit dem Aufbau der Armee ging die Reformation des gesamten Schulwesens. Man sollte sich so schnell wie möglich die Bildung der westlichen Völker aneignen, deren kulturelle Überlegenheit Japan erkannt hatte. Es galt Kraft und Bedeutung von Wissenschaft, Handel und Industrie zu erhöhen, um in kriegerischen und friedlichen Wettkämpfen der Nationen konkurrenzfähig zu werden und Selbständigkeit zu behaupten. Nicht ohne Absicht nannte der damalige Kaiser seine Zeit Meiji, d.h. "die Erleuchtete". Bis zu Beginn seiner Regierung waren die Bildungsstätten in Japan nur in sehr geringem Maßstabe vertreten. Die Elementarschulen waren durchweg Privatanstalten, während die höheren Schulen, in denen chinesische Literatur und Philosophie gelehrt wurde, nur dem Samuraistande zugänglich waren. Europäisches Wissen, besonders Medizin, Mathematik und Naturwissenschaften hatten im 19. Jahrhundert nur vereinzelt in Japan Zugang gefunden. Erst im Jahre 1858 begann man damit, mehrere europäische Medizinschulen zu gründen.
Es ist natürlich, daß die schnelle Durchführung eines modernen
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Schulwesens mit allgemeiner Schulpflicht auf große Schwierigkeiten stieß. Die Gemeinden, denen die Unterhaltung der Volksschulen zur Pflicht gemacht wurde, übernahmen vielfach die Privatschulen, und der Staat gründete Lehrerseminare, um dem Mangel an Lehrkräften abzuhelfen. Heute besteht überall Schulzwang. Die Kinder gehen deshalb meist vom 8. bis 14. Lebensjahre in die Schule, welche den Unterricht kostenlos erteilt. Unbemittelte erhalten auch Bücher usw. umsonst. Der Schulzwang scheint in den letzten Jahren ziemlich streng durchgeführt zu werden. Die Bezahlung der Lehrkräfte mit einem Durchschnittsgehalt von 15 bis 20 Yen ist recht gering.
Die höheren Schulen sind auch heute noch wenig verbreitet. Selbst Matsuyama, die Hauptstadt des Ken, also nach unseren Begriffen der Sitz der obersten Verwal-tungsstelle eines Regierungsbezirkes, besitzt als höchsten Lehranstalten nur zwei Mittelschulen, die etwa unseren Realschulen entsprechen (Siehe Plan 4 Nr. 32). Die Schüler können also die Einjährigenberechtigung erlangen, müssen aber, wenn sie eine höhere Bildungsstufe errechen wollen, nach anderen Städten übersiedeln. Eine dieser beiden Schulen untersteht dem Ken, während sich die andere in privaten Händen befindet. Im allgemeinen stehen die Privatschulen in nicht allzu gutem Rufe. Palzow spricht von ihnen sogar als einen direkten Krebsschaden, dem die Schuld an dem halbgebildetem Proletariat und an der unter den Schülern herrschenden lockeren Disziplin zugesprochen werden muß. In ihnen herrscht nicht das ehrwürdige Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern, das für die Erziehung der Jugend Vorbedingung ist. Nur allzuoft müssen sich die Lehrkräfte nach den Schülern richten, sofern sie vermeiden wollen, daß diese aus ihrer Anstalt austreten und ein Konkurrenzunternehmen besuchen. Schulstreike sind nicht allzu selten, und Beispiele für die Eigenmächtigkeit der Schüler mißliebigen Lehrern gegenüber haben in jüngster Zeit auch auf den Staatsschulen
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Tafel II.
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Tafel III.
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Tafel IV.
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unliebsame Nachahmungen erfahren (Munzinger).
Außer diesen beiden Mittelschulen besitzt die Stadt noch eine obere und fünf gewöhnliche Volksschulen sowie je eine staatliche und eine private Mädchenschule -zusammen also 10 allgemeine Fortbildungstätten. An diese reihen sich noch je eine Spezialschule für Ackerbau, Handel, Industrie und für die Blinden, sowie eine christliche Privatabendschule.
Schließlich sind an staatlichen Einrichtungen noch hervorzuheben.
Die Ken-Ausstellung,
das Waffenmuseum auf der Burg,
das Observatorium,
das Krankenhaus (Rotes Kreuz)und die
"Kriegsgefangenenlager"
Bereits 1894 und 1904 war Matsuyama der Unterbringungsort für außer Gefecht gesetzte feindliche Soldaten. Während des russisch-japanischen Krieges wurden hauptsächlich verwundete und kranke Russen hierher verlegt, die nach ihrer Genesung meist nach anderen Lagern übersiedelten. Von 12 000 Russen, welche insgesamt nach Matsuyama gebracht worden waren, befanden sich durch-schnittlich etwa 3500 Mann in der hiesigen Stadt. Der Friedhof oberhalb des Raikoji-Tempels erinnert noch heute an die zahlreichen Opfer, welcheihren Verletzungen oder Krankheiten erlegen sind.
Ihre Unterbringung war in ähnlicher weise geregelt wie die unserige. In Anbetracht der großen Zahl der Gefangenen kam auf den einzelnen eine halbe Matte weniger und die Bewegungsfreiheit innerhalb der Lager war dementspre-chend geringer. Ihre sonstigen Freiheiten scheinen allerdings größer gewesen zu sein. Die Offiziere durften z.B. wöchentlich zweimal die heißen Quellen Dogos besuchen und jederzeit in der Stadt in Begleitung eines Postens Einkäufe machen. Einige höhere Offiziere besaßen sogar Privatwohnungen.
Im übrigen scheine Kümmernisse der Leute und die Beziehungen
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zu den Lagerbehörden den heutigen Verhältnissen entsprochen zu haben. Unsere Lager Yamagoe, Dairinji und Kokaido dienten damals schon demselben Zwecke wie zur augenblicklichen Zeit. Neben ihnen waren noch mehrere Tempel belegt, und auf dem Exerzierplatz war ein großes Barackenlager errichtet.
Den uns interessierenden Eigenschaften der heute belegten Tempel ist unter "Buddhismus" bereits Erwähnung getan worden. Das Kokaido ist, wie der Name sagt, ein Haus für private Versammlungen und Feste. In Friedenszeiten wird es an private Vereine und für private Feste vermietet. Der große Gedenkstein auf dem Hofe erinnert an eine Festlichkeit der Ortsältesten, welche diese sich selbst im Jahre 1897 veranstalteten.
Damit sind wir wieder an dem Ausgangspunkt unserer Betrachtungen angelangt --- an unserer Internierungsstätte, über deren Grenze sich so schwer hinaussehen läßt, und deren Fesseln es uns so schwer machen, sich von Land und Leuten ein Bild zu gestalten. –
Wohl ließen sich dieses noch vollkommener entwerfen. Es schien aber zweck-mäßiger, bei dem Stoffe zu bleiben, den wir persönlich kennen gelernt haben, oder mit dem wir indirekt in Berührung gekommen sind. Andererseits standen auch nicht die Quellen zur Verfügung vermittelst deren die vorhandenen Lücken geschlossen hätten werden können.
Immerhin hoffe ich, daß diese Zeilen dazu beitragen werden, die Aufmerksamkeit für vieles bisher Unbeachtete zu erregen und das Verständnis für manches Rätselhafte zu wecken.
Neben unseren sonstigen Studien, welche dieses an sich so trübe Dasein ausfüllen, wird ein vorurteilloses Betrachten unserer Umgebung da beitragen, uns die Zeit zu verkürzen, den eingeschränkten Gesichtskreis zu erweitern und den Schatz unserer Erfahrungen zu mehren. –