Lagerfeuer

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Lf. Nr. 30 Matsuyama, Sonntag, den 20. August 1916

Kriegsziele

Vor kurzem brachten japanische Zeitungen die Nachricht, in Deutschland würden jetzt zahlreiche Vorträge über unsere Kriegsziele gehalten. Wir dürfen gespannt darauf sein, ob und wie etwas derartiges stattfindet. An sich könnte man es nur mit größter Freude begrüßen, wenn dem deutschen Volke Gelegenheit gegeben würde, sich auszusprechen über die Ziele, die wir durch diesen Krieg erreichen müssen oder wollen, und darüber, welche Aufgabe unser nach dem Kriege warten. Dann mag man auch durch eine solche Aussprache dem Gegner nicht nur unsere Gedanken, sondern auch unsere inneren Widersprüche verraten, so muß man berücksichtigen, daß sich die ganzen Gedanken eines Volkes überhaupt nicht geheim halten lassen wie die einer Heeresleitung von wenigen Personen. Gedanken, die das Volk ernstlich bewegen, müssen ausgesprochen werden, um sich zu erklären und um erkennen zu lassen, ob sie wirklich stark genug sind, unsere Zukunft zu tragen. Auch in unserem engeren Kreise halte ich eine solche Aussprache für wünschenswert. Nicht als ob ich fruchtloser Kannegießerei das Wort reden wollte. Wir können die ganze Frage nach den Kriegszielen hier natürlich nicht lösen. Lösen wird sie nur die Wirklichkeit der Weltgeschichte. Aber wenn nun schon einmal die Frage aus unserem Kopfe nicht fortzubannen ist, dann wollen wir wenigstens dafür sorgen, daß sie uns den Kopf nicht verwirrt; denn wir brauchen klare Köpfe und einen eigenen Willen im neuen Deutschland. Eine Frage durchdenken bedeutet nicht ein vorlautes Urteil über Dinge, die nicht spruchreif sind, sondern eine Trennung in Wesentliches und Unwesentliches, Sicheres und Unsicheres.

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Es bedeutet eine innerliche Vorbereitung auf die Zeit, in der die Geschichte uns die wirkliche Lösung gibt.
Ein solches Vorausdenken enthält vieles, was den Vorsichtigen abschreckt. Auch mancher, der sich täglich Gedanken über die Zukunft macht, wird sich hüten, sie in feste Formen zu bringen, und wer im Gespräch vor gewagten Ansichten selbst nicht zurückscheut, wird sich doch oft in acht nehmen, sie seinen Zeit- und Raumgenossen in der unwiderruflichen Form des Geschriebenen mitzuteilen. Wir fürchten dann, daß wir uns doch irren könnten, noch mehr, daß andere uns auf einen Irrtum festnageln könnten. Diese Furchおt verliert einen Teil ihres Schreckens, wenn wir zu dem sokratischen Bewußtsein durchgedrungen sind, daß wir uns immer irren od. doch darauf gefaßt sein müssen und wenn wir bedenken, daß ein Irrtum dadurch nicht geringer wird, daß wir ihn verschweigen. Wollen wir einen Gedanken aber prüfen, der uns bewegt, dann müssen wir ihm feste Form geben und mit dieser arbeiten. Nur was sich in der Arbeit bewährt, ist wahr.
Diese allgemeinen Vorbemerkungen entspringen dem Wunsche, die Hemmungen zu überwinden, die uns von einer verständigen Erörterung unserer Kriegsziele abhalten. Ich will im Folgenden versuchen, die einzelnen Fragen auseinander zu legen, um die es sich meiner Meinung nach handelt. Ich halte mit meiner persönlichen Ansicht dabei nicht zurück, aber ich halte sie nicht für die einzig mögliche, und der Hauptzweck dieser Zeilen wird erreicht sein, wenn die Übersicht die Aussprache auch gegenteiliger Meinungen veranlaßt. Unsere Blätter werden sicher auch diese gern wiedergeben.
Die Frage, die uns bewußt oder unbewußt am meisten beschäftigt, ist wohl die: Was wird nach dem Kriege? Der Krieg hat den freien Willen des einzelnen ausgeschaltet. Jeder hat

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sich freudig den berufenen Führern des Vaterlandes zur Verfügung gestellt und füllt den Platz, an den er gesetzt worden ist, nach besten Kräften aus in dem Bewußtsein: Ich habe hier nur ein Amt und keine Meinung! Aber die Zügel, die den einzelnen im Kriege lenken, werden fallen, wenn der Krieg zu Ende ist. Jeder wird den Entschlüssen des eigenen Willens wieder zurückgegeben, und er muß wissen, was er dann wollen soll. Mehr als vor dem Kampfe werden wir uns dann bewußt sein, daß dieser Willen nicht nur unser persönliches Wohl zum Ziel haben darf, sondern daß eine Zusammenarbeit Aller uns vorschweben muß im Dienst am deutschen Volke. Und eben darum müssen wir von diesen Dingen miteinander reden, weil sie nicht Angelegenheiten des einzelnen sind, sondern weil der Erfolg von dem richtigen Ineinandergreifen der Einzelwillen abhängt.
Mit dem Friedensschlusse beginnt für uns gleichsam ein neues Leben. Die Frage ist: Was werden wir vorfinden, wenn wir nach dem Kriege wieder an die Arbeit gehen, und in welchem Geiste sollen wir dann arbeiten? Wir können die beiden Fragen kurz so fassen: Was wird durch den Krieg erreicht werden und was muß nach dem Kriege erreicht werden?
Nur die erste Frage soll uns diesmal beschäftigen. Man soll immer das Beste hoffen und das Schlimmste fürchten. Dazwischen wird die Wahrheit liegen. Was ist nun das Schlimmste, worauf wir gefaßt sein müssen? – Offenbar ein Friedensschluß nach dem Willen unserer Feinde. Was diese heute etwa noch zu erreichen hoffen, zeigt die jüngste Äußerung von Asquith. Seine Friedensbedingungen kamen im wesentlichen hinaus auf Wiederherstellung des Zustandes vor dem Kriege. Welches Ergebnis würde der Krieg dann gehabt haben. Zunächst scheinbar gar

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keines und doch ein recht wertvolles. Der Krieg war ein von England geführter konzentrischer Angriff aller dafür gewinnbarer Staaten auf uns. Dieser Angriff ist unrettbar fehlgeschlagen und läßt sich in absehbarer Zeit nicht erneuern. Denn selbst wenn das händelsüchtige Rußland sich wieder zur Bundesgenossenschaft bereit finden ließe, so würde sich doch Frankreich zu einem solchen Glücksspiel nicht wieder hergeben, bei dem es vollständig in die Gewalt Englands kommen würde, um einer zweifelhaften Bedrohung durch Deutschland zu entgehen. Würden wir durch die Verhältnisse gezwungen, Frieden auf Grund der Asquith’schen Formel zu schließen, dann würde der Krieg immerhin das wichtige Ergebnis gehabt haben, daß er sich in dieser Form nicht wiederholen kann. Aber so schlimm steht es für uns zum Glück nicht, und wir dürfen uns mit diesem Ergebnis nicht begnügen, weil wir eben nicht zum Frieden gezwungen sind und darum die nationale Pflicht haben, so lange zu kämpfen, bis wir erreicht haben, was möglich ist. Wir dürfen erst Frieden schließen, wenn das, was durch Weiterkämpfen zu erreichen wäre, in keinem Verhältnis stehen würden zu den Opfern, die es nötig machte.
Was können wir erreichen?
Es scheint verwegen, das heute ermessen zu wollen. Wenn wir sicher sein könnten, daß Österreich-Ungarn wirtschaftlich und militärisch sich eben so gründlich an die Bedingungen des Krieges angepaßt hat wie das Deutsche Reich, dann wäre die Frage vielleicht einfacher zu beantworten: Was können wir nicht erreichen? So lange wir aber über Österreichs Ausdauer keine klaren Vorstellungen haben, tappen wir eigentlich ganz im Dunkeln, doch nur über das Maß, nicht über die Art des Erreichbaren.
Es kommen in Frage:

1. Entschädigungen in barem Geld oder in Land,

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2. Angliederung besetzter Gebiete an das Reich,
3. Schaffung national unabhängiger, aber politisch an uns oder unsere Bundesgenossen geknüpfter Staaten in den jetzt besetzten oder noch zu besetzenden Gebieten,
4. Rückgewinnung der uns genommenen Kolonialgebiete.
Unter diese vier Gruppen dürften im wesentlichen alle Friedensbestimmungen fallen.
Je länger der Krieg dauert, je mehr die Summen ins Ungeheure wachsen, die für ihn aufgewandt werden, desto geringer erscheint mir die Aussicht auf große Geldentschädigungen. Bei Landentschädigungen müssen wir aber im Auge behalten, daß wir nicht ein glänzendes Weltreich, sondern ein haltbares Kernreich für die Zukunft brauchen. Die wichtigste Forderung für das Deutsche Reich, so wie wir es uns nach dem Frieden wünschen müssen, ist die, daß es uns so lange den Frieden sichert, bis wir uns gründlich auf einen neuen Krieg haben vorbereiten können. Es muß entweder so unangreifbar sein oder seinerseits unsere Gegner so stark bedrohen, daß fürs erste weder Frankreich noch Rußland noch England sich berufen fühlt, uns anzugreifen. Das kleine Italien können wir füglich außer Betracht lassen.
Über unsere wahrscheinlichen Forderungen gegenüber Rußland haben wir schon aus dem Munde des Reichskanzlers Andeutung gehört. Wir dürfen erwarten, daß Kurland deutsch wird und daß ein selbständiges polnisches Reich mit Warschau als Hauptstadt entsteht. Ob das wünschenswert ist, braucht hier nicht erörtert zu werden, da diese Lösung der Frage anscheinend zu Hause schon beschlossene Sache ist. Wahrscheinlich bleiben nach Ausscheidung Polens noch besetzte russische Gebiete übrig, die als Austauschmassen dienen können. Wenn sie auch nicht groß sind, so werden sie doch genügen zum Eintauschen

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der Bukowina, falls Hindenburg diese nicht schon während des Krieges wieder besetzt. Wir bekommen damit im Osten eine wesentlich bessere Verteidigungslinie als vor dem Kriege. In den dünnbevölkerten Gebieten, die dann die Grenze gegen Rußland bilden würden, kann ein Einfall der Russen nicht wieder so große Opfer kosten wie am Anfange dieses Krieges, und die Riesenfläche der Pripetsümpfe beraubt die Russen eines Aufmarschgebietes, von dem aus sie Österreich und uns gleichzeitig so stark bedrohen würden wie damals von dem Gebiete zwischen Warschau, Iwangorod und Brest-Litowsk aus.
In mancher Beziehung ähnliche Überlegungen werden im Westen maßgebend sein. Wir werden Belgiens innere Selbständigkeit nicht stärker beschränken, als es durch die Rücksicht auf unsere Verteidigung geboten ist. Aber wir werden militärische Bestimmungen treffen, die es der belgischen Regierung unmöglich machen werden, ihr Land zu einem Brückenkopf für England herzugeben. Die Erfahrungen des jetzigen Krieges werden an und für sich schon in diesem Sinne wirken.
Wenn Belgien unser Puffer wird statt der Gegner, dann verliert auch Frankreichs Festungslinie viel von ihrem Schrecken. Wir werden Verdun, wenn wir es genommen haben, schwerlich wieder herausgeben, sondern es zusammen mit dem nFranzösisch-Lothringens wohl an das Reich angliedern. Aber die sonst besetzten Teile von Nordfrankreich können wir als Austauschmasse behandeln. Wie viel Opfer wir bringen wollen, um den Verteidigungsgürtel Nordfrankreichs zu zerstören, das wird davon abhängen, welche Bedeutung wir dem französischen Heere nach dem Kriege zumessen müssen, wie viel Menschen Frankreich dann noch jährlich zum Heere stellen kann.
Nach dem Falle Verduns dürfen wir hoffen, in Frankreich

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eine Stellung erobern zu können, die die Franzosen zwingt, in eine Abtretung Marokkos an uns zu willigen gegen Herausgabe des besetzten Teiles von Frankreich. Daneben taucht wie 1870 die Frage wieder auf, ob wir die Bedrohung des Oberelsaß durch Belfort im Frieden bestehen lassen sollen. Wie Verdun vor dem Moseltale, liegt Belfort vor der Burgundischen Pforte. Belfort und Besançon trennen das Elsaß von dem Burgunder Lande, von dem wir meist vergessen haben, daß es im ganzen Mittelalter ein Bestandteil des deutschen Reiches war. Die beiden Festungen sperren den bequemsten Zuweg zum Mittelmeer, der sich Deutschland bietet, das Rhone-Tal. Für das geographische Auge hat es etwas Widersinniges, zu sehen, wie der Verkehr mühsam die Pässe der Alpen überklettert und die fast ebene Straße nach Marseille kaum benutzt, den durchaus richtigen Gedanken des Rhein-Rhone-Kanals in unzureichenden Anfängen schlafen läßt. Nur das zeitweilige Gleichgewicht der feindlichen Mächte Deutschland und Frankreich hat diesen naturgegebenen Weg vorübergehend verschlossen. Frankreich fürchtet, daß Marseille eine deutsche Stadt werden könnte, wie Genua schon auf dem Wege dazu war trotz der ungünstigen Lage hinter dem doppelten Walle der Alpen und Apenninen. Bei endgültiger Anerkennung der deutschen Überlegenheit wird die widersinnige Schranke fallen. Der jetzige Friede freilich wird hier noch kaum eine Änderung bringen. Aber hier liegen Zukunftsmöglichkeiten, die im Interesse beider Völker sind, wenn Frankreich seinen Großmachtstraum ausgeträumt hat.
Ich wende mich zu den Bedingungen, unter denen ein Frieden mit England erträglich scheint. Während keines Abschnittes des Krieges sind wir darüber im Zweifel gewesen,

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daß die Auseinandersetzung mit England der Kernpunkt des ganzen Streites bleibt. Von England geschoben, sind alle unsere Gegner in den Kampf gezogen, mögen dabei auch noch so viel eigene Wünsche der einzelnen mitgesprochen haben. Selbst die streitsüchtige Verknüpfung der russischen Politik mit dem Panslavismus, die den Funken ins Pulverfaß warf, ist die Folge englischer Politik, der Verbündung mit Japan nach dem Frieden von Portsmouth, die Rußland in Ostasien die Hände band und seinen Machthunger auf Europa lenkte.
Der Kernpunkt des Friedens wird daher sein: Wie hindern wir England einen neuen Krieg dieser Art gegen uns zu entzünden? Eine Landung in England und Niederwerfung seiner Waffenmacht im eigenen Lande wäre die gerade Antwort im Sinne des bewährten Wortes, daß der Angriff die beste Verteidigung ist. Wenn uns ein solcher Angriff gelänge, wäre er vielleicht ausschlaggebend. Wir könnten dann vielleicht England jeden Frieden diktieren, den wir wollten. Vielleicht! Aber es wäre fraglich; denn das britische Weltreich ist nicht Großbritannien. Was eine Landung in England bewirkt, das läßt sich im wesentlichen auch erreichen durch einen Stoß gegen die Verbindung der Mutterinsel mit ihren Töchterländern. Der jesuitische Einfluß, der Spaniens Verfall herbeiführte, der die Niederlande durch Alba verwüsten ließ und der dreißig Jahre lang Deutschland zum Kampfplatz für die Heere Mitteleuropas machte, schaffte England den ersten Vorsprung zur See. Im Siebenjährigen Kriege und in den napoleonischen Kriegen hat es ihn geschickt zu vermehren verstanden, durch den starken Ausbau seiner Flotte hat es ihn sich zu sichern gesucht. Aber auch heute noch ist das englische Reich gegründet auf die

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Voraussetzung, daß es gelingen werde, die europäischen Mitbewerber dauernd auf dem Festlande zu binden. In der Tat, sobald Deutschland oder ein anderer Staat ernstlich auch nur die Verbindung Englands mit seinen Kolonien bedroht, ist das ganze Reich in Frage gestellt. Hier liegt der verwundbare Punkt Englands und er führt zu zwei Kriegszielen: Niederringung der englischen Flotte und Eroberung des Suezkanals. Der glänzende Seesieg vom 31. Mai hat uns, wie es scheint, die Seeherrschaft in der Nordsee verschafft, ihre weiteren Ausdehnung nach Norden ist von geringer Bedeutung für den Augenblick. Die Ausdehnung nach Westen durch den Kanal setzt voraus, daß wir vorher wenigstens Calais den Engländern entreißen. Mag auch die Räumung Calais’ zu den Friedensbedingungen gehören, die wir England stellen werden, so ist doch zweifelhaft, ob es notwendig sein wird, es schon während des Krieges zu erobern, während wir im Frieden für diese Forderung auch noch auf die Unterstützung Frankreichs rechnen können. Aussichtsreicher erscheint die Eroberung des Suezkanals.
Damit wenden wir uns der Lage in der Levante zu. Seit der Vernichtung Serbiens und Montenegros beherrschen die Mittelmächte ein zusammenhängendes Landgebiet von der Nordsee bis an den Persischen Meerbusen und an das Rote Meer. Seitdem die Engländer und die Franzosen die Dardanellen geräumt haben, und seitdem Townshend sich ergeben mußte, wird der orientalische Teil dieses Gebietes nur noch in Armenien durch die Russen bedroht. Eine Gefahr für die Türkei liegt darin nicht; denn die natürliche Grenze des türkischen Reiches liegt erst in den Wüstengegenden südwestlich von Armenien, in die die Russen bisher

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nicht vorgedrungen sind. Wichtiger als de Verlust ist für die Türkei der Verlust Ägyptens. Es bildet die Verbindung mit dem muhammedanischer Afrika, vor allen Dingen mit dem türkischen Tripolis; es ist außerdem eines der fruchtbarsten Länder der Welt. Seine Wiedereroberung ist aber nicht nur ein türkisches, sondern auch ein deutsches Interesse wegen des Suezkanals. Der Besitz dieses Kanals, der von dem maßgebenden Einflusse in Ägypten kaum zu trennen ist, dürfte uns das Unterpfand dafür in die Hand geben, daß England nach dem Frieden unser nationales Bestehen nicht mehr in Frage stellen kann.
Wie wird die Lage sein, wenn der Friede uns auf der einen Seite den Besitz Marokkos, auf der andern Seite den Besitz des Suezkanals sichert und in Ägypten einen Einfluß, durch den wir die Verwaltung des Landes in Händen haben, während dem Sultan in Konstantinopel aus dessen Erträge ein reicher Geldgewinn zufließen würde? Deutschland und seine Bundesgenossen würden die unbestrittene Vorherrschaft über das Mittelmeer besitzen, selbst wenn England das dann nutzlos gewordene Gibraltar nicht aufgeben würde. Noch wichtiger wäre, daß Englands Schiffe durch den von uns beherrschten Suezkanal fahren müßten, um nach Indien zu kommen. Mit der Drohung, diesen Handelsweg für die Briten zu sperren oder mit besonderen Abgaben zu belegen, könnten wir England stets davor abschrecken, im Frieden gegen uns den Wirtschaftskrieg zu führen, von dem es träumt, oder unseren Einfluß in Ostasien lahm zu legen.
Damit ist eine Lösung gefunden, die mir in jeder Beziehung erfreulich erscheint. Mit Marokko, Ägypten und Mesopotamien schaffen wir uns ein Wirtschaftsgebiet, das ungleich wertvoller ist als unsere bisherigen Kolonien. Mit dem Drucke, den wir infolge der Beherrschung des Suezkanals auf England ausüben würden,

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könnten wir uns aber auch alle alten Kolonien, deren Wiedererwerb uns erwünscht erscheint, zurückfordern und noch die Abtretung des belgischen Kongostaates zur Gründung eines großen deutschen Mittelafrikas durchsetzen; denn sie alle würden England kaum das einbringen, was ein Verzicht auf die Benutzung des Suezkanals ihnen kosten würde. Wir aber hätten den ungeheuren Vorteil eines gedrängt zusammenliegenden Gebietes deutscher Vorherrschaft, das durch seine Unangreifbarkeit jeden Gegner zwingen würde, uns auch außerhalb dieses Gebietes unbedingte Gleichberechtigung im friedlichen Wettbewerb zu gewähren. Wir hätten vor allen Dingen ein Gebiet, zu dessen Verteidigung wir die überragende Stellung unseres Landheeres in vollem Umfange zu Geltung bringen könnten, ein Gebiet, dessen Beherrschung unsere Kräfte nicht übersteigen und nicht ungebührlich zersplittern würde.
Denn letzten Endes kommt es nicht darauf an, was wir jetzt erobern können, sondern was wir im Frieden zu machen imstande sind. Entscheidender als die Frage, was der Krieg uns bringen wird, ist darum im Grunde die, was der kommende Friede uns bringt, wie wir in ihm unseren heutigen Feinden und Freunden gegenüberstehen werden und wohin eine gesunde Entwicklung uns führen soll. Über diese „Friedensziele“ möchte ich ein ander Mal versuchen, meinen Gedanken darzulegen.
A. E.

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Die Entwicklung der Tsingtauer Polizei.

Wenn der Fremde in Tsingtau landete oder der Landsmann, von auswärts kommend, die Kolonie zum ersten Mal betrat, so erfreuten sie sich nicht nur an der schön gelegenen Stadt mit

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ihren breiten, sauberen Straßen, sondern sie empfanden auch die herrschende Ordnung wohltuend. Überall sahen sie frisches, pulsierendes Leben, blühenden Handel, regen Verkehr, und doch ging alles seinen ruhigen, geregelten Gang. Wohlgefällig schaute er auf die Chinesenpolizisten, die in ihrer sauberen kleidsamen Uniform ruhig ihren Dienst versahen, und unwillkürlich übertrug er seine Schlüsse auf die Polizei. Daher dürfte nachstehende Schilderung besonders die Leser interessieren, die keine Gelegenheit fanden, Tsingtau in seinem Friedeskleide zu beobachten. Wenn wir uns die Frage vorlegen, wie entwickelte sich die Polizei? – so müssen wir uns die Vergangenheit zurückrufen.
Der Pachtvertrag war geschlossen, das Land deutsch geworden. Längs der felsigen Küste zog sich das öde, kahle Land hin. Tiefe, vom Regen ausgewaschene Rawinen durchschnitten das Gelände, und die wenigen baufälligen Fischerhütten mit ihren armseligen Bewohnern versprachen wenig. Aber schon nach kurzer Zeit beobachteten die Bewohner neugierig die geheimnisvolle Tätigkeit der Europäer, die mit ihren Meßgeräten das Land aufnahmen. Baumaterialien wurden ausgeschifft und die die Schiffer fanden guten Verdienst. Schnell verbreitete sich die Kunde im Hinterland. Dadurch angelockt, kamen die ersten Chinesen aus dem überfüllten Hinterland. zuerst beobachtend, dann zaghaft helfend, fanden sie reichen Verdienst. Naturgemäß waren unter dem zugewanderten Chinesen auch viele zweifelhafte Elemente vorhanden. Immer stärker wurde der Zuzug, und da die wenigen Fischerhütten schon längst nicht mehr ausreichten, so entstanden Ansiedlungen aus Mattenhütten. Freunde, Bekannte, Arbeitskollegen bauten ihre Hütten nebeneinander, andere kamen und in kurzer Zeit war ein Mattendorf entstanden. In diesen herrschte eine böse Wirtschaft. Ohne jede Rücksicht

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baute jeder darauf los, Abortanlagen fehlten und bei einem Regen war alles ein Morast. Dieses verpestete Land und die vielen lichtlosen Winkel im Verein mit der feucht-heißen Luft waren geradezu gemeingefährlich. Es stellte sich daher auch bald der Tyhus ein und forderte viele Opfer. Besonders stark wütete die Seuche in der Ansiedlung, die sich an der Stelle befand, wo später die Markthalle erbaut wurde. Diese Verhältnisse macht eine Kontrolle wünschenswert, und so wurde ein Teil der Garnison zur Überwachung der Ansiedlung und Ausübung der polizeilichen Funktionen kommandiert. Es waren Unteroffiziere und Gefreite, die durch eine Binde kenntlich gemacht wurden. Zu ihrer Unterstützung waren ihnen einige Chinesen beigegeben, die im Dienst bei den Kompagnien etwas deutsch gelernt hatten. So begannen diese ihren dienst. In erster Linie galt ihre Fürsorge den Ansiedlungen. Es war keine leichte Arbeit, die sie hier vorfanden und noch während dieser Tätigkeit tauchte ein neuer Feind auf. Im Hinterland hatten sich größere Räuberbanden gezeigt, und trieben dort ihr Unwesen. Bald waren sie an der Schutzgebietsgrenze, und ihr Übertritt stand bevor. Die chinesischen Lokalbehörden erwiesen sich machtlos diesen Banden gegenüber, und wer chinesische Verhältnisse kenn, wird dies erklärlich finden. China, mit der großen Armut seiner breiten Massen, ihrer tiefen Kulturstellung, den zerfahrenen Verhältnissen, ist ja der beste Nährboden für die Entstehung geheimer Verbindungen und Räuberbanden. Plötzlich über Nacht, ist der Gedanke Tat geworden und eine Bande ist entstanden. Erst vorsichtig, dann dreister beginnen sie ihre Tätigkeit, und der reichliche Zulauf stärkt sie derartig, daß sie in kuzer Zeit weit über 100 Mitglieger zählt. Steht an ihrer Spitze noch ein tatkräfiger Führer, so bilden sie nicht nur für das Volk eine Landplage, nein, auch die chinesischen

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Lokalbehörden sehen sich machtlos ihnen gegenüber. Überall diese Banden ihre Späher sitzen und die schweren, bestialischen Strafen, die sie auf Verrat haben, und die jeden treffen, der ihre Schlupfwinkel verrät, schützen sie. Der chinesische Lokalbeamte mit seinen wenigen Polizisten, die womöglich mit den Räubern unter einer Decke stecken, drückt beide Augen zu und läßt sie gewähren. Einen Bericht seiner vorgesetzten Behörde einzureichen, wären zwecklos, da diese auch nicht helfen kann und ihn wegen Unfähigkeit eventl. absetzt. Daher rauben, plündern und morden die Banden weiter. Der Chinese, der diese Machtlosigkeit seiner Lokalbehörde kennt, und andererseits totsicher der Rache der Räuber bei einem Verrat oder einer Anzeige sicher ist, schweigt und zahlt. Erhält der Kaufmann einen Drohbrief, so zahlt er die verlangte Summe und hat für längere Zeit Ruhe. Aus diesem Grunde kann der Leser ermessen, daß dieser Besuch der Kolonie erst unerwünscht kam und ein Festsetzen mit allen Mitteln verhütet werden mußte. Es war für die mit der polizeilichen Aufsicht betrauten Militärpersonen kein leichter Stand. Das Zutrauen der Bevölkerung fehlte, die ihnen beigegebenen Chinesen, die nur wenig Deutsch verstanden und selbst eine Heidenangst vor den Räubern hatten, bildeten auch keine nennenswerte Unterstützung. Was machte es, wenn ein Räuber gefangen wurde, Verrat übte er nicht, und der Zulauf, den die Bande hatte, füllte die entstandene Lücke schnell wieder aus. Die Dreistigkeit der Räuber ging so weit, daß sie Drohbriefe nach Tsingtau versendeten. Die Händler verfuhren nach dem alten Rezept, zahlten und schwiegen. Auf der anderen Seite forderte die Typhusepidemie, die noch immer in den Mattenansiedlungen herrschte, viele Opfer. Diese Verhältnisse, die der Entwicklung der Kolonie hinderlich waren, führten zur Bildung einer Berufspolizei. Daher wurde im

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Jahre 1900 ein Polizeioffizier mit deren Organisation beauftragt.
Der Leiter, der neben seinen Berufserfahrungen auch noch Landeskenntnis mitbrachte, beherrschte die chinesische Sprache. Unter den bestehenden Verhältnissen stand ihm ein schweres Stück Arbeit bevor. Das Zutrauen der Bevölkerung fehlte, und auf deren Mithilfe konnte keine Hoffnung gesetzt werden. Beigegeben wurden ihm einige Beamte, die aus dem chinesischen Dienst, wo sie sich befanden, Kenntnis der Landessprache mitbrachten und einige aus der Heimat, die den heimischen größeren Polizeidirektionen entnommen waren. Die bisher mit dem Dienste betrauten Militärpersonen blieben auch weiter kommandiert, ebenso die deutschsprechenden Chinesen. Die somit gebildete Polizei fand ihre erste Unterkunft im alten Yamenlager. Einige Zimmer, die nur notdürftig ausgerüstet waren, sowie ein Haftraum, mußten für den Anfang genügen. Soweit der Dienst, der naturgemäß wenig Freizeit ließ, es gestattete, wurde Chinesisch gelernt. Die Kenntnis dieser Sprache bildete den Untergrund für alle ferneren Erfolge. In erster Linie wurden die Mattenhütten unter scharfe Kontrolle genommen. Die sanitären Verhältnisse, die immer noch viel zu wünschen ließe, mußten gehoben werden. Der immer noch grassierenden Typhusepidemie wurde scharf zu Leibe gegangen. Daneben erfreuten sich die schlechten Elemente einer besonderen Fürsorge. Durch dauernde Streifen, Razzia und Kontrollen, wurden die sanitären Verhältnisse gebessert und den schlechten Elementen der Boden so heiß gemacht, daß ihnen der Aufenthalt unmöglich wurde. Zur besseren Durchführung dieser Maßnahmen wurde die Polizei durch einige Unteroffiziere und Chinesensoldaten, die aus der, von Hauptmann von Falkenhain, dem jetzigen Generalstabschef, in Litsun gebildeten Chinesenkompagnie entnommen waren, verstärkt. Waren auf dem Gebiete des Räuberwesens bereits

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früher einige Erfolge zu verzeichnen gewesen, so konnte jetzt mit der gründlichen Forträumung dieser Landplage begonnen werden. Eine unermüdliche Tätigkeit zeitigte auch entsprechende Erfolge. Viele Räuber wurden festgenommen und nach ordnungsmäßigem Verfahren erschossen. Bald gelang es der Polizei, einen berüchtigten und sehr gefürchteten Bandenführer festzunehmen. Die Bevölkerung verhielt sich zunächst noch abwartend. Sie hielt es für unmöglich, daß es den zahlreichen Anhänger nicht gelingen sollte, den Anführer zu befreien. Sobald sie aber sahen, daß dem Führer kein Mensch helfen konnte, und die Behörde tatsächlich den Mann hinrichtete, da faßten sie etwas mehr Zutrauen. Es war ein harter Kampf, den die Polizei gegen die Räuber führte, und mehrere Chinesenpolizisten, die bei den Recherchen die anbefohlenen Vorsichtsmaßregeln außer acht ließen, wurden von der Räuber hinterlistig überfallen und getötet. Auch im Landgebiet gelang es durch Festnahme mehrerer Bandenführer bald die Ruhe herzustellen. Der größte Teil der Räuber wurde, da sie mit Waffen versehen raubten und dabei auch Personen töteten, zum Tode verurteilt und erschossen. Von dieser Strafvollstreckung sah man jedoch bald ab. Diese Art wirkte nicht abschreckend genug, da der Chinese mit dem fast unverletzten Körper in seiner Geisterweilt ohne Beschwerden weiterleben konnte. Unangenehmer gestaltete sich die Sache, wenn er ohne Kopf erschien. Daher entschloß man sich, die in China übliche Art auch hier in Anwendung zu bringen. Man bat sich den Scharfrichter aus der nahen Kreisstadt Kiautschou aus, und dieser schlug mit seinem Richtschwert dem knieenden Todeskandidaten den Kopf ab. Diese Strafvollstreckungen erfolgten in der Regel auf einem öffentlichen Platz in der Nähe von Taitungtschen. Dieses hatte doppelte Wirkung auf die Bevölkerung. Aber auch diese Strafvollstreckung machte bald einer anderen Platz. Der

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chinesische Scharfrichter war ein großer Freund alkoholischer Getränke und, obwohl er guten Willen zeigte, so wurde dadurch doch der Erfolg, namentlich bei den Massenhinrichtungen, nicht einwandfrei. Aus diesen Gründen wurde von der Gouvernementswerkstatt ein Fallbeil angefertigt und im Hofe des Gerichtsgefängnisses aufgestellt. Nun fanden die Strafvollstreckungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Auf Kap Jäschke, wo sich eine Räuberbande aufhielt, wurde ein Räuber von der wütende Landbevölkerung ergriffen und lebendig eingegraben. Unverzüglich wurde auch dieser Bezirk gesäubert, und es kam dabei zu einer regelrechten Schlacht zwischen der Polizeiabteilung und der gut bewaffneten Bande. Ein Teil von den Räubern wurde erschossen, der andere festgenommen und der Rest entfloh auf chinesisches Gebiet.
Um die üppig aus dem Boden geschossenen Opiumschenken, die bekanntlich der Lieblingsaufenthaltsort aller lichtscheuen Elemente sind, unter Kontrolle zu haben, wurde die „Opiumkontrolle“ gebildet. Durch die scharfe Aufsicht, die sie über die Lasterhöhlen ausübte, trug sie nicht wenig dazu bei, den schlechten Elementen den Aufenthalt zu verleiden. Andererseits wurde auch die Verführung zu diesem Laster erschwert. Um so die erreichte Ordnung immer mehr zu festigen, wurden im Landgebiet Polizeistationen errichtet. Zu gleicher Zeit entstand die Kriminalabteilung. Ihre Tätigkeit erstreckte sich nicht nur auf die Auffindung und Beseitigung der Räuber, sondern sie hatte auch in anderer Richtung reiche Arbeit. Die in Tsingtau aufgestapelten Materialen, die teilweise im Freien lagerten oder nur mit Matten zugedeckt waren, verwirrten derart das Begriffsvermögen vieler Chinesen, daß bei ihnen die Unterscheidung zwischen „Mein und Dein“ sich zu ihren Gunsten verschob. Das Stadtgebiet hatte sich inzwischen durch den dauernden Zuzug von Europäern und Chinesen

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sowie durch Übersiedlung von Firmen und die dadurch bedingte Bautätigkeit bedeutend vergrößert. Dementsprechend mehrte sich auch die Arbeit der Polizei und den fühlbaren Personalmangel wurde abgeholfen, als die Chinesenkompagnie, die sich in Litsun befand, aufgelöst und der Polizei überwiesen wurde. Dadurch konnte auch die im Stadtgebiet lagernden Materialien besser bewacht werden. Außerdem wurde noch eine berittene Abteilung gebildet. Die Personalvermehrung und die vermehrte Arbeit machten einen Umzug notwendig, die alten Räume reichten nicht mehr aus, und da im Yamenlager kein Raum war, zog die Polizei in das Strandlager.
Waren zunächst die grobsten Mißstände auf dem Lande beseitigt und war durch die geschaffenen Maßnahmen eine Gewähr gegeben, daß sie nicht zurückkehren konnten, so waren die Verhältnisse auf dem Wasser alles andere als sicher zu nennen. Die Wacht der Polizei reichte nur bis an den Strand. Die Schiffe löschten auf offener Reede und Leichter oder Sampans brachten die Sachen an Land. Ein Teil der Waren verschwand, ehe sie an Land kamen. Besonders waren Kohlen und Eisen sehr geschätzte Artikel. Um dieser Unsicherheit zu steuern, wurde die Wasserpolizei gegründet. Sämtliche Wasserfahrzeuge wurden registriert, und, nachdem das Hehlernest aufgefunden war, verschwanden auch hier die unsauberen Elemente, und geordnete Verhältnisse traten ein. Im Strandlager, wo mehr Raum zur Verfügung stand, wurde ein Teil der Gebäude zu einem Gefängnis umgebaut. Gleichzeitig wurde dessen Insassen Gelegenheit gegeben, sich unter fachkundiger Leitung in den verschiedensten Handwerken zu betätigen. Gegen mäßige Bezahlung wurden alle Arbeiten ausgeführt und so die Leute in der Schlosserei, Tischlerei, Flechterei pp. beschäftig. Waren so gesunde Verhältnisse im Schutzgebiet geschaffen, so beunruhigten dagegen mehrere Seeräuberbanden, die auf chinesischem Gebiet ihre Schlupfwinkel hatten, den Dschunkenverkehr. Äußerlich waren

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diese Seeräuberdschunken nicht zu unterscheiden von friedlichen Handelsfahrzeugen, doch war, da sie meist sehr gute Waffen bei sich führten, ein Widerstand zwecklos. Diesem Unwesen konnte nur gesteuert werden, wenn ein Dampfboot zur Verfügung stand. Ein solches wurde der Wasserpolizei überwiesen, und die Jagden auf die Seeräuberdschunken waren oft nicht ungefährlich. Sehr erschwert wurden die Erfolge dadurch, daß die Räuberdschunken beim Herannahen des Polizeibootes sich auf chinesischen Boden retteten. Aber trotzdem wurde auch diesen Leuten durch scharfe Kontrollen, Festnahme und Einschleppen ihrer Fahrzeuge das Handwerk gelegt.
Mit der Entwicklung Tsingtaus Schritt haltend, hatte sich auch der Beamtenkörper der Polizei vermehrt. Teilweise wurden die Außenstationen, die noch von Militärpersonen geleitet waren, mit Beamten besetzt. Infolge des ständig wachsenden Handels, des zunehmenden Verkehrs und Straßenausbaus waren an Stelle der Straßenpatrouillen ständige Posten getreten. Desgleichen machte die Zunahme der eingeführten Rikschen, sowie das Anwachsen der gewerblichen Betriebe (Pfandhäuser, Schankwirtschaften usw.), die Errichtung einer Gewerbeabteilung erforderlich. So zogen ruhige Verhältnisse in das Schutzgebiet ein, der Handel blühte und das Zutrauen der chinesischen Bevölkerung, die ihrem Dank durch Überreichung von Ehrenschirmen an die Polizei Ausdruck verlieh, war gewonnen. Das im Strandlager errichtete Chinesengefängnis erwies sich im Laufe der Zeit als zu klein, und so wurden die Räume der ehemaligen Chinesenkompagnie in Litsun für die Strafvollstreckung umgebaut. Durch die erneute Vermehrung des Beamtenkörpers war es nun möglich, alle Außenstationen mit Beamten zu besetzen. Bald waren die verfügbaren Räume im Strandlager unzureichend. Die alten Chinesenhäuser waren baufällig, und besonders erwiesen sich im Gefängnis die morschen Wände als höchst bedenklich gegenüber etwaigen Freiheitsgelüsten der Insassen. Im Jahre

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1905 wurde der Neubau des Polizeigebäudes fertiggestellt, und der Umzug ging vor sich. Inmitten der Stadt gelegen, konnte es leicht erreicht werden. Eine große, unbebaute Fläche war zukünftiger Ausdehnung vorbehalten. Das Hauptgebäude mit seinen hohen luftigen Räumen gestattete eine sachgemäße Unterbringung der einzelnen Abteilungen. Die Chinesenpolizisten fanden, soweit sie nicht auf Außenstationen kommandiert waren, in dem neuerbauten Kasernement entsprechende Unterkunft. Das neuerbaute Chinesengefängnis gewährte größere Sicherheit.
Die unruhigen Verhältnisse, die in China herrschen, und die stetig wechselnden politischen Strömungen drohten auch unseren jungen, aufstrebenden Handle zu berühren, und so wurden die Nachrichtenabteilung gegründet. So entstand aus dem kleinsten, primitivsten Anfängen in jahrelanger unermüdlicher Arbeit die Tsingtauer Polizei. Ihr Ruf hatte nicht nur in der Kolonie einen guten Klang, nein an der ganzen ostasiatischen Küste erfreute sie sich eines hohen Ansehens und war als Musteranstalt bekannt.
H.

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Sterne im August.

Die dichte Bewölkung der Sommermonate hat uns von der Veröffentlichung von Sternkarten abgehalten, da doch nur selten eine Beobachtung des Himmels möglich war. Das neuliche Fest der Webergöttin lenkt wieder die Aufmerksamkeit auf die Sternbilder des Abendhimmels, die jetzt ein erheblich anderes Bild zeigen als vor einigen Monaten. Um 9 Uhr abends verläuft die Milchstraße ungefähr im Meridian, an ihrem westlichen Rande, fast genau senkrecht über uns, steht Wega, der hellste Stern der Leier, südöstlich von ihm am östlichen Rande der Milchstraße Atair im Adler,

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kenntlich daran, daß er der mittlere und der hellste von drei Sternen ist, die nahe beieinander in einer Reihe stehen. Gehen wir längs der Milchstraße weiter nach Süden, dann kommen wir zu dem sternreichen Tierkreisbilde des Schützen. Östlich von ihm steht der Steinbock, westlich das besonders schöne Sternbild des Skorpions, noch weiter

Sternenhimmel in Matsuyama

Ende August ½8 - ½9 Uhr abds.

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westlich die Wage, und nur noch in den frühen Abendstunden sichtbar die Jungrau, zwischen deren Sternen jetzt der Mars steht, der einzige augenblicklich sichtbar Planet, der auch bereits gegen 9 Uhr untergeht.
S.

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