Lagerfeuer

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Lf. Nr. 28 Matsuyama, Sonntag, den 6. August 1916

Kolonialpolitische Gedanken über Marokko.

Wohl kaum ein Land hat in den letzten 10 Jahren die europäischen Kabinette und die gesamte Presse derart in Anspruch genommen wie das alte Scherifenreich Marokko. Ein Rückblick auf zum Teil schon ziemlich zurückliegende Ereignisse darf gerade in den heutigen Tagen nicht ganz uninteressant erscheinen, zumal diese Ereignisse zweifellos in mehr als einem Punkte in direktem Zusammenhange mit den Ereignissen der Jetztzeit stehen. So hat die Konferenz in Algeciras sicher viel dazu beigetragen, uns die wahrscheinliche Haltung der Großmächte im Kriegsfalle klar erkennen zu lassen. Schon damals hat sich Österreich als unser tüchtiger Sekundant erwiesen, und die Extratour der Italiener ließ allerhand Schlüsse auf die Bundestreue dieser Nation zu. Nirgendwo und nie zuvor wurde das Intrigenspiel Englands so klar erkannt, und sicher trat bei dieser Gelegenheit zum ersten Male zutage, gegen welche Übermacht wir einmal den Zukunftskrieg zu führen haben würden. Wie mancher, der sich früher nicht genug tun konnte, die zurückhaltende Stellung unserer Regierung zu bekritteln, hat einsehen gelernt, zu welch großem Danke wir den Männern verbunden sein müssen, die uns damals und noch fast 10 Jahre lang den Frieden zu erhalten wußten. Zehn lange Jahre, in denen wir und unser Bundesgenosse uns zu dem heutigen Waffengange rüsten und wappnen konnten. Von diesem Gesichtspunkte aus müssen wir auch das Abkommen vom Jahren 1911, in welchem wir uns hinsichtlich Marokkos politisch desinteressiert haben, betrachten. Denn niemand kann sich wohl damals im unklaren darüber gewesen sein, daß derjenige, der das politische Heft in Händen hat, auch auf kommerziellem und jedem andern Gebiet vorherrschen würde. Dieses allgemein unbefriedigende

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Abkommen trug so den Stempel des Provisorisches auf der Stirn, daß sich die Kenner der Verhältnisse wohl sagen konnten, daß wir die endgültige Regelung dieser Frage nur auf eine günstigeren Augenblick verschoben haben. Und dieser Zeitpunkt wird, wie wir jetzt wohl alle hoffen dürfen, nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Daß die marokkanische Frage auf der Friedenskonferenz eine bedeutende Rolle spielen wird, glaube ich umsomehr, als ich davon überzeugt bin, daß wir auch nach einer siegreichen Beendigung dieses Krieges nicht mit einer Kriegsentschädigung in barer Münze rechnen können, die auch nur einigermaßen geeignet wäre, unsere Aufwendungen und berechtigten Ansprüche zu befriedigen: Der Krieg, der immer mehr den Charakter eines Erschöpfungskrieges angenommen hat, wird wohl kaum eher zu Ende gehen, als bis auch die Kasse unseres kapitalkräftigsten Gegners erschöpft sein wird. Somit wird die Kriegsentschädigung also wohl in Kolonien bestehen müssen. Wenn wir uns nun fragen, wie eine Kolonie, die unseren Erwartungen gerecht zu werden verspricht, aussehen müßte, so werden uns verschiedene Gründe ganz besonders auf das an der Schwelle Europas gelegene Marokko weisen.
Wenn auch der Nutzen unserer bisherigen Kolonien vielfach unterschätzt wurde, so ließen dieselben uns doch schon lange darüber nicht im unklaren, daß wir Deutschen bei der Verteilung der Welt zu kurz gekommen sind. Auch hat uns dieser Krieg bewiesen, welch verhängnisvolle Rolle die große Entfernung unserer Südsee-Inseln und Tsingtaus vom Mutterlande gespielt hat. Aber auch unsere anderen Kolonien, so zukunftsreich sie ja in mancher Hinsicht gewesen sein mögen, entsprachen doch nicht den Anforderungen, die unsere Kolonialpolitik im Interesse des Volkes an unsere zukünftigen Kolonien stellen muß. Kolonien, die einem Ansiedler, der nicht über ein Vermögen von mindestens 30 - 50 000 M verfügt, das Farmen unmöglich

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machen und unser Arbeiter und Handwerker die Ausübung ihres Berufes aus klimatischen Gründen oder aus Mangel an Absatz ihrer Erzeugnisse verwehren, entsprechen nicht dem Ideal, das ich mir von einer Zukunftskolonie gemacht habe. Auch Kolonien wie der Kongo, die durch jahrzehnte langen Raubbau derart heruntergewirtschaftet sind, daß sie erst nach jahrelangem Wiederaufbau eine Ausbeute ermöglichen und deren Klima derart schlecht ist, daß der Deutsche niemals bodenständig werden kann, sondern schon in der zweiten Generation eine dienstuntaugliche Tropenpflanze wird, kommen höchstens für unser Großkapital in Frage. Was wir bedürfen, sind Kolonien, die auch dem Mittelstande und denjenigen Klassen, aus denen sich bisher die meisten Auswanderer rekrutierten, und die bis vor kurzem zumeist dem Vaterlande verloren gingen und als Dünger niedergehender oder im Aufstiege begriffener Völker Verwendung fanden, Zukunftsmöglichkeiten bieten. Diese Kolonien dürfen nicht mehr wie Tsingtau und die Südsee-Inseln irgendwo in der weiten Welt verstreut liegen ohne jede Unterstützungsmöglichkeit im Kriegsfalle, sondern müssen im Krieg wie im Frieden in sicherer Verbindung mit dem Heimatlande stehen. Auch dürfen ihre klimatischen Verhältnisse eine körperliche Betätigung des Europäer nicht ausschließen.
Im Folgenden möchte ich ausführen, in wie weit gerade Marokko diesen Anforderungen fast in allen Punkten entsprechen würde. Ehe ich jedoch auf Einzelheiten eingehe, muß ich erwähnen, daß meine persönlichen Erfahrungen mehrere Jahre zurückliegen und daß mir bei der Bearbeitung dieser Frage weder persönliche Aufzeichnungen noch einschlägige Literatur zur Verfügung standen.
Marokko gehört noch heute zu den unerforschtesten Ländern Afrikas, obgleich die Straße von Gibraltar an ihrer schmalsten Stelle kaum 14 km breit ist. Der Name Marokko, auf deutsch

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„Die Geschmückte“, wurde von den Europäern von der Stadt Marokko, oder Marakesch, wie sie die Eingeborenen nennen, auf das ganze Land übertragen. Seiner geographischen Lage entspricht mehr die in Marokko übliche Bezeichnung „Moghreb ul Aksa“ das „Land im äußersten Westen“ oder das „Land der untergehenden Sonne“. Die Westküste wird von dem Atlantischen Ozean bespült und erstreckt sich von dem in der Nordwestecke gelegenen Kap Spartel südwärts immer mehr nach Westen ausbiegend, vom 8 bis 12 Grad westlicher Länge. Die Nordküste, soweit sie von der eigentlichen Straße von Gibraltar gebildet wird, halbiert der achte Längengrad, der Marokko in fast zwei gleiche Teile teilt. Die weitere nördliche Umgrenzung bildet der Südrand des Mittelländischen Meeres. Die politische Grenze, die Marokko im Osten von Algerien trennt, ist nie genau festgelegt worden. Auch die Südgrenze ist ein ziemlich dehnbarer Begriff und verläuft etwa am Südabhange des Anti-Atlas bezw. am nördlichen Rande der Sahara. Die Gebirge durchziehen das Land in durchaus ähnlicher Weise wie die Sierren Spaniens in mehreren hintereinander gelegenen, von Osten nach Westen verlaufenden Zügen, deren mächtigster das Massiv des hohen Atlas im Süden Marokkos ist. Ihm vorgelagert zieht sich der Mittlere Atlas von der fruchtbaren Schauja-Ebene bis an die algerische Grenze. Im Süden liegt der schon erwähnte Anti-Atlas. An der Nordküste entlang zieht sich, kurz hinter Tanger beginnend, das Rif bis in die Nähe des spanischen Präsidiums Melilla.
Auch im Verlauf der Ströme liegt eine gewisse Übereinstimmung. Mit Ausnahme des Muluja-Flusses, der sich unweit der französischen Grenze in das Mittelmeer ergießt, führen alle Ströme, aus den Tälern des Mittleren und Hohen Atlas entspringend, die fruchbaren Ebenen von Schauja und Dukala und das

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Susgebiet in norwestlicher Richtung durchströmend, in den Atlantischen Ozean. Es sind das, im Norden beginnend: der Likus, der bei dem zweiten uns Deutschen konzessionierten Hafenorte Larasch (El Araisch) mündet. Dieser Hafen wurde zu derselben Zeit, als der Hafen von Tanger von der Frankfurter Firma Philipp Holzmann & Co. ausgeführt wurde, von der Münchner Baufirma Sager & Wörner in Angriff genommen. Nach Süden folgen nun der Uad Sebu, an dessen Oberlauf die Reichshauptstadt Fes liegt, und der sich kurz vor seiner Mündung bei der Stadt Mechdia mit seinem Nachbarfluß Uad Bet vereinigt, der Uad Bu Rgrug, bei der durch ihre Teppichindustrie berühmten Doppelstadt Rabatt-Saleh mündend, der Uad Mela, der auf dem Mittleren Atlas entspringt, die Schauja-Ebene durchfließt und bei der durch das französische Bombardement so traurig berühmt gewordenen Stadt Casablanca mündet. Der Um-ar-rebia nimmt seinen Ursprung im Mittleren Atlas und ergießt sich, nachdem er die fruchtbare Dukala-Ebene durchzogen hat, in der Nähe der Hafenstadt Asemur in den Atlantischen Ozean. Die wegen ihrer Pferdezucht besonders berühmte Ebene von Abda durchfließt der Uad Tensift, der im Hohen Atlas unweit der schon erwähnten Stadt Marakesch entspringt und etwas südlich des geöffneten Hafenortes Safi mündet. Der letzte und südlichste marokkanische Strom ist der Uad Sus, der das zwischen den Hohen und Anti-Atlas gelegene Susgebiet durchströmt und bei der durch den bekannten Panthersprung berühmt gewordene Stadt Agadir mündet.
Das Klima Marokkos ist in seinem nördlichen Teile ein ausgesprochenes Mittelmeerklima und würde sich gewiß nicht weniger zur Anlage von Luftkurorten eignen als die Küste der Riviera. In den südlicheren Teilen ist es heißer, doch lassen sowohl die täglich einsetzenden Seebrise als auch die über den schneeigen

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Atlas streichende Landbrise es nie zu einer tropischen Hitze kommen. Die zwischen der Meeresküste und den Abhängen des Atlas gelegenen Ebenen (Schauja, Abda, Sus) sind äußerst fruchtbar und ihre Landesprodukte könnten schnell und billig auf den ohne allzu große Schwierigkeiten regulierbaren Flüssen an die Hafenstädte gebracht werden. Gartenkultur und Gemüsezucht in der Nähe der Städte könnte alle die landwirtschaftlichen Produkte erzeugen, die bis vor dem Kriege Italien lieferte. Von alters her hatte die Pferdezucht in diesen Ebenen eine hohe Stufe erreicht. Über die Rindvieh- und Schafzucht habe ich mich schon in meinem ersten Aufsatze aus–gesprochen. Wenig bekannt ist es, daß in der Nähe von Casablanca die Schweinzucht in großem Maßstabe blüht; die Tiere vermehrten sich dort in staunenerregender Weise. Über den Reichtum am Erz- und Kohlenlagern

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ist bis heute noch nicht sehr viel bekannt geworden. Auch die Gebrüder Mannesmann mußten mit ihrem bergmännischen Personal zuerst ihre Musterfarmen bewirtschaften, da der Neid der Franzosen ihnen ein Schürfen unmöglich machte.
Wie ich im vorigen Artikel schon ausgeführt habe, waren die unsicheren Rechtsverhältnisse und das Räuberunwesen ein Hauptgrund für den Verfall des Scherifenreiches. Um Abhilfe zu schaffen, hat man auch in Marokko, ähnlich wie in der Türkei, damit begonnen, durch europäische Instrukteure die Militärverhältnisse zu regeln und dem Sultan ein schlagfertiges Heer zu schaffen. Wenn man von dem Türken sagt, daß er eine vorzüglicher Soldat sei, so kann man mit demselben Rechte von dem Marok–kaner sagen, daß er ein hervorragender Krieger von todesverachtendem Mute und ungeheurer Widerstandsfähigkeit und Ausdauer ist. Daß er selbst für einen mit modernen Waffen und Artillerie ausgerüsteten Feind ein nicht zu verachtender Gegner ist, hat der Marokkaner in den Kämpfen mit den Franzosen und Spaniern bewiesen. Allgemeine Wehrpflicht ist für den Muslemin ein Selbstverständlichkeit, die nicht erst eingeführt zu werden braucht. Handelt es sich um einen ausländischen Feind, so ist eben jeder Mann, der fähig ist, Waffen zu tragen, Soldat. Das stehende Heer, dessen die Sultane zur Beilegung von inneren Zwistigkeiten oder Grenzstreitigkeiten bedurften, entsteht dadurch, daß jedes Dorf der dem Machsen unterworfenen Stämme einen Mann stellen muß, welcher zeitlebens Soldat ist. Jeder Stamm soll einen Tabor, d.h. ungefähr 500 Mann stellen.

Noch während meines Dortseins trat die berühmte internationale Polizei zusammen, die von dem jetzt oft genannten schweizerischen Oberst Müller kommandiert wurde. Häufig kam es in ihr zu Reibereien zwischen den spanischen und französischen
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Instruktionsoffizieren, die so dafür sorgten, daß der kriegerische Geist in der Truppe nie verloren ging. Derselbe Geist herrschte natürlich auch unter den Unteroffizieren und Mannschaften. Die Franzosen hatten in ihren algerischen Unteroffizieren ein vorzüglich geeignetes Material und auch die Spanier hatten von ihren Präsidien manchen sprach- und landeskundigen Mann abkommandiert. Wo man sich aber im Hauptprinzip nicht einig war und nicht eigentlich eine Polizei heranbilden wollte, sondern vielmehr sowohl auf französischer als auch auf spanischer Seite die Absicht vorlag, möglichst viele Marokkaner für eigne Zwecke militärisch auszubilden, ist es selbstverständlich, daß von einer eigentlichen Ausbildung und einem wirklichen Durchgreifen von oben herunter nicht die Rede sein konnte. Die Polizeitruppe war sauber gekleidet, einheitlich bewaffnet und gut beritten.
Frühzeitig haben die Franzosen erkannt, daß aus dem Marokkaner ein vorzüglicher Soldat gemacht werden kann und mehr als einmal erfuhren wir aus den Zeitungen, daß französische Militärschriftsteller in dem unter der Trikolore kämpfenden französisch-marokkanischen Zukunftsheer die Erlösung Frankreichs sahen. Ich bin davon überzeugt, daß die in unseren Kriegsberichten häufig erwähnten Marokkaner in ersten Linie Algerier sind. Es mögen natürlich auch durch Geld oder falsche Versprechungen bestochenen Marokkaner darunter sein, und da will ich gerne glauben, daß die Leute, die gegen ihre innerlichen Überzeugungen gegen uns kämpfen müssen, keine beson–deren Heldentaten verrichten. Wohl aber kann uns die Tatsache, daß Marokkaner gegen uns kämpfen einmal sehr zustatten kommen, wenn es sich darum handelt, Marokko als Kolonie zu erwerben. Sicher wird es dann die Gefühle unserer moham–medanischen Bundesgenossen weniger verletzen, daß wir das Land ihrer Glaubens–genossen besetzen.

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Nach meinem persönlichen Erfahrungen ist der Marokkaner stets deutschfreundlich gesinnt gewesen. Im Franzosen sah er genau wie wir Deutschen den Erbfeind. Ein altes muhammedanisches Sprichwort sagt: Meines Feindes Feind ist mein Freund. Noch ehe die Marokkaner ihre traurigen Erfahrungen selbst mit den Franzosen gemacht hatten, waren sie ihnen aus Erzählungen ihrer Stammesgenossen in Algerien bekannt geworden. Als nun gar der Kaiser nach Tanger kam und von den Vertreter des Sultans begrüßt wurde, sahen alle Marokkaner darin eine Bestärkung ihrer Hoffnung, daß sie in uns Deutschen, wenn die Annektionslust der Franzosen einmal nach Marokko übergreifen sollte, eine tatkräftige Unterstützung erwarten konnten. Als dann schließlich ein kleiner Vorfall, der von französischer Seite beim Hafenbau von Casablanca provoziert wurde, einigen Franzosen das Leben kostete, ließen die Franzosen ihre Maske fallen und gingen von ihrem bisher geübten Prinzip der friedlichen Durchdringung zur kriegerischen Invasion über. Dem Bombardement von Casablanca folgte die Eroberung der Schauja-Ebene und jede Strafexpedition zur Sühnung kleiner, von den Franzosen selbst hervorgerufenen Aufstände diente zu Vergrößerung ihrer Machtsphäre. Immer und immer wieder wandten sich die Marokkaner an uns Deutsche und fragte, wann endlich die von uns versprochene Hilfe einsetzen würde. Es war peinlich, den guten Leuten auseinanderzusetzen, wie wenig sie von uns erwarten konnten. Wenn man ihnen sagte, wir können jetzt mit Frankreich keinen Krieg anfangen, so erwiderten sie: "Ihr habt doch 1870 die Franzosen geschlagen und ihren Kaiser gefangen genommen; ihr seid heute größer und stärker geworden, wenn ihr wollt, so könnt ihr uns helfen." Damals verwandelte sich die Sympathie für uns Deutsche, die mir und manchem Freund ermöglicht hatte, weit ab von Tanger in den marokkanischen Bergen zu jagen

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und sich bei irgend einer Kabine zu Gast zu laden und sorglos zu schlafen, in schmähliche Verachtung und Haß.
Ein zeitweiliger Umschwung trat wieder ein, als der tatkräftige und deutschfreundliche Sultan Mulai Hafid seinen schwächlichen Bruder vom Throne verjagte und man aus verschiedenen Maßregeln unserer Regierung den Schluß ziehen zu können glaubte, daß wir den Franzosen gegenüber eine energischere Sprache zu sprechen gesonnen wären. Noch heute klingt mir das "Allah himsur Mulai Hafid", d.h. Gott erhöhe den Mulai Hafid, Gott erhöhe den Deutschen Kaiser und seinen Gesandten, in den Ohren, das alt und jung anstimmte, wenn man am Krönungstage Mulai Hafids Deutsche auf den Straßen sah. An diesem Krönungstage wurde in den Moscheen Marokkos zum erstenmal für eine Christen, nämlich unseren Kaiser, gebetet, und zum erstenmal betrat ein Christ die Hauptmoschee in Tanger, nämlich ein deutscher Legationsrat als Vertreter des Gesandten. Aber auch dieser Zauber dauerte nicht lange, und als wir uns schließlich in Marokko politisch desinteressierten, waren die schönen Tage für uns Deutsche vorüber. Oft hörte ich vorher die Ansicht von vernünftigen Marokkaner: Wenn es nun wirklich so sein sollte, daß wir nicht mehr frei sein könnten, so wollen wir lieber die Sklaven der starken und siegreichen Deutschen als der französischen Hunde sein. Und diese weitverbreitete Ansicht läßt mich hoffen, daß es nicht allzu schwer sein würde, die Sympathie des marokkanischen Volkes wieder zu erwerben, wenn man bei der Besetzung taktvoll vorginge und dem freiheit- und ehrliebenden Charakter des Mauren und Berbers Rechnung träge.
Was sich dann aus Marokko machen ließe, weiß jeder, der während der kurzen Zeit deutschen Einflusses in Marokko war. In allen Hafenstädten waren die ältesten und größten Geschäfte in deutschen Händen. Ich erinnere an das großzügige geplante

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Mannnesmannunternehmen, an die Hafenbauten von Holzmann und Sager und Wörner und vieles andere mehr. Wenn ich anfangs erklärt habe, daß ich in Marokko eine Idealkolonie auch für den deutschen Mittel- und Arbeiterstand sehe, so geschah dies einerseits, weil die außerordentlich gesunden klimatischen Verhältnisse dem Deutschen die Ausübung seines Handwerks ermöglichen und weil zweitens der an einen gewissen Luxus gewöhnte Maure und vor allen Dingen die zahlreichen Spanier und Levantiner Bedürfnisse für europäische Erzeugnisse haben, die bisher von Frankreich aus gedeckt wurden. Es gab zu meiner Zeit nur französische Schneider, spanische Schuster, aber außer unseren deutschen Zimmerleuten und Maschinisten, die wir selbst mitgebracht hatten, keinen deutschen Handwerker. Der Bauer und Gärtner, der sich nur wenige Hektare Land kaufen und anbauen würde, hätte wegen der großen Absatzmöglichkeit für landwirtschaftliche Erzeugnisse sehr schönen Verdienst und die Aussicht{,} seinen Grund und Boden später einmal vorteilhaft zu verkaufen. Alle Erzeugnisse Italiens könnte man ausnahmslos in Marokko ziehen und sie auf dem Seewege schnell und billig, ohne Umlade- oder sonstige Spesen nach Hamburg bringen. Dem jungen Kaufmann machte zu meiner Zeit wie überall an Mittelmeer der sprachgewandte und geschmeidige Schweizer Konkurrenz. Doch auch dies würde wegfallen, wenn Marokko deutsch würde.
Ein kurzes Wort noch, wie ich mir eine Einigung mit Spanien vorstellen würde. Wie die Verhältnisse heute liegen, zerfällt Marokko in eine französische und eine spanische Einflußsphäre und in das neutrale Gebiet von Tanger. Außerdem haben die Spanier an der Mittelmeerküste noch verschiedenen Präsidien, die sie in erbitterten Kämpfen schon seit Jahrhunderten mit knappen Not gegen die Marokkaner behaupten, die sie zum Teil als Deportationsorte benutzen, und Spanien bisher mehr Geld gekostet als eingebracht haben. Ich

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glaube sicher, daß die Spanier wenn wir ihnen wieder zu Gibraltar verhelfen, uns gerne diese Felsennester ließen.
Wenn dann auf dem Tschibel Musa, d.h. der anderen Säule des Herkules, deutsche Geschütze ständen, so könnte man von da besser noch als von dem Tschibel Tarek die Straße von Gibraltar beherrschen. Wenn dann die Dardanellen fest in Händen der Türken bleiben, der Suezkanal unter türkisch-deutsche Verwaltung und die Straße von Gibraltar in spanisch-deutsche Hände käme, wenn in Tanger ein großer Handelskriegshafen mit Unterseebootsstation entstände, wäre die englische Herrschaft im Mittelmeer zertrümmert, und nicht könnte das Blühen, Wachsen und Gedeihen der neuen Kolonie hindern.
„Unsere Siege auf dem Kontinent werden uns einen Kolonialbesitz sichern und der unverwüstlichen deutschen Unternehmungslust eine neue fruchtbringende Tätigkeit eröffnen.“
Mögen diese Worte des Reichskanzlers vor allem hinsichtlich Marokkos in Erfüllung gehen.
Str.

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Altes und Neues von Kriegerheimstätten.

Das Gefühl, daß jede Familie ein Heim haben müsse, ist uralt und lange Zeit eine Selbstverständlichkeit. Von einem Heimstättengedanken kann man aber erst reden, sobald jener naturgemäße Zustand gestört ist, ein erheblicher Teil des Volkes eines eigenen Heims entbehrt, während eine Minderzahl riesigen Grundbesitz in ihren Händen vereint. Dann erst kann der Gedanke bewußt werden, daß das nicht so sein dürfe, und damit sind auch Bestrebungen zur Beseitigung des unrechten Zustandes gegeben.
Derartige Bestrebungen finden wir zuerst schon im alten Israel.

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die wichtigsten Bestimmungen sind im 3. Moses, Kap. 25 verzeichnet: Jede Familie hat ein unveräußerliches Recht auf ihre Heimstätte, und auch, wenn diese in fremde Hände gelangt ist durch Kauf (richtiger Pacht) oder Schuldpfändung, so findet doch alle 50 Jahre – Hall- oder Jobeljahre – (daher noch unser mißverstandener Ausdruck „alle Jubeljahre“) eine neue Verteilung des Grundbesitzes statt, wobei jede Familie wieder ihr Teil zugewiesen erhält.
Blicken wir nun gar in die Geschichte Roms, so sehen wir sie vom Beginn bis zum Ende der Republik dauernd erfüllt mit inneren Kämpfen um die Frage der Grundverteilung. Wuchs doch Roms Hauptübel, die große Schar besitz-, heimatloser Proletarier von Jahr zu Jahr in immer beängstigenderem Maße, und wurde doch ihre Zahl durch die dauernden Getreideverteilungen aus den Tributen der unterworfenen Völker nur bedeutend vermehrt und außerdem noch an Nichtstun gewöhnt. Daher sehen wir alle großen Reformer Roms mit Plänen beschäftigt durch Beseitigung des Grundbesitzes und Verteilung an die Bürger dem doppelten Übel abzuhelfen. Allen innerpolitischen Kämpfen liegt der Kampf um die „Ackergesetze“ zu Grunde, der seinen Höhepunkt in den Kämpfen der beiden Gracchen und ihrer Ermordung erreicht.
Aber auch unseren besonderen Gedanken der Kriegerheimstätten finden wir schon im alten Rom vertreten, und zwar hat er eine unermeßliche politische Bedeutung gehabt. Er bedeutet in der Entwicklung des römischen Weltreiches den Markstein, von dem ab sich die Republik in ein Kaiserreich zu verwandeln beginnt. Zweifellos ist Cäsar der wahre Begründer des römischen Kaisertums. Seine politische Macht aber beginnt mit dem ersten sogenannten Triumvirat, als er sich durch Vermittlung des klugen Crassus mit seinem größten und gefährlichsten Gegner, Pompejus, verbindet und so erst in die Lage kommt, nach Beseitigung der republikanischen

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Machtstellung durch die neuen Verbündeten, sich die Mittel zu verschaffen und den Ruhm zu erringen, deren er zur Durchführung seiner Pläne bedarf. Der Gegenstand aber, auf Grund dessen sich die bisherigen Gegner und ihre Parteien, die sich bis dahin aufs Messer bekämpft hatten, einigten, war: der Entwurf eines Kriegerheimstättengesetzes! Dieses Gesetz setzten sie mit Gewalt gegen die Widerstrebenden durch, um ihre Heere zu belohnen und sich auch für ihre weiteren Pläne deren Treue zu sichern. Schon in dieser einigenden Wirkung kann man eine Ähnlichkeit mit unseren heutigen Verhältnissen finden:Ist doch der Kriegerheimstättenplan-wie die bodenreformerischen Gedanken überhaupt-der Punkt gewesen, auf den sich die Vaterlandsfreunde aus allen Parteien mit ihren sonst so überaus verschiedenen Bestrebungen einigen. Auch Cäsars Begründung zu seinem Entwurfe hörte sich in manchen Punkte recht neuzeitlich an. „Die Volksmenge (in Rom) wachse immer mehr an und neige, unbeschäftigt wie sie sei, zu empörerischen Bewegungen.“ – „Es gebühre sich, daß denen, durch deren Blut und Gefahr die Siege erfochten worden, auch ein Anteil an dem Gewinne zukommen, der daraus entsprungen.“ (Ranke „Weltgeschichte“).
Kehren wir zur Jetztzeit zurück. Die Heimstättenbewegung zu Hause hat schon einige Erfolge zu verzeichnen. Im Reichstag wurde ein Entwurf eingebracht – er ist inzwischen sicher Gesetz geworden –{,} durch den die Umwandlung von Invaliden-, Hinterbliebenen- usw. Renten im Kapital ermöglicht wird, das dann den Rest des Baugeldes bilden soll, der nicht vom Staate vorgeschossen werden kann. Ferner hat in Preußen bereits der Landtag 100 Millionen M zum Zwecke der Ansiedelung von Kriegern, besonders Invaliden usw. bewilligt. Auch mit der Umsetzung der Gedanken in die Tat ist schon begonnen. So hören wir, wie in Magdeburg 230 Morgen

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(ungefähr 60 ha) für Kriegerheimstätten bereitgestellt sind, während sich Rostock besonders der „Wirtschaftsheimstätten“ annimmt und zu der für diese nötigen beruflichen Vorbildung den Kriegsbeschädigten ein besonderes Versuchsfeld zur Verfügung stellt und ihnen gleichzeitig in der Landwirtschaftsschule in Lübs den erforderlichen Unterricht bietet. Auch im Staate Hamburg sind ihnen Kurse für landwirtschaftliche Buchführung eingerichtet mit Besichtigung von Musterstellen. Ähnliche Kurse veranstalten verschiedene Lazarettverwaltungen. Man denkt hauptsächlich an gemischte Kleinbetriebe – Gemüse- und Obstbau{,}Kleinviehzucht und wenn möglich Bienenzucht – und rechnet für einen derartigen Betrieb auf ein halbes bis zwei Hektar Land mit den nötigen Anlagen, Einrichtungen usw. alles zusammen im Werte von ungefähr 10 - 15 000 M.
Besonders rührig ist auch unser lieber Bundesgenosse Österreich gewesen, wo der Heimstättengedanke von weitesten Kreisen mit besonderer Begeisterung aufgenommen ist und in zahlreichen seiner bekanntesten Persönlichkeiten eifrige Anhänger und begeisterte Vertreter gefunden hat. Hier, und zwar in Wien, ist die erste großzügige Ausführung des Plans bereits in Angriff genommen. Gleichzeitig mit einem beherzigenswertem Aufruf an die anderen Städte und Selbstverwaltungskörper, an Regierung und Heeresverwaltung, hat der Wiener Gemeinderat einer Siedlung von 686 Wohnheimstätten zugestimmt. Sie soll in dem schlachtberühmten Gebiete von Aspern angelegt werden, das jetzt im 21. Bezirke der Stadt liegt. Das erfreulichste an dieser nach vorzüglichen Grundsätzen angelegten Siedlung ist ihre ausdrückliche Bezeichnung als „Siedelung I“, als nur ein erster Anfang zu weiteren Taten. Auch in Graz sind schon Versuche im Gange, und die nächste große Anlage von Wohn- und auch Wirtschaftsheimstätten wird der Statthalter von Steiermark unternehmen.

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Alle diese Bestrebungen sind hocherfreulich; denn sie zeigen deutlich, wie der gesunde Gedanke der Kriegerheimstätten in immer weiteren und einflußreicheren Kreise Fuß faßt. Aber wir wollen doch in der Freude über diese Erfolge nicht das eine vergessen, daß die Hauptsache noch immer zu tun ist. Alle diese lobenswerte Einzeltätigkeit kann nur Flickwerk, nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, bestenfalls ein Stück Wohltätigkeit für eine begrenzte Anzahl von Kriegsbeschädigten, – wenn sie nämlich so vereinzelt bleibt! Der Gedanke der Kriegerheimstätten geht weiter, will nicht nur eine besondere Art der Versorgung von Kriegsbeschädigten sein – so erfreulich diese Nebenwirkung auch ist. Wesentlich für den Gedanke bleibt, daß auch der Gesunde, daß einfach jeder, der für sein Vaterland sein Leben eingesetzt hat, das Recht haben soll – falls die übrigen Vorbedingungen erfüllt sind – auf ein Stück des Heimatbodens, den er verteidigen und retten half, ein Recht, nicht eine milde Gabe, der immer etwas der Geruch von Almosen anhaftet. Will man aber den Kriegsteilnehmern dieses Recht verleihen, so muß man auch notwendig noch einen Schritt weitergehen und der Organisation, die die Heimstätten ausgibt, im äußersten Falle, wenn anderweitig kein Boden zu haben ist, das Recht zur Enteignung geben. Diese beiden Hauptpunkte: Das Recht auf die Heimstätte und nötigenfalls die Enteignung dazu können aber natürlich nur durch ein Reichsgesetz eingeführt werden; und um das zu erreichen, wird es noch viel Aufklärung, Begeisterung und unermüdlicher Arbeit bedürfen; denn wie Allem grundsätzlich Neuem stehen auch diesen Bestrebungen mancherlei Interessen entgegen.
Werfen wir noch zum Schluß einen Blick über den Kanal zu unseren „Vettern“, die wir von allen unseren Gegnern so am meisten lieben, so finden wir, da bei ihnen die Heimstättennot noch viel größer ist als bei uns. Hier wurde – vor 100 Jahren – zur Zeit

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einer unvernünftiger Schutzzollpolitik der ganze freie Bauernstand aufgekauft und vertrieben, nicht etwa, wie oft behauptet wird, hat der spätere Freihandel die Bauern ruiniert: er hätte nichts mehr zu vernichten gefunden. Unter Führung des klugen Volksführers und wohl auch Volksverführers LLoyd George hat man hier schon im Frieden Versuche mit Heimstätten gemacht und auch schon für diesen Zweck Enteignung bewilligt. Auch jetzt werden Stimmen laut, die rückkehrenden Krieger mit Land zu belohnen. Allerdings finden diese Bestrebungen viel Gegnerschaft, deren echt englische Verständnislosigkeit gegenüber dem wesentlich auch moralische Problem sich darin zeigt, daß sie zur Widerlegung immer wieder anführen, die Landwirtschaft rentiere sich nicht so gut, es habe noch keiner mit ihr so große Reichtümer erworben wie in Industrie und Handle, und die Kriege{=Krieger} würden daher eine bessere Kapitalanlage wünschen. Nichtsdestoweniger ist der Regierung bereits vom Parlament ein Fonds von 120 Millionen M bewilligt worden zu Ankauf von Ländereien für diese Zwecke. Man will 200 000 Acker = 809 qkm zur Ansiedelung von 10 - 15 000 entlassenen Soldaten beschaffen.
Möge uns in einem Kriegerheimstättengesetz als schönste Frucht des Krieges der Anfang beschert werden zu einem Bodenrechte, das das Volk wieder mit seinem Heimatboden zusammenbringt und so zu einem Teile dem gefährlichen Geburtenrückgang entgegenwirkt!
Dr. Kn.

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