Lagerfeuer
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Lf. No. 21. Matsuyama, Sonntag, den 18. Juni 1916
Die Erdgeschichtliche Entwicklung Chinas.
1. Einleitung und ältere Zeiten.
Aus manchen Fragen, die an mich gerichtet worden sind, glaube ich schließen zu dürfen, daß dem einen oder dem anderen eine gemeinverständliche Darstellung der Geologie von China in ihren Hauptzügen nicht unwillkommen sein würde. Ich will deshalb im folgenden versuchen, eine geologische Geschichte von Nord-China in kurzen Umrissen zu zeichnen, so wie ich sie selbst auffasse. In einer solchen Darstellung ist es natürlich unmöglich, die einzelnen Folgerungen zu begründen. Es kann sich nur darum handeln, ein Gesamtbild der Forschungsergebnisse zu entwerfen. Ich möchte deshalb gleich eingangs bemerken, daß die hier gegebene Darstellung in vielen Punkten wesentlich von derjenigen abweicht, die F. v. Richthofen in seinem großen, grundlegende Chinawerk vor 30 Jahren gegeben hat und auf der die späteren Darstellungen meistens beruhen. Die Abweichungen haben verschiedene Gründe. Einerseits habe ich manche neuere Beobachtungen mit verwerten können, die seit Richthofen gemacht worden sind, und andererseits habe ich vor allen Dingen versucht, ein Bild zu geben, das der Wandlung unserer allgemeinen geologischen Anschauungen seit den letzten 30 Jahren Rechnung trägt. Manches, was hier erwähnt wird, ist natürlich noch zweifelhaft. Das Riesenland China bietet noch auf Menschenalter hinaus so viele ungelöste Fragen, daß es unmöglich ist, ein Gesamtbild zu geben, wenn man jede Unsicherheit dabei gewissenhaft vermerken will. Ich habe deshalb unter den mancherlei möglichen Deutungen im allgemeinen nur diejenige berücksichtigt, die mir die wahrscheinlichste zu sein scheint,
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und glaube damit der Lesbarkeit des Ganzen einen Dienst erwiesen zu haben. Wer diesen Fragen ein so großes Interesse entgegenbringt, daß er sich eine eigene Meinung bilden will, ist ja doch auf ein gründliches Studium der älteren Werke angewiesen.
Wenn man die geologische Geschichte eines Landes, die Entstehung seiner Gesteine, seiner Berge, Täler und Flüsse darstellen will, dann muß man sich von vornherein über die Grenzen klar sein, die einer solchen Forschung durch die Sache selbst gezogen sind. Was können wir wissen aus der Zeit, bevor die menschliche Entwicklung beginnt? Der Geologe will Geschichte schreiben, die Geschichte von Zeiträumen, innerhalb deren ein Jahrtausend nur eine verschwindend kurze Spanne ist, und vor allen Dingen von Zeiträumen, aus denen keine gleichzeitigen Aufzeichnungen vorliegen, wie sie der Geschichtsforscher seinen Arbeiten zugrunde legt. Und doch, wenn wir in die Tiefe steigen, ist der Unterschied "weltgeschichtlicher" und "erdgeschichtlicher" Forschung geringer, als es zunächst scheint. Auch die Erdgeschichte hat ihre "Urkunden", auch sie besitzt sozusagen zeitgenössische Zeugnisse über gar manche Vorgänge aus jenen früheren Zeiten, und auch sie sieht nur diese zeitgenössischen Zeugnisse als wirklich zuverlässig an. Als solche Urkunden müssen uns die Formen der Berge und Täler, die Arten der Gesteine und ihrer Lagerung und endlich die von ihnen eingeschlossenen Versteinerungen dienen. In den Formen eines Flußtales prägen sich die klimatischen Wandlungen während der Zeit seiner Bildung aus, die genauere Untersuchung eines Gesteines läßt erkennen, ob es sich auf trockenem Lande oder in Flüssen, in Süßwasserseen oder im Meere bildete, ob sein Material vom Winde zusammengeweht oder vom Wasser zusammengeschwemmt wurde
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oder ob es seine Entstehung vulkanischen Ergüssen verdankt. Bis zu einem gewissen Grade läßt sich sogar das Klima bestimmen, das bei der Ablagerung des Gesteinsmaterials herrschte. Daraus ergeben sich für den Ort, an dem das Gestein gefunden wird, Schlüsse auf die ehemalige Verteilung von Land und Wasser, auf das Klima früherer Perioden und zuweilen auch auf den Verlauf früherer Gebirge. Wir können ältere Züge des Geländebildes von den jüngeren unterscheiden und in vielen Fällen sogar die Zeit bestimmen, in der dieser oder jener Zug entstanden. Allerdings ist es mit der Datierung der geologischen Urkunden eine eigene Sache. Wir kennen eigentlich nur die Reihenfolge der Ereignisse, nicht ihre Zeitdauer. Die geschichtlichen Gesteine liegen wie ein wohlgeordnetes Aktenbündel in derselben Reihenfolge übereinander, in der sie nacheinander entstanden sind; denn jede neue Schicht mußte sich über die andern legen. Die Versteinerung bietet uns andererseits ein Mittel, gleichaltrige Schichten als solche wieder zu erkennen, auch wenn wir sie in weit auseinander liegenden Gegenden finden. Da die Tier- und Pflanzenwelt unserer Erde zu verschiedenen Zeiten aus ganz verschiedenen Formen bestanden hat, so können die "Versteinerungen" die in einem Schiefer oder Kalkstein enthalten sind, dem Geologen über das Alter des Gesteins ähnliche Aufschlüsse geben, wie dem Geschichtsforscher geprägte Münzen, die er in einem vorgeschichtlichen Gräberfelde etwa findet. Nur fehlen dem Geologen auch hier wieder eigentliche Jahres- oder besser Jahrtausendzahlen. Wir wissen, was früher, was später, was gleichzeitig war, aber der Maßstab dieser Zeitangaben ist unsicher. Wir sind in einer ähnlichen Lage, als wenn wir z.B. in der Geschichte Chinas zwar alle Dynastien und alle Kaiser ihrer Reihenfolge nach
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kennen würden, aber nicht die Jahreszahlen ihrer Regierung. Wer sich nicht eingehender mit der chinesischen Geschichte beschäftigt, wird sich tatsächlich mit einem solchen Wissen zufrieden geben, vieles wichtige läßt sich auch ohne Geschichtszahlen ausdrücken. Aber wirklich anschaulich wird doch alle Geschichte erst, wenn wir uns einen Begriff davon machen können, wie sich ihre Ereignisse in ihrer Dauer zu unseren eigenen Erlebnissen verhalten; denn wir selbst bleiben immer unser letzter Maßstab. So muß auch die Geologie immer wieder versuchen, die Zeitdauer der erdgeschichtlichen Entwicklung zu messen mit den Maßen der Menschgeschichte, mit Jahren oder Jahrtausenden. Es liegt auf der Hand, daß dieser Versuch ausgehen muß von denjenigen Abschnitten der Vergangenheit, die wir mit den Augen jeder der beiden Wissenschaften betrachten können. Das sind die Zeiten der Früh- oder Vorgeschichte, die erst seit wenigen Jahrzehnten erfolgreicher Forschung zugänglich geworden sind. So steht auch die Einführung absoluter Zahlen in die Erdgeschichte noch ganz in ihren Anfängen. Wir können etwa sagen, daß die Eiszeit mindestens 20 000 Jahren hinter uns liegt; die Zeit der Bildung unserer jetzigen Hochgebirge in ihren Anfängen schon einige Millionen Jahre, daß aber der Zeitraume, den die Erdgeschichte überhaupt umfaßt, sicher das Hundertfache dieser Zeit ausmacht. Von solchen Zahlen können wir uns schwer einen Begriff machen. Wir können es höchstens unser Zuhilfenahme eine anschaulichen Bildes ungefähr in folgender Weise: Denken wir uns die ganze Vergangenheit in der Form eines Weges, den wir und unsere Vorfahren zurückgelegt haben, und an dem jedes Jahr durch ein Zentimeter Weglänge versinnbildlicht sein möge, dann liegt unsere eigene Geburt etwa eine Handspanne hinter uns, der Siebenjährige Krieg und
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die Zeit von Schiller und Goethe etwas mehr als 1 m, die Völkerwanderung rund 15 m, die Zeit, in der die ältesten Pyramiden Ägyptens gebaut wurden etwa 50 m und die Eiszeit rund 200 m, zehn bis zwanzig Kilometer hinter uns liegt etwa die Stelle, an der die ersten Faltungen der Erdrinde zur Bildung der Alpen und des Himalaya begannen, seit den ersten Spuren tierischen Lebens aber haben wir einen Weg zurückgelegt, so lang wie die Entfernung von einem Pole der Erde zum andern.
Dieses Bild wird nicht jedem sofort eine befriedigende Anschauung geben. Auch in diese Vorstellungen muß man sich erst hineingewöhnen. Was wir aber unter allen Umständen festhalten wollen, das ist die Tatsache, daß de überlieferte Geschichte der Menschenvölker nur ein verschwindend kürzer Abschnitt der Erdgeschichte ist, zugleich der einzige, den wir sozusagen von einen sehen. Darum erscheint uns die Geschichte und die Geologie auf den ersten Blick wohl sehr verschieden, im Grunde aber betrachten sie nur verschiedene Teile desselben Arbeitsgebietes. Blicken wir zurück auf den Weg, den wir gekommen sind, dann zeigt uns die Geschichte die zahlreichen klar erkennbaren Einzelheiten des nächsten Vordergrundes (in dem oben gebrauchten Bilde etwa das, was in Hörweite liegt), die Geologie erforscht die großen Züge des Hintergrundes. Es ist klar, daß diese Züge um so mehr verschwimmen, je ferner sie liegen. In jeder Landschaft, die wir überblicken, ist die Ferne ärmer an Einzelheiten als die Nähe, die einzelnen Gegenstände der Ferne verdecken sich gegenseitig, und schließlich fließen sie zusammen zu einem Horizontbande, jenseits dessen wir nichts mehr sehen als den Himmel und seine Sterne.
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So gibt es auch für den Rückblick, den uns die Geologie verschaffen will, eine jenseitige Grenze, über die die eigentliche geologische Forschung nicht hinausdringen kann, weil die der Jetztzeit näherliegenden Vorgänge die alten Gesteinsurkunden zerstört haben. Die Grenze liegt nicht für jedes Gebiet gleichweit zurück. Sie hängt gewöhnlich zusammen mit den Vorgängen der Gebirgsbildung. Unsere Hochgebirge sind ja bekanntlich so entstanden zu denken, daß innere Pressungen in der äußeren Erdrinde zu bestimmten Zeiten der Geologischen Vergangenheit eine Faltung der Erdrinde verursachten, als deren äußeres Ergebnis wir die Gebirgsketten vor uns sehen, als deren innere Folge aber vor allen Dingen eine starke Veränderung in Charakter der gefalteten Gesteine, eine sogenannte "Metamorphose", eintrat.
Es hat mehrere Zeiten der Gebirgsbildung gegeben, und jede hat uns gewisse Urkunden aus den voraufgegangenen Zeiten zerstört oder sie doch unleserlich gemacht. Alle jüngeren Faltungen scheinen aber nur geringe Teile der Erdoberfläche wirklich stark verändert zu haben, so daß daneben noch vieles aus älteren Grundsteinschichten in seiner alten Form erhalten geblieben ist. Aber wenn wir weiter zurückgehen, kommen wir schließlich an eine Faltung, die entweder, wie viele Geologen annehmen, die ganze Erdrinde gleichmäßig betroffen hat oder aus deren Zeit durch die späteren Gebirgsbildungen nur solche Gesteine an die Erdoberfläche gebracht worden sind, die starke Veränderungen erlitten haben. Jedenfalls kennen wir vor jener großen Faltung nur veränderte Gesteine. Diese Zeit bezeichnet deshalb für uns den Anfang aller Überlieferungen über Tier- und Pflanzenwelt; denn in den veränderten Gesteinen
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sind keine Versteinerungen mehr zu erkennen. Diese Zeit, aus der wir nicht als metamorphosierte Gesteine kennen, nennen wir die Primärzeit. Mit ihr beginnt die eigentliche geologische Geschichtsschreibung. Wenn wir über noch frühere Zeiten Aufschlüsse haben wollen, müssen wir unsere Forschungsweise ändern, wir kommen dann zu den Fragen über die Entstehung unserer Erde und der anderen Weltkörper und gleiten nach einem noch halb geologischen Grenzgebiete schließlich in das astronomische Gebiet hinüber.
Für die Aufgabe, die wir uns hier gestellt haben, können wir über die Primärzeit nicht zurückgehen. Um den Überblick zu erleichtern, habe ich in der beigegebenen Zeichnung versucht, die geologische Geschichte Chinas sinnbildlich durch eine Landschaft darzustellen, durch die der Weg der Vergangenheit führt, und in der der Gesichtskreis für unseren Rückblick abgeschlossen wird durch die Gebirgsbildungen am Ende der Primärzeit, die die ältesten uns bekannten Gesteine metamorphosiert hat. Das Verständnis der Zeichnung wird sich im einzelnen aus den folgenden Ausführungen ergeben. Zum Vergleich mit der Entwicklung anderer Teile der Erde sind zugleich die Namen angegeben, die in der Geologie üblich sind, um die einzelnen "Formationen", d.h. die Hauptabschnitte der Erdgeschichte zu bezeichnen. Die Teilung der erdgeschichtlichen Vergangenheit in diese Abschnitte ist an sich eine durchaus künstliche, sie hat lediglich den Zweck, eine scharfe und zugleich allgemeinverstandene Bezeichnung jedes einzelnen Zeitpunktes zu geben.
Was die einzelnen Formationen innerhalb der Entwicklung der Lebewelt bedeuten, geht aus der Darstellung in der rechten Hälfte der Zeichnung hervor.
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Sie zeigt, daß die älteste Formation aus der wir bestimmbare Versteinerungen kennen, die sogenannte präkambrische Formation, noch keine Wirbeltiere besitzt. Diese treten erst zur Zeit der Silurformation auf, zunächst aber nur im Wasser (Fische). Die ersten Landwirbeltiere (molchartige Lurche) finden sich erst in der Carbonformation, die ersten Säugtiere zunächst noch in der niederen Form der Beuteltiere, erst zu Triaszeit. In der Tertiärzeit beginnen die höheren Säugetiere, und erst um die Wende von der Tertiärzeit zur Quartärzeit läßt sich der Mensch leidlich sicher nachweisen, immerhin schon seit einer Zeit von wahrscheinlich mehreren hunderttausend Jahren. Die Entwicklung der Pflanzen ist uns noch weniger vollständig bekannt wie die der Tiere, weil die Pflanzenreste leichter zerstörbar sind als die Mehrzahl der Tierreste. Noch zur Zeit der Carbonformation gab es nur Farne und verwandte Pflanzen, bald darauf treten die ersten Samenpflanzen auf, erst zu Beginn der Kreideformation die Laubbäume.
Es sei noch ausdrücklich bemerkt, daß in der Zeichnung die jüngsten Formationen im Verhältnis zu den älteren viel zu lang dargestellt worden sind. Das ist geschehen, weil die jüngste geologische Vergangenheit naturgemäß viel reicher an Einzelheiten ist, die für das Verständnis der heutigen Geographie von China wichtig[.] sind. Um diese darstellen zu können, mußte die Größe der jüngsten Zeitabschnitte übertrieben werden.
Nach diesen allgemeinen Vorbemerkungen wende ich mich den älteren Abschnitten der geologischen Geschichte Chinas im einzelnen zu.
Die Gebirgsbildung der Primärzeit ist in unterer Zeichnung dargestellt durch eine Gebirgslandschaft, die den
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Blick nach rückwärts begrenzt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß sich die gebirgsbildenden Vorgänge der damaligen Zeit noch in mehrere Vorgänge aus verschiedenen Zeitabschnitten werden trennen lassen. Augenblicklich ist diese Fragen aber noch nicht spruchreif. Überhaupt bilden, wie leicht verständlich, die veränderten (metamorphosierten) Gesteine einen der schwierigsten Punkte der Geologie. Hier liegt auch einer der wesentlichsten Unterschiede der vorliegenden Darstellung gegenüber Richthofens Auffassung. Richthofen mußte sich in der Hauptsache damit begnügen, alle metamorphosierten Gesteine, die er fand, als „Urgebirge“ anzusehen, d.h. der Primärzeit zuzurechnen. Heute sind wir schon in der Lage, zu unterscheiden, welche Gesteine durch die Urgebirgsbildung umgeändert worden sind, und welche durch die viel späteren Faltungen der Tertiärzeit.
Am Ende der Primärzeit und im Anfange der präkambrischen Formation wurden die entstandenen Gebirge durch die Verwitterung, die das Gestein in mürbe Trümmer auflöste, und durch Wind und Wasser, die die Trümmer fortwehten und fortschwemmten, wieder zerstört. Die Landschaft in der präkambrischen Zeit ist deshalb in der Zeichnung durch eine Ebene dargestellt. Diese Ebene nun senkte sich in der Folgezeit und wurde vom Meere bedeckt. Auch dieses drückt die Zeichnung aus.
Bevor die Meeresbedeckung eintrat, fand jedoch ein Ereignis statt, das unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. Der amerikanische Geologe B. Willis fand kürzlich an den berühmten Stromschnellen des Yangtse oberhalb Itschang Schichten, die unmittelbar auf dem abgetragenen Rumpfe des Urgebirges abgelagert sind und die durchaus den Charakter von Gletscherschutt tragen. Selbst wenn man nicht der Folgerung zustimmen will, daß dadurch eine eigentliche
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Geologische Entwicklung von China
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Eiszeit bezeugt werden, so muß man doch unter allen Umständen zugeben, daß es damals Gebirge gab, die sich über die Grenze des ewigen Schnees erhoben; denn nur an solchen konnten Gletscher auftreten. Daraus folgt, daß das Klima jener um hunderte von Jahrmillionen zurückliegenden Zeit nicht wesentlich wärmer gewesen sein kann als das heutige. Das widerspricht durchaus den Anschauungen, die man sich noch vor wenigen Jahrzehnten von diesen frühesten bekannten Zeiten bildete. Man glaubte nämlich, die innere Wärme der Erde, deren Kern ja heute noch glühend heiß ist, habe früher ein allgemein gleichmäßiges Klima hervorgerufen. Erst mit der Jurazeit oder noch später sollte die innere Abkühlung der Erde soweit fortgeschritten gewesen sein, daß das Klima seitdem nicht mehr durch die Erdwärme allein, sondern in immer stärkerem Maße durch die Sonnenstrahlung bestimmt wurde und dementsprechend in den sonnenarmen Polargegenden sich ein kälteres Klima herausbildete als unter den Wendekreisen. Heute wissen wir, daß die innere Erdwärme nur einen kaum merklichen Einfluß auf das Klima der Oberfläche ausübt. So ist es verständlich, daß schon in den ältesten Zeiten Gebirge mit ewigem Schnee vorhanden waren, und wenn aus langen Perioden der späteren Erdgeschichte jede Spur von Gletschern fehlt, so liegt das in erster Linie nicht an einem wesentlich wärmeren Klima, sondern daran, daß es damals keine Gebirge gab. Davon wird noch zu reden sein.
Nachdem das Urgebirge eingeebnet war, ist China lange Zeit hindurch von Meere überflutet gewesen, nur während des Kambriums hat es sich eine Zeit lang als Flachland aus dem Wasser herausgehoben. Die Zeit der Meeresbedeckung
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ist gekennzeichnet durch mächtige Kalksteinmassen, den einstigen Schlamm des damaligen Meeresbodens, der jezt große Gebirge, besonders im Norden Chinas (z.B. in Westschantung), zusammensetzt. Die Ablagerung dieser sogenannten sinischen Schichten umfaßt die Zeit bis gegen Ende der Devonformation. Dann wurde China ein Festland anscheinend ohne Gebirge. Im Anfange war es manchen Schwankungen der Höhe unterworfen. In den Steinkohlenablagerungen, die aus festländischen Waldmooren der Carbonperiode entstanden, finden sich mehrfache Einlagerungen von versteinerungsreichen Kalken, die eine zeitweise Überflutung durch das Meer bezeugen. Diese Schwankungen sind wahrscheinlich die Folgen größerer Faltungen, die während eben dieser Zeit in anderen Teilen der Erde stattfanden, und die in der Geologie als variscische Faltungen bezeichnet werden. Sie sind in China offenbar so schwach aufgetreten, daß sie keine eigentlichen Gebirge erzeugten, wohl aber eine mehrfache Hebung und Senkung des Landes veranlaßten. Die Meeresbedeckungen haben im Norden Chinas schon während der Carbonzeit ihr Ende gefunden, im Gebiete des Yantze erst am Ende der Triaszeit. Ausgedehnte Kalkmassen dieses jüngeren Meeres treten z.B. in den Provinzen Kweitschou und Yünnan auf. Seitdem ist China stets ein Festland geblieben. Auf diesem Festlande haben nun die Lebensbedingungen infolge von Klimaschwankungen mehrere Male sehr gewechselt. Die Carbonzeit war durch ein mäßig warmes, feuchtes Klima ausgezeichnet, in dem ausgedehnte Waldmoore entstanden. Gegen Ende der Carbonzeit kennen wir aus Indien und Australien weit verbreitete Gletscherspuren, die auf ein kälteres Klima hinweisen. Aus
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China selbst fehlen solche Spuren bisher, vielleicht aber nur deswegen, weil hier Gebirge fehlen. In der Permzeit nahm die Feuchtigkeit stark ab, die Moore verschwanden. Daher haben wir aus dieser Zeit keine Kohlenbildungen. Das Klima muß zeitweise einen geradezu wüstenartigen Charakter angenommen haben, wie sich z.B. aus den Salzlagern zu Sz-tshuan ergibt, die am Ende der Permzeit gebildet zu sein scheinen. Sie entstanden vermutlich durch das Austrocknen des Meeres, das bis zum Ende der Triaszeit große Teile von Süd-China bedeckt hat. An der Grenze der Trias- und Juraformation treffen wir wieder Kohlenbildungen an, besonders in West-China. Das Klima muß also damals wieder feuchter gewesen sein. Eine dritte feuchte Periode mit Moorbildung und daraus entstanden Kohlenlagern wenn auch ohne wirtschaftliche Bedeutung, finden wir zu Beginn der Kreideformation in Sz-tshuan. Bei diesem Klimawechsel ist vielleicht das Interessanteste der Umstand, daß wir sie zu den gleichen Zeiten auch in Europa wiederkehren sehen. Jede feuchte Zeit ist auch da durch Kohlenablagerungen ausgezeichnet. Während der ganzen Zeit von der Ablagerung der Steinkohle bis gegen das Ende der Kreideformation finden wir in ganz Nord-China nicht die geringsten Spuren von Faltungen. China kann also in der ganzen Zeit keine Gebirge besessen haben; denn die früher gebildeten waren längst durch Verwitterung, Wind und Wasser zerstört. Wir müssen uns das Land ähnlich flach denken wie heutzutage große Strecken von Sibirien oder wie die großen Ebenen im Innern Nordamerikas. Erst im letzten Teil der Kreideformation setzen die gewaltigen Faltungen ein, die dann die ganz Tertiärzeit erfüllen, und die das jetzigen Relief von China geschaffen haben. Sie sind von solcher Bedeutung, daß ihnen ein besonderer Aufsatz in der nächsten Nummer
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gewidmet werden soll.
Solger.
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Das Knabenfest (go-gatsu no sekku).
Viele Schriftsteller haben Japan das Paradies für Kinder genannt. Unwillkürlich denkt man dabei an die schönsten Tage der eigenen Kinderzeit, an Weihnachten und an die Geburtstage und sucht nach ähnlichen Festtagen für die japanischen Knaben und Mädchen.
Da brauchen wir nun nicht weit zurückzugehen und uns nur an die großen Papierfische zu erinnern, die bis zum 5. Juni (= fünfter Tag des fünften Monats des alten (Mond-)Kalenders) lustig über vielen Dächern Matsuyamas im Winde flatterten. An hohen Bambusstangen wehten oft eine ganze Reihe dieser Ungeheuer. Der Wind pustet in die offenen Mäuler und gab den rieseigen Körpern deutliche Fischform. Vor langer Zeit ließ sich mal eine Bücherschreiber aufbinden, daß die Zahl der Fische der Zahl der Söhne im Hause entspräche. Von diesem Mann haben dann viele andre Bücherschreiber abgeschrieben, so daß es heute noch viele Fremde gibt, die an dieses Märchen glauben. Es ist aber kein wahres Wort daran. Wenn auch nur ein einziger Junge von weniger als 10 Jahren im Hause ist, so kann man so viele Fische aufziehen, wie man besitzt. Meistens sind es Geschenke von Freunden des Hauses, und da solche ein Fisch durchaus nicht billig ist, läßt sich aus der Anzahl der Fische viel eher ein Schluß auf die Zahl der wohlhabenden Freunde des Hauses als auf die Zahl der Söhne ziehen.
Vor vielen tausend Jahren gab es in Indien einen Wasserfall, der so hoch und reißend war, daß selbst der stärkste
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Karpfen nicht hinaufkommen konnte. Es war bestimmt, daß ein Fisch, welcher diesen Ryumon-Wasserfall hinaufschwimmt zum Gott des Stroms erhoben werden sollte. Einst versuchte nun ein starker Karpfen das unmöglich Erscheinende möglich zu machen. Viele Jahre brachte er in vergeblicher Anstrengung am Fuße des Wasserfalles zu. Oben stand ein Pfirsichbaum, dessen herabfallende Blütenblätter den Wasserfall hinuntertrieben. Von diesen Blüten nährte sich der Karpfen all die Jahre hindurch. Schließlich aber erreichte er sein Ziel, er erklomm den Ryumon-Fall und wurde Gott des Stromes - - - - so lautet die alte Erzählung.
Deshalb gilt nun der Karpfen als Symbol der Kraft und des unermüdlichen Fleißes. Er soll den Knaben zeigen, daß Menschen, die ohne zu erschlaffen sich immer bemühen, schließlich sicherlich ihr Ziel erreichen werden.
Am 5. Tage des 5. Monats des alten Mondkalenders und einer Reihe von Tagen vorher, werden deshalb diese Fische aus Papier oder aus Leinewand wie Flaggen emporgezogen und es wird den Knaben des Hauses ein Fest bereitet. Die Spielzeugläden sind in dieser Zeit angefüllt mit kriegerischen Spielsachen, wie Bogen, Pfeilen, Streitrossen usw. Diese und dazu schön geschnitzte Puppen und Figuren alter Helden der Geschichte und Sage werden nur für diese Tage an einen Ehrenplatz des Hauses aufgebaut. Es ist dies der schönste Tag im Jahre für alle Knaben in ganz Japan.
Namentlich aber in solchen Häusern, wo ein Neugeborener zum ersten Male diesen Freudentag erlebt, wird der Tag ganz besonders festlich begangen, und alle Freunde des Hauses lassen es sich nicht nehmen, durch Besuch und Geschenke ihre
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Teilnahme an dem Glück des Hauses und des Kindes zu zeigen.
K. M.
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Briefe eines Heimgereisten
(Im folgenden bringen wir einige Briefe zum Abdruck, die an einen unserer Lagergenossen gerichtet waren und die nicht ohne Interesse sind. Der Schreiber ist ein landsturmpflichtiger Deutscher, der in Wladiwostok bei einer bekannten deutschen Firma angestellt war und sich beim Ausbruch des Krieges zunächst nach Kobe begab. Das weitere ist aus den Briefen selbst verständlich.)
San Francisco, 21, XI. 14
Sie werden sich gewiß wundern, uns 6 Landstürmer noch hier in Amerika zu finde, aber es ist anders gekommen, als wir wünschten. Nach Ihrer Weiterreise nach Tsingtau teilte uns unsere Firma mit, wir sollten einstweilen in Kobe den Krieg abwarten, sie hoffe uns trotz des Krieges bald nach Wladiwostok zurückrufen zu können. Ganz unerwartet kam uns dann die Nachricht von der Internierung unserer in Sibirien zurückgebliebener Landsleute und deren beklagenswerten Schicksal. Als nun noch Japan sein Ultimatum stellte, war unsere Abreise beschlossene Sache. Nach interessanter Überfahrt im Zwischendeck, dessen Freud und Leid Sie ja auch in den ersten Augusttagen kennen lernten, kamen wir gegen Mitte September in San Francisco an, wo wir leider hören mußten, daß es ganz ausgeschlossen sei, von hier nach Deutschland zu kommen. Wir waren deshalb gezwungen, uns vorläufig nach einer Stellung umzusehen, wobei
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wir alle - mit Ausnahme W's - erfolgreich waren. Doch versichere ich Ihnen, so lehrreich auch der Aufenthalt in diesem Lande ist, und] so schön es hier in Californien sein mag, ich nicht rasten werde, bis sich zu meinem ursprünglichen Ziele komme. Und ich kann schon jetzt sagen, es gibt eine Möglichkeit, als einzelner nach Deutschland durchzukommen, und ich werde sie zu benutzen verstehen. Zwar ist das Unternehmen nur ganz wenigen gelungen, da es die Engländer meisterhaft verstehen, solche Leute abzufangen. Ich kann mich natürlich über das Wie nicht eher aussprechen, bis ich es durchgeführt habe.
Forbach i. Murgtal, 4. April 1915.
Heute kann ich Ihnen ausführlicher berichten. Trotzdem muß ich manches, worauf Sie besonders gespannt sein dürften, ausschalten, da Ihnen der Brief sonst schwerlich ausgehändigt werden dürfte. Meine weitern Erlebnisse sind schnell erzählt. Der Drang zur Front ließ mir in Californien keine Ruhe. Aber auch die infamen Lügen und eine gemeine Deutschenhetze konnten einem den Aufenthalt im Lande der "Freiheit" verleiden. Mitte Dezember fuhr ich nach Osten, um dort mein Glück zu versuchen. In New York traf ich u.a. unsere Wladiwostoker Konsul und sonstige Reisegefährten aus dem Stillen Ozean. Nach dreiwöchigen Aufenthalt daselbst bestiegen W. und ich am 2. Januar einen norwegischen Dampfer, natürlich nicht als Deutsche. Wie erwartet, wurden wir südlich von Island von den Engländern aufgebracht. Nach einer strengen Untersuchung, der 8 Deutsche zum Opfer fielen, kam unser Schiff mit Mann und Maus nach England. Aber auch dort kamen wir gut durch, und nach 2 Tagen konnten wir unsere Reise nach Norwegen fortsetzen, von
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wo aus wir über Schweden glücklich die Heimat erreichten. Äußerlich fast unverändert trafen wir unser liebes Deutschland an. Wenn sich irgendwo der Krieg fühlbar macht, so ist es nicht bei uns. Ich bin unterdessen Soldat gewesen, kam wegen Herzfehlers wieder frei, während mein Reisegefährte W. bereits an der Ostfront steht. Unterdessen ist auch S. glücklich und zwar auf demselben Wege wie wir als Russe eingetroffen. Auch er trägt bereits in Erfurt des Königs Rock und dürfte bald an die Front kommen. Von den anderen ist B. noch in New York, während L. als „Manager eines 5 und 10 Cent Stores“ in Chicago tätig ist.
Fabrik i. Murgtal, 21. November 15
Die gut gelungene Aufnahme Ihrer Stube bestärkte mich in der Überzeugung, daß die Umstände dort ganz leidlich sind, obwohl ich vermute, daß Sie sich aus eigenen Mitteln so wohnlich eingerichtet haben. Am besten gefällt mir an der Aufmachung Ihrer Bude der deutsche Reichsadler. - Ich erhielt unterdessen Stellung an einer Papierfabrik, und wir beschäftigen hier ca. 50 kriegsgefangene Franzosen. Ich wünsche, daß es Ihnen dort ebenso gut geht und Sie so vergnügt sind wie diese. Unweit von hier arbeiten russische Kriegsgefangene, und ich habe oft Gelegenheit mich mit diesen eingehend zu unterhalten. Die meisten sind Sibiriaken, viele von ihnen sind in Wladiwostok gewesen, und die armen Teufel haben alle Heimweh. -
Unser Herr G., der ja kurz vor Kriegsausbruch auf Urlaub fuhr, machte als Vizefeldwebel und Dolmetscher im Divisionsstab die Schlacht bei Lyck mit, wo er verwundet wurde. Er ist jetzt Dolmetscher im Offiziersgefangenenlager in Torgau. Dort sitzen u.a. 40 Offiziere aus Wladiwostok und Umgebung, die Herr G. fast alle von seiner 15 jährigen
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Tätigkeit in W. kennt. Darunter ist auch Herr R. von unserer Firma, der Ihnen ja auch bekannt sein dürfte.
Ob wir je wieder nach W. kommen? Soweit es sich bis jetzt übersehen läßt, wird auch nach dem Kriege eine gute Auslandsstelle begehrt sein, denn wir werden zweifellos nach dem Kriege mit einem Überfluß an jungen Kaufleuten zu rechnen haben. Viele Kaufleute, die bisher im feindlichen Ausland tätig waren, werden fortan in ihrer Heimat bleiben wollen. Überhaupt wird eine starke Rückwanderung der Auslandsdeutschen erfolgen. In unserer Ortsgruppe in San Francisco war unter 60 Mann kaum einer, der nicht nach dem Kriege heim wollte.
Gewiß fordert der Krieg schwere Opfer, doch werden die Lücken nicht groß werden, zumal die weiblichen Angestellten infolge der langen Dauer des Krieges sich gut einarbeiten konnten, das einmal eroberte Feld nicht leicht räumen werden. Auch werden sich sehr viele Kriegsbeschädigte unserem Berufe zuwenden. Einstweilen heißt es abwarten, überlassen wir die Entscheidung der ungewissen Zukunft. - (Diese letzten Notizen hat die japanische Zensur in Matsuyama mit verschiedene rote Fragezeihen versehen.)
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Jahrestage des Krieges
Juni 1915
1. VI. | Fortsetzung der französisch-englischen Durchbruchsversuche im Artois,
insbesondere bei Neuville, Souchez, Lorettehöhe. Ein letzter großer
Durchbruchsversuch auf der Linie Lievin-Arras bricht in den Tagen vom |
14-18. VI. | endgültig zusammen. |
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20. VI. - 2. VII. | Erfolgreiche Angriffe der 5. Armee (Kronprinz) in den Argonnen. |
20.- Ende Juni | Französischer Durchbruchsversuch östl. Verdun, westl. Combres und Les Esparges. |
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3. VI. | Przemysl erobert |
4. VI. | Armee Linsingen überschreitet den Stryj und erstürmt am |
5. VI. | den Brückenkopf von Zurawno am Dnjestr. |
11. VI. | Armee Pflanzer-Baltin überschreitet im siegenrichen Vorgehen dem
Dnjestr östl. Horodenka. Zaleszenyki erobert. Räumung der Bukowina
durch die Russen. |
12. VI. | Wiederaufnahme der Offensive durch Armee Mackensen, die am |
13. VI. | die feindl. Stellungen auf 70 km Breite zwischen Czerniawa und
Sieniawa angreift und erstürmt. ( 16 000 Gefangene ) |
19. VI. | Eroberung der Grodekstellung durch die Armeen des Gen. Ob.
v. Mackensen. |
20. VI. | Rawaruska erobert. |
22. VI. | Lemberg eingenommen. |
27. VI. | Nach Eroberung von Halicz überschreitet Armee Linsingen nach 5 tägigen Kämpfen auf ihrer ganzen Front den Djestr und wirft am |
28. VI. | den Gegner über die Gnila Lipa zurück. Nördl. Lemberg wird die russische Grenze überschritten, Tomaszow erobert.
Gesamtbeute des Monats der unter Mackensen, Linsingen, Woyrsch
kämpfenden Verbündeten: |
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409 Offiziere, 140 650 Mann, 80 Geschütze, 268 Maschinengewehre.
Hindenburg: 2 Fahnen, 25 695 Mann, 7 Geschütze,
52 Maschinengewehre. |
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4.-6. VI. | Heftige Angriffe bei Seddul Bahr. |
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25. VI. | 〃 |
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8. VI. | Erste größere Angriffe der Italiener gegen den Görzer Brückenkopf, Gradisca und Monfalcone. |
11. VI. | Die Italiener schieben sich an die österr. Stellungen näher heran und besetzen u.a. Cortina d'Ampezzo und Borgo. Erste Gefechte am Isonzo. |
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Auflösung des Rätsels in Nr. 19: Heimfahrt.