Lagerfeuer
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Lf. Nr. 20. Matsuyama, Pfingstsonntag, den 11. Juni 1916
Überblick über die Tätigkeit der Marine von
der Besitzergreifung Tsingtaus bis zum jetzigen Kriege.
Im Gegensatz zu allen deutschen Kolonie, war Tsingtau bis zum Tage seines Falles ein echtes Kind unserer Marine. Sie hatte es in Gemeinsamkeit mit dem deutschen Kaufmann verstanden: Deutsche Zucht und deutsches Pflichtgefühl, Ordnungssinn und Organisationstalent, Arbeitslust und Verständnis zusammenwirken zu lassen, um in kurzer Zeit den Platz nicht nur lebensfähig zu machen, sondern „Der Musterkolonie“ des Ostens zu gestalten.
Unsere Seesoldaten haben dazu ein gutes Teil beigetragen. Die neugeschaffenen Straßen und Wege, die neuangelegten Brunnen, die Erkundung und erste Aufnahme des Schutzgebietes, die Anlage der Forsten u.s.w. sind Faktoren, die den Namen unseres Bataillons dauernd mit der Entwicklungsgeschichte der Kolonie verbinden. Weit über die Grenzen des kleinen Gebietes hinaus machte sich die Einwirkung des deutschen Geistes auf die Einrichtungen der chinesischen Provinz geltend. Auch die Chinesen konnten sich nicht der Anerkennung entziehen, daß die deutsche Arbeit in ihrer Zuverlässigkeit und Zweckmäßigkeit sich als segensreich für das Land erwies.
Trotz alledem sollten wir uns nicht lange des ungestörten Besitzes Tsingtaus freuen. Unserer Besitzergreifung in Schantung waren weitere Landerwerbungen anderer Staaten gefolgt. Die Russen nahmen Port Arthur (17. III. 98), die Franzosen besetzten Kwangtschouwan (10. IV. 98), und Engländer vereinnahmten Weihei-wei (1. VII. 98). – Durch das verstärkte
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Eindringen der Fremden wurde das nationale Volksempfinden des ohnedies fremdenfeindlichen Chinesen auf Tiefste erregt. Bereits im November und Dezember 98 mußten auf Wunsch des deutschen Gesandten Freiherr von Heyking Schutzdetachements nach Peking und Tientsin gesandt werden, welche jedoch im folgenden Sommer wieder zurückgezogen werden konnten.
Mit Beginn des Bahnbaues nach Tsinanfu und der ersten Tätigkeit unserer Bergwerksbeamten im Frühjahre 99 nahm jedoch die Bevölkerung in Schantung eine feindlichere Haltung an, die sogar am 25./26. Juni zu bewaffneten Zusammenstößen führten. Kaumi und Kiautschou mußten bis auf weiteres mit je einer Kompanie (K.5. und K.1.) besetzt werden. Unsere militärische Kraftentfaltung im Schutzgebiet suchte man unter anderem dadurch zu heben, daß an in Litsun unter dem Hauptmann a.D. von Falkenhain, der vorher Militärinstrukteur in chinesischen Diensten gewesen war (heute Chef des deutschen Generalstabes) eine Chinesenkompanie aufstellte, die allerdings nach einem Jahre auf Grund der gemachten schlechten Erfahrungen wieder aufgelöst werden mußte. In dieser seit 1897 immer mehr um sich greifenden Erregung gegen die Fremden gesellten sich in den folgenden Jahren auch noch Mißwuchs und Dürre, welche Anfang des Jahres 1900 die unzufriedenen Gemüter in Schantung zu einer aufrührerischen Bewegung von außerordentlichem Umfang antrieben. Diese unter dem Namen „Boxeraufstand“ bekannte Erhebung griff bald auf ganz Nordchina insbesondere Peking und Tientsin über, und suchte durch Ermordung aller Fremden sowie aller eingeborenen Christen China seine alte Unabhängigkeit und Selbständigkeit wiederzugeben. Alle Vorstellungen und Drohungen der Mächte scheiterten an der Kurzsichtigkeit der chinesischen Regierung und der
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Kaiserinregentin Tsi-Hi, welche ebenso wie zahlreiche Mandschuprinzen die fremdenfeindlich Bewegung im Geheimen förderte.
Am 28. Mai fordert der deutsche Gesandte in Peking angesichts der gefährlichen Lage zum Schutze der Gesandtschaft 1 Offizier und 50 Mann, welche bereits folgenden Tags unter dem Oberleutnant Graf von Soden (III.S.B.) an Bord S.M.S. „Kaiserin Augusta“ nach Taku in See gingen. Wohl keiner der Beteiligten ahnte, welch schwerer Zeit er entgegenzog.
Wenige Tage später wurden auf Bitten des Konsuls Zimmermann in Tientsin (zur Zeit Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt) und an Anfordern des Kreuzergeschwaderchefs Vizeadmiral von Bendemann auch dorthin 25 Seesoldaten gesandt, welche der Verstärkung des dort bereits stationierten Landungskorps „S.M.S. Irene“ dienen sollten (5 Offiziere, 110 Mann). In Summa waren von den an der Pei-ho-Mündung liegenden Schiffen, der Engländer, Russen, Amerikaner, Franzosen, Italiener, Japaner und Österreicher 890 Mann zur Sicherung des Fremdenviertels in Tientsin aufgebracht worden, denen sich noch mehrere Freiwilligenkorps verschiedene Nationalität anschlossen. Unterdessen war Peking von den Aufständischen eingeschlossen und Eisenbahn wie Telegraph zwischen der chinesischen Hauptstadt und Tientsin zerstört worden. Die Lage der Gesandtschaften und der in ihnen zufluchtsuchenden Europäer wurde immer gefährlicher. Deshalb wurde am 10. Juni von Tientsin aus eine Expedition unter dem englischen Admiral Seymour unternommen, an welcher fast alle Verbündeten teilnahmen. Zu der etwa 2000 Mann starken Truppe stellte Deutschland Kontingente von rund 500 Matrosen unter dem Kapitän z.S. von Usedom. (Derselbe hat sich auch im heutigen Kriege gelegentlich der Dardanellenverteidigung einen Name gemacht.)
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Die mit der Expedition verbundene Absicht scheiterte an dem Widerstande gewaltiger Boxermassen bei Langfang 45 km vor Peking. Seymour mußte sich auf Tientsin zurückziehen, was nur unter großen Verlusten gelang. Bei diesem Rückzuge ereignete sich der von einem deutschen Maler im Bilde festgehaltene, denkenswürdige Moment, in welchem der englische Admiral den Befehl gab:
„The Germans to the front.“
Inzwischen hatte sich auch in Tientsin die Lage der Verbündeten bedrohlicher gestaltet. Vom 15. Juni ab gingen die Chinesen sogar angriffsweise gegen die Niederlassungen vor, ohne allerdings nennenswerte Erfolge zu erringen. In diesen Kämpfen fochten unsere Seesoldaten und Matrosen Schulter an Schulter mit den Freiwilligenkorps und zeichneten sich insbesondere gelegentlich der Erstürmung der Kriegsschule und der Universität aus, desselben Gebäudes, das bis zum jetzigen Kriege der Unterbringung des O.M.D. diente.
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Wenn auch dank der Tapferkeit der verbündeten Truppen Leben und Eigentum der Europäer und zahlreicher chinesischer Christen größtenteils verschont blieb, so war doch Tientsin um diese Zeit vollständig von etwa 10 000 Boxern eingeschlossen und die allgemeine Lage kritisch. Es galt deshalb, die den Pei-ho sperrenden Taku-Forts zu nehmen, um den mittlerweile erwarteten Verstärkungen den Weg auf Tientsin und Peking freizulegen. Dies geschah am 17. Juni durch ein internationales Landungskorps unter Führung des Kapitäns z.S. Pohl, (bis vor kurzer Zeit Kommandant unserer heutigen Schlachtflotte, †23.II.1916).
Bei dem mit unübertrefflicher Bravour durchgeführten Sturm, hat sich besonders der uns aus Tsingtau bekannte „Iltis“ hervor, der unter seinem Kommandanten Korvettenkapitän Lans eine hervorragende artilleristische Unterstützung trotz stärkstem feindlichen Geschützfeuers durchführte. Die Nachricht vom Falle der Takuwerke löste in Peking eine ungeheuere Wut aus, die wohl nunmehr den Anlaß zu der am 20. VI. erfolgten Ermordung des deutschen Gesandten Freiherr von Ketteler und zur Belagerung der Gesandtschaften gab. Freiherr von Ketteler war der einzige der fremden Gesandten, der den Mut fand sich aus dem sicheren Gesantschaftsviertel zum Tsungli-Yamen zwecks Besprechung der Lage zu begeben. Der Chef der Kanzlei der japanischen Gesandtschaft war bereits am 12. VI. ermordet worden.
Das auf der Takureede versammelte Entsatzkorps von ungefähr 2000 Mann zu denen am 19. Juni 2 Kompanien vom III.S.B. an Bord S.M.S. „Irene“ gestoßen waren, stand unter dem Befehl des Generals Stössel, des späteren Verteidigers von Port Arthur.
Am 22. wurde der Vormarsch angetreten und bereits am Abend des folgenden Tages konnte Tientsin entsetzt werden. Die beiden deutschen Kompanien, welche bei diesem Vormarsch am 23. die rechte Seitendeckung gegen das starke Ostarsenal gebildet hatten,
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waren mit diesen in ein heftiges Gefecht geraten, welches ihnen 1 Offizier 6 Mann an Toten und 25 Mann an Verwundeten kostete. Neben den bei der Hauptkolonne marschierenden Engländern, Russen und Amerikanern, hatten die beiden Kompanien einen wesentlichen Anteil an dem Entsatz Tientsins, und der 23. Juni ist damit für alle Zeiten ein Gedenktag für unsere Seesoldaten geworden.
Wenngleich durch diese Operation die Vereinigung der Entsatztruppe mit der Besatzung und den nicht unbedeutenden Freiwilligenkorps Tientsins, bewerkstelligt war, so war damit die Gefahr, welche von Seiten der Boxer drohte, noch keineswegs gehoben. Deshalb strebte Stössel in erster Linie die Verbindung einer internationalen Truppe mit der Abteilung des Admiral Seymour an. Diese hatte sich unter großen Schwierigkeiten des dicht nördlich Tientsin liegenden „Hsi-ku-Arsenals“ bemächtigt, war aber gleichzeitig eingeschlossen und zur absoluten Aktionsunfähigkeit verurteilt worden. Am Abend des 25. Juni - also 48 Stunden nach der Ankunft des Entsatzkorps in Tientsin - wurde das Hsi-ku-Arsenal durch die vereinigten Deutschen, Russen, Engländer und Amerikaner genommen und damit die Seymour-Abteilung aus ihrer kritischen Lage befreit.
Obwohl die Truppen angesichts der großen Strapazen und der außerordentlichen Hitze sehr erschöpft waren, konnte ihnen nur eine kurze Ruhe gegönnt werden. Noch immer bedrohten starke chinesische Kräfte in und beim Ostarsenal, gegen welches bereits am 23. VI. die beiden Seesoldaten-Kompagnien im Kampfe gelegen hatten, die rückwärtige Verbindung.
Deshalb wurde am 27. von den Verbündeten einschließlich der Matrosenabteilung des Kapitäns von Usedom und der beiden Kompagnien vom III.S.B. das Arsenal angegriffen und nach schwerer artilleristischer Beschießung gestürmt.
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Damit war die Tätigkeit des III.S.B. in Tschili beendet.
Die zunehmenden Unruhen in Schantung veranlaßten den Gouverneur des Kiautschou-Gebietes Kapitän z.S. Jäschke den Rücktransport der beiden Kompagnien zu verfügen.
Inzwischen hatte die Ermordung des deutschen Gesandten Freiherrn von Kettler einen Sturm der ganzen zivilisierten Welt hervorgerufen.
Seine Majestät der Kaiser veranlaßte sofort die Mobilisation des I. und II.S.B., welche verstärkt durch eine Marine-Feldbatterie und eine Pionier-Abteilung am 3. Juli von W’haven die Ausreise antraten.
Ihnen folgte am 9. Juli ein Geschwader, bestehend aus S.M.S. „Brandenburg“, „Wörth“, „Weißenburg“ und „Kurfürst Friedrich Wilhelm“. Gleichzeitig wurden von allen Mächten neue Truppenkontingente aufgestellt, welche bis Anfang August auf 63 000 Mann anwuchsen (darunter 24 000 Deutsche). Die zuerst aktionsfähigen Streikkräfte, etwa 15 000 Japaner, Russen, Engländer, Amerikaner und Franzosen traten Anfang August den Vormarsch auf Peking an, welches nach fortwährenden Kämpfen am 14. August den Verbündeten in die Hände fiel.
Bis zu diesem Tage hatten die geringen Gesandtschafts-Schutzwachen – in Summa etwa 500 Mann – einen schweren Stand gehabt. Besonders das heldenmütige Verhalten der kleinen Schar des Grafen von Soden, der sich noch etwa 75 Freiwillig angeschlossen hatten, wird stets ein Ruhmesblatt in der Kriegsgeschichte unserer Marine-Infanterie bleiben. 64 Tage lang hatten die dem Ansturm Tausender getrotzt. Wer die für die Verteidigungszwecke mangelhaften Baulichkeiten der Gesandtschaften und die zu schützenden ausgedehnten Stellungen, an welche die Chinesen ihre Infanterie bis auf 20 m und die Artillerie bis auf 100 m heranschoben,
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in Betracht zieht, muß immer wieder fragen, wie es möglich war, diese Stellungen während der Angriffsperioden zu halten. Niemand hat dies mehr anerkannt, als seine Majestät der Kaiser, der den Grafen Soden den hohen Orden „Pour le merite“ verlieh und die gesamten Seesoldaten zu Unteroffizieren beförderte. Leider hatte die tapfere Schar neben zahlreichen Verwundeten auch den Tod von 12 Kameraden zu beklagen.
Mit der Einnahme Pekings war der Widerstand der Chinesen in der Hauptsache gebrochen. Die nunmehr folgenden Operationen, welche von Ende Oktober ab unter der Oberleitung des Generalfeldmarschalls Graf Waldersee stattfanden, hatten lediglich den Zweck die Forderungen der Verbündeten durchzudrücken. Hieran hatten das I. und II. Seebataillon, welche am 15. August bereits auf Takureede eingetroffen waren, einen hervorragenden Anteil. Unter der Führung des Generalmajors von Höpfner, in dessen Stab sich der noch später zu erwähnende Major von Glasenapp befand, gelangten beide Bataillone am 31. August nach der chinesischen Hafenstadt. Von hier aus nahmen sie teil an den Expeditionen, welche von den Verbündeten nach allen Himmelsrichtungen hin unternommen wurden.
Besonders hervorzuheben verdienen die Gefechte bei Liang-hsiang-hsien am 11. IX. und bei Nang-hung-men am 25. IX. 00, durch die starke Boxeransammlungen im Südwesten und Süden von Peking aufgerieben wurden. Auch in Schantung hatten die Seesoldaten mehrere kleine Gefechte zu bestehen. Einige alte chinesische Geschütze im Garten der K.3. und in der Moltkekaserne erinnern noch heute an die Einnahme von Kelan und Schawo.
Im allgemeinen aber war der Widerstand der Chinesen bereits gebrochen. Den im Laufe des Oktober und November eintreffenden Verstärkungen war es
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nicht mehr vergönnt an bedeutenderen Gefechten teilzunehmen. Die von ihnen unternommenen Aktionen bezweckten in der Hauptsache die chinesische Regierung, welche die Verwicklungen in die Länge zu ziehen suchte, zu Nachgeben zu veranlassen.
Anfang Mail 1901 willigte dann der Kaiser Kuan-Hsue, beziehungsweise seine Muhme Tsi-Hi, in die von den Verbündeten gestellten Forderungen, die der greise Lihungtschang am 13. Mai unterzeichnete.
China mußte Sühnegesandtschaften nach Berlin und Tokio senden, 1350 Millionen Mark Kriegskosten bezahlen und einigen anderen Wünschen der Mächte zustimmen.
Damit war der Boxerfeldzug beendet. Die internationalen Truppen wurden nach und nach zurückgezogen. Deutschland beließ noch bis Anfang 1903 etwa 800 Mann in Shanghai und bis 1906 eine Besatzungsbrigade in Syfang bei Tsingtau. –
Der deutschen Marine – insbesondere den Seebataillonen –gebührt unter den deutschen Streitkräften das Hauptverdienst an der Niederwerfung des Aufstandes. Sie ist ihrer Aufgabe vollauf gewachsen gewesen und S.M. der Kaiser hat dies in seinen Ansprachen und Erlassen mehrfach zum Ausdruck gebracht.
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Trugen die gesamten Operationen in China in militärischer Hinsicht keinen besonders schwierigen Charakter, so sollten sich die nach wenig mehr als 2 Jahren in S.W.-Afrika zu führenden Kämpfe für unsere Marine um so schwerer gestalten. Dort war im Winter 1903/04 das etwa 60 000 Seelen zählende Volk der Herero aufständisch geworden. Diese waren uns seit den ersten Tagen unserer Kolonisation als ein außerordentlich
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kriegerischer Stamm bekannt, der die Ausbreitung der weißen Farmer von Anfang an mit Unmut verfolgte. Schuldeneintreibungen der Händler, gute aber falsch verstandene Lehren der Missionare, und andere Faktoren mögen dazu beigetragen haben, den Stein ins Rollen zu bringen.
Nach eingehender Vorbereitung stießen sie mit verblüffender Geschwindigkeit gegen die Bahnlinien vor, welche an mehreren Stellen zerstört wurden. Alle Farmen plündernd, zahllose Weiße mit ihren Familien hinmordend, drangen sie bis Omaruru und Okahandja vor, wo ihnen große Vorräte an Proviant, Waffen und Munition in die Hände fielen. Begünstigt wurde diese überaus schlaue Vorgehen der Hereros durch die Abwesenheit des Gouverneurs, des Obersten Leutwein, der mit seinen 3 Schutztruppenkompagnien im Lande der Bondelzwarts einige Unruhen niederzuwerfen hatte.
Die einzige in Outjo zurückgebliebene 4. Kompagnie war natürlich nicht in der Lage, dem an so vielen Plätzen gleichzeitig auftretenden Aufstande entgegenzutreten. Die erste Hilfe brachte S.M.S. „Habicht“, der ein Landungskorps von 80 Mann mit 5 Maschinenkanonen und 2 Maschinengewehren zur Sicherung der Bahn bis nach Karibib vorschob.
So lagen die Verhältnisse, als am 17. I. 1904 die Formierung eines Marine-Expeditions-Korps unter Führung des bereits erwähnten Majors von Glasenapp durch S.M. den Kaiser befohlen wurde. Es setzte sich zusammen aus:
dem Stab | 4 Offiziere | 30 Mann |
4 Infanteriekompagnien | 16 Offiziere | 500 Mann |
1 Mascinenkanonen-Abtlg. (8: 3,7 cm) | 5 Offiziere | 50 Mann |
Summa: | 25 Offiziere | 580 Mann |
Diese Zahlen muß man im Auge haben, wenn man sich
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ein richtiges Bild von der Aufgabe und den Leistungen des Marine-Expeditions-Korps machen will. Die ihm außerdem noch zugeteilte Sanitäts- Proviant- und Einsenbahnbau-Abteilung kommen weiter nicht in Betracht, da sie die Gefechtsstärke nicht unmittelbar erhöhten.
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Am 9. Februar ging der Transport vor Swakopmund vor Anker. Unterdessen war eine der im Süden engagierten Schutztruppenkompagnien unter dem bekannten Hauptmann Franke in Eilmärschen auf Okahandja und Omaruru marschiert, welche Orte nach kurzen Gefechten entsetzt wurden. (Bekanntlich
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leitete derselbe Offiziere seit Dezember 1914 für den gefallenen Oberstleutnant von Heyderbreck als Oberstleutnant und Kommandeur der Schutztruppe die Verteidigung von S.W.-Afrika). Bei seinem Ritt von Keetmanshoop bis Okahandja legte er ca. 540 km in rund 9 Tagen zurück - eine hervorragende Leistung in Anbetracht der Wegeverhältnisse und des afrikanischen Sommerklimas.
Mit dem Eintreffen des Gouverneurs, der zu Schiff von Lüderitzbucht nach Swakopmund geeilt war, wurde folgender Plan für die weiteren Operationen zu Grunde gelegt:
1) Die Ostabteilung.: Führer Major von Glasenapp
2 Kompagnien Seesoldaten
4 Maschinenkanonen
Abteilung Oberleutnant von Winkler (Schutztr. Ab-
lösungstransport am 2. II. in Swakopmund eingetr.
Summa 500 Mann
Sperrt die Ostgrenze des Hererolandes, wenn möglich unter Besetzung von Riet-Fontein. Säuberung des Distriktes Gobabis, Aufnahme der Verbindung mit Grootfontein.
2) Die Westabteilung : Führer Major von Estorff.
1 Kompagnie Seesoldaten
2 Maschinenkanonen
Summa 150 Mann.
Besetzt Omaruru und säubert den Norden des Hererolandes.
3) Die Hauptabteilung :
1 Kompagnie Seesoldaten
2 Maschinenkanonen
Summa 150 Mann
Bleibt in Okahandja zur Verfügung des Gouverneurs.
Der Gouverneur beabsichtigte nach Sicherung der Bahnlinien die
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Hereros einzukesseln, oder, wenn dies nicht möglich, die Stämme einzeln anzugreifen und zur Waffenstreckung zu zwingen. Da die Hereros vollständig vom Besitze ihrer Viehherden abhängig waren, ohne denen sie dem Hungertode verfielen, so kam es für den Angreifer weniger auf die Besetzung der ausgedehnten Grenzlinien, als vielmehr auf die Beherrschung der Hauptwasserstationen an.
Taktisch war der Plan zweifellos einwandsfrei. Dennoch sollten sich seiner Durchführung große Schwierigkeiten entgegenstellen. Der Gouverneur, der seine Entschließungen auf Grund seiner etwa 10 jährigen erfahrungsreichen Praxis faßte, hatte die Widerstandskraft der Herero unterschätzt. Auch war ihm nicht bekannt, daß der Gegner durch unsere englischen Nachbarn so überaus reichlich mit Munition versorgt worden war. Die Teilung der Streitkräfte erwies sich als nachteilig. Ihre Verstärkung durch die zur Verfügung stehenden Schutztruppenteil gab ihnen nicht die zur Erreichung der Aufgabe nötige Gefechtskraft. Das Operationsgebiet war für eine so kleine Truppe außerordentlich weitläufig und erschwerte die Verbindung der Abteilungen untereinander. So verläuft z.B. die Ostgrenze des Hererolandes in der Linie Grootfontein-Gobabis und mißt etwa 350 km - also so weit wie von Bremen bis Mainz. Die Entfernung von Windhuk bis Gobabis beträgt 200 km (Bremen - Kassel).
Dazu kam, daß der größte Teil des der Ostabteilung zugewiesenen Geländes am Westrande der Kalahari-Wüste lag. Der Lebensunterhalt, – zum Teil selbst das Wasser, – war daher vollständig an die schwerfälligen Ochsenwagen gebunden. Ein Etappenwesen in modernem Sinne war auf den erwähnten Entfernungen unmöglich. In militärischer Hinsicht
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war das Gelände, wo es nicht aus weit ausgedehnten Sandflächen bestand, durch seine Unübersichtlichkeit äußerst schwierig. Meilenweit dehnte sich der dichte Busch aus, der zeitweise nur auf 50 m ein Schußfeld gewährte, ein Umstand, den die Hereros sich ausgezeichnet zu Nutze zu machen verstanden.
Diese war als kriegsgewohntes Volk mit der Eigenart des Geländes absolut vertraut. Das Ausnutzen der Deckung, das Anschleichen, die scharfe Beobachtung des Schusses und des Gegners vereinigten sie mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit, Ausdauer und der Fähigkeit große Entbehrungen zu ertragen. Und bei alledem waren unsere Seesoldaten im Gegensatz zur Schutztruppe unberitten, des Klimas ungewohnt und der Fechtweise im Busche wenig kundig. Auf Grund dieser zahlreichen ungünstigen Faktoren führten die nun folgenden Operationen leider zu einem Mißerfolg.
Die Ostabteilung marschierte am 17. II. von Windhuk auf Okasuwa. Auf die Nachricht daß der Tetjo-Stamm bei Nehoro säße, wurde in nordöstlicher Richtung abgebogen. Nach einem Marsche von 270 km wurde am 25. II. nach mühevollen Tag- und Nachtmärschen durch die wasserarme, lichte Buschsteppe das Ziel erreicht, aber das Nest war leer.
Tetjo hatte sich fluchtartig nach Norden zurückgezogen. Weitere Erkundungen ergaben, daß er sich nach Westen gewandt hatte. So marschierte die Ostabteilung von Wasserstelle zu Wasserstelle oft auf schlechten Pfaden oder in tiefem Sande zeitweise in zwei Kolonnen getrennt, stets in der Hoffnung, den Gegner zu stellen, aber vergeblich. Am 12. III. wurde Onjatu (470 km) erreicht. Major von Glasenapp entschloß sich nun, mit den wenigen berittenen Offizieren und Leuten eine gewaltsame Rekognoszierung vorzunehmen, um endlich des Gegners habhaft zu werden, Gefangene
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sagten aus, daß Tetjo mit seinem gesamten Vieh bei Ovikokkorero säße.
Am 13. III. ritten 11 Offiziere und 35 Reiter unter persönlicher Leitung Majors von Glasenapp nach diesem 40 km entfernten Orte. Der Busch wurde immer dichter und unübersichtlicher. Bald fielen einzelne Schüsse, und nach wenigen Minuten war ein regelrechtes Gefecht im Gange. Die kleine Schar wurde von mehreren Seiten gleichzeitig angegriffen und entging nur mit Mühe der völligen Vernichtung, nachdem sie sieben Offiziere und 19 Reiter – also mehr als die Hälfte – tot auf dem Gefechtsfelde zurückgelassen hatte.
Immerhin waren jetzt die Hereros festgestellt, und so ein besserer Anhalt für die weiteren Operationen gegeben. Der Gouverneur befahl daher, bis zum 1. April in der Defensive zu verbleiben, um dann den Vorstoß der Hauptabteilung durch eine Offensive von NO. zu unterstützen. Pünktlich marschierte die Ostabteilung an diesem Tage dem Swakop-Gebiet entgegen. Am Morgen des 3. April erfolgte ein plötzlicher Angriff der Hereros bei Okaharui im Rücken und bald darauf auch in der Front. Es gelang allerdings dem Gegner schwere Verluste zuzufügen und ihn der Hauptabteilung entgegenzudrängen, allein auch die eigenen Verluste waren bedeutend, und was am bedauerlichsten war: Der Vorstoß des Gouverneurs blieb aus. Daher marschierte Major von Glasenapp wieder auf Onjatu zurück, wo nach all der Verlusten, Strapazen und Entbehrungen auch noch der Typhus ausbrach, der die Ostabteilung operationsunfähig machte.
In Erkenntnis dieser kritischen Lage marschierte das Detachement nach Otjihaenena zurück.
Inzwischen hatte die Westabteilung ihren Auftrag erfüllt
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und von Omaruru nach heftigen Gefechten bei Otjihinamaparero und Omutema nach Okahandja zur Vereinigung mit der Hauptabteilung marschiert. Diese hatte bisher in der Hauptsache dem Schutze der Bahn und der Säuberung des Geländes südlich derselben gedient. Am 7. April führte nun der Gouverneur seine Absicht mit der Hauptabteilung gegen die Hauptmacht der Hereros, welche unter Samuel Maharero bei Onganjira und Oviumbo saßen, vorzustoßen aus. An beiden Orten kam es am 9. und 13. April zu schweren und verlustreichen Gefechten, die dem Obersten Leutwein nunmehr selbst jeden Zweifel nahmen, daß die Bekämpfung eines so zahlreiche, zähen und fanatischen Gegners durch eine so kleine Truppe zu keinem Erfolge führen könne. Er zog die Kompagnien zurück und verteilte sie zum Schutze der verschiedenen Bahnstationen und Etappen.
Die endgültige Niederwerfung des Aufstandes sollte der Armee vorbehalten bleiben. Unter dem General von Trotha gingen in den folgenden Monaten zwei berittene Feldregimenter mit Artillerie und Maschinengewehren – in Summa etwa 10 000 Mann – nach S.W.-Afrika. Bereits am 11. August 1904 war das gesamte Volk der Herero am Waterberg eingekesselt. Noch einmal zeigten sie ihre Kraft, indem sie nach Osten durchbrachen. Aber ihr Weg führte sie nicht zur Freiheit, sondern zum Untergang. Mit wenigen Ausnahmen ist der ganze Stamm in der trockenen Kalahari umgekommen.
Bekanntlich war damit die Ruhe noch nicht wiederhergestellt, denn nun begann ein noch viel schwierigerer Kampf gegen die bisher treugebliebenen Hottentotten oder Witbois unter ihrem Führer Hendrik Witbois. Es bedurfte noch unendlicher Mühsalen, zahlreicher Opfer an Menschen und Mitteln bis im September 1907 der letzte Aufrührer „Morenga“ vernichtet wurde.
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Der aktionsfähige Teil des Marine-Expeditions-Korps hatte nach seiner Berittenmachung noch ruhmvollen Anteil an diesen Operationen. Im Februar 1905 mußte aber die stark dezimierte Truppe nach der Heimat zurückgezogen werden.
Es ist mir leider angesichts des zur Verfügung stehenden Raumes nicht möglich die Leistungen der kleinen Truppe, die oft verkannt worden sind, in würdiger Weise klarzulegen. Dennoch hoffe ich eine ungefähre Skizze von dem entworfen zu haben, was der deutsche Dichter Frenzen in seinem „Peter Mohr“ so ergreifend und doch so wahrheitsgetreu geschildert hat. Jeder Angehörige unserer Marine sollte dies Buch gelesen haben! Alle Kritik an unsern Seesoldaten zerfällt von vorneherein angesichts der anerkennenden Worte unseres obersten Kriegsherrn und des Generals von Trotha. Die Tatsache alleine, daß zur endgültigen Niederwerfung des Hereroaufstandes am Waterberge bis 16fachen Kampfkräfte zur Anwendung kamen, beweist die Hauptursache des geringen Erfolges unseres Marine-Expedi-tionskorps, dem die Kolonie die Rettung des größten Teils unserer Kolonisten und ihrer Farmen sowie die Sicherung der Bahnen verdankte.
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Mit sichtbarem Erfolge fochten unsere Seesoldaten gelegentlich der Unruhen, welche im Juli 1905 in Ostafrika ausgebrochen waren. Dem dorthin beorderten Detachement des Hauptmanns von Schlichting gelang es gemeinsam mit der dortigen schwarzen Schutztruppe die im Süden bei Lindi, in der Mitte bei Mpapua und im Norden bei Muansa am Viktoriasee entstandenen Aufstände im Keime zu ersticken und die Rädelsführer zu bestrafen.
Endlich sei auch noch des Ponape-Aufstandes gedacht (Ost-
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Karolinen). Hier hatte der Häuptling Jomatau im Oktober 1910 den Bezirksamt-mann getötet und versucht alle Ansiedler zu vertreiben. Den vereinten Anstren-gungen von S.M.S. „Emden“, „Nürnberg“, „Planet“ und „Cormoran“ unter Leitung des Kapitäns z.S. Vollertun gelang es bis Mitte Janur 1911 die von den Aufrührern beherrschte Dschokadsch-Insel zu stürmen und nach weiteren Kämpfen im dichten Busch die Waffenstreckung des Feindes zu erwirken. – Es bleiben schließlich noch eine Anzahl weniger kriegerische aber deshalb nicht weniger bedeutendere Episoden zu erwähnen, unter denen der „Agadir-Fall“ im Jahre 1911 wohl noch allerseits in frischer Erinnerung steht. Wie hier, so hat unser Vaterland auch anderen Orts, sei es in Afrika, Amerika oder Ostasien, gezeigt, daß es gewillt ist, seine Interessen, besonders die seiner Kaufleute nachhaltig zu schützen und dafür Sorge zu tragen, daß bei der Verteilung fremder Erde auch unsere Stimme gehört wird.
Unsere Marine hat es seit nunmehr 64 Jahren meisterhaft verstanden, dem Willen unseres Landes Nachdruck zu verleihen oder ihn, wo es notwendig war, in die Tat umzusetzen.
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Nach Erwähnung all der kriegerischen Aktionen unserer Marine in den Kolonien seien der kulturellen Tätigkeit unserer Seemacht in dem bereits Eingangs erwähnten Kiautschou noch einige Worte gewidmet.
Tsingtau war weder einen Plantagenkolonie wie Kamerun oder Togo, noch eine Siedlungskolonie wie S.W.- bzw. O.-Afrika, sondern ausschließlich der Ausgangspunkt der deutschen Interessen in Ostasien.
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Bekanntlich stand Deutschland seit dem Jahre 1861 in Vertragsbeziehung zu China. Seit dem deutsch-französischen Kriege hatte sich der deutsche Handel ganz außerordentlich entwickelt uns sich zum Teil sogar zum starken Konkurrenten Englands ausgebildet. Die Mißgunst dieses Landes im Verein mit den Machtverschiebungen am Ende des japanisch-chinesischen Krieges 1895 nötigten uns 1897 einen Stützpunkt für unsere Handelsinteressen in Ostasien zu schaffen. Ohne solchen Rückhalt hätten wir auf eine politische und wirtschaftliche Rolle verzichten müssen. Eine Okkupation oder eine Annexion chinesischer Gebietsteile lag unserer Regierung absolut fern. Gerade ein unberührtes und kräftiges China brauchte der deutsche Handel.
Gegenüber den Gebietserweiterungen, die England, Rußland und Frankreich, selbst Japan, - das 1880 die Hand auf die Liu-Kiu-Inseln und 95 auf Formosa legte -, auf Kosten Chinas vornahmen, erscheint die Erwerbung des kleinen Tsingtau recht
bescheiden.
Und doch - was ist auf diesem kleinen Gebiete in kurzer Zeit nicht alles entstanden! Stand es doch 1914 bezüglich seines Handelsverkehrs an sechster Stelle aller chinesischen Hafenstädte. Ein musterhafter Hafen, ausgerüstet mit den modernsten Anforderungen nebst einer leistungsfähigen Werft, gewährte der internationalen Schiffahrt einen günstigen Anlegeplatz. Die seit dem 1. VI. 1904 quer durch Schantung bis Tsinanfu (395 km) verkehrende Schantungbahn mit ihren Anschlüssen nach Tientsin und Pukou öffnete eine weites Gebiet für den Handel. Tsingtau selbst, getrennt in eine Europäer- und eine Chinesenstadt, wurde der Sitz zahlreicher deutscher und ausländischer Handelsfiliale sowie chinesischer Handelshäuser. Zuletzt zählte die vollkommen neu erbaute Stadt 60 000 Einwohner, darunter
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über 2000 Europäer (ohne Militär). Die Schantungbergbaugesellschaft nahm den Betrieb der Kohlenfelder entlang der Bahn erfolgreich in Angriff. Der Schiffsverkehr stieg von
182 Dampfern im Jahre 1900 auf
902 Schiffe mit 1 290 556 Reg. Tons im Jahre 1913.
Der Gesamt des Handels betrug in diesem Jahre etwa 200 Millionen Mark. Die Gouvernementseinnahmen erhöhten sich von
36 000 Mark im Jahre 1899 auf
7 200 000 Mark im Jahre 1913 .
Schon im Jahre 1912 hielt sich der Etat im Gleichgewicht der Gestalt, daß nach Abzug der Aufwendung für Militär und Marine die Ausgaben durch die eigenen Einnahmen des Schutzgebietes gedeckt wurden. Von großer Bedeutung war die Handelsentwicklung des Hinterlandes. Zu den Ausfuhrartikeln gehörten in der Hauptsache Strohborten, Erdnüsse, Kohlen, Seide, Bohnen, Bohnenöl, Datteln, Glaswaren, Felle, Talg und Schlachtvieh. An der Einfuhr waren besonders Baumwollwaren, Petroleum, von den deutschen Waren namentlich Anilinfarben, Metalle, Nadeln, Waffen, Eisen-, Brücken- und Bergbaumaterial beteiligt.
Die deutsche Gouvernementsschule mit etwa 250 Schülern sowie die deutsch-chinesische Hochschule mit etwa 450 Zöglingen gewährten der deutschen bzw. chinesischen Jugend des ganzen Ostens gute Fortbildungsstätten. Auch die Missionsgesellschaften mit ihren Lehrer- und Lehrerinnenseminaren, Knaben- und Mädchenschulen, Abendschulen für Handlungsgehilfen und Kindergärten beteiligten sich in edelstem Wetteifer an den Kulturaufgaben unter den Chinesen.
Eine gesunde Bodenpolitik verhinderte jede Privatspekulation zugunsten der weniger Bemittelten dadurch, daß der Staat
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zunächst alles Land für sich ankaufte, alsdann durch Einführung einer Grundsteuer entsprechend dem gemeinen Werte des nackten Bodens in Höhe des ortsüblichen Zinsfußes und durch die Einführung der Wertzuwachssteuer. Die Zollregelung, welche die „Times“ ein Denkmal staatsmännischer Weisheit nannte, bestand darin, daß Tsingtau unter Schaffung eines Freihafengebietes und gegen einen Anteil des Gouvernements in Höhe von ⅕ der Zolleinnahmen dem chinesischen Zollgebiet angeschlossen wurde. Während der Pest im Jahre 1911 sowie während der Revolutionsmonate bot Tsingtau zahlreichen Chinesen der höchsten Kreise einen sicheren Unterschlupf. Viele von ihnen haben sich dauernd daselbst niedergelassen. Prinz Kung, einer der wenigen Chinesen, die an der Augusta-Viktoria-Bucht – also im Europäerviertel – ihre Besitzung hatten, nannte Tsingtau den Regenschirm Chinas. Als Badeort stieg Tsingtaus Bedeutung von Jahr zu Jahr in ganz außerordentlicher Weise. Die Aufforstungen waren vorbildlich über den ganzen Osten. Was uns nun heute bezüglich Tsingtaus am meisten interessiert, das ist sein zukünftiges Schicksal. Dieses ist ja seitens der Ostasiatischen Presse schon ungezählte Male besprochen worden, allerdings meist ohne Berücksichtigung des Hauptfaktors in der ganzen Frage: Nämlich des Willens der siegenden Nation. Heute braucht man wohl kein großer Optimist zu sein, wenn man jeden Zweifel an dem endlichen Siege unseres Vaterlandes in das Gebiet der Phantasterei verweist. Sonach werden für unsere Regierung nur zwei Möglichkeiten in Betracht kommen, ob wir nämlich Tsingtau zu dem machen wollen, was es war, oder zu einer internationalen Niederlassung. Die Wahl wird abhängig sein von dem Kurs den unsere Regierung zu steuern beabsichtigt. Angesichts eines uns feindlich gesinnten Japan werden wir wohl
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kaum den alten Weg beschreiten. Das Ziel Deutschlands gelegentlich der Friedensverhandlungen wird vielmehr darauf gerichtet sein, daß wir in Besitz eines großen zusammenhängenden Kolonialreiches gelangen, das sich einerseits selbst schützen, andererseits der Hilfe des Mutterlandes nicht zu entsagen braucht. Die alten Tsingtauer wünschen natürlich nichts sehnlicher, als die Rückkehr der alten Verhältnisse. Die meisten unserer Leser haben ja nur Kurz und unter ungünstigen Umständen in unserer ostasiatischen Kolonie geweilt, ohne sie richtig kennen lernen zu können. Daher werden sie nicht ohne weiteres verstehen, wie sehr den alten Tsingtauern ihre neue Heimat, die ihnen so viele ihrer Wünsche und Ideale in Erfüllung gehen ließ, aus Herz gewachsen war.
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Auch der heutige Krieg hat erwiesen, welch enorme Bedeutung unserer Marine für die Erringung des zu erkämpfenden Sieges zukommt. Ich erinnere an die ruhmvollen Kämpfe der Marine-Division in Belgien und den Küstenschutz an der Nordsee. Die heroischen Taten des Kreuzergeschwaders, der "Emden", der "Möve", der "U-Boote" und nicht zuletzt auch unseres lieben Tsingtau sind zu sehr mit der Gegenwart verknüpft, als daß sich ein Eingehen darauf als zweckmäßig erweisen würde. Zur Zeit stehen für alle unter dem Eindruck des letzten Seekampfes, der am 31. Mai zwischen einer englischen und einer deutschen Flotte stattgefunden hat. Wenngleich es die Engländer heute noch nicht zugeben, so kann man doch auf Grund ihrer gewaltigen Verluste mit Bestimmtheit annehmen, daß das Resultat des Kampfes einen gewaltigen Sieg für unsere Marine bedeutet. Seit den Tagen des holländischen Admirals de Ruyter, der 1667 in die Themse eindrang und in
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den Docks von Chatham ein Anzahl Schiffe verbrannte, haben die Engländer keine ähnliche Niederlage zur See zu verzeichnen gehabt. Rund 250 Jahre lang hat England ständig die See beherrscht. Eines der Hauptziele des heutigen Krieges ist, die Freiheit der Meeres von der englischen Willkür zu erkämpfen. Es ist wohl nicht übertrieben, wenn man in dem jüngsten Ereignis den Anfang dazu sieht. Was die kommenden Monate unserer Marine noch bringen, läßt sich heute noch nicht übersehen. Noch ist das letzte Wort auf der Nordsee nicht gesprochen. Wir haben keine Ursache einen Waffengang mit unserem Hauptgegner auf dem Meere zu fürchten, wenngleich es unangebracht erscheint, schon heute darüber theoretische Betrachtungen anzustellen. Soviel aber läßt sich heute schon mit Bestimmtheit feststellen: Zu Boden werden uns unsere Gegner nie ringen. Wir fühlen uns dem Wesen unserer Feinde gegenüber auf allen Gebieten höher, sprungkräftiger, männlicher und jugendlicher, und das ist die beste Gewähr dafür, daß wir siegen müssen und siegen werden.
Die Marine aber wird dereinst das für sich in Anspruch nehmen dürfen, daß sie neben ihrer großen Schwester der Armee ruhmreich dazu beigetragen hat unser Vaterland zu schützen und den Sieg zu erringen!
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Bei den drei Aufsätzen über unsere Marine lag der Gedanke zu Grunde, einen kurzen Abriß des Werdeganges und der Geschichte unserer Seemacht mit besonderer Berücksichtigung der Marine-Infanterie zu schaffen. Natürlich kann jener in Anbetracht der wenigen Quellen und des zur Verfügung stehenden Raumes in keiner Hinsicht ein einwandfreies und auch nur annähernd vollständiges Bild der behandelten Materie wiedergeben.
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Immerhin aber wird der Leser wahrgenommen haben, daß unsere Marine bei ihren kriegerischen Aktionen seit Beginn ihres Bestehens bis auf den heutigen Tag fast stets einem weit überlegenen Gegner gegenübergestanden hat. Auch hat die Kriegsgeschichte unserer Seemacht und insbesondere die unserer Seebataillone bis zum jetzigen Kriege keine Erfolge von welthistorischer Bedeutung aufzuweisen. Das ist einerseits begründet in dem hauptsächlich kontinentalen Charakter unserer Wehrmacht überhaupt, als auch andererseits in der Jugend unserer maritimen Organisationen. Es wäre aber falsch deshalb unseren blauen Jungens und unseren Seesoldaten weniger Anerkennung zu zollen, als unseren Feldgrauen, denn sie haben sich ihren Aufgaben stets mit derselben Begeisterung und Aufopferungsfreudigkeit gewidmet, wie ihre Brüder von der gewaltigen Armee, die auf Jahrhunderte einer großen Vergangenheit zurückblicken kann.
Denjenigen unter uns, die sich immer noch zeitweise in trüben Gedanken an unsere Tsingtauer Los ergehen, gehört mein vollstes Verständnis. Gleichzeitig möge aber keiner die Tatsache außer Acht lassen, daß auch hier unsere Seesoldaten und blauen Jungen ebenso wie seiner Zeit in Süd-West nicht mehr leisten konnten als was eben im Bereich des Möglichen lag.
Und daß sie das getan haben, daß sie ihr Leben und ihre ganze Arbeitskraft willig und mit größter Begeisterung dem Vaterlande dargebracht haben, das kann wohl niemand besser bezeugen, als wir selbst, die wir ja auch die Anerkennung unseres obersten Kriegsherrn und unserer Nation im weitgehendsten Masse gefunden haben.
Unser Gouverneur wie unsere Garnison würden vielleicht größeren Ruhm vor den Augen der Welt gefunden haben, wenn
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mit Tsingtau auch wir selbst gefallen wären. Damit wäre aber unserem Vaterlande nicht nur nicht genützt, sondern aus naheliegenden Gründen direkt geschadet worden!
Das mögen sich die Idealisten, denen sonst voll und ganz unserer Zeit gehört, gesagt sein lassen!
Daher mögen meine Ausführungen mit den Worten eines unseren größten Dichter endigen, welche ich gerne als Wahlspruch für die Geschichte unserer Marine gesetzt sehen möchte:
„Die Tat ist alles
Nichts der Ruhm!“
Fst. II
Buttersack.