Lagerfeuer

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Lf. No. 9 Matsuyama Sonntag. 26. März 1916.

Militärische Kriegserfahrungen.

Seit sich der Übergang von den Kämpfen zweier lediglich auf ihre physischen Kräfte vertrauenden Gegenger zur rein verstandesmäßigen Leitung von Kriegen und Schlachten vollzogen hat – Schlieffen nennt Cannä die erste dieser Schlachten - seit dieser über 2 Jahrtausende zurückliegenden Zeit kann von einer einschneidenden Veränderung in den Grundsätzen der Strategie oder Lehre von der Verwendung und dem Zusammenwirken der Heere nicht gesprochen werden. „Einkreisung“. „Umfassung“, „frontaler Durchbruch“ sind ebensowenig Schöpfungen der neuesten oder auch nur der neuen Zeit, wie „Angriff“ und „Verteidigung“. So konnte man auf diesem Gebiete auch vom jetzigen Kriege nichts Neues erwarten, er hat nur hier wie überall die bekannten Grundsätze ins Gewaltige übertragen.
In vollem Gegensatz hierzu steht die Taktik oder Lehre von der Verwendung und dem Zusammenwirken der Truppen. Ihre Maßnahmen sind in erster Linie abhängig von dem unablässig tätigen Erfindergeist des Menschen, der jeden Fortschritt der Technik in den Dienst des Heeres stellt, und befinden sich daher in dauerndem Flusse. Ebenso wie Granate und Panzer miteinander um die Überlegenheit ringen, so hat auch die Truppe jeder Verbesserung der Kriegstechnik durch Anpassung an die veränderten Verhältnisse zu begegnen.
Die Probe darauf, ob die in steter Friedensarbeit gewonnenen taktischen Erfahrungen und Grundsätze richtig sind, kann nur der Krieg bringen, denn er allem klärt alle schwebenden Fragen, reinigt von falscher Tradition, bestätigt das als richtig Erkannte durch den Sieg auf dem Schlachtfeld. Seit

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1870/71 konnte uns aber kein Krieg, selbst der Russisch-Japanische nicht, als vollgültiger Beweis für die Güte unserer Ausbildung gelten. Es bedarf keiner Worte darüber, wie glänzend die Friedensarbeit des deutschen Heeres ihre Kriegsprobe bestanden hat, und es muß jetzt schon nachdrücklich betont werden, daß unsere Heeresleitung wohl kaum Veranlassung haben wird, Wesentliches an den vor dem Krieg festgelegten taktischen Grundsätzen zu ändern, wenn auch manchem auf den ersten Blick das Gegenteil richtig zu sein scheint. Aber bei allem ernsten Streben, der Wirklichkeit so nahe wie möglich zu kommen, kann diese Arbeit doch nur Annäherungswerte erzielen und das um so mehr, als man wohl seit Erfindung des Pulvers in keinen Krieg mit mehr Spannung und Ungewißheit eingetreten ist.
So kann es nicht überraschen, daß dieser Krieg auch unserm Heere neben der Bestätigung vieles richtigen manches Neue brachte und bringen mußte.
Und zwar aus zwei Gründen: Einmal fielen wohl in keine Friedensspanne seit Einführung der Feuerwaffen gewaltigere und umwälzendere Erfindungen der Kriegstechnik, die erst in diesem Kriege in ihrem vollen Umfang erprobt werden mußten, und zum andern leidet dieser Weltkampf schlechthin ein neues Zeitalter der Kriegführung überhaupt ein, das Zeitalter der Massenaufgebote, der „Welt“-Kriege im wahren Sinne des Wortes, einer Kriegführung, die nach Zeit, Raum und Zahl der Kämpfenden kaum eine Beschränkung mehr findet.
Manchen mag vielleicht eine Erörterung der militärischen Kriegserfahrungen in einer Lage, in der man sich hauptsächlich nur auf die allen zugänglichen Veröffentlichungen

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der Presse stützen kann, müßig erscheinen. Aber in dieser Flut von Darstellungen findet sich doch in und zwischen den Zeilen soviel Neues und Interessantes, daß es nicht nur lohnend erscheint, einige Hauptgesichtspunkte anzudeuten, sondern daß es auch für jeden Soldaten zur Pflicht wird, sich damit zu beschäftigen, wenn er nicht fremder als es nötig ist, nach Hause zurückkehren will.
Die erste und allgemeinste Kriegslehre ist eine Erziehungsaufgabe für die Völker. Nicht mehr eine Auslese der Besten und Tüchtigsten zieht in den Krieg, sondern das ganze Volk. Im Zeitalter der Massenaufgebote ist Heer gleichbedeutend mit Volk, ist des Heeres Tüchtigkeit zugleich des Volkes Tüchtigkeit. Damit reicht die eiserne Gegenwart jener lang vergangenen wehrhaften Zeit die Hand, in welcher nur der Mann seinem Volke etwas galt, der seine Ackerscholle oder seine Herden verteidigen konnte. Wenn aber die modernen Massenheere nicht von sehr verschiedener Beschaffenheit und Güte sein sollen so muß notwendigerweise nach diesem Kriege in allen Staaten eine stark gesteigerte militärische Vorbereitung einsetzen. Noch 1909 schrieb einer der heutigen deutschen Armeeführer:
„Die selbstverständliche Folge der Massenaufgebote und der kürzeren aktiven Dienstzeit ist eine Verringerung des inneren Wertes der aufgestellten Truppenkörper. Die Größe der zu erwartenden Aufgaben verlangt eine Ergänzung des eigentlichen Feldheeres durch Aufstellungen zweiter und dritter Ordnung, Neubildungen, welche aus schwachen Stämmen aufgebaut werden müssen. Die früher vorhandene einheitliche Beschaffenheit des Feldheeres wird auf diese Weise erheblich durchbrochen, seine Verwendung erschwert.

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Ein Mißverhältnis zwischen dem Gehalt mancher Teile des Heeres und den zu erwartenden gesteigerten Ansprüchen der Kriegführung ist nicht zu verkennen.“
Gewiß sind diese Ausführungen durch die Ereignisse in vieler Hinsicht längst überholt. Gewiß ist auch, daß dieses Mißverhältnis in Deutschland, dessen Volk durch langjährige Gewöhnung und soldatische Erziehung am besten vorbereitet ist, dem militärische Unterordnung und soldatisches Fühlen und Denken gewissermaßen im Blute steckt, kaum besteht. Aber es muß auch offen gesagt werden, daß uns ein zukünftiger Krieg nicht wieder in einer Lage finden darf, in der Millionen von Mitbürgern erst ausgebildet werden müssen, und im Zusammenhang damit ist eine den Körper stählende Jugenderziehung, die sich in gesunden Grenzen hält und reichsgesetzlich zu regeln ist, nicht mehr von der Hand zu weisen. Gerade die Erkenntnis, daß man ein Volk nicht in weniger Monaten zur Kriegstüchtigkeit erziehen kann, wird für manchen der Kriegführenden eine bittere Lehre gewesen sein und auch in England wird man erkannt haben, daß es mit Handhabung der Waffen, mit guter Ausrüstung und Verpflegung allein nicht getan ist.
Aus Riesenheeren werden Riesenfronten. Darum kann Friedrich Naumann (Mitteleuropa S.7) mit Recht sagen, daß „das wichtigsten kriegstechnische Ergebnis das sei, daß künftig nur noch in langen Linien gefochten werden wird, und daß der Schützengraben die Grundform der Vaterlandsverteidigung sein wird.“ Selbstverständlich ist der letzte Satz nicht wörtlich zu nehmen. Aber er gibt uns doch die Frage auf, wie sich in Zukunft die Verteidigung unserer Landesgrenzen gestalten soll. Ob es sich bei der vernichtenden Wirkung

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der schweren Geschütze auch weiterhin noch lohnen wird Festungen zu bauen? Die Frage beantwortet sich von selbst, wenn man die an die Festungen zu stellenden Anforderungen auf das richtige Maß zurückführt und den Hauptwert einer Festung im „Zeitgewinn“ sieht. Diesen Zeitgewinn kann heutzutage eine einzelne, leicht einzuschließende und unter konzentrisches Feuer zu nehmende Festung nicht mehr liefern, wohl aber eine zusammenhängende Festungslinie. Das bedeutet, daß man auch späterhin diesem schon vor dem Krieg erkannten und besonders in Frankreich mit Vorteil verwendeten Festungsliniensystem treu bleiben wird. Hätte Frankreich seiner von Belfort bis Verdun reichenden, ununterbrochenen Verteidigungslinie etwas ähnliches in Nordfrankreich zur Seite stellen können, dann hätte sich der deutsche Einmarsch wohl erheblich verlangsamt.
Ein weiteres Ergebnis der vom Meer bis zur neutralen Grenze reichenden Fronten liegt darin, daß militärisch ungünstige geographische Bedingungen (wie Gelände und Klima), ebenso wie die Jahreszeiten ihre früher oft entscheidende Wirkung wohl für immer ausgespielt haben. So wären ehedem unwegsame Gebirgsgegenden (Vogesen, Karpathen), in denen ein strenger und langer Winter hohen Schnee türmt, ertrags- und wasserarme Landstriche, „undurchdringliche“ Wälder und Sümpfe (Argonnen, Bjelowjescher Urwald, Pripetsümpfe) entweder ganz umgangen oder höchstens rasch durchschritten, sicherlich aber nicht zum Schauplatz jahrelanger erbitterter Kämpfe gemacht worden. So hat Hindenburg einen seiner größten Siege, die zweite Schlacht in Masuren, mitten im tiefsten russischen Winter

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erfochtne. Wenn das Feldgrau seinen Zweck nicht mehr erfüllen kann, werden an die in schneereichen Gegenden kämpfenden Truppen häufig weiße Pelze und Schneehemden verteilt.
Besondere Maßnahmen und Vorbereitungen erfordern vor allem die Gebirgskämpfe, für die es in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten (Österreich, Frankreich, Italien) vor dem Kriege keine besonderen Formationen gab. Diese Lücke wurde indes gleich in den ersten Kriegsmonaten durch die Aufstellung von besonders ausgerüsteten Fußtruppen (Schneeschuhbataillone z.B.), von Gebirgsmaschinengewehrabteilungen und von Gebirgsartillerie ausgefüllt. Für diese letztere Waffe standen der Heeresleitung brauchbare von Krupp und Erhardt konstruierte Modelle zur Verfügung, bei denen die Schwierigkeiten, die sich lange Zeit der Konstruktion von Gebirgsgeschützen entgegengestellt hatten (bei einfachster Zerlegung und Verpackung und bei leichtem Gewicht soll möglichst die Wirkung der Feldgeschütze erreicht werden) in günstiger Weise gelöst waren.
In demselben Maße, in dem die Jahreszeiten an militärischer Bedeutung verloren haben, verschwindet auch der Unterschied zwischen Tag und Nacht immer mehr in der Kriegführung. Noch bei Kriegsbeginn hielt man die Stunden unmittelbar vor der Morgendämmerung für die geeignetste Angriffszeit, weil man in ihr einerseits noch unter dem Schutze der Dunkelheit den Angriff überraschend ansetzen und durchführen konnte, andererseits aber für die weiteren Bewegungen in dem eroberten Gelände auf das Tageslicht nicht verzichten durfte und wollte. Dabei ist noch zu

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bedenken, daß durch die Vervollkommnung der Beleuchtugsmittel die Wahrscheinlichkeit der Überraschung so gering geworden ist, daß sich einem Angriff im großen Stil fast dieselben Nachteile wie bei Tage bei ungleich schwierigeren Bewegungsmöglichkeiten ergeben. Die heutige Kriegführung hat Mittel gefunden, die der stürmenden Infanterie das Vorgehen zu jeder beliebigen Tageszeit gestatten ohne Steigerung der Verluste. Durch das „Trommelfeuer“ der schweren und schwersten Geschütze werden die feindlichen Stellungen dem Erdboden gleichgemacht und ihre Besatzung entweder vernichtet oder doch so erschüttert, daß sie zur Verteidigung nicht mehr imstande ist. Um ganz sicher zu gehen oder weil sich die vollständige Zertrümmerung der gegnerischen Verteidigungsanlagen auf artilleristischen Wege nicht erreichen ließ, betäubt man den Gegner durch dichten Schwaden giftiger Gase. Gleichzeitig verhindert starkes, vor die zweite und dritte Linie gelegtes „Sperrfeuer“ der leichten und mittleren Kaliber ein Hervorbrechen der feindlichen Reserven zur Unterstützung der vordersten Stellung im Moment des Angriffs.
Als letzte der allgemeinen Kriegslehren sei hier noch der Munitionsverbrauch erwähnt, der in diesem ungeheuren Umfange wohl allen Kriegführenden mehr oder weniger unerwartet kam. Er ist ein besonders deutliches Beispiel dafür, mit welcher Vorsicht die Erfahrungen früherer Kriege, in denen Maschinengewehre und Schnellfeuergeschütze nur in beschränktem Umfang Verwendung fanden, für die eigenen Vorbereitungen benutzt werden dürfen.
Einige Zahlen geben ein anschauliches Bild. Zunächst sei, um die absolute Steigerung des Munitionsverbrauchs seit Erfindung der Schnellfeuerwaffen festzustellen, der Feldzug

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1870/71 zum Vergleich herangezogen, in dem die deutsche Artillerie etwa 817000 Geschosse verfeuert hat.
Der erste größere Krieg, in dem wenn auch nur teilweise moderne Waffen verwandt wurden, war der Russisch-Japanische. Es ergibt sich das überraschende Bild, daß in ihm die gesamte Artillerie nur etwa 954 000 Geschosse verbraucht hat.
Nun einige Angaben aus dem Weltkrieg, die allerdings auf statistischen Genauigkeit keinen Anspruch machen können. Die französische Artillerie hat, wie aus dem offiziellen französischen Heeresleitungsbericht vom 17. VI. 15. hervorgeht im Norden von Arras innerhalb 24 Stunden 300 000 Geschosse verfeuert.
Aus russischen Berichten schließ man, daß die deutsche Artillerie im Verlaufe der großen Schlacht in Galizien 700 000 Geschosse = 1000 Eisenbahnwagen verbraucht hat.
Nach einer Berechnung von Gllt. Rohne sollen die Franzosen an den drei stärksten Trommelfeuertagen der letzten großen Offensive gegen 3,1 Millionen Schuß verfeuert haben.
Die Frage, welches denn die Gründe für diesen keine Grenzen mehr kennenden Munitionsverbrauch sind, liegt nahe. Zum geringsten Teile nur ist es der durch die modernen Mehrladegewehre, Maschinengewehre und Schnellfeuergeschützen selbst bedingte höhere Verbrauch. Es ist ferner klar, daß sich im gleichen Verhältnis mit der Masse der Heere die Stärke des Feuers vervielfältigen muß, wenn es die gleiche Wirkung behalten soll. Der Hauptgrund liegt aber wohl in der so oft genannten „Leere des Schlachtfeldes“, d.h. darin, daß die Feuerkämpfe zwischen eingegrabenen Schützenlinien, zwischen unsichtbaren Artilleriegruppen, zwischen feldgrauen feldbraunen Kämpfern, die von ihrer Umgebung kaum erkennbar sind, stattfinden,

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und daß sich aus all diesen Gründen der Prozentsatz der Treffer immer mehr verringert.
Diese wenigen Zahlen schon genügen um uns einigermaßen die Aufgabe zu vergegenwärtigen, die bei dem jetzigen Munitionsverbrauch an Ersatz und Nachschub gestellt werden und um die gesteigerte Bedeutung der Kraftfahrzeuge zu verstehen.
Nach diesen allgemeineren Betrachtungen sei nun noch kurz auf die 3 Hauptwaffen eingegangen und untersucht, inwieweit ihnen die Taktik dieses Krieges Neuerungen für ihre Ausbildung und Verwendung gebracht hat.
Die Antwort auf die Frage, was dem jetzigen Kriege eigentlich sein besonderes Gepräge gibt und worin die Eigenart liegt, die ihn wesentlich von allen bisherigen Kriegen unterscheidet, kann wohl nur so lauten: Der Stellungskrieg, der Schützengraben, die „Grundform der Vaterlandsverteidigung.“ Als Vorläufer dieser Entwicklung kann der Russisch-Japanische Krieg angesehen werden. Mit jeder weiteren Steigerung der Waffenwirkung und dem damit notwendigerweise verbundenen gesteigerten Deckungsbestreben, vor allem aber mit dem Augenblick, wo die Fronten zu lang wurden, um auf allen ihren Teilen angriffsweise vorgehen zu können, mußte sich diese neue Art der Kriegführung zur Vollkommenheit ausbilden.
Alle Waffen, besonders aber die Infanterie hatten sich dieser Kampfart anzupassen, die bei stärkster Nervenanspannung zugleich die Beherrschung der mannigfachsten technischen Hilfsmittel verlangt. Mehr als je muß der Infanterist vom Pionier lernen, um manche der früher diesem zufallende Aufgaben übernehmen zu können, und um die

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beschränkte Zahl der Pioniere für die technisch schwierigen Aufgaben freizuhalten. Die Anlage der kunstvollsten Schützengrabensysteme, der Hindernisse, der Reservestellungen und Unterkunftsanlagen, das Werfen mit Handgranaten und Schießen mit Minenwerfen, all das ist jetzt Sache der Infanterie. Und doch wäre nichts falscher, als die Bedeutung dieser neuen Aufgaben zu überschätzen, denn wie man sieht, haben auch die jungen englischen Truppen, deren Güte man sonst gewiß nicht allzu hoch einschätzen darf, eine gewisse Fertigkeit in ihnen erlangt. Man darf nie vergessen, daß der Markstein in der Taktik der Infanterie der Drang nach vorwärts ist und daß trotz sorgfältigster Ausbildung in den dem Stellungskrieg eigentümlichen Kampfmitteln doch stets die Erhaltung des Angriffsgeistes und der Fähigkeit sich in jedem Gelände geschickt bewegen zu können, das Ziel jeder Ausbildung bleiben muß. Es darf ohne Überhebung gesagt werden, daß die Erziehung, die unsere Infanterie im Exerzierreglement f. d. J., diesem Meisterwerk einer militärischen Vorschrift, vorgeschrieben war, ihre Kriegsprobe glänzend bestanden hat, und daß unsere Heeresleitung voraussichtlich wenig Veranlassung haben wird, die in ihm niedergelegten Grundsätze im Wesentlichen zu ändern.
Auch für die taktische Verwendung der Kavallerie hat sich bis jetzt wenig Neues ergeben. Nicht selten kann man die Ansicht aussprechen hören, daß die Kavallerie bis jetzt wenig in Erscheinung getreten ist, ja infolge der zahlreichen Stellungskämpfe gar nicht richtig in Erscheinung habe treten können. Dieses Urteil beweist nur eine bedauerliche Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse. Es hat sich gerade gezeigt, daß die Aufgaben, für welche die deutsche Kavallerie

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im Frieden erzogen und geschult wurde, in unverminderter Bedeutung weiter bestehen und auch tatsächlich an sie herangetreten sind. Nicht umsonst wurden in den letzten Friedensjahren große Aufklärungsübungen auf weiteste Entfernungen abgehalten, wurden in den letzten Kaisermanövern wiederholt mehrere Kavallerie-Divisionen und Kavalleriekorps zur selbständigen Lösung weit ausholender Aufgaben zusammengefaßt, wurden die Reiter auch im Gefecht zu Fuß recht fleißig geübt. Einige Beispiele mögen kurz auf die erfolgreiche Tätigkeit der Kavallerie in den verschiedenen oben besprochenen Aufgaben hinweisen. Man denke an die Fernaufklärung gegen Paris, an die Sicherung und Verschleierung der eigenen Heeresbewegungen beim Vormarsch durch Belgien und Nordfrankreich durch deutsche Kavalleriekorps, an den kühnen Ritt, der uns im Mai 1915 den Besitz von halb Kurland brachte, an die Kämpfe östlich Wilna, bei denen die Russen sich plötzlich in ihrem Rücken von starken deutschen Kavalleriemassen angegriffen und empfindlich gestört sahen. Daneben scheut man sich keineswegs die Kavallerie auch in den Schützengräben zu verwenden und stolze Reiterregimenter haben in Flandern feindl. Stellungen gestürmt. Für diese infanteristischen Aufgaben scheint man die mancherlei Waffen der Kavallerie noch um ein Bajonett vermehrt zu haben. Auch wiederholt sich hier eine ebenso für die Infanterie zutreffende Erscheinung, daß die an sich naturgemäß schwache Feuerkraft der Kavallerie der erhöhten Zuteilung an Maschinengewehre bedarf. Vielleicht nähert man sich in Deutschland nun dem französischen System, bei dem jedes Regiment mit 2 auf Packpferden mitgeführten Maschinengewehren ausgestattet ist, während bis

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jetzt den 6 Regimentern der Kavalleriedivision nur die 6 Gewehre der Maschinengewehrabteilung zur Verfügung standen.
Die größten Überraschungen und bittersten Kriegserfahrungen erfuhren unsere Gegner durch die letzte der drei Hauptwaffen, die Artillerie. Eine ihrer Festungen nach der anderen brach unter dem Donner unserer schweren und schwersten Geschütze zusammen. Mit furchtbarer Klarheit wurde unseren Feinden damit bewiesen, daß der Weg der richtige war, den wir in stiller Friedensarbeit beschritten hatten mit unserer Organisation der schweren Artillerie und mit der Konstruktion von Geschützen, die mächtiger sind, als alles was Menschengeist bis jetzt gegen sie erfinden konnte, und daß dieser Weg auch die Richtung für die nächste Zukunft angeben wird.
Unter dem überwältigenden Eindruck der Wirkung der großen Kaliber ist mancher nur zu sehr geneigt auf die verminderte Bedeutung der Feldartillerie zu schließen und das um so mehr, als diese Waffe in den Veröffentlichungen der Presse recht selten Erwähnung findet. Während, wie wir sahen, der schweren Artillerie die gerade Linie vorgezeichnet war, stand die Taktik der Feldartillerie bei Kriegsbeginn im heftigen Kampfe der Ansichten, in steter Veränderung und Schwankung. Der Ernstfall hat auch hier rasch eine gründliche Klärung der wichtigen schwebenden Fragen geschaffen und hat der Feldartillerie nicht nur den Beweis ihrer vollen Existenzberechtigung neben dem großen Bruder erbracht, sondern hat sie vor allem auch dadurch, daß der Krieg die Grenzen ihrer Wirkungsmöglichkeit klar umschrieb, ihrer schönsten und wichtigsten Aufgabe voll und ganz wiedergegeben. Damit

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ist die Feldartillerie zur treuesten Schwesterwaffe und Helferin der Infanterie geworden. Ihren Angriff begleitet ein Teil der Batterien mit „Sperrfeuer“, der andere befindet sich im unmittelbaren Gefolge der vorstürmenden Linien, mit deren raschen Vorgehen nur das bewegliche Feldgeschütz ohne Rücksicht auf das Gelände Schritt zu halten vermag. So hilft die Feldartillerie der Infanterie unvorhergesehene Hindernisse beiseite räumen, stützt sie bei Rückschlägen und ist im Augenblick der Verfolgung zur Hand um auch dem geschlagenen Gegner keine Ruhe zu gönnen. Im Stellungskrieg dagegen stehen die Feldbatterien nahe hinter der vordersten Linie, mit einzelnen Zügen und Geschützen in dieser selbst, um in engsten Zusammenarbeiten mit der Infanterie das Schnellfeuergeschütz bei der Abwehr feindlicher Angriffe zur vollen Entfaltung zu bringen. Auf die großen Vorteile, mit denen gerade im Stellungskrieg die leichte Feldhaubitze Verwendung findet, wie auch auf die äußerst wichtige, von hier aus kaum zu entscheidende Frage, ob sich das in Deutschland angenommene Verhältnis zwischen Feldkanone und leichter Feldhaubitze, das bisher 3:1 betrug, ändern wird, sei hier nur kurz hingewiesen.
Nur weniges konnte im engen Rahmen dieser Besprechung gesagt werden. Auch muß manches, was sich noch ausführen ließe, aus begreiflichen Gründen hier unausgesprochen bleiben. Aber schließlich muß es doch jedem einzelnen überlassen bleiben, die Lehren dieses größten aller Kriege nicht nur jetzt während des Kampfes, sondern vor allem nachher, wenn sich das Dunkel, das jetzt noch über den meisten Dingen liegt, lüftet, aufmerksam zu verfolgen.

H.
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Von der Tätigkeit der Eisenbahner.

Unserer Eisenbahnbrigade, die aus 3 Regimentern mit der dazu gehörigen Betriebskompagnie und der Versuchsabteilung der Verkehrstruppen besteht, fällt in diesem Kriege eine bedeutungsvolle Aufgabe zu. Die Eisenbahntruppen haben den Betrieb auf den eigenen und den fremdländischen im Etappengebiet liegenden Bahnen aufzunehmen. Sie haben die zerstörten Eisenbahnen, Brücken, Wege und Tunnels wiederherzustellen und wenn erforderlich Neubauten von Voll- und Feldbahnen auszuführen, um in bahnarmen Gegenden die Beweglichkeit der Truppen nach Möglichkeit zu fördern. Ihre Hauptbeschäftigung wird wohl in dem Bau und Betrieb der Feldbahnen bestehen, in deren Ausführung die Eisenbahntruppen im Frieden schon eine ganz besondere Fertigkeit erlangen. Den Feldbahnbau im Frieden werde ich hier etwas näher beschreiben, denn ich habe selbst 2 Brigade-Übungen im Feldbahnbau mit gemacht, wovon eine in Sachsen und die andre im Mecklenburgischen abgehalten wurde. Die Strecken waren 36 bezw. 30 km lang. Die Brigade-Übung in Sachsen sei hier näher beschrieben. Ausgangsort: Berlin. Ausführung durch Regiment 1. Zeit: Sommer 1909.
Zunächst wurden aus den aktiven Kompagnien Eisenbahnbaukompagnien zu je 250 Mann gebildet, zu denen später verschiedene Reservebaukompagnien, aus einberufenen Reservisten formiert, hinzukamen. Eine Baukompagnie ging im Juli 1909 von Berlin ab, um den Bau eine Viaduktes über das Triebisch-Tal oberhalb Meißen zu übernehmen, nachdem die Trade der auszuführenden Linie schon vorher durch eine Vermessungsabteilung genau festgelegt worden war. Der Vermessungsabteilung fällt die Aufgabe zu,

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die Linienführung im Gelände aufzusuchen, die Geraden durch Kennzeichen der Tangentenpunkte festzulegen, an den Tangentenpunkten eine Stange mit einer kleinen weißen Fahne und einer Tafel aufzustellen, auf der Zwischengerade, Winkel, Radien, Tangentenlängen, Kilometrierung aufgeschrieben sind. Ferner wird alle Kilometer ein Pfahl mit der laufenden Kilometerzahl eingeschlagen. Die ganzen Vermessung, wie überhaupt der ganze Felsbahnbau, geht natürlich im Galopp und die Vermessung kann keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit machen. Gemessen wird gewöhnlich mit dem Bandmaß und ob man in der Ebene oder im hügligen Gelände mißt, auf der Erde entlang, Parole: „Immer vorwärts“. Die Winkel werden mit der Bussole gemessen, Tangentenlängen vielfach abgeschritten, kurz es kommt dabei auf eine Hand voll nicht an, erstens, weil man mit der Feldbahn sozusagen um die Ecke fahren kann, und zweitens, weil mit der Feldbahn ziemlich große Steigungen überwunden werden können.
Die Strecke ist also in der beschriebenen Weise gekennzeichnet und die erste Eisenbahnbaukompagnie kommt auf dem Bauplatz an, ausgerüstet mit den dazugehörigen Werkzeug- und Gerätwagen, die sämtliche Zimmerwerkzeuge, Äxte, Beile, Sägen aller Art usw. Enthalten. Außerdem sind Winden, Taue, Gewindeschneidemaschinen, Bolzen, elektrische Bohrmaschinen, Kreis- und Bandsägen vorhanden, kurz, es ist alles da, was gebraucht wird mit Ausnahme des zum Bau benötigten Holzes. Das Holz wurde in diesem Falle von einem Unternehmer in Meißen angeliefert und zwar zur Hauptsache Rundholz, welches an Ort und Stelle bearbeitet wurde. Zunächst wurde

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ein Anschluß an das am Ort befindliche Leitungsnetz hergestellt für die Entnahme von Licht und Kraft zur Beleuchtung der Baustelle und zum Antrieb der Maschinen. Am 2. Tage traf schon das Holz zum Bauen des Viaduktes ein und es wurde sofort mit dem Bau begonnen. Ferner wurden sogleich Küche, Speisesaal, Kantine und Bureau aus Brettern zusammengeschlagen, und aufgeführt. Die Mannschaften wurden in die umliegenden Gehöfte in Quartier gelegt.

Viadukt über das Tribitschtal bei Meißen
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Während des Baues des Viaduktes, welcher ganz aus Holz bestand, sich aus Fachwerk in Form von gezimmerten Jochen und Böcken zusammenfetzte, und der eine Höhe von 28 m und eine Länge von 310 m hatte, war schon eine zweite Baukompagnie mit der Anfertigung verschiedener kleinerer Bauwerke beschäftigt. Dies waren zur Hauptsache Brücken, in Form von Hängewerken, Sprengwerken, verdübelten Trägern, kombinierten Hänge- und Sprengwerksbrücken, Howeschen Trägern und außerdem einfache Brücken, aus gezimmerten Böcken. Sämtliche Konstruktionen bestanden aus Holz.
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Hängewerkbrücken.

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Sprengwerksbrücken (oben)
Howescher Träger (links) Pfahljoch (rechts)
Eine Baukompagnie war damit beschäftigt die erforderlichen Einschnitte und Dämme herzustellen, kurz gesagt das Planum vorzubereiten auf Grund der von der Vorarbeiten-Abteilung gemachten Skizze und Angaben. Während dieser Zeit waren Abteilungen einer anderen Baukompagnie in Berlin in den riesigen Depots tätig, um die dort liegenden Feldbahnrahmen auf Eisenbahnwagen zu verladen, eine Arbeit, welche gerade nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens gehört, denn ein Feldbahnrahmen, Schienen und Schwellen in einem Stück, wiegt 280 kg. Das ganze Gleismaterial wurde zunächst auf Eisenbahnwagen verladen, die Hälfte davon, direkt nach Weißig geschickt und auf einer großen Weide in der Nähe des Bahnhofes entladen und aufgestapelt. Zu dieser Entladestelle wurde von der Hauptbahn aus ein Anschlußgleis von den Güterwagen auf Kähne im Teltow-Kanal verfrachtet und auf dem Wasserweg nach einem Platz oberhalb Risa geschafft, welcher später der Anfangsbahnhof und zu gleicher Zeit Materiallagerplatz werden sollte. Hier wurde auch ein großes Werkzeugdepot errichtet.
Die nächste größere Arbeit war der Bau einer Pontonbrücke

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über die Elbe, ausgeführt von einer Abteilung der in Risa liegenden Pioniere. Zu gleicher Zeit wurde vom Stapelplatz Bahnhof Weißig aus ein Verbindungsgleis der beiden Stapelplätze von ca. 3 km verlegt um eine Überführung, der Materialien von Stapelplatz 1 über die Pontonbrücke nach Stapelplatz 2 bewerkstelligen zu können. Erwähnt sei noch die Verladung des rollenden Materials, der Feldbahnwagen, Lokomotiven und Tender. Die Wagen werden vollkommen zerlegt in Untergestelle mit Drehzapfen, Rahmen und Wagenkasten, letztere bestehend aus Boden, Stirn und Seitenwänden. Die Lokomotiven wurden auf einen langen Güterzug verladen, je eine auf jeden Wagen. Zum Entladen derselben wurde auf Stapelplatz 1 eine Kopframpe mit anschließendem Gleis gebaut.
Die allgemeinen Vorbereitungen waren nun somit beendet, und am 1. September rückte die eigentliche Vorbau-Kampagnie zusammengesetzt aus Mannschaften der 6. Und 7. Kompagnie an. In einem Dorfe in der Nähe von km 8. wurde Quartier bezogen. Am folgenden Morgen 4 Uhr wurde im Arbeitsanzuge angetreten und vom Quartier nach km 0. zur Einteilung marschiert.
250 Mann sind in 2 Gliedern angetreten. Zunächst werden 8 Trägertrupps zu je 8 Mann einschließlich Ablösung eingeteilt. Die Größten hatten natürlich immer das höchst zweifelhafte Vergnügen vorzubauen. Es fiel keinem ein mit der Einteilung am linken Flügel zu beginnen, er müßte denn aus einer verkehrten Welt sein. Dann kommen 8 Ladestangen-Männer, an jeder Wagenseite 2 einschließlich Ablösung. Ihre Tätigkeit bestand darin mit ca. 2 m langen Ladestangen die Gleisrahmen etwas mit der Stange anzuwuchten,

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Abladen der Gleisrahmen.

damit dieselben auf dem Wagen freilagen. Dann mit der Stange auf der Schulter eine Gleitebene zu schaffen, auf die der vorzubauende Rahmen zu liegen kommt, bevor dasselbe von den 8 Mann des Vorbautrupps mit den Schultern gefaßt und weggetragen wird. Hierbei müssen 2 Mann an der Wagenseite unter den Rahmen kriechen. So ein Feldbahnrahmen mit einer Spurenweite von 0,60 m, einer Länge von 5 m mit 12 angeschraubten eisernen Schwellen von 1,20 m Länge wiegt wie gesagt 280 kg., so daß auf jeden Träger beim Vorbau 35 kg kommen, woraus man am besten ermessen kann, was ein Mann am Tage zu leisten hat.
Als nächste Gruppe wird der Wagenziehtrupp abgeteilt. Die Größe desselben richtet sich nach dem Gelände in der Mitte auf jeder Seite des Wagens 8 Mann, mit Ablösung im ganzen 32 Mann. Dann kommt der Laschentrupp mit 12 Mann. 2 Mann von diesen haben kurze Brecheisen mit Handgriff, welche beim Vorbau vor den Schienenkopf gehalten werden um einen Wärmespielraum zu erhalten. Zugleich werden die lose angeschraubten Laschen mit ebensolchen Eisen aufeinander gedrückt, damit beim Zusammenschieben der Rahmen keine Klemmungen entstehen. Ist der Rahmen zusammengeschoben, so wird von 2 weiteren Leuten auf jeder Seite ein Bolzen eingezogen. Der zweite Bolzen wird nachträglich eingeschraubt, nachdem der Wagen vom Ziehtrupp gezogen diese Stelle passiert hat, sämtliche

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Schrauben werden dann kräftig angezogen. Kaum hat der Laschenmann seine Schrauben angezogen, kommt ihm auch schon der Stopf- und Richttrupp auf die Fersen. Das Gleis wird gleich etwas ausgerichtet und hinterstopft, damit es vom Bauzug sofort befahren werden kann, welcher auch schon in etwa 200 m Entfernung langsam nachgedampft kommt.
Hat der Bauzug die Strecke passiert, wird das Gleis fertig gerichtet und gestopft. Die Größe des Stopf- und Richttrupps ist unbeschränkt, sie beträgt etwa 30 Mann. Ein weiterer Trupp ist der Kurvenbiegetrupp, etwa 40 Mann in 2 Abteilungen, die mit dem Schulzschen Kurvenbiegeapparat ausgerüstet sind.

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Anwendung des Biegeapparates

Beim Verlegen der Kurven werden die geraden Gleisrahmen verwendet, Kurvenstücke gibt es nicht. Die Rahmen werden in der Form eines vielseitigen Polygons verlegt, so daß die Innenschienen der Kurve an den Stößen fest zusammenkommen, während die anderen, außenliegenden Stöße mehr oder weniger klaffen entsprechend der Größe des Radius. Der kleinste Radius ist 10 m. Sind die Rahmen in der Kurve verlegt, so werden die ganzen Wagen des nachfolgenden Bauzuges einzeln über diese gefährliche Stelle weggezogen, wobei Entgleisungen selbstverständlich an der Tagesordnung sind. Doch da wird wenig Federlesens gemacht,

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und der entgleiste Wagen kurzer Hand entladen und aus dem Gleis gekippt. Etwas unangenehmer wird die Sache schon, wenn die Lokomotive an dieser Stelle aussetzt, aber auch dieser Schaden ist im allgemeinen in 10 Minuten gehoben, denn Winden, Hebebäume und Bohlen sind auf jeder Maschine zur Mithilfe bei Beseitigung derartiger Vorfälle vorhanden. Aufgabe des Biegetrupps ist es nun, diese Mängel so schnell wie möglich zu beseitigen, was ihm auch in der Regel gelingt, wenn es nicht gar zu viel Kurven gibt. Von den Kurvenbiegeapparaten werden gewöhnlich 3 nebeneinander verwendet. Dieselben werden innerhalb der beiden Schienen angebracht und bestehen zur Hauptsache aus 2 ungleicharmigen Hebeln, welche mit 2 Zugstangen und 2 Druckstangen in Verbindung stehen.
Die Zugstangen greifen nach Art einer Bogensehne an den Schienenenden an, während die Druckstangen im inneren Drittel der Schiene angreifen, und diese nach außen drücken. Noch während die Schiene in Spannung gehalten ist, werden die Schwellen dem Radius entsprechend radial geschlagen. Die entstehenden Lücken im äußeren Schienenstrang werden durch sog. Paßstücke ausgefüllt und mittelst besonders starker Laschen und Winkellaschen gut festgeschraubt. Zu dieser Arbeit werden gewöhnlich Schlosser ausgesucht. Nach dem Biegetrupp kommt dann gewöhnlich noch ein Bahnmeistertrupp zum Stopfen und Richten, Planum ausbessern, Kleineisenzeug sammeln.
Der Bauzug mit der Lokomotive dahinter steht bereit, die Arbeit kann losgehen. Die Lokomotive schiebt 12 mit Gleismaterial beladene Wagen langsam vor sich her. Auf jedem dieser Wagen befinden sich 30 Rahmen, an jeder Seite 15, mithin im ganzen 150 m Gleis. Alle 150 m lösen sich Träger- und

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Ziehtrupps ab, nehmen Brotbeutel und Feldflasche auf und gehen 150 m weiter. Planum, Brücken, Wegeübergänge, Dämme, Einschnitte sind so weit fertig, daß im allgemeinen kein Aufenthalt mehr entstehen kann.
Es wurden in dem hügligen Gelände, in welchem die Übung stattfand, im Tage 10 km Feldbahn gebaut. Im Mecklenburgischen wurden bei der Übung sogar 12 km im Tag fertiggestellt, eine Leistung, welche schwerlich noch viel übertroffen werden kann. Während der Besichtigung durch den König August von Sachsen, bei welcher Gelegenheit festgestellt werden sollte, wie lange man benötige um einen Wagen zu entleeren, also 150 m vorzubauen, brauchte man 2 Minuten 30 Sekunden. Ich hatte hierbei das Vergnügen im Trägertrupp mitzuwirken und ich muß sagen, es hat uns wirklich Vergnügen gemacht und blamiert haben wir uns mit unserer Leistung jedenfalls nicht, denn unser Herr Hauptmann hat seine Zufriedenheit ausgesprochen.
Bei km 15. der Strecke stießen wir auf eine besondere Schwierigkeit, denn die Trace ging in einer Länge von ca. 1300 m und in einer Steigung von 1:15 einen Berg hinunter. Beim Bau dieser Rampe, welche doppelseitig ausgeführt wurde und als Seilstrecke vorgesehen war, mußten die ganzen Rahmen den Berg hinunter getragen werden. Nach Verlegung der Gleise wurde auf dem Berg ein Bockgerüst gerammt, eine Seilscheibe mit Seil angebracht und schon war die Seilbahn fertig. Die zu Tal fahrenden Züge zogen die Leerwagen noch oben. Leider sollte uns diese Seilstrecke zum Verhängnis werden und bei dem Unglück war auch ein Menschenleben zu beklagen. Während der ersten Tage nämlich, als noch kein Seil zur Stelle war, wurden die vollen Züge mit Gleismaterial ohne Seil

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langsam die Berg hinuntergelassen, um unten überhaupt weiterbauen zu können, derart, daß man sämtliche Bremsen der Wagen besetzen ließ und den Zug mit der Lokomotive zum Bremsen am Ende langsam den Berg hinunterbremste. Eines Tages nun wird in derselben Weise verfahren. Es hatte jedoch geregnet, die sowieso schon geölten Schienen waren nun auch noch dazu naß, der Zug fährt an, die Bremsen werden angezogen, auf der schiefen Ebene kommt der Zug ins Rutschen und rutscht den über 1 km langen Berg hinunter. Die funkensprühenden Reibflächen zwischen Schienen und Rädern und die vergeblichen Bemühungen des Lokomotivführers konnten das Verhängnis nicht mehr aufhalten. Die Bremser sprangen seitwärts ab, da die Räder standen, konnten sie nichts mehr helfen. Führer und Heizer blieben jedoch auf der Lokomotive. Der ganze Zug sprang unten angekommen infolge der dort befindlichen Kurve und der großen Geschwindigkeit aus dem Gleise ein wüstes Chaos von Gleisrahmen und Wagen bildend. Die Lokomotive kippte um, wobei einem der Leute der Brustkasten eingedrückt wurde, während der andere mit dem bloßen Schrecken davonkam.
Pausen gibt es während des Vorbaus natürlich nicht. Es wird in der Regel aber nur in Schichten von einem halben Tag gearbeitet und zwar von 4-12 Uhr. Punkt 12 Uhr mittags war Schluß, dann ging es zunächst zum Werkzeugabgeben und hiernach zum Mittagessen. Nach dem Mittagessen wurde das Gepäck von den Wagen heruntergeholt, und um ½2 Uhr oder 2 Uhr ging es dann wieder feldmarschmäßig ins nächste Quartier. Die Quartiere in Sachsen waren gut und die Leute sehr zuvorkommend.
In 4 Tagen war unsere 36 km lange Strecke fertiggestellt,

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die Bahnhöfe gebaut, Stationsgebäude aus Schalbrettern errichtet, Telephonleitung verlegt. Der Betrieb auf der Strecke kann also beginnen. Nun wird die Kompagnie wieder neu eingeteilt und zwar in Bahnhofsassistenten, Weichensteller, Bahnhofsarbeiter, Bahnmeistertrupp, Zugführer, Bremser, Telephonisten, Brandposten, Brückenwachen, Ordonnanzen. Was man bei der Staatsbahn im großen hat, findet man hier im kleinen. Wagen werden mit Sandsäcken beladen, die Munition darstellen, Begleitscheine, Frachtbriefe werden ausgestellt, kurz gesagt, es ist Krieg im Frieden. Wenn dann der Friede wiederhergestellt ist, wird die ganze Strecke wieder zurückgebaut und das Gelände in den ursprünglichen Zustand wieder versetzt, was mitunter gar nicht mehr möglich ist. Das läßt sich oft am besten an den Schadenersatzansprüchen der geschädigten ersehen. Jedenfalls kostet so eine Brigade-Übung eine gute Stange Gold, daher auch der Ausspruch S. M. des Kaisers beim Paradenmarsch in Berlin:
„Jetzt kommt meine teuerste Brigade, aber leider ohne Tritt.“

Schrader.
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Die polnische Legion.

Unter all den Truppen, die unser Österreichs Fahnen kämpfen, nimmt die polnische Legion eine ganz besondere Stellung ein. Wenn auch in einem modernen Heere kein Platz mehr ist für Freikorps im Sinne der Napoleonischen Zeit, die auf eigene Faust Krieg führen, so hat man doch den Polen, die bei Kriegsausbruch aus Österreich und Rußland in edler Begeisterung für die Befreiung ihres Vaterlandes vom russischen Joch zu den Waffen griffen, das Sonderrecht zugestanden eigene Truppenkörper aufzustellen, selbstverständlich nach österreichischem Vorbild und unser österreichischem

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Oberbefehl. Befinden sich doch in der Legion zahlreiche russische Staatsangehörige, die ja nur für ein ganz bestimmtes Ziel kämpfen, und die man deshalb dem Heeresverband nicht vollständig einreihen kann und will.
Schon am 16. August 1914 wurde die polnische Legion in Krakau in der zunächst bescheidenen Stärke einer Kompagnie gegründet, aber bald wuchs sie zu einer ansehnlichen Truppenmacht heran. Von allen Seiten eilten die Studenten der Universitäten Krakau, Lemberg und Warschau, Arbeiter und vor allem Bauern herbei, so daß zwei Infanteriebrigaden, 6 Eskadronen, 6 Feldbatterien, Gebirgsbatterien und Hilfstruppen gebildet werden konnten. Trotzdem die Russen jeden Angehörigen der polnischen Legion, der ihnen in die Hände fällt, als Verräter behandeln und erhängen, hatte die Legion im Oktober 1915 schon die ansehnliche Stärke von 25000 Mann erreicht, und eine dritte Brigade konnte gegründet werden.
In ihrem Äußern ähneln die Legionäre den „Lanciers“ Napaoleons I. Alles trägt die nationale Kopfbedeckung, die mit dem polnischen Adler geschmückte Czapka, und eine blaugraue Attila, die bei der Infanterie mit grünen bei der Kavallerie mit hellblauen, bei der Artillerie mit schwarzen Aufschlägen verziert ist. Auch trägt die Infanterie die Czapka etwas niedriger als die Kavallerie. In der Legion ist alles auf demokratische Einfachheit zugeschnitten, der Gruß wird nach alter Tradition nur mit 2 Fingern der rechten Hand ausgeführt.
Schon manches hat man von den Heldentaten der Polen gehört, so von der ersten Brigade, die sich zuerst unter General Domkl, später unter Erzherzog Joseph Ferdinand

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wiederholt auszeichnete, und von der zweiten, die unter General von Pflanzer-Baltin in den Karpathen gefochten hat. Auch mit den deutschen Truppen kämpfen die Polen oft Schulter an Schulter. Vereint mit einem deutschen Kavalleriekorps ritt im Oktober 1914 die polnische Kavallerie bei Lowicz gegen die Russen an, und erst jüngst konnte man lesen, daß Kaiser Wilhelm auf Vorschlag des Armeeführers General von Linsingen Offiziere und Soldaten der polnischen Legion mit dem eisernen Kreuz ausgezeichnet hat.

Y.
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Wir hoffen auf den Beifall der früheren Lagerfeuer-Genossen, wenn wir für die künftige Gestaltung unseres Gedankenaustausches folgende Form vorschlagen:
Die Schriftleitung liefert in der bisherigen Weise wöchentlich eine Sammlung von Aufsätzen aus unserem Kreise. Die Aufsätze laufen in einem Leserzirkel um, zu dem der Beitritt durch einmalige Zahlung von Y 1,-.- erworben wird. Diese Zahlung berechtigt zur Teilnahme bis Ende 1916 oder bis zum Aufhören des Erscheinens, falls das Ende der Gefangenschaft oder unüberwindliche Hindernisse vor Schluß des Jahres dazu führen.
Wer später einen eigenen Abdruck der erschienenen Aufsätze besitzen will, muß der Schriftleitung eine Aufschrift aufgeben, unter der ihm der Abdruck zugesandt werden kann und zahlt, in der Regel vor Fortgang von Matsuyama, den Preis von 40 Sen für jeden Monat der Sammlung. Die Schriftleitung wird den Druck und die Zusendung der Abdrücke so schnell wie möglich erledigen und etwa vorhandene Überschüsse aus den Bezugspreisen einem wohltätigen Zwecke zu Gunsten von Mitkämpfern zuführen.
Die Schriftleitung.

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