Matsuyama, Sonntag, den 19. März 1916
Meine Reise von Canton nach Tsingtau über Land
vom 7. August bis 7. Sept. 1914
Nachdem Englands Kriegserklärung in Kanton bekannt geworden war, mußte ich meinen Plan, auf dem Seewege nach Tsingtau zu fahren, fallen lassen. Nach Rücksprache mit unserem Konsul entschloß ich mich daher mit einer Reise-gesellschaft, bestehend aus 6 Unteroffizieren von S. M. Flußkanonenboot „Tsingtau“ und 2 Missionaren, über Land nach dem Yangste zu reisen. Ich fuhr sofort auf die „Tsingtau“ wo auch die beiden Missionare waren und nachdem wir alle nötigen Vorbereitungen besprochen hatten, beschlossen wir am 6. August frühmorgens aufzubrechen. Jetzt hieß es sich beeilen, um sich für die lange Reise durchs Innere Chinas vorzubereiten. Auf Grund ihrer Erfahrungen hatten die Missionare uns geraten, mit recht geringem Gepäck zu reisen, möglichst nicht mehr als jeder nötigenfalls auf dem Rücken tragen konnte. Von einem Bekannten requirierte ich einen Rucksack, welcher für die nächsten 3 Wochen alle meine Sachen aufnehmen mußte. 2 Flanellanzüge (einer davon auf dem Leibe), 3 Satz Unterzeug, für 6(!) Wochen Pfeifentabak, um sicher zu gehen, 1 Wolldecke, Wasch- und Rasierzeug und einige Konserven, 2 Flaschen voll Kognak, all dies nahm der geduldige Rucksack auf; dann aber ging mit Gewalt nichts mehr hinein, und ein ganzer Haufen Sachen mußte schweren Herzens zurückgelassen werden.
Während des noch übrigen Tages hatte ich alle Hände voll zu tun, meine Privatsachen zu verstauen, mein Geschäft zu übergeben und schließlich noch jemanden zu suchen, dem ich meine erst 6 Monate alte Kreuzerjacht anvertrauen konnte.
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Zwischen 11 und 12 Uhr nachts hatte ich endlich einen Segelfreund gefunden, allerdings einen Engländer, und um Mitternacht hatten wir einen Mietsvertrag ausgearbeitet und abgeschlossen.
Früh am 6. wollten wir die englische Konzession verlassen. Gegen 3 Uhr früh wurde ich aber von einem Bekannten mit der Nachricht geweckt, daß die Unteroffiziere der „Tsingtau“ bei dem Versuch, sich nachts auf chinesisches Gebiet zu begeben, von der Zollbehörde angehalten worden waren, weil sie 14 Mauserpistolen mitführten. Hierüber verlangte die Zollbehörde Aufklärung während der Dienststunden, so konnte aus der Abreise vorläufig nichts werden. Während des Tages schmuggelten wir dann 5 neue Mauserpistolen zur Berliner Mission hinüber, die auf der andern Seite des Flusses auf chinesischen Gebiete liegt, und auch die 6 Unteroffiziere selbst wurden dort untergebracht, um weitere Schwierigkeiten zu vermeiden. Ich selbst schlief die nächste Nacht noch in der englischen Konzession, um die englischen Behörden irrezuführen und verschwand ohne von meinen englischen Hausgenossen Abschied zu nehmen in der Frühe in der Chinesenstadt.
Gegen 9 Uhr ging ich zum Bahnhof der Kanton-Hankow-Bahn, wo ich mit den „Tsingtau“ Leuten, der beiden Missionaren und 3 weiteren Reisegenossen zusammentraf. Um 9 Uhr ging die Reise endlich los und wir fanden nur knapp Platz in einem Wagen, der schon von Chinesen wimmelte.
Die 6 Marineleute waren von den Deutschen Kantons mit Zivilzeug ausgerüstet; die Anzüge sahen zum Teil etwas zusammengestohlen aus und mit der Verpassung war's auch nur schwach, aber für eine Reise ins Innere ging es immerhin.
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Bis 5 Uhr nachmittags fuhren wir im Zuge, groß war die Hitze in den überfüllten Wagen und fürchterlich der Geruch der chinesischen Speisen. Die Kost war knapp, ein paar mitgenommene Butterbrote und Tee bildeten unser Mittagsmahl. Die Landschaft, welcher wir durchfuhren bot viele hübsche Bilder. Schön bewaldete Berge, dazwischen Reisfelder in üppigen Grün, und hier und da ein Stück des reißenden Nordflusses erfreuten das Auge. Gegen 5 Uhr nahm erreichten wir Wuschek, damals die Endstation der Bahn, von der glaube ich noch ca. 800 Meilen zu bauen sind.
Ein kurzer Marsch mit dem Rucksack auf dem Buckel führte uns an den Fluß, wo wir gleich einen kleinen chinesischen Hinterraddampfer bestiegen. Wir belegten gleich den „Salon“ 1: Klasse in welchen auch der kleinste unter uns nicht aufrecht stehen konnte. Auch lag er direkt hinter dem freistehenden Dampfkessel, so daß die Hitze schier unerträglich war. Nach kurzer Zeit waren wir alle nur noch mit Unterhose bekleidet. Als die Sonne tiefer sank, hielten wir uns - in Ablösungen - auf dem schmalen Scheuerbrett, welches außerbords um das Schiff herumlief, auf, anderer Platz zum Aufenthalt war nicht vorhanden. Zoll für Zoll kroch der kleine Dampfer Funken sprühend gegen den reißenden Strom an. So flach und klar ist das Wasser, daß man überall den Boden sehen kann. Hohe, dichtbewaldete Berge fassen den Fluß von beiden Seiten ein. Besonders schön wurde das Landschaftsbild, als der fast volle Mond aufging, auch die Nachttemperatur war erquickend nach dem tropisch heißen Tage. Alle Augenblicke saß der Dampfer fest, dann mußten Kulis ihn, im Wasser watend oder mit langen Bambus, freimachen, wobei wir oft halfen.
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Endlich um 2 Uhr 30 früh am 8. August lief der Dampfer vor der Kreisstadt Ehowchufu auf den Strand. Unter Führung der Missionare marschierten wir zur Berliner Mission, welche wir unter der ungewohnten Last des Gepäcks stöhnend in einer halben Stunde erreichten. Nach längerem Klopfen wurde uns das Tor geöffnet - man hatte uns so früh nicht erwartet - und wir wurden von den Mitgliedern der Mission freundlichst empfangen. Bald war Wasser herbeigeschafft, so daß wir uns von dem Staub der Reise reinigen konnten, und dann betteten wir uns in den Wohnstuben mit unseren Decken auf den Fußboden und schliefen glänzend trotz des noch ungewohnten harten Lagers.
Früh um 6 Uhr wurde geweckt und am Brunnen gewaschen. Dann hielt der Herr Superintendant einen eindrucksvolle Morgenandacht ab, worauf die freundliche Hausfrau uns ein kräftiges Frühstück vorsetzte. Die Verhandlungen mit dem Eigner des für uns gemieteten Bootes zogen sich nach chinesischer Art so in die Länge, daß wir erst um 10 Uhr an Bord gehen konnten. Zwei Herren dieser Mission schlossen sich uns an, so daß wir nun 14 zählten, und begleitet von vielen guten Wünschen von unseren freundlichen Wirten verließen wir die Mission.
Wir hatten ein geräumiges Boot ca. 20 m lang gemietet, in welchem wir gerade für alle 14 Mann Liegeplätze hatten. Es hatte das übliche runde Mattendach, welches man seitlich öffnen konnte. So ging es nun mit Staken gegen den reißenden Strom. So flach war das Wasser, daß unser Boot, obgleich es kaum einen Fuß Tiefgang hatte, täglich an die hundertmal festsaß. Dann stiegen wir alle außenbords und schoben mit. Die Hitze war
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groß unter dem Dach und wir trugen bei Tage nichts als kurze Unterhosen, St. immer eine knallrote Badehose. Gegen Abend setzte eine ganz frische Brise von achtern ein, und da es sich herausstellte, daß das Bootssegel gänzlich zerrissen und unbrauchbar war, nähten wir unsere 14 in Ehowchufu gekauften Schlafmatten zusammen, wodurch wir ein sehr brauchbares Segel erhielten. Wir haben dadurch mindestens einen Reisetag gespart. Wo infolge der vielen Windungen des Flußlaufes das Segeln unmöglich war, wurde das Boot von Kulis getreidelt, worin wir sie während der kühlen Morgen- und Abendstunden ablösten.
Unsere Kost während der ganzen Bootsfahrten variierte nur zwischen Reis und Huhn und Huhn und Reis, und dünnen Tee. Manche werden vielleicht fragen, ob wir nicht schneller zu Fuß gereist wären. Dies war aber nicht angängig, weil die berüchtigte Räuberbande des „Weißen Wolf“ gerade in dieser Gegend ihr Unwesen trieb, und vor welcher wir zu Wasser leidlich sicher waren, da der Fluß von Polizeibooten patroulliert wurde. Zu Land aber hätte unsere Reisekasse von über $2000,- uns leicht einem Angriff ausgesetzt. Wir hatten nur 5 Mauserpistolen für 14 Mann, damit hätten wir gegen die viele Hunderte zählende Bande nicht viel ausrichten können.
Auf dem ganzen Wege wußten die Chinesen schon, daß wir deutsche Soldaten auf der Reise nach Tsingtau waren. Es ist überraschend, wie schnell in diesem Lande Nachrichten von Mund zu Mund und von dort zu dort weiterlaufen. Überall waren die Chinesen sehr freundlich und hofften vor allem, daß die Russen tüchtig Prügel bekommen würden.
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Am 9. August war wieder schönes Wetter und die Landschaft sehr schön. Die Berge werden allmählich schroffer und seliger. Morgens und abends wurde stets ein erfrischendes Bad genommen. Man mußte sich flach auf den Kiesgrund legen, um ganz naß zu werden, dann schoß der reißende Strom am Körper entlang. Am 10. August wieder schönes Wetter und Bäder. Viele von uns ließen sich mit Sch.'s Maschine die Haare schneiden.
11. August: Schönes, bedecktes Wetter. 4 Mann gingen zu Fuß nach Namyung voraus, um uns in der Mission für den Nachmittag anzumelden. Um 3 Uhr trafen auch wir dort ein. Die Stadt, mit der alten Mauer und 2 stattlichen Pagoden, macht einen netten Eindruck. Wir gingen quer durch die Stadt zur Berliner Mission, von den Chinesen bestaunt, welche nie so viele Europäer auf einem Haufen gesehen hatten. In der großen hübsch gelegenen Mission wurden wir sehr freundlich aufgenommen und in Anbetracht der inländischen Lage vorzüglich bewirtet. Nach dem Mittagessen besahen wir die ganzen Missionsländereien. Von dem Inhalt des Fischteiches, meinte der alte Herr Missionar, könne er im Notfalle, wenn die Gelder von Hause ausblieben, mit seiner Frau einen Monat leben. Nach dem Abendessen sangen wir unter Harmoniumbegleitung patriotische Lieder, und zum Schluß hielt unser Wirt eine Abendandacht ab. Wir schliefen - bezw. schlugen Moskitos tot - auf dem Orgelchor der Kirche, auf einem mit sauberem Leinen bedeckten Strohlager.
Am 12. August nach Andacht und Frühstück nahmen wir um 7 Uhr früh Abschied von unseren freundlichen Wirten. Es war schon am frühen Morgen sehr heiß. Zum Glück hat
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ten wir für all unser Gepäck Träger bekommen und auch einige Tragstühle für Leute, denen der Tagesmarsch in der Hitze zuviel wurde, den sehr wohlbeleibten Herrn Obermaschinisten nicht zu vergessen! Wir marschierten nun auf der historischen Heeresstraße über den Moyliang (Mei ling) Paß. Über 10000 Kulis, welche Waren aller Ort tragen, passieren täglich die Paßhöhe. In einigen Teehäusern an der Straße wurde kurze Rast gemacht. In einem derselben erzählte uns ein Chinese, die Deutschen hätten den Franzosen Kanonen weggenommen!
Gegen 1 Uhr kamen wir an den eigentlichen Paß, welcher in sehr unebenen Stufen aus dem Felsen gehauen ist. Oben sprudelt ein kalter, klarer Wasserstrahl aus dem Felsen. Wie das schmeckte nach dem steilen Aufstieg in der Mittagshitze! Nun hatten wir also den Kamm des Ausläufers des Himalaya-Gebirges erklommen und kamen aus der Provinz Kuangtung ins Yangtse-Gebiet. Einen herrlichen Ausblick genossen wir von der Paßhöhe auf die umliegenden, dicht bewaldeten Berge und die hellgrauen Felder in den Tälern. Auch unser Tagesziel, Nam on sah man in der Ferne liegen. Nach eine Teepause wurde am anderen Fuße des Passes eingelegt. Mit den Leuten, welche behaupten man bekommme in China überall eine gute Tasse Tee, stimme ich nicht überein. In den meisten Teehäusern der Dörfer gab es eine elende Sorte.
Gegen 5 Uhr nachm. langten wir in Nam on an und wurden von dem Missionar und seiner Frau freundlichst willkommen geheißen. Schon vor Einbruch der Dunkelheit waren die Moskitos fast unerträglich. Nach einem einfachen aber reichlichen Mahle und Abendandacht gings zu Bett,
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d.h. die meisten betteten sich in den Wohnzimmern auf den Fußboden. Ich erwischte noch eins von den zwei vorhandenen Betten, das ich mit St. teilte. Zwar hatte es ein Moskitonetz, aber keine Bettwäsche. Das Netz nutzte uns aber nichts, denn trotz der Müdigkeit des anstrengenden Marschtages ließen die Moskitos uns kaum schlafen.
Nach Andacht und reichlichem Frühstück nahmen wir am 13. August um 8 Uhr früh Abschied von unsern freundlichen Wirten. Auf dem von uns gemieteten Boote war der Platz noch knapper als auf dem früheren Reiseboot. Leider stand der Kochherd mittschiffs, und da fast den ganzen Tag gekocht wurde, wenn nicht für uns dann für die Mannschaft, so hatten wir viel unter dem Geruch und Rauch zu leiden.
Jetzt fuhren wir also auf dem Kahn-Fluß und zwar stromab, einem bedeutenden Nebenfluß des Yangtse, hier noch recht schmal, ganz flach und mit reißender Strömung, später in der Nähe von Nanchangfu an die 2000 m breit. In dieser Gegend war der Fluß durch zahlreiche Faschinendämme aufgestaut, um die großen Bewässerungsräder für die Felder zu treiben. Für den Bootsverkehr sind schmale Öffnungen in den Dämmen gelassen, durch welche die stromab fahrenden Boote mit enormer Fahrt hinabgleiten, während die stromauf fahrenden Boote, von 40-50 Kulis gezogen, im Schneckentempo flußauf kriechen. Im Vergleich zur Stromauffahrt auf dem Nordfluß kamen wir jetzt schön voran. Nachts mußte geankert werden wegen der gefährlichen Stromschnellen. Dann stellten wir noch immer Wachen. Während der Nächte hörten wir häufig Wild, es müssen
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Wildkatzen und wildernde Hunde in der Gegend herumstreifen, vielleicht auch Tiger.
Am 14. August setzten wir um 4 Uhr früh unsere Fahrt fort. Bald bemerkten wir große Menschenmassen an beiden Ufern, anfangs waren wir etwas beunruhigt, bald aber stellte es sich heraus, daß es sich um ein großes Fischfest handelte, zu dem aus weiten Umkreisen alle Dorfbewohner herbeigeströmt waren. Für 2 bis 3 km waren die beiden Ufer mit Chinesen dicht besetzt und für die Fische muß sehr „dicke Luft“ gewesen sein. Die Landschaft war nach wie vor herrlich und abends kam viel Wild aus Wasser, Fasane, Rehwild und Schwarzwild, gar nicht scheu.
15. August: Seit Mitternacht hatten wir einen soliden Landregen. Das Dach des Bootes hielt dicht. Wir hofften auf noch stärkeren Strom und schnelle Reise.
16. August: Sonntag: Über Nacht war Hochwasser eingetreten, wir hatten also Glück, es lief ein Strom von ca. 7 Knoten. Der ganze Fluß war mit Schaum bedeckt, was auf viel Hochwasser stromauf schließen ließ. Während der Hundwache hörten mein Mitposten und ich einen Tiger oder Leopard nicht weit entfernt. Leider war das Wasser infolge des Regens so schmutzig, daß man nicht mehr baden konnte.
Um 11 Uhr früh erreichten wir Kamchoufu, ein am Bergabhang hübsch gelegenes Städtchen mit Ringmauer und Pagode. Hier lagen viele große Flöße mit ganzen Häusern darauf verankert. Infolge Streikens der Mannschaft hatten wir 4 Stunden Aufenthalt und wurden sehr ungeduldig. Wieder in Fahrt bekamen wir um 4 Uhr 30 nachm. Günstigen Wind, setzten zum ersten Male auf diesem Boote Segel und machten wohl gut 8 Knoten Fahrt. Da der Wind anhielt, beschlossen wir nachts durch
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zufahren, der Schiffer wollte aber nicht, zeigte überhaupt einige Unruhe und erkundigte sich zweimal, ob wir Waffen mitführten. Da jedem die in Kamchoufu angemusterte Mannschaft einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck machte, beschlossen wir auf eigene Verantwortung zu fahren. Die zwei Steuerleute der „Tsingtau“ und ich nahmen in Ablösungen Ruderwache und den Schiffer hielten wir per force als Lotsen. Auch verdoppelten wir die Wachen, die mit geladenen Mausern standen. Es war sehr dunkel, regnete und die Navigation bei der reißenden Strömung war schwierig. Meine zehnjährige Erfahrung bei fast wöchentlichen Segelfahrten auf dem Whangpoo, Yangtse und Ehnkiang kamen mir nun zustatten. Wo die Sandbänke liegen bei den Biegungen des Flußlaufes kann man mit ziemlicher Sicherheit erraten und an der Strömung auch nachts hören, aber mit Faschinendämmen unter Wasser hatte ich seit meinen fast 20 Jahre zurückliegenden Wasserfahrten auf der unteren Weser nichts mehr zu tun gehabt und das hätte uns beinahe unangenehm werden können. Kurz vor Mitternacht wurden wir zweimal von verdächtigen Booten angerufen, wir sollten ankern. W. rief zurück: Hier sind 14 deutsche Soldaten mit Waffen, da ließ man uns ungeschoren. Hätten wir aber diese Nacht an einem von unserer Mannschaft gewählten Platze geankert und uns schlafen gelegt, so hätten wir meiner Ansicht nach wahrscheinlich unangenehmen Besuch bekommen.
Gegen 1 Uhr früh am 17. August liefen wir schwer auf einen Faschinendamm. Sofort wurde das Boot von der Strömung stark auf die Seite gedrückt. Alle Mann über Bord zum Leichtern und Abschieben! Wer vom Damm abkam, kam in tiefes
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Wasser, und hätte einer den Halt am Boot verloren, so wäre dies in der dunklen Nacht sehr fatal gewesen. Zum Glück behielten alle ruhige Köpfe und nach einer halben Stunde harter Arbeit rutschten wir klar und warfen schnell Anker, ehe die Strömung uns auf den nächsten Damm setzen konnte. Mit Sonnenaufgang ging der Anker auf und wir konnten auch das Segel benutzen. Schönes Wetter und gute Fahrt! Um 7 Uhr früh passierten wir das Städtchen Wan on ohne anzuhalten. Nachmittags mußten wir während eines schweren Gewittersturmes ankern. Unser letztes Huhn wurde über Bord geweht, wurde aber von dem immer „bebadehosten“ St. gerettet. Leider mußten wir bis 2 Uhr früh am 18. August vor Anker bleiben, denn hier war der Fluß schon gut 1000 m breit und es kam eine hübsche See auf. Das Boot zog nur ca. 1 Fuß Wasser, hatte weder Schwert noch Leeborde, so war an ein Aufkreuzen gegen die kurze steile See nicht zu decken. Als die Wache mich weckte und „schön Wetter“ meldete, gingen wir um 2 Uhr früh unter Segel.
Bei Sonnenaufgang zeigte der Himmel die herrlichsten Farben. Um ½ 8 Uhr früh erreichten wir Kiangfu, eine bedeutende und recht hübsch gelegene Kreisstadt. Strom und Wind blieben den ganzen Tag günstig und auch die ganze nächste Nacht machten wir gute Fahrt.
Am 19. August kamen wir um 6 Uhr 45 früh in Liangkiangfu an. Missionar W. ging zur Baseler Mission und kam mit dem deutschen Missionar Gl. zurück. Letzterer brachte Zeitungen und fuhr auf unsere Bitte bis Kinkiang mit uns, da unsere Missionare schon Dialekt- Schwierigkeiten hatten. Unsere ersten Nachrichten seit 12 Tagen waren Reutermeldungen, wonach wir in Belgien eine schwere Schlappe erlitten haben
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sollten. Die meisten waren sehr niedergeschlagen, ich aber tröstete sie, ich kenne doch Reuter schon so ziemlich. Besorgt machte uns aber die Nachricht von dem Ultimatum Japans, weil wir befürchten mußten, nicht mehr nach Tsingtau hineinzukommen. Nachmittags hatten wir wieder einen schweren Sturm, welcher dichte Sandwolken mit sich führte, und wir mußten wieder ankern. Ein großes Boot, das nicht früh genug die Segel weggenommen hatte, kenterte in unserer Nähe. Nach dem Sturme hatten wir schönen Segelwind aus S.O. Abends hielt unser Gast Andacht ab.
Am 20 August um 9 Uhr 30 vorm. kamen wir in der großen Stadt Nanchangfu an. So hatten wir infolge günstiger Verhältnisse und durch unsre Nachtfahrten die Strecke von Namon in gut 7 Tagen zurückgelegt, welche unser Schiffer selbst gegen das Versprechen eines sehr reichlichen Trinkgeldes nicht in 12 Tagen unternehmen wollte.
Gegen Mittag bestiegen wir einen über das in China gewohnte Maß schmutzigen kleinen Dampfer. Besonders schlimm war das Essen, der Reis ganz schwarz von Kohlenstaub, aber, ausgehungert wie wir waren, mußten wir etwas essen. Auf dieses Essen, welches allerdings nur 4 Cents pro Kopf kostete, führe ich meine Ruhrerkrankung zurück, denn am nächsten Morgen war ich krank. Sch. beobachtete zufällig den Koch bei seiner Abendtoilette und berichtete, daß derselbe verschiedene Geschwüre hätte, welche stark nach einer übelberufenen Krankheit aussahen, daraufhin haben wir auf diesem Dampfer nichts mehr genossen.
Um 5 Uhr 30 nachm. erreichten wir Wucheng, am Eingang zum Poyang-See gelegen, wo der Dampfer für die Nacht ankerte. Da es in den unglaublich verlausten Kabinen,
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welche direkt neben dem Dampfkessel lagen, vor Hitze nicht auszuhalten war, schliefen wir an Deck zwischen einer Menge halbnackter Chinesen. Abends fuhren wir noch in Sampans zum Schwimmen ans gegenüberliegende Ufer.
Am 21. August gingen wir früh um 6 Uhr unter Dampf, bis nachmittags gabs nichts zu essen. Bald liefen wir in den Yangtse und um 3 Uhr nachm. erreichten wir Kinkiang, bekannt als der heißeste Platz in China. Herr Gl. brachte uns in einem relativ anständigen chinesischen Hotel unter, wo wir bald ein ganz leidliches, halbeuropäisches Mittagessen bekamen. Die Räume waren natürlich primitiv eingerichtet und wir schliefen nachts auf dem Fußboden. L. St. und ich gingen in den Eustom Klub, um Nachrichten zu sammeln und hier wurde uns das japanische Ultimatum bestätigt. Unsere Aussicht noch nach Tsingatau zu kommen, hielt man für gering, worüber wir nach all den überstandenen Strapazen recht niedergeschlagen waren. Wir nahmen Passage auf dem am folgenden Tage abgehenden Dampfer „Kiangyung“ der China Merchants S. N. Co., englische und japanische Dampfer konnten wir ja nicht benutzen.
Am 22. August früh kam unser Dampfer und wir gingen gegen 10 Uhr an Bord wo die meisten von uns gleich heiße Bäder nahmen, ein großer Genuß nach all dem Schmutz der Reise. In unserer schon recht mitgenommenen Reisekleidung genierten wir uns fast vor den Schiffsoffizieren, Mitpassagiere hatten wir zum Glück nicht. Welch ein Vergnügen, mal wieder an einem sauber gedeckten Tische europäisch zu essen! Leider mußte ich mir das Essen mehr oder weniger verkneifen, denn ich fühlte mich sehr schlecht und wußte schon, auf Grund früherer Erfahrungen, daß ich an Ruhr litt.
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Der Skipper, ein Ire, war ein großer Deutschenfresser und versicherte uns in 3 Monaten würde kein Deutscher mehr auf freiem Fuße sein. Ich hatte manches interessante Wortgefecht mit ihm, schließlich wurde er etwas manierlicher, besonders als ich ihn daran erinnerte, daß er ein neutrales Schiff führte und daß es seinen Direktoren, von denen ich einen sehr gut kannte, vielleicht nicht angenehem sein würde, wenn ihre Kapitäne zahlende Passagiere anpöpelten. Als wir am 24. August nahm bei Woosung in den Wangpoo einliefen, passierten wir ein auslaufendes Geschwader von 5 japanischen Kriegsschiffen, die Kriegsflagge von allen Masten wehend, 2 weiße kleine Kreuzer wurden in Fahrt grau gemalt. Wer noch an der Teilnahme Japans gezweifelt hatte, konnte sich nun eines besseren überzeugen. Nach Landung am französischen Bund fuhren wir sofort zum Generalkonsulat, von wo meine Reisegenossen am selben Abend per Bahn nach Tsingtau geschickt wurden. Ich selbst wurde auf Anordnung des Konsulatsarztes sofort ins Hospital geschickt.
Da Nachrichten eingelaufen waren, wonach die Bahn Tsinangfu-Tsingtau unterbrochen sollte, wurde ich am 4. September auf mein Drängen als notdürftig geheilt entlassen. Der Arzt wollte mich noch einige Tage festhalten, meinte ich sei überhaupt nicht dienstfähig, da ich aber fürchtete nicht mehr nach Tsingtau reinzukommen, setzte ich meinen Willen durch. Von 2 Freunden zum Bahnhof gebracht, fuhr ich abends mit dem Nachtexpreß nach Nanking, wo ich am andern Morgen ankam und vom deutschen Konsul zum Frühstück eingeladen wurde. Dann gings mit der Fähre nach Pukou und am 6. September früh war ich in Tsinanfu,
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von wo nach Frühstück im Hotel Frendel die Weiterfahrt erfolgte. Bei strömenden Regen kamen wir um 4 Uhr in Kiautschou an, wo der Bahnvorsteher uns erklärte. Bis hierher und nicht weiter! Der Bahndamm war durch Hochwasser zerstört. Der Bahnbeamte, welcher zuerst überhaupt wenig liebeswürdig ja sogar ziemlich grob war, wollte uns nach Kaumi zurückschicken, aber von uns wollte keiner zurück.
Schließlich fuhren wir in einem Gepäckwagen mit Lokomotive bis zur Durchbruchsstelle in der Hoffnung, dort Boote zu finden, aber es waren keine da. Statt dessen erschien zufällig ein kleines Motorboot, dem der erste Adjutant des Gouverneurs mit 2 anderen Herren und 2 Körbe Brieftauben entstieg. Da auch diese Herren keine Boote gesehen hatten, fuhren wir alle zum Bahnhof zurück, wo wir in einem Speisenwagen von dem inzwischen besänftigten Bahnbeamten mit Brot, Wurst und Käse, dazu Kaffee bewirtet wurden. Später legten wir uns im Wagen schlafen, ein Unternehmen, das die Moskitos vollkommen vereitelten. Gegen 1 Uhr früh am 7. September gab ich den Schlafversuch auf dem Bahnsteig auf und ab zu spazieren. Bald kam Herr Kapitänleutnant von B. um ein gleiches zu tun und wir unterhielten uns, wobei sich dann herausstellte, daß er viele meiner Marineverwandten kannte, und die Zeit bis zur Dämmerung des neuen Tages wurde schließlich nicht so lang, wie ich befürchtet hatte.
Um 6 Uhr früh fuhren wir alle mit Maschine und drei Gepäckwagen zum Fluß, wo wir 14 Sampans vorfanden, in diese wurde die Post und zwei Wagenladungen Baum
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wolle-(??)ballen verladen, was bis gegen Mittag dauerte. Herr von B. fuhr mit dem Motorboot ins Überschwemmungsgebiet, versprach aber vorher, uns nachmittags bei Tapatau mit Dampfbooten zu erwarten. Schließlich verteilten wir uns auf die Boote und erreichten Tapatau rudernder Weise gegen 2 Uhr nachm. Hier war Herr v. B. mit einem großen Motorund 2 Dampffahrzeugen, welche durch Briefstauben bestellt waren. Nun wurde die Post ungeladen und schließlich verteilten auch wir uns auf die Boote. Durch Zufall kam ich auf das Motorboot, wo es was zu essen gab. Auf den anderen Booten war kein Proviant. Nun galt es die sehr schwierige Fahrrinne, von der fast alle Tonnen vertrieben waren, zu finden. Dies ging schief, und bald saßen alle Boote fest und wurden von der reißenden Strömung bis zu gefährlichen Neigungswinkeln auf die Seite gedrückt. Durch geschickten Gebrauch von Heckankern und Lot kamen wir schließlich klar, nur um noch mehrere Male wieder aufzubrummen. Bei eintretender Dämmerung kamen wir endlich in tiefes Wasser, nun strikte aber unser Motor und eins der Dampfboote mußte uns schleppen.
So erreichte ich abends um 8 Uhr in strömendem Regen Tsingtau, genau 1 Monat nach meiner Abreise von Kanton.
W. F. Susemihl.
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Das chinesische Land in vorgeschichtlicher Zeit.
In keinem Land spielt wohl die älteste, zum Teil in mystisches Dunkel gefüllte Geschichte eine solche Rolle im Bewußtsein des Volkes wie in China. Bis in die neueste Zeit hinein stützt der Chinese seine Meinung gern auf jene ältesten
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Zeiten, die ihm durch Konfuzius als das ewige Vorbild des gesunden Staatslebens empfohlen worden sind.
Um eine so weit zurückliegende Entwicklung des Volkes zu verstehen, muß man sich des Hintergrundes bewußt bleiben, auf dem sich jene vorgeschichtlichen Ereignisse abspielten. Die Geschichte des Volkes erfordert zu ihrem rechten Verständnis eine gewisse Kenntnis von der Geschichte des Landes. Hier muß der Geschichtsforscher Hand in Hand mit dem Geologen arbeiten.
Die Abweichungen der vorgeschichtlichen Verhältnisse von China gegenüber den heutigen sind zum Teil recht erheblich. Bekannt sind ja die großen Veränderungen, die sich im Laufe des Gelben Flusses in geschichtlicher Zeit vollzogen haben. Der letzte große Vorgang dieser Art war die Laufänderung von 1852 (oder 1853?). Vorher war der Fluß von Kaifengfu an Hsü-tschou-fu vorüber im Süden von Schantung in das äußere gelbe Meer geflossen. Aber ein Dammbruch infolge Hochwassers oder, wie behauptet wird, ein Durchstechen der Dämme des Nordufers wenig unterhalb Kaifengfu durch das Heer der Taiping-Rebellen oder, wie noch andre behaupten, durch das kaiserliche Heer, - eines von diesen dreien war die Veranlassung, daß der Fluß einen neuen Weg über Tsinanfu einschlug, den Weg, auf dem er heute südöstlich von Tientsin in den Golf von Tsili mündet. Mag diese letzte Laufverlegung nun auf menschliche Tätigkeit oder Naturgewalten zurückgehen, soviel ist sicher, daß der Lauf des Hwang-ho auch in früheren Jahrhunderten und ohne menschliches Zutun sich mehrfach geändert hat.
Der älteste Lauf des gelben Flusses, der uns geschichtlich überliefert ist, ging erheblich weiter nördlich als der heutige.
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Aus den alten Beschreibungen können wir sehen, daß er sich ganz am Westrande der großen Ebene hielt. Er ging westlich von Ta-ming-fu vorbei und muß ungefähr über Kwang-ping-fu geflossen sein. Wie er aber weiter im Norden verlief, ist nicht völlig klar. Richthofen war der Ansicht, daß er Paoting-fu berührt hätte und dann in großem Bogen nördlich um Tientsin herum ins Meer geflossen sei.
Das trifft zweifellos nicht zu. Von der Küste bei Tientsin bis in die Gegend von Pao-ting-fu zieht sich eine Senkung, die jedenfalls noch in geschichtlicher Zeit von einer Bucht des Meeres ausgefüllt war. An ihr mußte jeder von Süden kommende Fluß unbedingt sein Ende finden. Wahrscheinlich haben wir das älteste Mündungsgebiet des Huang-ho zwischen den Unterläufen des Hu-to-ho und des Wei-ho etwa zwischen Ho-kien-fu und De-gschon zu suchen. Diesen ältesten bekannten Lauf hat der Hung-ho, wie es heißt, im Jahre 602 v. Chr. verlassen. Während der ganzen Vorgeschichte Chinas kommt also nur dieses Bett des Gelben Flusses in Betracht. Wir müssen uns damals an Stelle der Ebene von Tientsin eine flache Bucht des gelben Meeres denken, aus der im Norden und im Süden die Küste sich mit kaum merklicher Böschung heraushob. Der genaue Verlauf der Küste im Süden ist durch die späteren Anschwemmungen des Gelben Flusses so sehr verfüllt worden, daß es eingehender Untersuchungen im einzelnen bedürfen wird, um ihn genau festzustellen. Auf beiliegender Karte (I) ist ihr wahrscheinlicher Verlauf wenigsten ungefähr angegeben. Das Wichtigste für die Geschichte des alten Chinas ist der Umstand, daß damals das Meer in der Nähe von Pao-ting-fu nah an die westlichen Gebirge herantrat, und daß südlich davon der Huang-ho ein sumpfiges Gebiet durch
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floß, so daß hier der Weg nach Norden auf einen schmalen Streifen längs des Gebirges beschränkt war. Man kann die damalige Lage von Pao-ting-fu zwischen Gebirge und Meer etwa mit der heutigen Lage von Shan-hai kuan am Ostende der großen Mauer vergleichen.
Die Bucht von Tientsin, wie ich den alten von heute versandeten Meeresteil nennen will, hat bis in die Zeit der Dschou-Dynastie die Nordgrenze für den Schauplatz der chinesischen Geschichte gebildet. Der Süden war von den Chinesen bewohnt, der Norden von Tungusen. Die Mischung dieser beiden Völkergruppen ist es im wesentlichen, aus der der heutige Nordchinese entstanden ist.
Etwas schwieriger ist es, von den Geländerverhältnissen im Gebiete des Huai-Flusses und des Yang-tse-kiang in vorgeschichtlicher Zeit ein Bild zu entwerfen. Wenn wir von Schantang aus an der Küste südwärts gehen, dann kommen wir in das flache Gelände von Kiang-su, dessen sandige Küste wir teils als ein Werk des gelben Flusses und des Yang-tse-kiang, teils als eine Anschwemmung des Meeres betrachten müssen. Sicher wird es eine Zeit gegeben haben, als die zahlreichen Seen des heutigen Kiang-su noch nicht durch diese jungen Anschwemmungen von der See getrennt waren. Damals wird sich eine Bucht des Meeres, von flachen Inseln erfüllt, etwa bis an den Punkt des Huai-Flusses erstreckt haben, an dem dieser heute bei Feng-Yang-fu von der Tientsin-Pukow-Bahn überschritten wird. Wie lange diese Zeit zurückliegt, läßt sich heute nur vermuten, doch ist es überaus wahrscheinlich, daß der geschilderte Zustand in den Anfängen der chinesischen Überlieferung noch bestand.
In jener frühen Zeit waren auch die heutigen am Yangtse noch nicht vorhanden. Die einzelnen
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Berge, die heute aus der Ebene von Shanghai und Su-tschou aufragen, lagen damals als ein Schwarm von Inseln in der Meeresbucht, so wie das heute noch bei den weiter östlich liegenden Tschu-san-Inseln der Fall ist.
Wie weit reichte diese Meeresbucht nun landeinwärts? Die Frage ist außerordentlich schwer zu beantworten, so lange wir nicht bessere Karten von der Umgebung des großen Stromes haben. In der Nähe von Nanking treten die Berge auf beiden Seiten des Yangtse so nahe an das Ufer, daß hier ein gewisser Abschluß der Bucht vorhanden gewesen sein muß. Aber dahinter öffnete sich wieder das Gelände zu einem weiten Becken, das sicher größtenteils vom Wasser bedeckt war. Wir müssen uns dort hinter den Bergen von Nanking eine Bucht denken, ähnlich der Bucht von Kiao-tschou, die durch das Tor zwischen dem Yuniu-san und den Ausläufern des Perlgebirges in ähnlicher Weise vom offenen Meere getrennt wird, wie jene alte Yangtse Bucht durch die Berge von
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Nanking. Aber am Yangtse reihen sich mehrere solcher Becken aneinander, das erste reicht von Nanking bis in die Gegend von Tung-ling-hsien. Dann folgte flußaufwärts bis nach An-king eine engere Stromstrecke und dann wieder eine mächtige Erweiterung der Wasserfläche im Norden von Kiukiang.
Diese Fläche ist heute vollständig mit den Anschwemmungen des Yangtse aufgefüllt, nur ihr südlicher Ausläufer, der sich zwischen die Berge von Kiang-si hineinzieht, ist in der Form des Poyan-Sees erhalten. Die westliche Grenze dieses zweiten großen Wasserbeckens lag entweder bei Hankou oder wir müssen uns vielleicht sogar dieses Becken im Norden von Hankou in breiter Verbindung mit der Ebene von Hukuang denken. Die Ebene von Hu-kuangumfaßt das Gelände zwischen Hankou im Osten, dem Tung-ting-See im Süden, I-tschang im Westen und dem Unterlaufe des Han-Flusses im Norden. Wahrscheinlich wird auch diese Ebene ursprünglich von einem breiten See erfüllt gewesen sein. Der Han und der Yangtse lagerten in ihr den Sand ab, den sie aus ihrem raschen Gebirgslauf mitführten. Diese Sandablagerungen störten die Schiffahrt im Yangtse zwischen Hankou und I-tschang noch heute so sehr, daß dies die gefürchtetste Fahrstrecke des Stromes ist. Unaufhörlich ändert sich die Fahrrinne und macht es selbst den flachen chines. Schiffen schwer sie zu finden. Das gab die Veranlassung dazu, daß die Chinesen den Kanal von Sha-si nach dem unteren Hankiang anlegten, um der gefürchteten Yangtse-Strecke zu entgehen. Die Anschwemmungen des Yangtse haben die ganze Ebene aufgefüllt mit Ausnahme des südlichsten Zipfels. Hier, wo am wenigsten Yangtse-Schutt hingekommen ist, bildet sich noch alljährlich zur Zeit des Hochwassers ein ausgedehnter See, der
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Tung-ting-See, den wir den letzten Rest des mächtigen Sees von Hu-kuang nennen können.
In der Zeit, als diese großen Wasserbecken im Unterlaufe des Yang-tse-kiang noch nicht von den Anschwemmungen des Stromes ausgefüllt waren, müssen sie eine ähnlich wirksame Grenze zwischen dem Norden und dem Süden gebildet haben, wie die Bucht von Tientsin. Vielleicht aber hat schon damals die Enge von Nanking einen Übergang vom Süden zum Norden vermittelt. Wenigstens spielen in den ältesten chines. Aufzeichnungen die Völker am Huai insofern eine Rolle, als sie den Chinesen Metalle lieferten. Sie müssen also der Kunst der Metallbereitung kundig gewesen sein, was sonst im Yuekung auch noch von den Völkern am unteren Yangtse gesagt wird. Es muß also eine gewisse Ähnlichkeit der Kultur am Huai und am Yangtse geherrscht haben.
Jene Völker werden von der chines. Überlieferung als Barbaren bezeichnet, aber ihre Scheidung von den Chinesen war anscheinend eine viel weniger Schärfe als die der Nordvölker.
Die eigentlichen Chinesen stammen nach ihrer eigenen Überlieferung aus dem Wei-Tale am Nordrande des Tsingling-schan, etwa aus der Gegend des heutigen Hsi-an-fu. Von dort aus haben sie die große Ebene erst wenige Jahrhunderte vor Christo besiedelt. Daß dies so spät geschah, lag an den klimatischen Verhältnissen des vorgeschichtlichen Chinas. Es war einer der glänzendsten Ergebnisse der Reisen Ferdinands von Richthofen, daß er den Löß, jene fruchtbare gelbe Erde, die Nordchina weithin bedeckt, erkannte als eine alte Staubablagerung deren Material vom Winde zum Teil weither aus den Wüsten Inner-Asiens herangeführt wurde.
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Er erkannte weiter, daß damals, als dies geschah, die Flüsse, die heute die große Ebene durchqueren, versiegt waren. Denn die haben ihre Betten erst nachträglich in den gleichmäßig abgelagerten Löß eingegraben. Richthofen nannte die Zeit, in der der Löß sich bildete, die Steppenzeit. Wir können heute mit großer Wahrscheinlichkeit sagen, daß es mehrere solcher Steppenzeiten gab und daß sie gleichzeitig waren mit den mehrfachen Vereisungen, die bekanntlich Nordeuropa in der sogen. Eiszeit unbewohnbar machten. Das Versiegen der Flüsse machte in der letzten Steppenzeit die große Ebene unbewohnbar. Wenn eine Bevölkerung dagewesen war, so mußte sie sich zurückziehen an den Fuß der regenreicheren Berge. Damals endete der Gelbe Fluß etwa an der Stelle, wo er heute an der Grenze von Schen-si und Honan seinen scharfen Knick macht, in einem abflußlosen Salzwassersee. In dieser Zeit muß der Nordfluß des Tsingling-schau zu dem die ganzen Wässer der 3000 m hohen Gebirgsmauer abströmten ein ganz besonders günstiger Zufluchtsort für eine ackerbauende Bevölkerung gewesen sein. Je trockener das Klima wurde, um so sorgfältiger lernten sie die geringeren Wasservorräte über ihre Felder zu verteilen. So hat die Natur selbst die Chinesen zu dem ihnen eigentümlichen gartenartigen Ackerbau erzogen.
Während der Steppenzeit lag der Meeresspiegel damals erheblich tiefer als heute. Diese Senkung des Meeresspiegels betrug etwa 200 m und der ganze Boden des heutigen gelben Meeres war dementsprechend damals trockenes Land. Die damalige Küste lag etwa halbwegs zwischen den Riukiu-Inseln und der heutigen Küste, wie die beistehende Figur II darstellt. Der Yangtse mundet nördlich von Formosa.
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Ob der Huai-Fluß das Meer erreichte, wissen wir nicht. Alle die Flüsse, die sich heute in den Golf von Petschili ergießen, der Huang-ho, der Hun-ho, der Luan-ho und der Liao-ho, versiegten damals im Inlande, ähnlich wie heute der Tarim-Fluß in Ost-Turkestan.
Wie die chines. Steppenzeit ihr gleichzeitiges Gegenstück in der europäischen Eiszeit fand, so entspricht auch der Senkung der chines. Ebene, die das Meer bis nach Pao-ting-fu führte, eine gleichzeitige Senkung der Küsten von Europa, die unter anderm die Meeresverbindung zwischen der Nordsee und der Ostsee herstellte, die Überflutung der Doggerbank bewirkte und die britischen Inseln vom Festlande trennte. Diese Senkung läßt sich auf der ganzen Erde verfolgen, sie hat überall den gleichen Betrag von 200 m, und eben daraus dürfen wir schließen, daß es sich um einen allgemeinen, überall gleichzeitigen Vorgang handelt. Man hat die Ursache in dem Zurückströmen der Schmelzwässer, die während der Eiszeit in den mächtigen Gletschermassen gebunden waren, gesucht. In der Tat ist dies die wahrscheinlichste Erklärung für jenes allgemeine Ansteigen des Meeres, bezw. das allgemeine Untertauchen des Landes, das etwa im 6. oder 7. Jahrtausend vor Chr. eingetreten sein muß. Offenbar ist dieses Ereignis, dessen Erinnerung die Menschheit in den großen Flutsagen aufbewahrt hat, die wir fast bei allen Küstenvölkern finden und deren bekannteste Formen die griechische Sage von der Flut des Deukalion und die biblische Sage von der Sintflut sind. Bei den Chinesen findet sich eine Erinnerung an eine Überflutung vom Meere aus nicht. Wohl finden sich Spuren solcher Sagen bei den nicht chinesischen Inselvölkern auf Hai-nan und Formosa, aber die eigentlich
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chines. Sage keimt nur die Flut des Yao, die auf Überschwemmungen durch Flüsse beruhte: Sie erinnert nicht an das Eindringen des Meeres zur Zeit der Litorina-Senkung, sondern an die Neubelebung der Flüsse nach der Steppenzeit.
S.
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Sterne im März.
Unter den mancherlei Dingen, die der zivilisierte Mensch in seiner überwiegend städtischen Erziehung mehr als billig zu vernachlässigen pflegt, ist auf der gestirnte Himmel. Wenige werden sich seinem gewaltigen Eindruck in sternheller Nacht entziehen können, aber ebenso wenige werden sich in seine Sternbilder vertiefen, wenn sie nicht wie der Seemann oder der Forschungsreisende durch ihren Beruf dazu veranlaßt werden.
Gerade im März zeigt der abendliche Sternhimmel uns eine Reihe der prächtigsten Sternbilder und die beigegebene Skizze A. möchte das Interesse für eine aufmerksame Betrachtung dieser Gestalten wachrufen. Wenig westlich der Mittagslinie sehen wir vor allem das auffallende Sternviereck des Orion, in dessen Mitte die 3 Sterne des „Jakobsstabes“ in einer Reihe liegen. Weiter nordwestlich finden wir das Dreieck der „Hyaden“ und die kleine Gruppe des „Siebengestirns“ oder der „Plejaden“, beide im Sternbilde des Stiers. Nördlich des Stiers schließt sich das Sternbild des Fuhrmanns an, dessen hellster Stern als „Capella“ bezeichnet wird. Südöstlich von ihm und nordöstlich vom Orion folgen die Zwillinge und der kleine Hund, dessen Hauptstern „Procyon“ genau östlich der beiden nördlichen Sterne des Orion liegt. Alle bisher genannten Sterne werden aber überstrahlt von dem Sirius, südöstlich vom Orion, dem hellsten Fixsterne des ganzen Himmels.
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Zwischen ihm und Procyon läuft die Milchstraße hindurch.
Der Sirius ist einer der uns nächsten Fixsterne. Wenn wir uns die Entfernungen klar machen wollen, die hier in Betracht kommen, müssen wir allmählich von den kleineren Erdmaßen zu den Maßen des Himmels übergehen. Wenn wir uns die ganze Erdoberfläche durch Karten im Maßstabe unserer Generalstabskarten (1:100 000) dargestellt denken, dann werden wir ein Modell der Erdkugel bekommen, das etwa einen Durchmesser von 127 m hätte. Denken wir uns diese Kugel ihrerseits wieder im Maßstabe 1:100 000 dargestellt, dann schrumpft sie auf einen Durchmesser von rund 1 mm zusammen. Im gleichen Größenverhältnis würde die Sonne durch eine Kugel von etwa 14 cm Durchmesser darzustellen sein, die 15 m von dem stecknadelkopfgroßen Modell der Erde entfernt zu denken wäre. Aber auch mit diesem Modell gelingt es uns noch schwer, uns die Entfernung der Sterne anschaulich zu machen. Der Sirius wäre z.B. im gleichen Größenverhältnis rund 9000 km entfernt. Auch dies Modell denken wir uns deshalb noch einmal verkleinert und zwar auf ein Zehntausendstel. Dann wird die Erdbahn dargestellt durch einen Kreis von 3 mm Durchmesser. Die Entfernung des Sirius beträgt in diesem Maßstab 900 m, der Polarstern ist noch etwa 6 mal weiter entfernt, der mittlere Stern in der Cassiopeia (am Nordwesthimmel am Rande der Milchstraße sichtbar) etwa 40 mal weiter, ganz abgesehen von der großen Masse der Sterne, die so fern sind, daß es noch nicht gelungen ist, ihre Entfernung zu messen. Da wir den Abstand des Sirius kennen, so läßt sich seine Helligkeit mit der Sonne vergleichen. Es ergibt sich, daß er 25 mal so hell leuchten würde wie die Sonne, wenn er in der gleichen
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Entfernung stände wie diese.
Die Gegend des Himmelsraumes in der Nähe des Sirius hat noch ein weiteres Interesse. Wie sich die Erde um die Sonne bewegt, so bewegt sich auch die Sonne selbst im Raume fort, und zwar mit einer Geschwindigkeit von rund 20 km in der Sekunde. Berücksichtigt man diese Bewegung der Sonne, dann beschreibt die Erde im Raume nicht eine kreisförmige Bahn sondern eine Schleifenlinie, die in der Skizze B. In dem zuletzt erörterten Maßstabe dargestellt ist (Durchmesser der Erdbahn = 3 mm). Die Bewegung der Sonne hat nun die Richtung von der Gegend des Sirius her nach dem Sternbilde des Herkules hin. Würden die Himmelskörper im Ätherraume eine Spur hinterlassen wie die Schiffe im Weltmeer, dann würden wir beim Betrachten des Sirius sozusagen in den „Kiel-Äther“ des Sonnensystems blicken. Hätten wir vor 25 000 Jahren (also im letzten Abschnitt der Eiszeiten) an derselben Stelle des Sternenraumes gestanden, an dem die Erde sich heute befindet, dann würden wir damals unsere Sonne nicht weit vom Sirius und als einen Stern von gleicher Helligkeit wie diesen erblickt haben, denn der Weg, den die Sonne seitdem zurückgelegt hat, beträgt 1/5 unserer jetzigen Entfernung vom Sirius. Ein Lichtstrahl würde 20 Monate brauchen, um diese Strecke zurückzulegen. Doch genug von den Zahlen! Sie haben ihren Zweck erfüllt, wenn sie uns wenigstens eine ungefähre Anschauung von den Größenverhältnissen geben. Wer sich bemüht, diese Anschauung zu gewinnen, dem wird es vielleicht gelingen, beim Anblick des Himmels den Eindruck des kugelförmigen Gewölbes zu überwinden und eine Empfindung dafür zu bekommen, daß wir in einem Schwarm von näheren und ferneren Sternenwelten schweben.
S.
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Beilage.1
Die Darstellung des Himmelsgewölbes in einer ebenen Fläche ist bekanntlich nicht ohne Verzerrungen möglich. Die vorliegende Darstellung ist so gewählt, daß die Formen der einzelnen Sternbilder möglichst wenig verzerrt erscheinen. Dabei läßt es sich nicht umgehen, daß der Größenmaßstab in der Mitte und am Rande verschienen werden. Der Rand des Himmels erscheint bei dieser Darstellung zu groß im Verhältnis zur Mitte.