Lagerfeuer

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Lf. Nr. 48. Matsuyama, Sonntag, den 24. Dezember 1916.

Weihnachten.

Zum dritten Male feiern wir Weihnachten in trüber Gefangenschaft! Feiern? Da es uns seit zwei Jahren versagt ist, zu unserem bescheidenen Teil mitzu-wirken an Deutschlands Kampf und Sieg, meint wohlmancher unter uns, diese unsere Lage sei ganz und gar nicht dazuangetan, Feste zu feiern. Aber die, die so sprechen, sind sich wederdarüber klar geworden, was „feiern“ eigentlich heißt, noch haben sie Sinn und Bedeutung des Weihnachtsfestes erfasst.
„Feiern“ hieß in seiner schönen ursprünglichen Bedeutung nichts anderes als „aufhören zu arbeiten“. Arbeitsruhe aber bedeutet wiederum geistige Einkehr, Sammlung zu neuen Kämpfen, Mühen und Sorgen und damit Erholung im wahr-sten Sinne des Wortes. Die Not der Zeit hat uns eigentlich erst so richtig erkennen gelehrt, wie sehr uns vor dem Kriege der wahre Begriff des Feierns verloren gegangen war. Darüber sind nun jene Tage, wo den meisten von uns der materielle, äußerliche Genuß als Grundlage jeder richtigen Feierstunde galt, und wo durch Masse ersetzt werden mußte, was dieser Feierei an Tiefe fehlte. Ein heilsamer Zwang hat uns inzwischen darauf zu verzichten gelehrt, und es ist gut so.
Wie der Sonntag der Tag der körperlichen Ruhe und Erholung nach mühe-vollen Wochenarbeit ist, so ist Weihnachten im Kreislauf des Jahres so recht unser geistiger, seelischer Feiertag geworden. Es ist gleichsam eine Ruhebank, die an dem steil berganführenden Wege des Lebens liegt, und auf der wir ver-weilen, um den Blick bergab und bergauf schweifen zu lassen. So richtig und wahr die Eyth‘schen Worte sind, daß wir nicht auf der Welt sind, um nach rückwärts zu leben, ebenso gewiß bedürfen wir aber auch von Zeit zu Zeit

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eines Abschlusses, eines seelischen Ausgleichs, eines tröstenden Rückblicks.
Ein Jahr haben wir nun wieder gearbeitet – ja wirklich, es gibt auch solche und gar nicht wenige unter uns, die dies mit Recht von sich sagen dürfen – ein Jahr haben wir mit den uns umgebenden widrigen Verhältnissen gekämpft, uns tagein, tagaus mit den Gespenstern und Unholden der Gefangenschaft herumgeschlagen – und haben gesiegt,und nun sollen wir unser schönstes deutsches Fest nicht feiern? Wer dasnicht mitfühlen kann, ist kleinmütig geworden, ist abhängig geworden von den Verhältnissen, auf gut Deutsch, er hat sich unterkrengenlassen. Und das, trotzdem er weder hungert noch friert wie unserearmen Leidensgenossen in Sibirien, trotzdem selbst bei kühlster undnüchternster Beurteilung die gegenwärtige Kriegslage zu den allergrößten Hoffnungen für Deutschlands Zukunft berechtigt.
„Ehre sei Gott in der Höhe, und Frieden auf Erden!“
Es mag scheinen, daß die Gegenwart uns andere Sprüche predigt.Wir wissen, daß noch oft und oft auch am Weihnachtstage die Waffen klirren werden, ja sogar klirren müssen, wenn die Menschheit leben,sich weiterentwickeln und nicht ein unrühmliches Ende finden soll.Aber nicht darauf kommt es an, daß am Weih-nachtstage der Zustand herrscht, den wir heute mit vollkommener Beschränkung desWortes auf die Politik Frieden nennen. Wäre das nicht eine dieser feierlichen Worte unwürdige, oberflächliche Auslegung? Besteht nicht auch in den sogenann-ten Friedenszeiten das Lebendes Einzelnen aus einer ununterbrochenen Kette von Kämpfen?Und gerade um ihretwillen brauchen wir den Weihnachtsfrieden.Um unseren eigenen, um unseren inneren Frieden handelt essich. Je härter uns das Schicksal mitnimmt, je mehr es um unsdraußen stürmt und weht, desto mehr bedürfen wir im Inneren des Friedens, bedürfen wir der Sammlung.
Als notwendigen Gegenpol, ohne den erfolgreicher Widerstand

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gegen die Macht der Verhältnisse kaum denkbar erseheint, fordert die Gegenwart von jedem einzelnen innere Ruhe und Geschlossenheit. Wie wollten wir auch sonst bestehen können bei den einander jagenden Eindrücken unserer hastenden, schnellebigen, nervösen Zeit, die immer ruheloser nach Neuem und Neustem drängt, wenn wir nicht die feste Stütze inneren Halts, inneren Friedens entgegen-zusetzen hätten? Gegen diese Felsen sollen die Wogen des Lebens branden und zerschellen. Wo immer sie aber mit zäher Kraft vermocht haben, das Gestein zu unterhöhlen, da mag uns der Weihnachtstag die Kraft geben, uns selbst wiede-rzufinden und uns den Frieden der Seele wiederzuschenken, aus dem allein die wahre Lebensfreude entspringt, der frohe Mut, der nach dem alten Spruch die beste Weisheit dieses Lebens ist.
m.

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Kunstausstellung in Yamagoe
15. Dezember 1916.

Es war ein kühnes Unternehmen die freie Kunst in unserem Bambuskäfig zu locken, um es aber gleich vorweg zu nehmen, der Versuch ist glänzend gelungen. Im November, als noch der rote Laubmantel des Ahorns die Bambuszäune gnädig verhüllte, da hatte man geglaubt, am sichersten der Dame Kunst habhaft zu werden. Aber damals schauderte die reine Himmelstochter vor den unreinen Cholerakübeln an den Pforten unserer Heimstätten. Kaum jedoch waren jene vershwunden, da überschritt sie ohne Zaudern lächelnd die Stacheldrähte, die nun, da das Laub gefallen, kalt und grausam ihr entgegenstarrten ...
Würdig bereitete Yamagoe ihren Empfang vor. War es doch, als bringe die Kunst uns Grüße aus jener fernen Welt, von der

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wir nun schon so lange abgeschlossen. Je mehr der Tag ihrer Ankunft sich nahte, desto mehr häufte sich die Arbeit auf den Schultern desAusschusses. Aber Herr Hauptmann Stecher mit seinen Helfern(Festungsbaufeldwebel Faul, Seesoldat vonHolstein und Steppan) ließen sich keine Mühe verdrießen und brachten es zu Wege, daß die Kunstausstellung genau zur festgesetzten Stunde fix und fertig ihre Tore dem staunenden Volke öffnete – eine Seltenheit unter Ausstellungen.
Ein genialer Wirrwar im Hauptquartier des Ausschusses(Dolmetscherstube von Holstein) war das erste Anzeichen dafür, daßuns echte Kunst geboten werden würde. Voll Grauen floh der wackereNachbar vor den Bergen beklecksten Papiers, unter denen die Ordnung seines trauten Heimes begraben lag, und opferte manche Stunde seiner kostbaren Nachtruhe, nur leise murrend, auf dem Altar der Kunst. Nur unserem Berichterstatter gelang es allem Widerstand zum Trotz für kurze Zeit in das Hauptquartier einzudringen. Aber nichts anderes konnte er da feststellen, als daß auch hinter den Gittern des Kriegsgefangenlagers der alte Gegensatz zwischen Kunst und Presse fortlebt. Zwar versäumte der Ausschuß nichts, um den zahlreichen Vertretern der öffentlichen Meinung in jeder Weise entgegenzukommen – hatte er doch sogar eine regelrechte Presse-Ecke im Ausstellungssaale eingerichtet –, aber, wenn der nüchterne Zeitungsmensch es wagte, die himmelanstrebenden Werke gottbegnadeter Künstler zu sich hinab in den Staub zu ziehen, dann traf ihn durch die Wolke von Liebenswürdigkeit hindurch ein Blick, in dem so etwas wie „nichtswürdige Schreiberseele“ geschrieben stand. Aber was ein rechter Reporter ist, derläßt sich dadurch nicht abschrecken von seinem Ziele, die Wahrheit zu suchen ...
Mit ängstlichen Blicken sah mancher in den frühen Morgenstunden

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des Ausstellungstages hinaus, um zu erfahren, wie sichwohl der japanische Wettergott zu dem Unternehmen stellen werde. Aber als echt japanische Behörde sagte er nicht „ja“ und nicht „nein“, und der trübe Himmel verhieß sowohl Regen wie Sonnenschein. Der Ausschuß tut wohl daran sich nicht auf lange Verhand-lungen einzulassen; denn als der Wettergott der vollendeten Tatsache der eröffneten Ausstellung sich gegenüber sah, da klärte sich sein Antlitz so weit auf, daß es an dem nötigen Licht nicht mangelte. Nur wenn allzusehr die Woge der Beschauer brandete, da erinnerte man sich daran, daß man schließlich nicht im Münchener Glaspalast, sondern in einem kleinen buddhistischen Tempel auf einer ganz unmöglichen Insel weit weg im fernen Osten sich befand.
Der Tempel Guganji hatte sich zum Musentempel verwandelt. Mit großem Geschick hatte der Ausschuß durch Ziehen von Querwänden Raum und Licht-quellen ausgenutzt. Den festgesetzten fünf Ausstellungsgruppen der Mal- und Zeichenkunst entsprachen fünfräumliche Abteilungen, doch ließ sich leider wegen der ungleichmäßigen Beteiligung in den einzelnen Gruppen eine vollkommene Trennung nicht durchführen. Im wesentlichen hingen im Ein-gangsraume und im anschließenden Raume rechts die farbigen Originale und Kopien (Gruppe I und II), in den beiden Räumen links die einfarbigen Originale und Kopien (Gruppe III und IV) und im Flügelraum rechts die Vergrößerungen nach Photographien (Gruppe V). Die Erzeugnisse des Kunstgewerbes (Gruppe VI) warenauf Tische verteilt. Den Eintretenden mahnte ein von Tannenreisern umrahmtes Kriegsbild unseres Kaisers (eine gute Kopie von Hptm. Stecher) und, nachdem der japanische Lagerkommandantdieses hatte entfernen lassen, das Blomberg‘sche Gedenkblatt für unsere in Tsingtau gefallenen Kameraden – auch in der heiteren Sphäre der Kunst nicht die ernste Zeit zu vergessen, die wir

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durchleben.
Teilnahme an der Ausstellung war über alles Erwarten gut. Von 414 Kriegsgefangenen hatten 33 (darunter 4 außer Konkurrenz) die Ausstellung beschickt mit insgesamt 326 Stücken (darunter 64außer Konkurrenz). Auf die einzelnen Lager verteilten sich Teilnehmer-und Stückzahl wie folgt:
Teilnehmer Stück

in Konk.außer Konk.zus.in Konk.außer Konk.zus.
Yamagoe 133169650 146
Dairinji551313
Kokaido1111215314167
Zusammen2943326264326

Das wahrhaft nicht leichte Amt der Preisrichter lag in den Händender Herren Major Kleemann, Hptm. Maurer, Lt.d.R. Rumpf,Lt.d.R. Müller und Uoffz.d.L. Henze. Vertreilt wurden im Ganzen 25 Preise und 8 Lobende Anerkennungen, und zwar:

inGruppe1auf107Stück7Preise 5 Lobende Anerkennung
ʺ ʺ 2 ʺ 37 ʺ 4 ʺ 1 ʺ ʺ
ʺ ʺ 3 ʺ 48 ʺ 3 ʺ u. 1 Zusatzpreis
ʺ ʺ 4 ʺ 22 ʺ 1 ʺ
ʺ ʺ 5 ʺ 11 ʺ 4 ʺ
ʺ ʺ 6 ʺ 37 ʺ 4 ʺ 2 Lobende Anerkennung

Die Preise, die aus einigen sehr geschmackvollen Cloissonne-Vasen,aus hübschen Bronze- und Silbersachen und dergl. Bestanden, waren durch eine liebenswürdigerweise von Herrn Pastor Schröder veranstaltete Sammlung unter den stets opferfreudigen Japandeutschen, sowie durch Sammlung im Lager beschafft worden. Der Preis des „Lagerfeuers“ (Schildkrötengruppe in Bronze), der für die beste Schwarz-Weiß-Zeichnung in Strichmanier ausgesetzt war, fiel dem Pionier d.L. Suhr (Yamagoe) für seine Bleistiftzeichnung

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„Tempelaufgang Raikoji“ zu. Wir beglückwünschen den Preisträger aufs herzlichste. Die preisgekrönte Zeichnung bringen wir heute als Beilage. Eine Liste der mit Preisen ausgezeichneten Werke ist in der vorigen Nummer bereits veröffentlicht worden. Auf die drei Lager verteilen sich die Preise folgendermaßen:

Teilnehmer in Konk.PreiseLob. Anerk.
Yamagoe 13112
Dairinji541
Kokaido11105
Das lebhafteste Interesse zog naturgemäß die Gruppe der farbigenOriginale auf sich, welche ja auch weitaus die größte Beteiligungaufzuweisen hatte. Aus dem edlen Wettstreit zahlreicher Talente ist hier Sees. Blomberg (Kokaido) als unbe-strittener Sieger hervorgegangen. Aus allen seinen Aquarellen strömt wahres künstlerisches Empfinden. In der Auswahl zeigt er guten Geschmack, in der Ausführung durchgebildete Technik. Die kalte Winterluft, die über seiner „Schneelandschaft“ (1. Preis) lagert, ist ihm ganz vorzüglich gelungen. Das Bild, das keine geringen technischen Anforderungen an die Pinselführung stellt und welches ja die Natur nicht unmittelbar wiedergibt, sondern uns langzurückliegende heimatliche Eindrücke des Künstlers aus seiner Erinnerung vorzaubert, ist der günstigen Beurteilung der Preisrichter in hohem Maße wert. Wenn wir zwei anderen Bildern Blombergs seine„Schneelandschaft“ noch vorziehen, so liegt dies einmal daran, daß es uns scheint, als sei ihm in diesem Bilde in der Behandlungdes Schnees die Erinnerung nicht ganz treu geblieben,zum anderen aber in dem vorzüglichen Gelingen jener. Das

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gilt in erster Linie von dem „Moloch“. Tiefe des Gedankens und glänzende Durchführung zeichnet das Werk in gleicher Weise aus. Die Kriegsgefangenschaft – symbolisch dargestellt durch einen die Kokaidofront als Fratze tragenden Moloch – hält mit ihren Fangarmen ihre Opfer unerbittlich fest, während am Himmel die Flamme des Weltbrandes emporlodert. Der Hinweis auf Japan ist sowohl in der gelben Grundfarbe neben der sich das flammende Dunkelrot prächtig ausnimmt, als auch in den in die Kokaidofenster geschickt eingezeichneten Schlitzaugen gegeben. Hervorragendist die Behandlung der geisterhaft wirkenden Fangarme, durch deren gallertartige Haut deutlich das seitliche Mauerwerk Kokaidos hindurchschimmert. Während der „Moloch“ schon durch den Gegenstand der Darstellung fesselt, wirken die „Baumstämme in der Abendsonne“ lediglich durch ihre gediegene Ausführung. An diesen fein abgetönten Bildchen zeigt Blomberg, daß das Auge des Künstlers auch da Schönes in der Natur zu finden vermag, wo der Laie achtlos vorübergeht. Unter den zahlreichen anderen hübschen Aquarellen Blombergs verdint auch sein „Russisches Straßenbild“ seiner glücklichen Farbengebung wegen Erwähnung.
Ein schaffensfreudiger Künstler tritt uns in der Person desSees. Baist (Kokaido) entgegen, der zahlreiche Proben seines Könnens in der Ausstellung abgelegt hat. Zu seinen besten Arbeiten gehört die hingeworfene große „Baumgruppe mit Tempel“, bei der wir uns nicht mit der zwar ansprechenden, aber doch recht unwahrscheinlichen Darstellung der Wolken befremden können. Viel Farbensinn und künstlerischeAuffassung zeigt Baist in seiner stimmungsvollen „Abendlandschaft mit Weide“, in „Kokaidoabend“ (Lob. Anerkennung), „Schmiede“ und einer abendlichen „Berglandschaft“.

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Tempelaufgang Raikoji
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Daß Baist ein trefflicher Zeichner ist, beweist er in seinen sprechend ähnlichen Portraits, wenn auch unserem Geschmack eine mildere Linienführung zusagen würde. Auch seine anderendurchweg guten Arbeiten verraten ein vielseitiges Talent.
Im Gegensatz zu ihm steht Vzfw.d.R. Rasenack (Kokaido), der einem einzelnen Zweige der Malkunst, der Portraitmalerei, seine beste Kraft zugewandt und darin einen hohen Grad von Vollkommenheit erreicht hat. Sein „Bildnis des Matrosen J.“ (2. Preis) ist vorzüglich gelungen, das „Portrait eines blassen Herrn in Hemdsärmeln“ steht ihm kaum nach, und viele Meinungen konnte man hören, die dem dritten Portrait, dem des Matrosen J. den Preis zuerkannt hätten. Gegenüber diesen Erfolgen treten die andern Leistungen Rasenacks z.B. seine „Landschaft am Abend“ (3. Preis?) und das amüsante Genrebildchen„Vor dem Nachtcafé“ zurück.
Originalität und guter Geschmack spricht aus den Aquarellendes Sees. von Holstein (Yamagoe). Die Freude an seinen Bildernwürde noch erhöht werden, käme seiner Begabung eine gründlichere Technik zu Hilfe. Das gilt besonders von seinen beiden kleinen farbigen Satiren „Schattenbilder“ und „Stilleben“ (V. und VI. Preis) in denen er in witziger Weise den Genüssen, nach denen ein armes Menschenkind nach zweijähriger Kriegsgefangenschaft schmachtet, die Genüsse, die demselben täglich geboten werden, gegenübergestellt. In dem „Stilleben“ z.B.sind einzelne Teile, wie der Teller und der Löffel, ganz ausge-zeichnet durchgeführt.
Mit Pionier d.L. Suhr (Yamagoe) beginnt die Reihe der Künstler, die an Stelle der breiten Pinselführung die Detailmalerei setzt. Die Landschaften und Tempelbilder Suhrs insbesondere

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der „Japanische Friedhof“ und sein mit dem 4. Preis bedachter „Tempel Shokenji“, zeichnen sich durchweg durch äußerst exakte Zeichnung und meisterliche Behandlung der Farben aus. Nicht immer scheint uns in gleicher Weise die Perspektive gelungen.
Der Malweise Suhrs eifert Uoffz.d.LNeuneier (Yamagoe)mit gutem Erfolg in seiner „Landschaft“ mit dem trefflich gelungenen Reisfeld (Lob. Anerk.) nach. Die mit minutiöser Sorgfalt ausgeführten „Libellen“ von Sees. Freisewinkel (Kokaido) verdienen hier der Erwähnung.
Sehr Gutes bot die Ausstellung auf dem Gebiete der farbigenKonstruktions-zeichnungen, erst recht, wenn man bedenkt, daß hier der Architekt seinen Entwurf neben vollendete Werke des Malers hängen mußte. An erster Stelle steht hier Lt.d.R. Müller (auß. Konk.). Der glänzend durchgeführte „Großstadttraum“, spiegelten Gedankenreichtum, die „Villa“ und das „Junggesellenheim“ den Geschmack des Schöpfers wider.
Sorgfältige Arbeiten gleicher Art sind die des Gefr.d.L. Schrader (Yamagoe), worunter der hübsche Entwurf eines weitläufigen Backsteingebäudes besonders zu nennen ist.
Eine Klasse für sich bilden die Arbeiten von Vfw.d.R. Möller (Kokaido). Auf dem Gebiete der Karikaturen und Plakate wartet er mit ganz hervorragenden Leistungen auf. Die beste seiner Katikaturen „Kokaidoträume“ müßte leider auf höherenBefehl von der Bildfläche verschwinden, auf daß nicht der Geistdes Aufruhrs unter uns Kriegsgefangene fahre. Aber auch aus denzensurfreien Bilderreihen, aus „Ein Tag in Kokaido“ und aus demganz famosen „Ein Tag im fernen Osten“, sowie aus den beidenköstlichen Soldatenköpfen „Faul“ und „Fein“ (Pastell) konnte manden gesunden Humor und das Zeichentalent Möllers erkennen.

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Das Ausstellungsplakat (der Künstler hinter den Stacheldrähten) und daswirkungsvolle Plakat „Musikabend“ haben beide die ihm verliehenelobende Anerkennung vollauf verdient.
Endlich sei noch des Sees. Lätzsch (Kokaido) gedacht, der nicht nur mit dem Pinsel („Landschaft“, Lob. Anerk.), sondern auch mit Farbstift („Japanische Landschaft“) und Spachtel („Blumenstück“) gut umzugehen versteht.
Neben den Farbenkünsten des Malers hat die Schwarz-Weiß-Zeichnung einen schweren Stand. Wenn auch sie in der Ausstellung wirksam hervorgetreten ist, so beweist dies, daß auch hierin Gutes geleistet worden ist.
In der Gruppe der einfarbigen Originale steht Sees. Blombergebenfalls an erster Stelle. Er verdankt es der gediegenen Ausführung seines tief ernsten Gedenkblattes für die Gefallenen von Tsingtau: eine Frauengestalt am schroff zum Meer abstürzenden Felsen verhüllt klagend ihr Haupt (1. Preis). Es ist bedauerlich, daß Blomberg seineZeichnung so allgemein gehalten hat und die Besonderheit des Kampfes um Tsingtau nicht deutlicher hat hervortreten lassen. Inforgedessen konnte ihm der für ein Gedenkblatt besonders ausgesetzte Preis nicht zufallen. Derselbe wurde, da die von anderen Ausstellern eingegangenen Entwürfe hinter den Erwartungen zurückgeblieben, überhaupt nicht vergeben.
Dem ersten Preisträger stehen die anderen Schwarz-Weiß-Künstler nicht nach. Im wesentlichen fallen hier dieselben Aussteller auf, denen wir auch schon in der ersten Gruppe begegnet sind. HaptsächlichVzfw.d.R. Möller mit seiner ganz ausge-zeichneten „Skizze“ in Bleistift (2. Preis) und mit wohlgelungenen Arbeiten in Tusche („Kokaido bei Nacht“), Sees. Baist mit vorzüglichen Kohlezeichnungen von Kokaido und seinerUmgebung und Pionier d.L. Suhr mit seinem „Tempelaufgang nach Raikoji“ (3. Preis und Lagerfeuer-Preis) eine warme und wirkungsvolle

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Bleistiftstudie. Weiterhin sind die Federzeichnungen von Seesoldat Freisewinkel (4. Preis) und ein ausdrucksvoller Frauenkopf von Uoffz.d.L.Henze (Yamagoe) (auß. Konk.) zu erwähnen. Hübsche ExLibrislieferten Sees. Leonhardt (Kokaido) (auß. Konk.), Blomberg (5. Preis), Freisewinkel und Vzfw. d.R. Möller.
In der Kopie nähert sich die Kunst dem Kunsthandwerk. Aber auch hier ist Ausgezeichnetes geboten worden. Die bedendste künstlerischeLeistung in der Gruppe der farbigen Kopien sind die nach Schwarzdruckengemalten Arbeiten von Uoffz.d.L. Henze (auß. Konk.), der unshier als ein Meister der Farbe entgegentritt. Sein Glanzstück scheintuns sein „Pierrot mit der Taschenlampe“ zu sein, dessen Vorzüge sowohl in der geschmackvollen Zusammenstellung der Farben wie in deräußerst geschickten Verteilung von Licht und Schatten bestehen. Nochin zahl-reichen anderen Bildern, sowie in der „Pierrette in Rosa“, „Fasching“, erst recht in seinen Kopien nach farbigen Vorbildern, z.B. in dem lieblichen Frauenkopf im braunen Rahmen und in der „Dame mit Handspiegel“zeigt Henze, mit welcher Sicherheit er die Töne, vor allem auch die Fleischtöne, zu treffen weiß.
Sees. vonHolsteinreicht in der Kopiekunst nicht ganz an Henze heran, kommt ihm aber in der hübschen Studie „Durchs Herz“ (1.Preis) sehr nahe.
Vorbilder ganz anderer Art liegen den sauber ausgeführten Ölgemälden von Sees. Bunge (Dairinji) zu Grunde, von denen die„Schwertlilien“ (2. Preis) und das „Stilleben“ am besten gefallen haben.
Recht ansprechend sind die sorgfältigen und geschmackvollenArbeiten vom Gefr. Küntzelmann (Yamagoe), vor allem seine „Geisha“(Lob. Anerk.) und die „Einfahrt in ein altes Städtchen“. Das gleiche gilt von einem „Interieur“ von Lt.d.R. Müller (auß. Konk.) und den hübschen nach Schwarzdrucken in Farben gesetzten Städtebildern, („Alt-Erfurt“) von Sees. Freisewinkel. Mit der Erwähnung eines „Mädchenkopfes

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mit Bernsteinkette“ von FstbfwFaul (Yamagoe) sowie der Frauenköpfevon Uoffz.d.L.Neuneier (3. Preis) und Vfw.d.R. Rasenack (4. Pr.)sind wohl die besten Leistungen dieser Gruppe erschöpft.
In Gruppe 4 (einfarbige Kopien) nimmt der von Lt.d.R. Müllerausgestellte Hindenburgkopf (auß. Konk.) unstreitig die erste Stelle ein. Er gehört zum Besten, was in der Ausstellung überhaupt geboten worden ist. Innerhalb der Konkurrenz ist dem flott higeworfenen „Husar“des Gefr. Wichelhaus (Yamagoe) mit Recht der I. Preis zugefallen. Unter den übrigen Arbeiten ist eine mit großer Liebe durchgeführte Bleistiftzeichnung „Holländerinnen“ von Sees. Steppan (Yamagoe) zu nennen, ferner Federzeichnungen (2. u. 3. Preis) und eine Sepia-Tuschzeichnung („Bayr. Bauer“) von Hptm. Stecher, ein „Mauleselkopf“ von Hptm. Maurer (auß. Konk.) und schließlich noch eine Bleistiftzeichnung „Gruß aus der Ferne“ von Sees. Beckers (Yamagoe).
Auch in der V. Gruppe (Vergrößerungen nach Photographien) ist fleißig gearbei-tet worden. Am besten hat hier Sees. Koch (Dairinji) (1. Preis) abgeschnitten.
Ein sehr erfreuliches Bild bot die Gruppe der Handfertigkeitsarbeiten.Berück-sichtigt man die beschränkten Mittel, die unseren Kunstgewerblern zu Gebote standen, die Schwierigkeit bei Beschaffung des Materials, mit denen sie zu kämpfen hatten, so ist es geradezu erstaunlich, was hier qualitativ geleistete worden ist, andererseits aber auch erklärlich, daß quantitativ die Ausstellung hier leider sehr hinter den Erwartungen zurückblieb. Die unendliche Mühe und Geduld, die dazugehört, ein Schiffsmodell wie den ausgestellten Fünfmaster zu vollenden,verdiente schon allein einen ersten Preis, auch wenn das Modell nicht bis in das kleinste Detail vollkommen wäre, wie es tatsächlich nach Urteil von Sachverständigen der Fall ist. Die Schöpfer der preisgekrönten Schiffsmodelle sind der St.Mt.d.R. Segebarth und die Sees. Schultz und Edler (Kokaido). Die große Bassgeige von

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Sergt. Fabel (Dairinji, 2. Preis), von der schon vor Wochen die Japaner in ihren Zeitungen märchenhafte Dinge erzählten, hat auch unsere höchsteBewunderung erregt. Große Geschicklichkeit und guter Geschmack spricht aus den wunder-hübschen Perlmutter-Einlegearbeiten des Sees. Höhne (Kokaido, 3. Preis), für deren Güte der reißende Absatz, den sie gefunden haben, der beste Beweis ist. Einzig in seiner Art ist das schöne geschnitzte Schränkchen von Vfw. Eggert (Dairinji, Lob. Anerkg.). Keine geringere Handfertigkeit verlangen die aparten Bilderrahmen von Uoffz.d.LNeuneier und die ebenso originellen, wie geschmackvollen Scherenschnitte von Sees. Geschke (Kokaido). Die famosen „BadendenKinder„ würden jedem Bilderbuch zur Zierde gereichen. Zu guterLetzt sei der beiden tadellos gehaltenen Schmetterlingssammlungen von Gefr. Büttner (Yamagoe, 4. Preis) und Sees. O. Meyer (Yamagoe) gedacht; der schöne Eichenspinner und der seltene Totenkopf in der Sammlung des Erstgenannten und all die andern bunten Falter legten beredtes Zeugnis dafür ab, daß selbst hier in dem ewigen Einerlei der Kriegsgefangenschaft es für den, der die Augen offen hält, mancherlei zu sehen und zu lernen gibt. Sie machten uns aber auch nachdenklich durch die Erkenntnis, daß die größte aller Farbenkünstler immer bleibtdie Mutter Natur!
Nicht alle, die manche Stunde in den vergangenen Wochen hinterder Staffelei gesessen haben, kehren preisgekrönt heim, und mancher, der die Kinder seiner Kunst siegessicher hinaus in den Streit geschickthatte, mußte erkennen, daß vor den strengen Augen der Richter des Nachbars Kinder höhere Gnade gefunden haben. Wir sind überzeugt,niemand wird sich’ s verdrießen lassen. Sollte aber doch einer grollendin seiner Klause sitzen, dem mag es zum Trost gereichen, daß einer völlig gleichmäßigen Bewertung durch die Preisrichter die nichtglücklich gewählte Gruppeneinteilung hindernd im Wege stand. Sowaren in Gruppe 1 und 3 Landschaften, Interieurs, Genrebilder, Portraits,

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Karikaturen, Plakate und anderes mehr vereinigt, Bilder, die unmöglich gegen-einander abgemessen werden können, um so weniger da auch zwischen Aquarell, Pastell und Ölfarben kein Unterschied gemacht worden war. Durch eine weiter-greifende Trennung der einzelnen Malweisen wäre eine Klassifikation vermieden worden, die der Eigenart mancher Aussteller nicht gerecht werden konnte. Wir geben der Hoffnung Ausdruck, daß auf der nächstjährigen Ausstell. ... verzeihe, teurer Leser, wir sehen deinen vernichtenden Blick, wir revozieren und deprezieren und hoffen natürlich gar nichts! Oder doch, wir hoffen, daß der 15. Dezember 1916 alle Künstler, die preisgekrönten und diejenigen, die leer ausgingen, zu frischer Tat anregen, vor allem aber, auch manchen, der sich bisher nicht traute, Lust geben wird, Pinsel oder Stift zur Hand zu nehmen. In der Stille, auch in der Kriegsgefangenschaft bilden sich die Talente. Und glücklich kann man diejenigen preisen, die später von sich sagen können, daß die kostbaren Jahre, die sie in der Gewalt des Feindes verbringen mußten, für sie nicht verloren gewesen sind! Die andern aber, die wie wir hoffnungslose Bemausensind und bleiben, sie werden denen, an deren Wiege die Musen gestanden haben, aufrichtig dankbar sein für all das Schöne und Anregende, das sie uns boten, erst recht dem Schöpfer der Ausstellung, Herrn Hauptm. Stecher und seinem unermüdlichen Berater Seesoldat vonHolstein. Freude und Befriedigung muß den letzteren das gute Gelingen und der fröhliche Verlauf des Ausstellungstages gegeben haben.
Denn der Tag war für Yamagoe ein rechter Festtag. Kurz nach9 Uhr früh erschien vollzählig das Lager Dairinji zusammen mit 50 Mann aus Kokaido. Um die Mittagszeit mußten sie uns wieder verlassen, um der einige Zeit danach eintreffenden zweiten Besucherwelle, bestehend aus dem Rest des Lagers Kokaido, Platz zu machen. Auch die Japaner brachten der Aussstellung reges Interesse

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entgegen. Frühzeitig stellten sich die beiden älteren Offiziere der Lagerkomman-dantur ein, um ebenso wie zahlreiche andere Offiziere des Regiments mit sach-verständiger Miene die primitive Kunst der „Barbaren“ zu betrachten. Die Spitzen der Behörden von Stadt und Präfektur erschienen in glänzenden Uniformen und glänzenden Gehröcken und besahen sich schmunzelnd die zarten Fleischtöne Henzescher und von Holsteinscher Kunst. Unsere „Kollegen“ von der japanischen Presse liefen geschäftig hin und her, so dass die Herren Redakteure der geschätztenLokalblätter reichlich Gelegenheit haben werden, sich in längerenArtikeln über die Beziehung Matsuyamas zum Weltkrieg im allgemeinenund zur Kriegsgefangenen-Ausstellung im Speziellen auszulassen. Der gesamte Stab der städtischen Mal- und Zeichen-„Akademie“ erschien am Platze und steckte die Köpfe zusammen und tuschelte und kritzelte soviel, daß anzunehmen ist, daß man noch mindestens Kind und Kindeskinder der heutigen Generation Matsuyamas den Ruhm der kunstgewandten deutschen Kriegsgefangenen künden wird.
Die Stimmung war den ganzen Tag über vorzüglich. Waren doch manche der „Stadtbewohner“ noch nie aus Dairinji und Kokaido hier heraus „aufsLand“ ge-kommen, und manches Wiedersehen wurde gefeiert und gebührend begossen. Alle Lauben waren im Betrieb, solange die Witterung es zuließ. Der Ausschuß hatte das bekannte Streichorchester „Yamagoe“ für zwei Konzerte gewonnen und der donnernde Beifall, den die Gäste den wackeren Musikern und ihrem trefflichen Dirigenten Uoffz. Schulz spendeten, war wohl der schönste Lohn dafür, daß sie im Dienste der Allgemeinheit arbeiteten, während die Kameraden um sie her feierten. Aber auch diejenigen Besucher, die derbere Genüsse liebten und kalte Füße nicht scheuten, kamen auf ihre Kosten. Auf dem Turnplatze zeigten unsere „Aktiven“ unter Leitung des Polizeiwachtmanns Hachenberg in stilechtem griechisch-römischen Ringkampf, daß ihre Kräfte trotz zweijähriger Gefangenschaft

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nicht eingerostet sind. Hier und überall tauchte das bunteGewand des Spaßma-chers, Matrose Katzorek, auf, der für seine lustigen Einfälle stets ein dankbares Publikum fand. Der Küchenmeisterund seine Helfershelfer hatten richtig vorausgesehen,daß bei reichlichen Augen- und Ohrenschmaus auch der Magen nicht zu kurz kommen will. Was die Bäckerei in Nachtschichten geschaffen,verschwand spurlos im Gehege der Zähne und was an Kaffee,Kakao und anderen Getränken vertilgt wurde, das sei besserder Nachwelt vorenthalten. Der Küchenmeister aber rieb sichvergnügt die Hände, denn je leichter der Geldbeutel der „Gäste“desto schwerer wurde der Küchensäckel.
Fünf Uhr war lange vorbei, als Trompetensignale das Endeder Ausstellung verkündeten. Als der lange Zug der Kokaidoleutesich allmählich in Bewegung setzte, den heimischen Stacheldrähtenentgegen, da blieb – ein heller Schein im eintönigenGrau unseres Daseins – die ungetrübte Erinnerung an einenfrohen Tag. Die Kunst hat vermocht, daß wir für eine kurze SpanneZeit die Ketten, die uns binden, weniger fühlten. Als wiraber aufblickten, da sahen wir – und dies wird dem Tag für alleZeit eine besondere Weihe geben – fern am Horizont das ersteschwache Frührot des Friedens...

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