Lagerfeuer

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Lf. Nr. 17 Matsuyama, Sonntag, den 21. Mai 1916

Die Geschichte der unserer Marine vom 1.V.1852 bis
zur Gründung des III. S. B. in Umrissen

Die Ausführungen anläßlich des ersten Mai haben gezeigt, wie unsere Marine entstanden ist, und wie die Aufgabe der Seesoldaten seit dem Großen Kurfürsten stets mit der der Matrosen eng verknüpft war. Dies sollte auch noch bis zum Ende der 90er Jahre so bleiben. Im Volksmunde führten die Seesoldaten den Beinamen „Tümmler“ weil sie ebenso wie diese Fischgattung ständig die Schiffe zu begleiten pflegten. Das Seebataillon bildeten die Stammtruppe für die auf den Kriegsschiffen dienenden Seesoldaten, ebenso wie noch heute die Matrosen-Divisionen für den Ersatz des seemännischen Personals und die Werft-Divisionen für den der Heizer, Schreiber, Segelmacher, Büchsenmacher, Sanitäter usw. Sorge tragen.
Friedrich Wilhelm IV. brachte der maritimen Aufgabe Preußens viel Verständnis entgegen. Durch einen Staatsvertrag mit Oldenburg vom 20 VII. 1853 erwarb er ein Küstengebiet am Jadebusen, wo in den Jahren 55/67 unser Nordsee-Kriegshafen „Wilhelmshaven“ unter großen pekuniären Opfern gebaut worden ist. Der Ausbau der Flotte machte von Jahr zu Jahr nennenswerte Fortschritte, so daß 1855 auch das mittlerweile mit dem Marinestationskommando nach Danzig übergesiedelte Seebataillon auf 3 Kompagnien verstärkt werden mußte.
Die folgenden Jahre zeigten sehr bald die Zweckmäßigkeit der jungen preußischen Seemacht. Im Jahre 1856 unternahm der Prinzadmiral persönlich eine Strafexpedition nach der marokkanischen Küste, um die dort ansässigen Riffpiraten für den Raub eines preußischen Handelsschiffes zu bestrafen. Ein in

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unserer Heimat viel verbreitetes Bild zeigt den Prinzen Adalbert, wie er unter den Kanonen der Korvette „Danzig“ mit seinen Seesoldaten und Matrosen die Klippen von Tres Foreas stürmt (siehe Skizze in Nr. 14).
Dem Schützen unserer Handelsinteressen galt auch eine Expedition, welche im Winter 1859 zum ersten Male unsere Flagge nach Ostasien führte. Hier hatten bereits in den 40er und 50er Jahren Engländer, Amerikaner, Russen und Franzosen – größtenteils mit Hilfe ihrer Schiffskanonen – Verträge mit China und Japan durchgesetzt, welche nunmehr auch auf Preußen und den Zollverein soweit ihre Interessen in Frage kamen ausgedehnt werden sollten.
Die Expedition setzte sich zusammen aus der Schraubenkorvette „Arkona“, der Segelfregatte „Thetis“ und dem Schoner „Frauenlob“ sowie dem Transportschiff „Elbe“.
Von Danzig auslaufend fuhr sie nach Japan, China und Siam mit dem Auftrage für Preußen und alle Staaten des deutschen Zollvereins „Freundschafts-Schiffahrts- und Handelsverträge“ abzuschließen. In Japan und besonders in China war dies keine leichte Ausgabe. In Peking wußte man damals von Preußen kaum etwas. Das Tsungli-Yamen (Ausw. Amt) erkundigte sich erst bei den Engländern, was für Leute die Preußen wären und welche Absichten sie haben könnten. Eine der Hauptschwierigkeiten, das Gesandtschaftsrecht, wurde dadurch behoben, daß Preußen sich verpflichtete, 5 Jahre lang von diesem keinen Gebrauch zu machen. Erst am 24. I. 1861 wurde ein Vertrag mit Japan abgeschlossen, welcher unter anderem den deutschen Kaufleuten den Eintritt in Yokohama, Kanagawa, Nagasaki, Niigata und Kobe zusicherte. Ebenso gewährleistete der Vertrag mit China, der am 2. IX. 1861 zu Tientsin unterzeichnet wurde, neben

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anderen Zugeständnissen den deutschen Handel in See seit dem Opium-Kriege (1840/42) geöffneten Handelsplätzen: Kanton, Amoy, Foutschou, Ningpo und Shanghai, sowie in den durch Engländer und Franzosen seit Abschluß ihrer kriegerischen Operationen mit China (24./25. X. 1860) geöffneten Gebiete. Zu diesen gehörte der Yangtse bis Hankou und weitere fünf Vertragshäfen, darunter Tientsin.
Der diplomatische Leiter der Expedition war Graf Friedrich zu Eulenburg, dessen Geschick wir das Zustandekommen der Verträge verdanken. Ferner befand sich auf S.M.S. „Arkona“ Ferdinand Freiherr von Richthofen, der sich durch seine geographisch-geologischen Studien in China späterhin (68/72) noch große Verdienste erworben hat. Seine Werk über China, in welchem er auch auf die Bedeutung Kiautschous hinweist, bildet noch heute die Grundlage unserer geologisch-geographischen Kenntnisse in diesem Land. In seinen japanischen Tagebüchern beschreibt er sehr interessant den Einzug des königlichen Gesandten in Begleitung von 50 kriegsmäßig bewaffneten Seesoldaten und 100 Matrosen in Yeddo (Tokio).
Leider war mit dieser Unternehmung auch der Verlust des von den Stiftungen preußischer Frauen erbauten Kriegsschiffes „Frauenlob“ verbunden, welches am 2. IX. 1860 an der japanischen Küste einem Taifun zum Opfer fiel.
Hatte die junge preußische Marine somit innerhalb der ersten Jahre ihres Bestehens dem deutschen Handel große Vorteile verschafft, so brachte das Jahr 1864 auch kriegerische Lorbeeren. In Dänemark war im November 63 König Christian IX auf den Thron gekommen. Dieser nahm, gedrängt durch die eiderdänische Partei, eine neue Verfassung an, welche die Einverleibung Schleswigs in Dänemark verlangte. Österreich und

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Preußen forderten die Aufhebung dieser Verfassung, da sie dem Londoner Protokol (1852) widerspruch. Da Dänemark sich weigerte, kam es zum Kriege, der naturgemäß in der Hauptsache zu Lande ausgefochten wurde. Wie anno 48 - 50, so blockierten auch jetzt wieder die Dänen die schleswig-holsteinischen Häfen und beschlagnahmten alle deutschen Kauffahrteischiffe, die sie bekommen konnten, auch aus den nichtpreußischen Seehäfen wie Bremen, Hamburg und Lübeck, trotzdem der „Bund“ nicht mit ihnen im Kriege war.
Die preußische Flotte lieferte den Dänen mehrere Gefechte bei Fasmund (Rügen), Dornbusch, Hela und Helgoland, letzteres gemeinsam mit dem österreichischen Admiral Tegethoff, der mit 2 Fregatten die 3 preußischen Schiffe unterstützte. Die Seesoldaten waren zum großen Teil an diesen Operationen beteiligt und zwar als Besatzungen auf S.M.S. „Arkona“, „Nymphe“, „Loreley“, „Grille“, „Vineta“, „Preußscher Adler“, „Basilisk“und „Blitz“.
Ferner wurden von 13/17. Juli die Inseln Sylt und Föhr mit Hilfe von Kanonenbooten besetzt.
Wenn auch König Wilhem I. die Erfolge seiner jungen Flotte, – „welche die Zahl der feindlichen Schiffe nicht zähle“ – anerkannte, so behielten doch die Dänen zur See die Oberhand, und das Fehlen einer starken Seemacht machte sich recht empfindlich bemerkbar.
Der Friede von Wien, welcher am 30. X. 64 diese Operationen abschloß, legte gleichzeitig den Keim zu neuen Verwicklungen. Dänemark mußte die Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg an Österreich und Preußen abtreten, welche trotz langer Auseinandersetzungen über deren Verwaltung nicht einig werden konnten (Vertrag von Gastein 1865). Dieser Umstand in Verbindung mit den österreichischen Oberhoheits-Bestrebungen

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führte 1866 zum Kriege, in welchem wir Preußen, die kleineren norddeutschen Staaten und Italien auf der einen, Österreich, Bayern, Württemberg, Sachsen, Hannover, Baden und beide Hessen auf der andern Seite finden.
Brachten auch die nun folgenden Kämpfe den Preußen eine Reihe glänzender Siege, sowie die Erwerbung von Schleswig-Holstein, Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt, so zeigte sie doch auch andererseits wieder die immer noch nicht genügende Stärke der preußischen Flotte. Diese war durch die zweifelhafte Haltung der Dänen an die heimatlichen Küsten gebunden und nicht in der Lage, Schiffe für andere Zwecke verfügbar zu machen. Zweifellos war dies eine der Ursachen der schweren Niederlage der Italiener bei Lissa (Insel Dalmatiens), wo sie der österreichische Admiral Tegethoff gründlich schlug.
Der Prager Friede (23. VIII. 66) führte zur Auflösung des Deutschen Bundes. Preußen gründete den „Norddeutschen Bund“, dem sich alle deutschen Staaten außer Bayern, Württemberg und Baden anschlossen.
Am 1. Juli 67 wurde die „Norddeutsche Bundesmarine“ begründet, deren stärkste Schiffe der in England für die Türkei gebaute „König Wilhelm“ ferner der „Kronprinz“ und „Friedrich Karl“ das Nordsee-Geschwader bildeten. Jedes dieser Schiffe hatte ca. 100 Seesoldaten an Bord. Kiel und das noch im Bau befindliche W’haven wurden Bundeskriegshäfen.
Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 gestaltete sich für die Bundesmarine ähnlich wie die Kriegsperiode 1866 für die preußische Marine. Flotte und Seebataillon hatten vornehmlich die Aufgabe des Küstenschutzes und traten somit nicht in Aktion. Zu erwähnen bleiben nur das Kanonenboot S.M.S. „Meteor“, welches bei Habana dem erheblich stärkeren französischen „Aviso

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Bouvet“ ein siegreiches Gefecht lieferte, und S.M.S. „Augusta“, welches an der Gironde zwei französische Handelsschiffe kaperte.
Der Kommandant des „Meteor“ war Korvettenkapitän Knorr, der Vater des Korvettenkapitäns von Knorr, des letzten deutschen Marine-Attaché in Tokio und Kommandanten des Hilfskreuzers „Meteor“, welcher sich durch Minenlegen an der englischen Küste und Kapern zahlreicher Handelsschiffe kürzlich einen Namen gemacht hat.
Mit der Erschaffung des deutschen Reiches und der am 14. IV. einstimmig durch den Reichstag genehmigten Reichsverfassung ging endlich der seit den 40er Jahren tief gehegte Wunsch des deutschen Volkes in Erfüllung. Aus der Bundes-Flotte wurde die Reichs-Kriegsflotte. Kiel und W’haven wurden Kriegshäfen für die „Kaiserliche deutsche Seemacht“.
Die Marineverwaltung wurde vom preußischen Kriegsministerium losgetrennt und eine besondere Admiralität unter dem Generalleutnant von Stosch erschaffen. Das mittlerweile auf 6 Komagnien gebrachte Seebataillon wurde geteilt, derart, daß 3 Kompagnien in Kiel, 2 in W’haven und eine in Geestemünde in Garnison zu liegen kamen. Letztere wurde 1886 ebenfalls nach W’haven verlegt. Durch eine Kabinettsordre für das Etatsjahr 1889/90 wurde aus beiden Halbbataillonen das I. und II. Seebataillon zu je 4 Kompagnien gebildet.
In diese Zeit fällt auch die Zurückziehung der zahlreichen Seesoldaten-Detachements von den Korvetten. Mit der fortschreitenden Technik waren aus den Segelschiffen Dampfschiffe geworden, so daß die Matrosen schließlich selbst mit der Handwaffe ausgebildet werden konnten. Wir finden daher am Ende der 70er bis zum Ende der 90er Jahre Seesoldaten nur noch auf den Panzerschiffen. Bekanntlich ging eines derselben

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„S.M.S. Großer Kurfürst“ infolge Rammung durch S.M.S. „König Wilhelm“ am 31. Mai 1876 im englischen Kanal bei Folkestone unter, wobei mehr als die Hälfte der Besatzung - darunter 82 Seesoldaten - den Tod fanden.
Waren in den letzten beiden Kriegen der preußischen bzw. der Bundes-Marine keine bedeutenden Lorbeeren beschieden, so sollten die folgenden Jahre der deutschen Seemacht umsomehr Bedeutung zuteil werden lassen. Die Veranlassung hierzu gab das immer stärker im deutschen Volke zum Ausdruck kommende Bedürfnis nach dem Besitz von Kolonien.
Schon 1849 hatten die Hanseaten an fast allen Hauptplätzen des tropischen Afrikas Niederlassungen gegründet, Expeditionen veranstaltet und Handelsverträge geschlossen.
Seit 1865 breiteten sich deutsche Häuser in immer wachsenden Umfange auf den Inseln der Süden aus. Im Jahre 1874 verteidigte Bismarck Spanien gegenüber die freie Bewegung des deutschen Handels und verwahrte sich gegen die Absperrung herrenloser Gebiete, in denen erhebliche deutsche Interessen bestanden.
Vom Jahre 1875 ab mußten dauernd Kriegsschiffe in der Süden stationiert werden. In den folgenden Jahren kamen die Freundschaftsverträge mit den Taionga- und Samoa-Inseln, sowie der Erwerb der Erlaubnis hier Kohlenstationen. Die Kosten dieser Kriegsschiffsendungen und Stationierung in der Südsee beliefen sich 1877 schon jährlich nahe an eine Million.
Bei allen europäischen Nationen regte sich in damaliger Zeit ein gewaltiger kolonialer Drang, und England, welches ihn am erfolgreichsten nützte, verstand es gleichzeitig meisterhaft, dem jungen deutschen Reiche bei seinen Erwerbungen im Wege zu stehen.

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1881 legte England Hand auf Nord-Borneo und ein Jahr später besetzte es Ägypten. Bismarck verhielt sich aber immer noch ablehnend.
Inzwischen wurden die Klagen deutscher Kaufleute im Auslande immer zahlreicher. Das Vertrauen, daß die deutschen Kaufleute unter britischem Schutze sich hinreichend sicher fühlten, war erschüttert. Die Zahl der Auswanderer erreichten in diesen Jahren eine erschreckende Höhe, 1881 hatte sie schon das zweite Hunderttausend überschritten.
Im gleichen Jahre legte Bismarck der Volksvertretung eine Denkschrift über die Möglichkeit subventionierter Dampferlinien nach Ostasien und Australien vor. Als diese aber abgelehnt wurden, wies der Kanzler neue koloniale Anregungen mit den Worten zurück: „Zu Kolonien gehört ein Mutterland, in dem das Nationalgefühl stärker ist, als der Parteigeist.“
Die Erkenntnis, daß wir über See Landgebiete zur Ansiedelung der auswanderungsbedürftigen Landsleute und als Quelle für Rohprodukte aller Art haben müßten, ergriff trotzdem immer weitere Kreise. Im Dezember 82 bildete sich eine Kolonialgesellschaft zu Frankfurt a/M., welche durch Vorträge und Schriften aufklärend zu wirken suchte.
Bismarck äußerte sich dahin, daß er gegen eine gewaltsame Kolonial-Politik sei, daß er aber stets koloniale Bestrebungen unterstütze, welche durch den deutschen Kaufmann ins Leben gerufen seien.
Als nun im Jahre 1883 der Bremer Kaufmann Lüderitz, welcher durch Verträge mit den Hottentotten die Bucht von Angra Peguena (= kleine Bucht) in Südwestafrika nebst 50 000 qkm Land erworben hatte, an Bismarck mit der Bitte um Gewährung des Reichsschutzes herantrat, erklärte der Kanzler,

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daß seine Erwerbungen unter dem Schutze des Reiches ständen.
Damit war das Signal zur deutschen Kolonisation gegeben. Was in Südwest Eduard Süderitz gelungen war, das leisteten in Togo die Hamburger Großfirmen „Wöller-Brohm und Gödelt“, sowie der Bremer „Vietor“, in Kamerun die Hamburger „Wörmann, Jantzen und Thormahlen“.
Die Hanseaten, die im Mittelalter bereits den deutschen Handel über See trugen, gingen auch diesmal kühn voran.
Bismarck führte nun mit blitzartiger Geschwindigkeit seine Schläge. Auf Bitten jener Kaufleute um Reichsschutz erfolgte die Flaggenhissung am 5. und 6. Juni 1884 durch S.M.S. „Möve“ in Bagida und Lome in Togo. Am 7. 12. August erschienen die Korvetten „Leipzig“ und „Elisabeth“ an der Küste von Lüderitzland und nahmen auch hier eine förmliche Flaggenhissung vor. Wenige Tage später, am 19. August wurde in Neu Guinea nebst Bismarck-Archipel und schließlich am 28 desselben Monats in Kamerun die deutsche Flagge gehißt. Mit Ausnahme von Ost-Afrika, das dank der Initiative Karl Perters’ im nächsten halben Jahren noch folgte, war in 5 Monaten der Grundstock unserer heutigen Kolonien erworben.
1885 wurden noch die Marschall-Inseln, wo wir seit 1878 auf Jalit eine Kohlenstation hatten, in Besitz genommen, und Bismarck kündigte den Spaniern, welche bereits 1875 ihr Desinteressement erklärt hatten, auch die Besetzung der Karolinen an.
S.M.S. „Iltis“ hatte schon die deutsche Flagge auf Yap (Hauptinsel der Karolinen) gehißt, als auch schon die Wogen der Entrüstung in Spanien hoch gingen, die fast zum Kriege geführt hätten.
Bismarck unterbreitete die Angelegenheit dem Schiedsgerichte Papst Leo XIII., der dem Deutschen Reiche auf Grund älterer

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Rechte Spaniens nur den freien Handel und eine Kohlenstation zugestand. Erst am 12. II. 1899 wurden die Marianen (außer dem amerikanischen Guam), die Karolinen und Palau-Inseln für 17 Millionen Mark von den Spaniern gekauft.
Im Dezember desselben Jahres erfolgte auch noch durch Vertrag mit England und Amerika die Besitznahme einiger der Samoa-Inseln, welche wir 1880 allein hätten haben können, wenn damals das Reich dem Hamburger Hause Godeffroy Beistand geleistet hätte.
Die politische und kommerzielle Bedeutung dieser Erwerbungen gehört einem besonderen Kapitel an. Den geschichtlichen Hergang habe ich kurz in Umrissen geschildert, weil die Besitzergreifung der Kolonien, durch die Marine erfolgte, und fast alle kriegerischen Aktionen derselben bis zum augenblicklichen Kriege in jenen ausgefochten wurden.
So hatten unsere Kriegsschiffe bereits 1887/88 in dem noch nicht zu uns gehörigen Samoa, Kämpfe zu bestehen. Gleichzeitig mußte der Widerstand des von England aufgehetzten Sultans von Sansibar durch Blockade gebrochen werden, und endlich unterstützten deutsche Kriegsschiffe gemeinsam mit den englischen die Bekämpfung des Aufstandes, den der arabische Sklavenhändler Buschiri 1888 in Ost-Afrika ins Leben gerufen hatte. Dieser wurde durch Major Wissmann am 14. XII. 89 in Pangani gehängt.
Jene Operationen, wie überhaupt unsere Festsetzung in Ost-Afrika waren den Engländern von vornherein ein Dorn im Auge. Stanley eröffnete einen wahren Kreuzzug gegen die „Koloniale Habsucht Deutschlands“.
Daher leitete Bismarck im Jahre 1890 Verhandlungen mit England ein, welche jedoch durch seinen Sturz unterbrochen

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wurden. Caprivi setzte auf energisches Betreiben Kaiser Wilhelms II. die Verhandlungen fort, deren Ergebnis der sogen. Helgoland-Vertrag vom 1. Juli 1890 ist, der im wesentlichen Helgoland gegen das Protektorat über die Sultanate Witu und Sansibar eintauschte.
„Wir haben für einen Hosenknopf einen Anzug erhalten“, rief Stanley aus.
Heute ist Helgoland der Schlüssel zur Elbe- und Wesermündung, unsere stärkste Marinebefestigung mit einem vorzüglichen Torpedo- und Unterseebootshafen. Die Engländer würden heute wohl verschiedenen koloniale Anzüge für den Besitz von Helgoland geben. Bedeutet doch derselbe gleichzeitig die Beherrschung der ganzen deutschen Nordseeküste.
Der Winter 1893/94 brachte weitere Unruhen auf Samoa und in Kamerun. Beide wurden verhältnismäßig schnell durch unsere dort stationierten Schiffe niedergeworfen. Während auf Samoa England Hilfe leistete, wurde nach Kamerun ein Gemischtes Detachement der beiden Seebataillone unter dem Hauptmann von Kamptz gesandt, welches jedoch für eine Teilnahme an den dortigen Operationen zu spät kam.
Ein Ereignis von weittragender politischer Beutung war die Demonstration deutscher Kriegsschiffe 1894 in der Delagoa-Bai (östl. von Transvaal) anläßlich der gespannten politischen Lage zwischen Buren und Engländern.
In Ostasien brachte der Friede von Shimonoseki 1895 einen kleinen Konflikt mit dem von China an Japan verlorenen Formosa. Dieses fügte sich diesem Beschlusse nicht, sondern erklärte sich zur selbständigen Republik. Als der „Präsident“ und der chinesische General Dschang-Dschi-Dung mit der Staatskasse auf deutsch Schiffe flohen, eröffneten die republikanischen Forts auf

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diese Feuer, welches der „Iltis“ mit wenigen Schüssen zum Schweigen brachte.
Es ist dies dasselbe Schiff, das im darauffolgenden Jahre an der Ostküste Schantungs unterging (23. VII. 1896)
Eine außerordentliche Verstärkung erhielt unsere Heimatsflotte durch die Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals am 19. VI. 1895, welcher auf einer Entfernung von 98 km Ost- und Nordsee verbindet und eine schnelle Vereinigung unserer Schiffe nach beiden Seiten gewährleistete.
Dies war von weittragender Bedeutung für unsere Kraftentfaltung zur See, denn die Stärke der deutschen Flotte ließ immer noch sehr viel zu wünschen übrig, und stand in krassen Gegensatze zu dem mächtig aufblühenden deutschen Handel. 1896 war zum ersten Male in Hamburger Hafen die deutsche Flagge der englischen überlegen. Von 1886/96 hatte sich die Zahl der deutschen Handelsschiffe um mehr als das sechsfache, ihr Tonnengehalt um mehr als das zehnfache vermehrt. Der ehemalige englische Premierminister Lord Rosebery äußerte: „Wir sind bedroht durch einen furchtbaren Gegner, der uns benagt wie das Meer die schwachen Partien einer Küste; der Handel Englands hört nicht auf sich zu verringern, und was er verliert, gewinnt in der Hauptsache Deutschland“ –.
Wie schon gelegentlich unsere kolonialen Erwerbungen erwähnt, betrachtete England mit wachsenden Mißbehagen die gewaltige handelspolitische Entfaltung Deutschlands. Jenes wurde noch verschärft durch das bekannte Krügertelegramm
(1896) und die seit dem deutsch-türkischen Handelsvertrag (1890) mit großen Nachdruck betriebene Orientpolitik(Bagdad-Bahn). Hand in Hand damit ging eine absolut türkenfreundliche

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Politik, die ihren sichtbarsten Ausdruck in dem Kaiserbesuch in Konstantinopel und in der berühmten Kaiserrede in Damaskus (Herbst 98) fand, in welcher sich der Kaiser als Freund und Schützer des Sultans und der 300 Millionen Mohammedaner, die in ihm ihren Kalifen ehren, bekannte.
Angesichts der schwankenden deutsch-englischen Verhältnisses blieb unserer Politik nichts anderes übrig, als sich entweder ins englische Fahrwasser zu begeben, oder auf eigene Faust ihre Aufgaben durchzuführen, eventuell auch gegen England.
Unsere Regierung tat das letztere, indem sie dem Reichstage durch den hochverdienten Staatssekretär v. Tirpitz (seit 97 im Amt) eine Flottengesetz zugehen ließ, das den planmäßigen Aufbau einer Hochsee-Schlachtflotte festsetzte.
Dieser Vorlage folgten in den folgenden Jahren noch zwei weitere, welche der Übersicht halber einschließlich der Novellen 06 und 08 gleich miterwähnt seien:

I. Fl. Gesetz:
1898
a) SchlachtflotteLin.Sch.Küst.P.gr.Kr.kl.Kr
1 Flottenflaggschiff1
2 Geschwader à 8
Linienschiffe
16
6 gr. und 16 kl. Kreuzer als Aufklärungsschiffe 616
2 Divisionen von je
4 Küstenpanzern
8
Sa:178616
b) Auslandsflotte:3 10
c) Materialreserve234
Gesamtsummen:1981230
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II. Fl. Gestz: a) Schlachtflotte: Lin.Schif. Küst.P. gr.Kr. kl.Kr.
1900 2 Flottenflaggschiffe: 2
einschl. d. No- 4 Geschwader à 8 Li-
vellen v. 06 u. nienschiffe 32
08 8 gr. und 24 kl. Kreu-
zer als Aufklärungs-
schiffe: 8 24
Sa: 34 8 24
b) Auslandsflotte: 8+ 10
c) Materialreserve 4 4 4
Gesamtsummen: 38 20 38
+ Hiervon wurden 1900 6 große Kreuzer durch den Reichstag gestrichen,
die 1906 oder 1908 nachträglich bewilligt wurden.
III. Fl. Gestz: a) Schlachtflotte: Lin.Schif. Küst.P. gr.Kr. kl.Kr.
1912 1 Flottenflaggschiffe: 1
5 Geschwader à 8 Li-
nienschiffe 40
12 gr. und 24 kl. Kreu-
zer als Aufklärungs-
schiffe: 12 24
Sa: 41 12 24
b) Auslandsflotte: 8 16
c) (Materialre-
serve fällt fort ) 4 4 4
Gesamtsummen: 41 20 40
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Inzwischen hatte sich die politische Lage in Ostasien durch den Sieg Japans über China wesentlich verändert (1894/95). Die Japaner hatten ihre Überlegenheit, über die chinesen bewiesen, und die in Ostasien interessierten Mächte sahen sich veranlaßt, sich

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dort ihren Einfluß zu sichern.
Deutschland fand in der Ermordung zweier Missionare in Schantung den gewünschten Anlaß und besetzte durch sein Kreuzergeschwader unter Admiral von Diedrichs am 14. November 1897 Tsing-Tau-Kou (= Hafen bei der grünen Insel), damals noch ein armes kleines Fischerdorf. Durch Landungsdetachements von S.M.S. „Kaiser“, „Prinzeß Wilhelm“ und „Cormoran“ wurde ein genau von der deutschen Regierung bestimmtes Gebiet ohne Blutvergießen in Besitz genommen und auf dem Ostlager (jetzige Bismarckkaserne) die Flagge gehißt.
Um die Chinesen bezüglich der Gebietsabtretung nachgiebiger zu machen, beorderte Seine Majestät der Kaiser am 16 XII. seinen Bruder den Prinzen Heinrich mit den Panzerkreuzer „Deutschland“ und „Gefion“ ebenfalls nach Ostasien.
Ein mit dem Kaiser Kuang Hsue am 5. I. 98 abgeschlossener Vertrag überließ Deutschland das Pachtrecht dieses 550 qkm großen und etwa 100 000 Einwohner zählenden Gebietes auf vorläufig 99 Jahre.
Zur unmittelbaren Sicherung dieses Besitzes wurde bereits am 3. Dezember durch Abgaben des I. und II. Seebataillons und der Armee ein neues Bataillon aufgestellt, welches unter dem Befehl des Majors Kopka von Lossow (15 Offiziere 634 Mann) am 18. desselben Monats von W’haven aus die Ausreise antrat.
Gleichzeitig wurde das neuformierte Matrosen-Artillerie-Detachement diesem Transport angeschlossen, der am 26. I. 1898 in Tsingtau eintraf.
Durch eine Allerhöchste Kabinettsordre vom 13. VI. 98 erhielt das Bataillon den Namen: „III. Seebataillon“.
Als Stiftungstag ist jedoch der 3. Dezember 1897 anzusehen.
Buttersack.

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Washington D.C.

Die Ereignisse der letzten Zeit haben die Aufmerksamkeit der Welt in erhöhtem Maße auf die Vereinigten Staaten gelenkt. Von dem politischen Mittelpunkt dieses Reiches, von der Stelle zu erzählen, von der aus die Geschicke der „neutralen“ Großmacht gelenkt werden, ist der Zweck dieser Zeilen.
Von allen Städten der Vereinigten Staaten ist die Bundeshauptstadt Washington die am wenigsten amerikanische. Verläßt man mittags das tosende, brodelnde New York und erreicht man nach einer Fahrt durch rauchige Städte, durch Wälder von schreienden Plakaten und qualmenden Schornsteinen gegen Abend Washington, so glaubt man sich mit einem Male in die Ruhe eines traulichen Residenzstädchens drüben in der Alten Welt versetzt. Allerdings, dieses „Städtchen“ hat immerhin seine 350 000 Einwohner, aber was will das heißen in einem Lande, wo die Millionenstädte über Nacht entstehen. Dabei ist Washington schon eine für amerikanische Begriffe alte Stadt. 1790 ward, genau im Mittelpunkte zwischen dem nördlichsten und südlichsten Staate der damaligen Union, Federal City gegründet, zu dem Zwecke die Hauptstadt des Landes zu sein. Für das junge Gemeinwesen, dem bald der Name seines Begründers Washington verliehen wurde, hatte man eine denkbar günstige Stelle ausgewählt. Tief landeinwärts gelegen, 290 km von Ozean entfernt, ist Washington doch für Seeschiffe erreichbarer Küstenplatz, denn der Potomac verbreitert sich hier zum Meeresarm und fließt in majestätischer Breite in südöstlicher Richtung zur Chesapeake-Bucht, in die er etwa 100 km nördlich Newport News mündet. Um keinem der jungen Unionsstaaten den Vorzug vor dem andern zu geben, wurde um die werdenden Bundeshauptstadt

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herum an der Grenze der Staaten Maryland und Virginia ein quadratischer, 168 qkm großer Distrikt gebildet, dem man den Namen Columbia gab, und den man unter die unmittelbare Verwaltung des Kongresses stellte. Der offizielle Name der Stadt ist heute: Washington D.C. (Distrikt Columbia). Aus den 13 Staaten zu Ende des 18. Jahrhunderts sind im Laufe der Zeit 48 Staaten geworden, und längst ist Washington nicht mehr der geographische Mittelpunkt des Landes. Es hat nicht an Bestrebungen gefehlt, die darauf hinzielten, die Bundeshauptstadt weiterwestwärts
zu verlegen. Wenn dieselben gescheitert sind, so lag das einmal an den ungeheuren Kosten einer solchen Verlegung, dann an der Schwierigkeit, einen ebenso günstigen Platz wiederzufinden; vor allem lag es aber auch daran, daß das Schwergewicht der Union immer noch im Osten liegt, in den alten Neuenglandstaaten, in denen die Hochburgen von Finanz, Industrie und Wissenschaft gelegen sind. Von hier aus werden ja in Wahrheit die Geschicke des Landes bestimmt, und Washington ist nur ihr Sprachrohr.
Der Besucher, besonders der Europäer, erkennt in Washington sofort die Hauptstadt. Er findet mächtig breite Straßen, wohl gepflegte Anlagen mit weiten Rasenplätzen, prunkvolle Regierunggebäude, Institute, Museen, Denkmäler - Kurz, alles was in der Alten Welt zu einer Residenz gehört. Nur das kleine Geschäfts- und Hotelviertel erinnert an Amerika durch ein paar häßliche Straßen mit kleinen Wolkenkratzern. Aber auch diese Erinnerung wird nur durch den systemlosen amerikanischen Städtebau wachgerufen, der keinen Anstoß daran nimmt, wenn die kühnsten, zum Himmel emporragenden Betonbauten von kleinen schmutzigen Blockhäusern umrahmt sind, und der es fertig bringt, gleich daneben ein Palais in reinster französischer Renaissance

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aufzuführen, hingegen fehlt auch diesem Stadtteil Washingtons das lärmende, ruhelose Treiben, das sonst selbst den kleinsten Städten Amerikas eigentümlich ist. Wahington ist keine Geschäftsstadt und hat auch nie versucht seine betriebsamen Nachbaren Baltimore und Richmond oder gar dem mächtigen Philadelphia Konkurrenz zu machen. Es hat sich stets mit seiner Eigenschaft als Regierungssitz zufrieden gegeben und wurde die Pensionopolis der Vereinigten Staaten.
Schon lange bevor man in den Bahnhof Washingtons einfährt, erblickt man von weitem die mächtige Kuppel des Kapitols. Das Kapitol, der Sitz der Volksvertretung Nordamerikas, liegt auf einer zum Potomac und zu seinem Nebenflusse Anacostia abfallenden Anhöhe beherrschend über der Stadt. Pennsylvania Avenue, Washingtons „Unter den Linden“, führt zu ihm hinan, und von hier aus ist der Anblick des gewaltigen Marmorbaues von überwältigender Größe. Durch Parkanlagen steigt man zu ihm empor. Es ist immer mißlich, wenn man einem neuen Werk, um seine Bedeutung hervorzuheben, einen berühmten Namen gibt; denn der Name fordert zu Vergleichen auf. Klimmt man zu jenem alten berühmten „Kapitol“ hinan, so kommt man aus engen, schmutzigen Gassen über schmucklose Marmorstufen – und steht oben überwältigt von der erhabenen Schönheit und Ruhe jener Stätte, die es nicht besonders anzukündigen braucht, daß sie einst der Mittelpunkt der Welt gewesen. Das „Kapitol“ der neuen Welt ruft den Ankömmling schon von weitem durch leuchtenden Marmor seine Bedeutung zu, auf prunkvollen Rampen steigt man zu ihm empor, aber steht man oben, so ist man enttäuscht, er-
nüchtert: denn der Bau, der aus der Ferne so viel verspricht, ist in Wahrheit nur ein riesiger marktschreierischer Steinhaufen,

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überladen mit Säulen und Säulchen, eine Potenzierung aus Europa entlehnter Gedanken ohne jede eigene Note. Sicherlich war das alte Volkshaus, zu dem 1793 George Washington selbst den Grundstein gelegt hatte, das aber 1814 von den Engländern niedergebrannt wurde, einfacher und ruhiger, wie dieser an seiner Stelle im 19 Jahrhundert errichtete Riesenbau, der nur durch seine gewaltigen Dimensionen auf den Beschauer zu wirken vermag. 229 m lang, 37/99 m tief, bedeckt das Kapitol eine Fläche von 1,4 ha, während die eiserne Kupfergedeckte Kuppel sich bis zu 82 m Höhe erhebt. Den Erbauern ist insofern noch ein kleines Mißgeschick begegnet, als sie, in der Meinung die zukünftige Hauptstadt werde auf dem ostwärts gelegenen Gelände erstehen, die prunkvolle Vorderseite mit den weitausholenden Säulenhallen nach dieser Seite legten; die Stadt entwickelte sich nun aber unglücklicherweise nach Westen, so daß heute das Kapitol der Stadt seine Kehrseite zuwendet.
Das Innere des Kapitols ist ziemlich einfach gehalten. Den einzigen Schmuck der gewaltigen Räume bildet außer Wandgemälden, die mehr das historische als das künstlerische Interesse reizen, eine Riesenversammlung von Marmorbüsten und Marmorstatuen, so daß selbst der denkmalfreudigste Berliner neidisch werden könnte. Eine mächtige Rotunde scheidet die beiden Flügel des Gebäudes, von denen der eine dem Senat, der andere dem Repräsentantenhaus vorbehalten ist. Der Sitzungssaal des Senates, des unter Vorsitz des Vizepräsidenten der Union tagenden, aus den Sendboten der gesetzgebenden Körperschaften der einzelnen Staaten bestehenden Oberhauses der Union, ist von gleicher Einfachheit, wie der des Repräsentantenhauses, in dem die aus allgemeinen, direkten Wahlen des ganzen Landes hervorgehenden Abgeordneten ihre Sitzungen

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abhalten. In letzterem Saal vereinigen sich bei wichtigen gemeinsamen Sitzungen, wie es letzthin der Fall war, Senat und Repräsentantenhaus zum Kongreß.
Unterirdische Gänge mit Tunnelbahn führen unter den Anlagen hindurch zu zwei langgestreckten Gebäuden, in denen jeder Senator und jeder Abgeordnete sein eigenes Bureau hat. Nicht weit davon liegt, ein schöner Renaissance-Bau, die Kongreßbibliothek, die der Amerikaner wohl nicht ganz mit Unrecht als die prächtigste Bibliothek der Welt preist.
Strahlenförmig laufen vom Kapitol aus lange, ruhigen, mit alten Bäumen bestandene Straßen. Landhaus reicht sich an Landhaus, und nur selten dringt der warnende Ruf der Autohupen durch die stillen Alleen. Hier wohnen die hohen Beamten des Landes, hier liegen die Gesandtschaften, und hier ist auch die Stätte, wo Graf Bernstorff die rissigen Lande zwischen zwei großen Völkern sorgsam hütet. In weiten Bogen von Kapitol zum Weißen Hause umziehen Parkanlagen die Pennsylvania Avenue, umgeben von prunkvollen Gebäuden, in denen die Ministerium, wissenschaftliche Institute und Museen ihren Sitz haben. Der Stil, in dem sie erbaut sind, ist bald griechisch, bald italienisch, bald normannisch, nur der Erbauungspreis ist immer amerikanisch. Im Lande des Dollars jedoch schein gerade dies das Wichtigste, und mit Stolz wird dem Fremden in jedem einzelnen Falle die Summe genannt, die jeder einzelne Bau gekostet hat.
Es war daher nicht mehr als ein Akt der Höflichkeit gegen Amerika, wenn ich bei meiner Anwesenheit in Washington, dem König Dollar in seinem, in einem der prächtigsten Paläste befindlichen Stammschloß persönlich Besuch machte: dieses Stammschloß ist die Staatsdruckerei (Bureau of Engraving and Printing). Täglich und stündlich kann man hier sehen, wie Millionen Prinzen

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dieses Königlichen Hauses von verschiedenster Art und Farbe in die Welt gesetzt werden. Bis ins einzelste erklärte mir der Führer, wie

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Die Geburtsstätte des Dollars.
Bureau of Engraving and Printing in Washington.

der Dollar gemacht wird, und wies auf die Regierungspaläste in der Stadt, um zu zeigen, wie lose der Dollar in der Tasche der Amerikaner sitzt – nur über die Art, wie der Dollar aus der Druckerei in die einzelnen Taschen gelangt ist und gelangt, darüber war selbst an seiner Geburtsstätte in Washington nichts Zuverlässiges zu erfahren!
Daß der Dollar in den Vereinigten Staaten auch der Wissenschaft zugute kommt, das zeigen die zahlreichen wissenschaftlichen Institute, die in Washington ihren Sitz haben. An ihrer Spitze steht die berühmte Smithosonian Institution mit dem ihr unterstellten National-Museum, deren Bedeutung vor allem in Forschungen auf dem Gebiete der Ethnologie, der Astronomie und des Erdmagnetismus liegt. Nicht weniger als drei Universitäten besitzt Washington, darunter eine für Farbige, die ein Drittel der Bevölkerung der Stadt ausmachen.
Auf einer kleinen Bodenwelle inmitten der Parkanlagen

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liegt der Washington-Obelisk. Das gewaltige, 169 m hohe Monument, das Amerika seinem größten Sohn errichtet hat, ist als Bauwerk außerordentlich interessant (unten 16,75 qm stark mit 4,50 m dicken Mauern, bei 162 m Höhe 10,35 qm stark mit 45 cm dicken Mauern, darüber 16,50 m hohe Dachpyramide aus Aluminium), aber sonst ist trotz aller Lobpreisungen, die man darüber in Washington hören und lesen muß, nicht viel Gutes von ihm zu sagen. An einem kalten, kahlen Obelisken, mag er noch so hoch zum Himmel ragen, kann das Auge nur dann etwas Schönes finden, wenn er seiner Umgebung angepaßt ist. Wie wundervoll schmiegt sich die herkulesgekrönte Spitzsäule in Wilhelmshöhe der Landschaft an! Der Washington-Obelisk aber steigt unvermittelt vom Boden des Talgrundes empor, und von keiner Stelle her kann der Beschauer ihn als Ganzes erfassen. Steht man am Fuße dieses grauweißen Marmorbaues, so glaubt man eher einen riesenhaften Schornstein, als ein Nationaldenkmal vor sich zu haben. Dem Amerikaner macht das keine Sorge; er verkündet triumphierend der Obelisk sei das höchste Denkmal der Welt und habe beinahe 1½ Million Golddollars gekostet.
Über prächtige Spielplätze, auf denen die amerikanische Jugend ihrem Nationalspiel dem Baseball, huldigt, gelangt man zu einem neuen, geschmackvollen kleinen Gebäude, das selbst in diesem Gemisch aller Stilarten ins Auge fällt. Seine Loggien und sein flaches vorspringendes Dach erinnern am südliche Zonen. Es ist das Panamerican Building, das Haus, in dem die Staatsmänner Nord- und Südamerikas in den letzten Jahren regelmäßig zusammenkommen, um unter der Leitung der Vereinigten Staaten gemeinsame amerikanische Angelegenheiten zu besprechen. Das dem Fremden geöffnete Innere birgt interessante Sammlungen aus allen Teilen der Neuen Welt, nördlich und südlich des

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Äquadors.
Am Ende der Parkanlagen, versteckt zwischen Bäumen und Büschen, liegt das Weiße Haus, die Wohnung des Präsidenten der Vereinigten Staaten. Nirgends wie hier empfindet man und soll es wohl auch empfinden, daß man sich in einer Republik befindet. Ringsum steigen Paläste aus Marmor und Granit hoch empor, nur die Wohnung des Staatslenkers ist ein einfach weiß gestrichenes, niederes Gebäude. Das ursprüngliche „Weiße Haus“, in dem die ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten gelebt habe, ist von den Engländern niedergebrannt worden. Der 1818 errichtete Neubau wurde zwar in Stein aufgeführt, blieb aber im übrigen dem im sogen. Kolonialstil erbauten Vorbild (einfaches Blockhaus mit hoher Säulenvorhalle) treu. Wie ein vornehmes Landhaus liegt das Heim des Führers eines 90 Millionen-Volkes, inmitten eines sorgsam gepflegten Privatparks, bewacht von den Standbildern amerikanischer Freiheitshelden: Lafayette, Andrew Fackson, Rochambeau, Kosciusko und des Deutschen Friedrich Wilhelm von Steuben! Ein Hauch Alt-Amerika ruht über der Stätte, und das anspruchslose Bauwerk, wie es sich die Nachkommen der puritanischen Pilgrimsväter erdacht haben, erscheint edler als die schönste nachempfundene Symphonie in Marmor und Gold.
In noch erhöhten Maße gilt dies von Mount Vernon, meiner liebsten Erinnerung an Washington. Um noch Mount Vernon zu gelangen, besteigt man eines jener zweistöckigen ameriknischen Dampfboote, von denen man erst dann weiß, wie viel Menschen sie fassen, wenn sie einmal umgeschlagen oder gesunken sind, und fährt auf den gelben Fluten des Potomac bergab. Hat das Schiff Arsenal und Kriegsschule passiert, hinter denen irgendwo versteckt das von unserem Kaiser der Union geschenkte Standbild

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Friedrichs des Großen seinen Platz gefunden hat, so bietet sich ein herrlicher Blick auf die Kuppelgekrönte Stadt. Dann geht es zwischen waldigen Höhen den gewundenen Strom entlang bis zu dem schon weit im Staat Virginia gelegenen Mount Vernon, dem alten Landsitz und Grabe Washingtons. Hoch über dem Strome inmitten uralter Bäume liegt der Gutshof. Kleine Nebengebäude umgeben das einfache, nur mit der Säulenhalle des reinsten kolonialen Stiles gezierte Wohnhaus. Die engen, von der bescheidenen Lebensweise seiner einstigen Bewohner zeugenden Räume vermögen die Scharen der Besucher nicht zu fassen. Denn Mount Vernon ist zum Wallfahrtsort aller guten Amerikaner geworden. Die Schiffe auf dem Strome senken, wenn sie hier vorbeifahren, die Flagge, an das im Garten gelegene, unendlich einfache Grab des großen Mannes tritt man mit dem Hut in der Hand, und Wächter achten darauf, daß die Besucher nicht durch lautes Reden die Ruhe des Toten stören; das ganz Haus aber ist eine große Sammlung von Erinnerungen an Washington und seine Zeit. Der erste Präsident des freien Amerikas ist zum Nationalheros geworden. Ehrfürchtig bestaunen der Pflanzer aus dem Westen den Waffenrock, den Degen, die Briefe Washingtons an Frau Martha und alle die zahllosen Reliquien, die die dankbare Nachwelt mit Liebe gesammelt hat. Nur einer schein lange nicht auf Mount Vernon gewesen zu sein: der, der heute an der Stelle Washingtons im Weißen Hause sitzt. Die alten Bäume auf Mount Vernon, in deren Stille kein Laut dringt von der lärmenden Jagd nach dem Dollar, könnten dem gelehrten Professor manches erzählen von den Idealen, für die George Washington gefochten! –
-dt.

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Malakànüi

Die Malakanen sind eine religiöse Sekte, deren Mitglieder sich überall in Rußland und Sibirien verstreut vorfinden. Ihr Name kommt vom russischen Worte „malako“, das Milch heißt. Die griechisch-orthodoxen Christen, die „Rechtgläubigen“, haben den Malakanen ihren Namen gegeben, weil die letzteren auch während der großen russischen Fasten die den Rechtgläubigen in dieser Zeit verbotene Milch genießen. Sie tragen ihren Namen, der weiter nichts als „Milchfresse“ bedeutet mit Stolz, wie wir Lutheraner uns Protestanten nennen.
Die Malakanen leben ganz nach den Grundsätzen der ersten Christengemeinde. Sie haben keine bezahlten Geistlicher, sondern wählen ihre Prediger aus der Mitte ihrer Mitglieder. Aus ihren Bethäusern ist jeder Kirchenschmuck, jedes Heiligenbild und alles kirchliche Gepränge verbannt. Sie verbieten den Genuß von Alkohol und Nikotin. Mit dem Verbot des Trinkens nehmen sie es aber nicht ganz genau, ich habe recht trinkfeste Burschen unter ihnen gekannt. Aber nie habe ich einen Malakanen rauchen sehen.
Diese äußerst vernünftige Lebensweise macht die Malakanen zu den solidesten und brauchbarsten Mitgliedern der russischen Gesellschaft und des Volkes. In der Amurprovinz sind sie besonders stark vertreten. Die Einwohnerschaft ganzer Dörfer besteht nur aus Malakanen; in Blagowestschenskt bilden sie eine besondere große Gemeinde.
Sie sind Russen wie alle andern auch durch und durch zarentreu. Und doch schauen sie mit einer gewissen Geringschätzung auf ihre „rechtgläubigen“ Volksgenossen herab. Und nicht mit Unrecht. Denn sie besitzen dank ihrer nüchternen Lebensart und ihrem Fleiße die größten Vermögen, sie haben die besten Stellen in öffentlichen

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Leben inne. Abgesehen von der Gastfreundschaft, die wohl allen Russen gemeinsam ist, sind die Malakanen geizig. Und keine Rose ohne Dornen: Es gibt schlimme Wucherer unter ihnen. Sie sind die tüchtigsten und geriebensten Kaufleute Sibiriens, ihre bescheidene Lebensart läßt sie sich mit geringen Verdienst begnügen. Selbst die Chinesen können ihnen keine Konkurrenz machen. Ihre Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit, ihre weit über dem Durchschnitt stehende Intelligenz machen sie zu geschätzten Mitarbeitern.
Die Männer haben ungeheuere Vollbärte und kräftiges Haupthaar, das im Nacken gewöhnlich ausrasiert ist. Sie tragen eine flache schwarze Schirmmütze. Im übrigen kleiden sie sich wie die Russen. Es gehört eine gewisse Erfahrung dazu einen Malakanen von einem Andersgläubigen zu unterscheiden. Aber sie sprechen einen eigentümlichen Jargon, der sie bald erkennen läßt.
Ihre Frauen und Töchter sind wohl die besten Hausfrauen Sibiriens, und die wohlerzogensten. Ihre Erziehung gleicht der der deutschen Mädchen daheim. Uns Ausländern fielen sie immer angenehm durch ihre Kleidung auf. Sie kleiden sich sehr bescheiden, aber auch sehr geschmackvoll. Anstatt der Pariser Hüte tragen sie einfarbige duftige Schleier, die links herabfallen lassen: weiß, blau, grün, rot, gelb .... Sie sind sehr tugendhaft und fast unnahbar. Ich habe mich oft mit großen Vergnügen mit diesen schlankgewachsenen und schönsten Töchtern Blagwestschensks unterhalten, die mich immer an irgendein deutsches Mädel daheim erinnerten.
K. Bähr

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Auflösung des Rätsel in Nr. 16

1. Schneid, Schneider
2. Samt, Samter
3. Mai, Maier
4. Frei, Freier.
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